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Wer so wohnt, wird bei Horst nicht vertreten. Bild: Christian Holl

Stilkritik (60) | Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Nach dieser Maxime handeln Interessensvertreter schon das ein oder andere Mal. Das wäre noch einigermaßen legitim, wenn auch die Interessen möglichst vieler anderer vertreten würden – nach der gleichen Maxime. Das ist leider selten der Fall. Wie ungerührt davon Lobbyisten vorgehen, zeigt sich unter anderem in Mannheim.

Manchmal kulminieren Ereignisse auf eine Weise, dass man an ein höheres Wesen glauben möchte oder sich im Glauben an es bestätigt sehen könnte. Just an dem Tag, an dem Horst „Mutter aller Probleme“ Seehofer einen illustren Kreis zum Wohngipfel lädt, also am 21. September, wird in Frankfurt die Eröffnung einer Ausstellung zur Neuen Altstadt gefeiert. Man darf sich also direkt vor Ort ein gut fundiertes Bild davon machen, wie Geld der öffentlichen Hand investiert wird, das im sozialen Wohnungsbau eingespart wurde. Es ist schon erstaunlich, was sich dieses Land so alles leistet – und dabei ja so viel verlogenes Verständnis aufbringt für die, die gegen Migranten hetzen, weil sie doch ach so vernachlässigt wurden und für ihre Ängste ein Ventil suchen, und sei es unglücklicherweise das falsche.

Doch diese Vernachlässigung ist gemacht – und sie wird weiter betrieben. Rechtzeitig vor dem Wohngipfel hat dann ein wie auch immer legitimierter Beirat des Wirtschaftsministerium noch schnell ein Pamphlet veröffentlicht, das behauptet, in der Wohnraumförderung sei Subjektförderung wirksamer als Objektförderung und überhaupt solle der soziale Wohnungsbau zurückgefahren werden – siehe auch „Die Zeit“ vom 23. August 2018. Dass andere anderer Meinung sind als man selbst, ist eine der Zumutungen, die man in einer Demokratie aushalten können muss. Aber wenn ein wissenschaftliches Beratungsgremium der Bundesregierung ein so genanntes Gutachten veröffentlicht, dann darf man doch wenigstens darum bitten, dass die darin geäußerten Behauptungen so belegt werden, wie man das von Wissenschaftlern erwarten sollte. Empirische Nachweise oder Beispiele, die unterlegen, was man im Gutachten so empfiehlt, sind aber Fehlanzeige. Das ist gravierender als die ohnehin schon peinliche und bezeichnende Schlampigkeit im Umgang mit den Regularien der Mietpreisbremse. (*)

Ist Mannheim bald überall?

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Bild: Christian Holl

Ein solches „Gutachten“ könnten ja auch mal andere schreiben – zum Beispiel die, die nicht zum Wohngipfel eingeladen werden, obwohl sie die vertreten könnten, die von dem, was am Wohngipfel beschlossen wird, tatsächlich betroffen sein werden – Lobbycontrol hat bereits Alarm geschlagen.  Nicht nur sind, anders als noch unter Barbara Hendricks, die Oppositionsparteien nicht mit von der Partie – einen besonders breiten Konsens scheint man offensichtlich nicht anstreben zu wollen –, auch all die Vertreter der Mieter- und Aktionsbündnisse müssen leider draußen bleiben. Sie veranstalten deswegen am Tag davor einen eigenen Gipfel.

Ich weiß, dass man der Meinung sein kann, dass „die Industrie“ und „die Wirtschaft“ wichtig sind, wenn viele Wohnungen gebaut werden sollen. Ich habe auch nichts dagegen, dass Interessenvertreter Interessen haben. Es sind aber eben manchmal so erschütternd ausschließlich die eigenen. Wie vehement Lobbyisten sich für nur gerade für die einsetzen, ohne daran zu denken, was für Allgemeinheit und Gemeinwohl sinnvoll sein könnte, hat der Verein Haus und Grund in Mannheim demonstriert: Der unterstützt die Klage eines Mannheimers gegen den lokalen Mietspiegel. Geklagt wird, weil in diesem Mietspiegel auch die Wohnungen berücksichtigt werden, die von der städtischen Wohnungsgesellschaft GBG unterhalten werden. Da die GBG sich bemüht, preisdämpfend auf den Markt einzuwirken und auch jenen, die sonst kaum eine Chance haben, bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen – die GBG stellt immerhin den Wohnraum für 15 Prozent aller Mannheimer –, wirkt sich dies auch dämpfend auf den Mietspiegel aus. Und der wiederum setzt den Mieterhöhungen Grenzen. Haus und Grund wollen also nichts weniger, als dafür zu sorgen, dass die Mieten stärker als bisher erhöht werden können: Marktliberalismus von der unappetitlichsten Sorte. Hat die Klage Erfolg, wären die Folgen auch andernorts verheerend. Mieterinnen und Mieter nicht nur Mannheims müssen nun darauf hoffen, dass das zuständige Gericht der Klage nicht statt gibt. Ob sie dabei auf die Unterstützung eines höheren Wesens zählen können, ist uns nicht bekannt. Wir hätten aber nichts gegen eine solche Unterstützung einzuwenden.


(*) Eine Gegenposition haben am 18. September 210 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler veröffentlicht. Dort heißt es unter anderem: „Wohnen für Menschen, nicht für Profite! Gelingt es nicht schnell eine sozialpolitische Wende einzuleiten, steht nicht nur die soziale Ausgewogenheit der Städte auf dem Spiel, sondern auch der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft“.
Zur Stellungnahme: >>>
Zum Lobbyismus im Bauwesen u.a. : >>> frei04 publizistik 2010