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Der tiefe Hintergrund


Er gilt als Vertreter einer stillen Architektur. Er hat nicht wie viele seiner Landsleute mit aufregenden Formexperimenten die Architektenwelt elektrisiert. Der österreichische Architekt Hermann Czech ist davon überzeugt, dass gute Architektur Hintergrund sein und bleiben müsse. Eva Kuß hat ihm eine ausführliche Biografie gewidmet.


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Eva Kuß: Hermann Czech. Architekt in Wien. Park Books, Zürich 2018
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„Es ist verblüffend, wie wenig Architekten von der Realität wahrnehmen.“ So äußerte sich Hermann Czech 1973 in einem Text, der unter dem Titel „Zur Abwechslung“ erschien. Darin formuliert der 1936 in Wien Geborene seine nach etwas mehr als zehn Jahren der Praxis „gefestigte Architekturhaltung“, wie dem Leser der gewichtigen, hervorragenden Czech-Biografie mitgeteilt wird. Eva Kuß, die Autorin, konnte dabei nicht nur auf die eigene Dissertation und ein Forschungsprojekt, sondern auch auf die Unterstützung Czechs selbst zurückgreifen. Es ist nicht nur deswegen keine gewöhnliche Biografie geworden. Zum Glück. Denn eine solche wäre dem Risiko ausgesetzt, mehr von Czechs Werk zu verhüllen als zu erhellen, denn dieses Werk sperrt sich gegen die gängigen Schemata, nach denen Architektur bewertet wird, es widersetzt sich der oft betriebenen Selbstinszenierung

Verästelte Beziehungen

Nur vordergründig entspricht die Publikation von Kuß einer üblichen Biografie, enthält einen Teil, der sich mit dem Leben Czechs, einen, der seinen Werken gewidmet ist, verbunden durch ein Essay von Elisabeth Nemeth, die den philosophischen Wurzeln von Czechs Werk nachspürt. Die chronologisch den großen Rahmen absteckenden Erörterungen verästeln sich nämlich bald, laden dazu ein, zwischen den verschiedenen Teilen des Buchs hin- und herzuspringen, zwischen Werk und Biografie zu wechseln. Kuß folgt den reichen Beziehungen, die dieses Werk prägen, ob im biografischen Teil das intellektuelle Umfeld erhellend einbezogen wird, ob in den Vorstellungen der Bauten; sie folgt der Suche des Architekten danach, wie ein Entwurf in die Umgebung einzuführen sei, dessen Realität zu ignorieren er vielen seiner Kollegen vorwirft.

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Studium an der Akademie der bildenden Künste 1963–1971, Überdachung des Grabens in Wien; Foto © Archiv Czech / Architekturzentrum Wien Sammlung

Zu diesen zu wenig wahrgenommenen Realitäten gehören auch die ungewollten Bedeutungen, die im Material verborgen liegen – Architekten versuchten, so Eva Kuß in ihrer Einleitung, „seit der Moderne diese ungewollten Bedeutungen zu eliminieren: zum Beispiel durch die Verwendung von neuen ‚unbelasteten‘ Baustoffen, durch Abstraktion in den konstruktiven Details oder durch Verfremdung.“

Dieser Hang zur Abstraktion oder zur Verfremdung ist Czechs Sache nicht. Seine Architektur ist nicht aufdringlich, kaum auffällig, es gibt keine kennzeichnende Handschrift des auratischen Autors, die Werke reichen von Ausstellungsarchitektur und kleinen Cafés bis zum Schul- und Wohnungsbau, enthalten Umbau und Neubau. Das Werk ist insofern Josef Frank verpflichtet, einem der Vorbilder Czechs, als seine Bauten auf den ersten Blick wirken, als seien sie durch Zufall entstanden – genau so solle man Frank zufolge gestalten. Beiläufig, hintergründig.

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Antiquariat Löcker, 1973/1977/1979; Foto © Archiv Czech / Architekturzentrum Wien Sammlung

In dieser Beiläufigkeit – voller Referenzen an Alltägliches wie an Geschichtliches – widersetzt sich Czech einem Verständnis von Architektur, das Rationalität in einer abstrakten Architektursprache verwirklicht sieht, einem, das dem Architekten zugesteht, Begründungen über seine Entscheidungen im Künstlerisch-Genialen zu suchen, einem, das der unberechenbaren Vielschichtigkeit von Bedeutungen zu entfliehen sucht, in dem es historische Referenzen meidet; darin sieht Czech das Potenzial von Architektur beschnitten und den Architekten seiner Verantwortung nicht gerecht geworden. Mit dem bereits genannten Josef Frank teilt er die Ansicht, dass Architektur, die sich als Kunstwerk oder gar als Gesamtkunstwerk versteht, den Nutzer entmündigt und Gestaltung diktatorisch werden lässt. Sie entmündigt ihn ebenso wie eine Entwurfspraxis, die darauf abzielt, Atmosphären zu schaffen, die den Rezipienten rühren sollen. Ganz in der Tradition kritischer Philosophie, etwa Adornos, sieht er hier Interessen der Kulturindustrie am Werk, „die den Konsumenten auf Rührungen festlegt, die berechenbar und lenkbar sind“, wie Nemeth in ihrem Essay erläutert.



Architektur muss begründet werden

Bei alldem macht die Biografie deutlich, wie sehr Czech daran gelegen war, dass ein Entwurf gut begründet sein muss – was weder heißt, sich auf Zweckerfüllung zurückzuziehen, noch die Subjektivität der Entwurfsentscheidung und die Autonomie von Architektur zu leugnen. „Jeder Verzicht auf eine Überlegung bedeutet einen Qualitätsverlust“ ist einer seiner pointierten Aphorismen.

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Hermann Czech in seinem Atelier, Singerstraße; Foto © Gabriele Kaiser

So bezieht er sich etwa in einem Wohnbau auf einen Entwurf für ein Terrassenhaus von Loos, nutzt aber auch intelligent die Bauordnung aus, um den nur scheinbaren Widerspruch zwischen erlaubter Vollgeschossigkeit und maximal erlaubter Höhe auszunutzen, um ein besonders hohes Vollgeschoss mit einer Galerie zu realisieren, die eben nicht als Vollgeschoss gewertet wird. Denn Gewinn haben die Bewohnerinnen und Bewohner.

Die Beiläufigkeit Czechs ist also keine, die sich der Bequemlichkeit verdankt, im Gegenteil. Sie verlangt Wissen, Bildung, Respekt, auch ein wenig Demut. Nur mit Humor und Witz, mit einem Verständnis von Architektur, das Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit zulässt und akzeptiert, lässt sich einlösen, dass Architektur Hintergrund bleibt, ohne beliebig zu werden.

Man spürt freilich bisweilen, welche Mühe das Ringen um eine beiläufige Selbstverständlichkeit macht in einem Umfeld, in dem Architekten damit reüssieren, dass sie solche Beiläufigkeit untergraben. Das macht das Werk vielleicht noch etwas sperriger, aber deswegen kaum weniger wertvoll. Man wünscht diesem Buch um so mehr viele aufmerksame Leser, viele, die sich anstecken lassen von der Gelassenheit der Entwürfe, dem Bemühen um eine Architektur, die nur Bühne sein will, um den Menschen die Freiheit zu lassen, ihr eigenes Stück zu spielen.