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Wenn Beteiligung alt aussieht

2008_SL_Engelemann_SfalleStadt für alle – was heißt das? Und: wer sind „alle“?
Bild aus einer Serie von Oliver Engelmann, die derzeit im Heussenstamm. Raum für Kunst und Stadt in Frankfurt zu sehen sind.

Öffentlickeitsbeteiligung ist Routine geworden. Das kann eine Qualität sein, muss es aber nicht. Und tatsächlich zeigt ein genauer Blick, dass es um die Beteiligung, wie sie zum Planungsalltag geworden ist, nicht immer zum Besten steht. Was aber nicht heißt, sie grundsätzlich in Frage stellen zu müssen – die Werte, für die sie steht, sind deswegen nicht falsch. Der Autor dieses Beitrags hat die Beteiligungskonzepte und -praxis in einer Studie (hier online) unter die Lupe genommen. Und er meint: Wer Öffentlichkeitsbeteiligung stärken will, muss sich ein paar Fragen gefallen lassen.

Leserbrief zum Beitrag von David Meurer >>>


Über das Instrumentarium für zeitgemäße Stadtplanung wird auf dem Landeskongress Archikon2020 am 31. März 2020 diskutiert
Weitere Information >>>
„Ich bin schon dreißig Jahre im Geschäft, aber immer deutlicher wird mir: Es hat sich in der Haltung von Politik und Verwaltungen nichts Grundsätzliches verändert.“ Das stellte kürzlich eine erfahrene Moderatorin im Gespräch unter Kollegen fest.Wer sich selbst vor Ort begibt, findet viele Belege für diese ernüchterte Feststellung. Der Planungsamtsleiter einer deutschen Großstadt beschreibt zum Beispiel die eigenen Routinen frühzeitiger Öffentlichkeitsbeteiligung, wohlgemerkt im Jahr 2020, so: „Wir gehen raus, zeigen die Pläne, lassen uns beschimpfen und machen dann weiter.“ Das handhabe man seit vielen Jahren so und sehe zu Änderungen keinen Anlass. Zudem fehle es an Personal und Mitteln, um im Planungsalltag anders zu verfahren.

 

Covermaterial Bremen

Öffentlichkeitsbeteiligung in Bremen. (Bild: Klaus Selle)

Sätze wie diese, die einen zeitmaschinengleich ins letzte Jahrhundert zurück katapultieren, hört man immer noch und immer wieder. Sie stehen im bemerkenswerten Kontrast zu den Prozessfeuerwerken und Dialogmarathons, die es ja auch gibt. Es ist eben dieser Widerspruch zwischen hervorgehobenen Verfahren und alltäglichen Routinen, zwischen wohltönenden Bekenntnissen und der Haltung im Alltag, die vielerorts – nicht überall– vorzufinden ist. Und man fragt sich konsterniert: Warum bleibt dieses „alte Denken“ bei denen, die Tag für Tag Planungsverfahren zu betreuen haben, so unbeeindruckt von den doch so überzeugend erscheinenden Konzepten und Beispielen dialogischen Planens? Was müsste sich ändern, damit sich das ändert?
Es gibt offensichtlich einige Anlässe, die Vorstellung von einer sich gleichsam von selbst ausbreitenden kommunikativen Planungskultur, die zudem der Stärkung der Demokratie dient, auf den Prüfstand zu stellen.

Und es kommen neue Anlässe hinzu. Sie finden etwa in der Haltung einer Initiative, die gerade eben per Bürgerentscheid ein großes Projekt der Innentwicklung hat scheitern lassen, ihren Ausdruck: „Wir wissen, was die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt wollen. Den anderen [der lokalen Politik, ks] kann man ja nicht vertrauen.“ Da wird (direkte) Demokratie gegen (repräsentative) Demokratie in Stellung gebracht. Da wird Partizipation zu einer Art Kräftemessen zwischen „denen“ und „uns“. Derlei Selbstermächtigung und Zuspitzung gehört aber nicht zufällig zum Instrumentarium rechtspopulistischer Kräfte, die jede Chance zur Polarisierung nutzen.

Bild: Klaus Selle

Es sind insbesondere solche Entwicklungen, die den Politikwissenschaftler Roland Roth zu der Bemerkung veranlasst haben, dass „noch vor wenigen Jahren der Weg zu ,mehr Demokratie‘ geebnet und weitere Fortschritte unaufhaltsam [schienen]. Doch die Stimmungslage hat sich inzwischen eingetrübt.“ Insbesondere das Erstarken populistischer Strömungen und antidemokratischer Tendenzen lasse „auf den ersten Blick viele Initiativen der letzten Jahre für eine starke Demokratie eigentümlich ,alt‘ aussehen. Selbst der ›Kernbestand‹ liberaler Demokratien ist unter Druck geraten.“
Fasst mann das alles zusammen, liegt eine Folgerung nahe, die der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz äußerte: „Also die Naivität muss jetzt wirklich aufhören, nämlich die Naivität zu sagen: ,Je mehr Beteiligung, desto besser.‘“
Waren und sind die umfassenden, ausgefeilten und in einer Vielzahl von Leitfäden variierten Konzepte, die weit reichenden Hoffnungen und die reinen Herzens vorgetragenen Forderungen nach „mehr Beteiligung“ tatsächlich naiv? Und falls ja: In welcher Hinsicht?

Naive Vorstellungen?

In einer für den Verband Wohnen und Stadtentwicklung (vhw) erarbeiteten Studie, der auch die Zitate von Roland Roth und Peter Kurz entstammen,(*) wird solchen Fragen nachgegangen. Einige der zentralen Ergebnisse lassen sich so zusammenfassen:

  • Beteiligungskonzepte haben keine „Beipackzettel“, die auf Risiken und paradoxe Reaktionen hinweisen. „Naiv“ ist, dass nur positive Wirkungen erwartet werden. Tatsächlich auftretende Abweichungen können so weder erklärt noch Ansätze zu ihrer Vermeidung entwickelt werden.
  • Alles Beteiligen ist kontextabhängig. Das bleibt gelegentlich in der konzeptionellen Diskussion außer acht. Seit einiger Zeit drängen sich aber Veränderungen der Rahmenbedingungen in einer Weise auf, dass sie unübersehbar werden: Neben schon länger wirksamen Tendenzen, wie asymmetrischer politischer Teilhabe und Vertrauensverlust, wirken unter anderem auch Veränderungen der Kommunikationskultur wesentlich auf Beteiligungsprozesse ein. Dem muss man sich stellen.
  • „Demokratie stärken“ ist eines der Leitziele der Bürgerbeteiligung. Es beinhaltet aber Unschärfen. Denn: Welche „Demokratie“ ist gemeint? Welcher Stärkung bedarf sie, warum? Und kann es richtig sein, dass „Stärkung“ vor allem durch so genannte alternative Beteiligungsformen bewirkt werden soll, Möglichkeiten der Ertüchtigung repräsentativer Demokratie selbst hingegen selten bedacht werden? Auch hier bleiben Risiken und Nebenwirkungen häufig unbeachtet. Womit die Gefahr besteht, dass das, was zur Stärkung dienen soll, Schwächung bewirkt.

Ansprüche und Wirklichkeiten fallen auseinander


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Bremen, neues Hulsberg-Viertel, Momentaufnahme der Öffentlichkeitsbeteiligung. Ausführliche Information >>> (Bild: Klaus Selle)

Hinsichtlich der zentralen Anforderungen an partizipative Prozesse herrscht große Einigkeit. Solche Anforderungen finden aber in der praktischen Handhabung von partizipativen Prozessen nur sehr selten eine Entsprechung. Das sei an drei Schlüsselbegriffen illustriert:

1. Transparenz gehört zu den Kernanliegen aller Beteiligung und sie ist zugleich zentrale Voraussetzung für ihr Gelingen. Um sie zu gewährleisten, werden vielerorts Bemühungen unternommen. Es zeigen sich aber drei, nur sehr begrenzt aufzuhellende Blindstellen:

  • Beteiligung wird oft bilateral verstanden und gestaltet: hier die Verwaltung – dort die Öffentlichkeit. Dass aber viele weitere Akteure auf Verlauf und Ergebnis eines Planungsprozesses Einfluss nehmen (müssen) und die Anregungen aus dem Partizipationsprozess nur einige Gesichtspunkte unter vielen sind, die in die gesetzlich vorgeschriebene Abwägung einfließen, bleibt zumeist unklar.
  • Damit ist die zweite Intransparenz angesprochen: Was in den oft langen verwaltungsinternen Prozeduren geschieht, bleibt zumeist unsichtbar. Da wurde beteiligt und dann geschieht aus der Wahrnehmung der Außenstehenden – nichts. Wenn dann, oft Jahre später, ein Plan verabschiedet wird, kann der sich sich stark von dem zuvor erörterten unterscheiden. Alles dies führt regelmäßig zu Verstimmungen bei den zuvor Beteiligten und kann selbst gut gemachte Dialoge im Nachhinein entwerten.
  • Aber die Planaufstellung ist ja auch nur ein erster Schritt. Danach geht der Prozess weiter: Die Entwicklung eines neuen Quartiers kann von ersten Entwürfen bis zur baulichen Realisierung leicht ein Jahrzehnt und mehr in Anspruch nehmen. Auf’s Ganze betrachtet sind die partizipativen Elemente dann nur mehr sehr kurze Sequenzen in einem für die Öffentlichkeit weitgehend intransparenten Prozess.

2. Substanz hat Beteiligung dann, wenn Problemwahrnehmung, Prioritätensetzungen und Lösungswege noch veränderbar sind. Eine solche Gestaltungsoffenheit wird jedoch vielfach lediglich suggeriert, ohne de facto gegeben zu sein. In anderen Fällen wird zwar nach Wünschen und Ideen der Beteiligten gefragt – aber viel zu allgemein, ohne Berücksichtigung von Rahmenbedingungen und vielen weiteren Gesichtspunkten und Belangen (s.o.), die der Berücksichtigung bedürfen. Diese „Wunschlisten-Beteiligung“ führt daher nicht selten zu vorhersehbaren Ergebnissen, die letztlich ohne substanzielle Relevanz für das Ergebnis der Prozesse sind.

3. Inklusion und Repräsentativität werden auf der einen Seite hoch gehalten, vor Ort aber sträflich vernachlässigt: Die Frage, wer sich beteiligt, spielt in den meisten Verfahren keine Rolle. Ob auch die Stimmen „beteiligungsferner“ Gruppen zu hören waren, wird nicht gefragt.

Die Feststellung, dass Anspruch und Wirklichkeiten der Beteiligung – sowohl auf Gestaltung wir ihre Wirkungen bezogen – auseinander klaffen ist nicht neu: Lange Zeit wurde das aber als eine Art „Vollzugsdefizit“ gedeutet. Gute Beispiele, Überzeugungsarbeit und bessere Ausbildung werde das ändern. So nahm man an. Auch das war wohl naiv. Auch hier wird man neu denken, nach Angemessenheit der Konzepte und (strukturellen) Hemmnissen in der Praxis der Stadtentwicklung fragen müssen..

Re-Vision?


Covermaterial Bamberg

Wem Öffentlichkeitsbeteiligung wichtig ist, der muss ihre derzeitige Praxis kritisch hinterfragen. (Bild: Klaus Selle)

Es gibt also viele Anlässe, bisherige Prämissen und Konzepte auf den Prüfstand zu stellen, sie einer Revision zu unterziehen. Das bedeutet keinesfalls, grundlegende Ziele in Abrede zu stellen. Es geht weiterhin darum, Prozesse der Stadtentwicklung zum Gegenstand offener und öffentlicher Erörterungen werden zu lassen, die informiert, fair und respektvoll gestaltet werden. Und mit denen gewährleistet wird, dass die Gesichtspunkte aller Teile der Stadtgesellschaft in politische Beschlüsse einfließen können. Die normativen Grund-Orientierungen bedürfen also der Änderung nicht. Über die Wege dorthin muss allerdings intensiv neu nachgedacht werden. Ein schlichtes „Mehr“ an Verfahren wird der heutigen Situation nicht mehr gerecht.


(*) Klaus Selle (2019): Ende der Naivität. Öffentlichkeitsbeteiligung in der Stadtentwicklung. Anstiftungen zur Revision.  vhw-Schriftenreihe H. 15. Berlin
Kostenlos als Download verfügbar >>>

Leserbrief
von David Meurer, Hamburg, 2. März 2020

Als Architekt, der sich in den letzten Jahren hauptsächlich mit Stadtentwicklungsthemen in Hamburg beschäftigt, sehe ich meine eigenen Erfahrungen im Beitrag auf frustrierende Weise bestätigt und halte es für überfällig, die etablierten Modalitäten der Bürgerbeteiligung zu hinterfragen.
Allerdings ist die aktuelle Situation eine, die doppelt frustrierend ist: als Bürger –der oft nur vermeintlich oder nicht substantiell beteiligt ist oder dem verwehrt bleibt, sich eine qualifizierte Meinung zu bilden – aber doch ebenso als Architekt. Denn was doch mindestens genauso ungenügend reflektiert wird, ist welchen Einflüssen die beteiligten Planer hier unterliegen und welche Architektur solche Prozesse im Ergebnis erzeugen!

Alleine mit Blick auf jüngere Hamburger Projekte wie das „Paloma-Viertel“ (am Standort der ehemaligen Esso-Häuser) oder den Wiederaufbau des Golden Pudel Club zeigt sich doch überdeutlich, dass in diesem Kontext eine neues Architekturverständnis Einzug erhält. Entsteht hier nicht eine neue populistische Architektur, die auf ganz anderer Art und wesentlich offensiver als es sich die Pioniere der Postmoderne in den 60ern zu träumen gewagt hätten, jenseits intellektueller Ironie und den Sphären der Fachwelt, mit der breiten Bevölkerung  kommuniziert und sich selbstvermarktet?

Wie Charles Jencks schon treffend feststellte, folgt das Pluralismus-Versprechen postmoderner Architektur zuweilen nur den ökonomischen Gesetzen des Marktes und wurde kaum wirklich eingelöst. So ist das Ergebnis vieler Beteiligungen eine Architektur, die einen Fehler macht, der sich durch die Architekturgeschichte zieht: Pluralismus wird als formales Thema behandelt und lässt paternalistisch Individualität in einem Stil erstarren. Ebenso wie Nachhaltigkeit, entwickelt sich Partizipation zu etwas, dass man Gebäuden möglichst ansehen soll.
Was ist schlimmer: eine Architektur, die generisch aussieht aber offen für Aneignung ist, oder eine Architektur, die Aneignung suggeriert und oberflächlich identitätsstiftend sein kann, aber letztlich nur ein Vorstellung von Aneignung, eine Selbstdarstellung von vermeintlichem Bürgereinfluss (mit allen Identitätspolitische Untiefen etc.) reproduziert?

Natürlich sind alle Akteure großer Projekte in besonderem Maße auch auf eine gewisse mediale Vermittelbarkeit ihrer Vorhaben angewiesen und ich will auch überhaupt nicht bestreiten, dass der stärkere Fokus auf der Zugänglichkeit dieser Planungen für Laien ein Fortschritt sein kann. Wenn aber Architektursprache das Werkzeug wird, die fehlende Beteiligung der Bevölkerung zu simulieren, ist es gefährlich. Ebenso gefährlich ist, wenn das Ergebnis solcher Beteiligungen die nostalgische Identität eines Ortes derart konkret in Stein und Beton formuliert, dass sich ästhetischer Pluralismus programmatisch in das Gegenteil verkehrt und Orte (aus planerischer Verlegenheit) gefangen werden in ihrer idealisierten Vergangenheit.
Gerade in schlecht umgesetzten Beteiligungsprozessen steht man als Planer zwischen den Stühlen und droht zum Sidekick des Stadtmarketings, zum Komplizen einer Scheindemokratie und zum (Re)Produzenten von stereotypen Identitäten zu werden.
Zur Frage, was gute Architektur sei, hat Pier Vittorio Aureli einmal begründet, gute Architektur sei solche, die die Schnittstelle offenlege zwischen Determiniertheit und Freiheit, die nicht reale Machtverhältnisse kaschiere (Architektur könne ihrer paternalistischen Natur niemals entkommen), sondern sich als das darstellt was sie ist, auf dass die Öffentlichkeit sich mit diesen Verhältnissen auseinandersetze. In diesem Sinne ist – wie Herr Selle fordert – mehr Transparenz ein erster wichtiger Schritt.


Zum Thema siehe auch die beiden Beiträge von Klaus Selle in der ausgabe 1/2019 von pnd | online

Intransparent und inhaltsleer? Was aus partizipativen Mindeststandards in der Praxis werden kann. >>>

Vertrauensfrage! Veränderungen in der Gesellschaft stellen Prämissen der Beteiligungspraxis in Frage >>>