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Bild: Christian Holl

Wir erleben derzeit ein politisches Trauerspiel, wie es lange nicht aufgeführt worden ist. Mittendrin: die CSU. Dass sie ausgerechnet den unter anderem für das Bauen zuständigen Minister stellt, lässt für die Wohnungspolitik nichts Gutes ahnen. Und das ist noch vorsichtig formuliert.

Die Maxime, das Schlimmste erst anzunehmen, wenn es eingetreten ist, hat etwas für sich. Man schützt sich davor, ständig panisch dem Untergang des Vater- oder Abendlandes, wenn nicht der Welt oder der Menschheit ins Auge sehen zu müssen. Es gibt allerdings Momente, da mag man versucht sein zu glauben, es wäre doch besser gewesen, das Schlimmste anzunehmen, allein schon, um nicht zu frustriert zu sein, wenn es doch eingetreten ist. Dass sich ein Bauministerium, das im Innern angesiedelt ist, nicht als das Schlechteste erweisen muss, hat ausgerechnet Bayern gezeigt: Dort war bis vor kurzem die Oberste Baubehörde im Innenministerium angesiedelt. Auf Bundesebene scheint sich das nicht als eine gute Idee zu erweisen, zu sehr ist der zuständige Minister aus Bayern damit beschäftigt, sich auf anderen Feldern zu profilieren und den neuen Typus der regierungsinternen Opposition verkörpern meinen zu müssen. Welchen Bewohnern welcher Heimat er damit einen Gefallen tut, weiß ich nicht.

Die falsche Partei für die Wohnungspolitik

Für den Wohnungsmarkt, für die Wohnungsbaupolitik ist das aktuelle, ohnehin trostlose Geschehen in höchstem Maße fatal. Zwar hatte bei allem Zweckoptimismus sich ohnehin nicht angedeutet, dass vom neuen Ministerium eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Fragen des Wohnungsbaus initiiert werden würde. So bitter das nötig wäre, doch dazu bedürfte es einer Sicht auf die Materie, die Abschied von den Selbstverständlichkeiten nimmt, die gerade das Selbstbild der CSU so sehr prägen. Es kommt aber noch schlimmer, als man annehmen musste. Der Wohnungsbau ist kein bundespolitisches Thema mehr, Ankerzentren scheinen wichtiger zu sein als bezahlbarer Wohnraum. Auf der Internetseite des nebenbei auch noch für das Bauwesen zuständigem Ministeriums wird der zuständige Minister mit den Worten zitiert, nur wenn man Politik mit dem Herzen mache, werde sie auch gelingen. Bislang haben wir lediglich eine Politik der Herzlosigkeit bekommen; davon abgesehen wäre die Politik eines klugen Kopfes ohnehin die bessere Alternative.

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Nicht vermehrbar: der Boden. Die Bundesregierung ignoriert das weiterhin. (Bild: Christian Holl)

Wenn man wirklich das Thema der Wohnungsknappheit angehen wollte, müsste man endlich damit anfangen, ein paar Realitäten zur Kenntnis zu nehmen. Es finge damit an, dass man anstatt Ablenkungsmanöver wie Wettbewerbe für serielles Bauen zu initiieren, die Kosten in den Blick zu nehmen, die den größten Anteil an den absurden Preissteigerungen haben: die für den Boden. Doch ein Nachdenken über wirkungsvolle Instrumente, um den Boden dem Markt zu entziehen, um ihn vor den Preissteigerungen zu sichern, ist nicht auszumachen – Initiativen wie etwa die aus München (1) dürfte sich kaum Hoffnungen auf offene Ohren in der Bundesregierung machen. Zum Thema des Bodens gehört das der Spekulation – auch dies ein heißes Eisen, das nicht angefasst wird. Dass die Fertigstellungszahlen zuletzt deutlich unter den aufgrund der erteilten Genehmigungen prognostizierten blieben, ist auch eine Folge der Spekulation (2). Dagegen dürfte auch eine Bundesregierung gerne einmal etwas unternehmen.

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Flickwerk aus altem Material. Sinnbild für die derzeitige Wohnungsbaupolitik. (Bild: Christian Holl)

Statt dessen ist die Diskussion immer noch von Feuerlösch-Aktionismus geprägt. Es ist nicht falsch, sich zu fragen, wie man schneller Wohnungen produzieren könnte – allerdings leiden wir heute unter den Folgen einer Politik, die bis zu dreißig Jahre zurückreicht. Wollte man wirklich den Wohnungsmarkt beleben, dann sollte man eine langfristig stabile Entwicklung in den Blick nehmen – dass dies mit den großen Portfolio-Agenten kaum möglich ist, die auf Gewinne von Verkäufen spekulieren, sollte bekannt sein. Prognostiziert wird für 2020 ein Bestand an belegungsgebundenen Sozialwohnungen von gerade mal etwas über einer Million – 1990 waren es noch 2,87. In Stuttgart hätten knapp 100.000 Menschen Anspruch auf eine Sozialwohnung – verfügbar sind gerade mal etwas über 14.000 – und die Prognosen gehen davon aus, dass sich diese Zahl in den kommenden Jahren nicht erhöhen wird (3). In München suchten im vergangenen Jahr 17.400 Haushalte eine sozial geförderte Wohnung, vergeben werden konnten 3.500 (4). Davon zu reden, dass eine Spaltung der Gesellschaft drohe, ist ein Euphemismus: die Spaltung ist Realität. Langfristige Stabilität heißt aber nicht nur, Boden zu sichern, es hieße auch, sich nach Bauherren und Anbietern umzusehen, die mit höherer Wahrscheinlichkeit die Gemeinwohlorientierung, die das Baugesetzbuch vorsieht, auch einlösen. Dort heißt es im ersten Paragrafen unter anderem: „Die Bauleitpläne sollen (…) eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung gewährleisten.“ Die Kommunen müssen gestärkt werden, Genossenschaften, Stiftungen, Vereine, Akteure wie das Mietshäusersyndikat sind mehr zu fördern, neben der Konzeptvergabe gilt es, Instrumente so zu nutzen, dass die Gemeinwohlorientierung auch überprüft werden kann. Eine auf viele kleinere Eigentümer gestützte Struktur ist zudem weniger anfällig gegenüber Marktschwankungen und den unkalkulierbaren Unternehmensentscheidungen – den Markt entsprechend zu diversifizieren hieße auch, die Praxis der Kreditvergabe anzupassen. Die Realität ist freilich die, dass Großinvestoren steuerlich bevorzugt werden – warum eigentlich, Herr Seehofer? Dass diese ein größeres Herz für die Heimat haben, hat sich mir bislang nicht mitgeteilt. Das Herz ist eine miese Gegend, nannte Thommie Bayer einmal einen Liebesroman. Dieser Titel passt hier ebensogut wie zu Horst Seehofer ein Roman, den man doch höchstens als zweitklassig bezeichnen würde.

Diskrimminierende Förderpolitik

Erschwerend kommt noch hinzu, dass sich die Baupolitik, wenn man das mal so nennen will, an einem Familienmodell orientiert, das als normatives verkauft wird, obwohl die Realität längst eine andere ist. Das Baukindergeld spricht Bände – hier wird eine Wirklichkeit konstruiert, die andere Lebensmodelle als das der Kleinfamilie diskriminiert. Damit wird mühsam das Bild der heilen Familie aufrecht erhalten, das auch im ländlichen Raum schon lange erodiert. Die Kritik von Ulrich Beck von 1986 bleibt unverändert aktuell: „Das soziale Zusammenleben der Menschen müsste neu ermöglichtwerden. Mehrere Familien übergreifende Lebens- und Unterstützungszusammenhänge werden meist schon durch die Wohnverhältnisse ausgeschlossen. Die berufliche Mobilität und der Trend zum Single-Dasein sind bereits Beton geworden. Die Wohnungen werden kleiner. Sie bleiben ganz auf die individuelle Familienmobilität zugeschnitten. Dass mehrere Familien zusammenziehen und zusammen mobil sein wollen, bleibt vom Grundriss der Wohnungen, Häuser, Wohnviertel ausgeschlossen.“ (5)

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Auf der gerade veröffentlichten Shortlist des DAM Preises 2019 finden sich gute Beispiele dafür, welcher Beitrag Architektur zur Wohnungsfrage leisten kann. Damit sie wirken kann, braucht sie politische Unterstützung. RKW Architektur +: Neubau Notunterkunft, Essen. (Foto: Marcus Pietrek)

Statt dessen werden – auch das ein Erbe der CSU – mit dem §13b des Baugesetzbuchs weitere Einfamilienhäuser gebaut, die heute die Probleme von morgen vorbereiten. Ich habe nichts gegen Einfamilienhäuser, aber ein origineller Umgang mit diesem Haustyp müsste anders aussehen. Die durchschnittliche Haushaltsgröße liegt inzwischen auch in den dünn besiedelten Regionen nur noch knapp über zwei – bis 2030 wird er bundesweit weiter sinken (6). Und wenn auch in den weniger dünn besiedelten Regionen die Menschen im Schnitt älter werden, und keine großen Häuser brauchen – dann sollten wir ernsthaft darüber nachdenken, wie wir Bestand und Neubau neu aufeinander abstimmen.

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Ebenfalls auf der Short-List für den DAM-Preis 2019 – Zanderrroht Architekten: Wohnensemble pa 1925, Berlin. (Foto: Simon Menges)

Auch das Verhältnis von Bestand und Neubau ist ein Thema, das endlich grundsätzlich angefasst werden müsste. Der Neubau scheint das am einfachsten gestaltbare zu sein, auf ihn projizieren sich die Hoffnungen – und entsprechend glaubt man hier, mit Regulierungen den Markt zu beeinflussen. Wie sinnvoll auch immer das im einzelnen ist: Eine vergleichbare Regelungsintensität ist beim Bestand nicht auszumachen. Warum eigentlich? Eigentum verpflichtet auch dann, wenn es nicht neu erworben und produziert wird. Auch hier dürfte man, anstatt auf das Herz zu hören, ruhig einmal den Kopf einschalten – wir brauchen kluge Köpfe, um mit Respekt vor den den Bestand bewohnenden Menschen genau diesen zu ertüchtigen. Und damit ist nicht gemeint, weiter Sanierungen zu fördern, die dazu führen, dass Menschen ihre bislang bezahlbaren Wohnungen verlassen müssen. Es besteht das Potenzial, im Bestand langfristig bezahlbaren Wohnraum zu sichern – das freilich „würde ein Umdenken angesichts der bestehenden Modernisierungspraxis erfordern und das Begreifen dieser Bauaufgabe als planerische Arbeit, das heißt nicht als Reduktion auf technische, wirtschaftliche oder soziale Aspekte beziehungsweise ihrer entkoppelten, technokratischen Umsetzung aufgefasst werden wie in der aktuellen Praxis, sondern als Zusammenwirken, Aushandeln und Neuorganisieren technischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Aspekte in der maßstabsübergreifenden Gestaltung und Organisation von Raum.“ (7)

Es ist offensichtlich, dass hier eine Mammutaufgabe gestellt ist, die weiter reicht als das normale Alltagsgeschäft. Sie erfordert die Bereitschaft, Änderungen anzunehmen anstatt sie meinen ignorieren zu können. Es setzt voraus, gegen möglicherweise nicht unerhebliche Widerstände anzukämpfen. Sie verlangt danach, auf Fachkompetenz und nicht nur auf Interessenvertreter der  Immobilienbranche zu hören. Wenn sich die CSU nicht so geschmack- und verantwortungslos geben würde, könnte man fast noch Verständnis dafür aufbringen, wenn sie sich vor dieser Aufgabe drückt. Ob mit oder ohne Verständnis: Sie wird sich weiter drücken. Und damit das Problem vergrößern. Aber möglicherweise nicht „nur“. Wir müssen das Schlimmste annehmen: dass mit der absehbaren Verschärfung der Probleme erst recht auf alte Stereotypen zurückgegriffen werden wird und mit der Gewissenlosigkeit, mit der sich diese Partei auf dem Rücken anderer profiliert, auch auf dem Gebiet des Wohnungsbaus irgendwann Handlungsfähigkeit vorgegauckelt wird. Vielleicht hilft es, schon jetzt nach Möglichkeiten dagegen anzuarbeiten, bevor der schlimmst anzunehmende Fall eingetreten ist.


(1) Münchner Initiative für ein soziales Bodenrecht >>>
Siehe auch das Feature „Spekulation mit Bauland“ >>>
(2) Siehe Finanznachrichten.de, 24. 5. 2018 >>>
(3) Siehe statista vom 10. 1. 2018 >>>
(4) Siehe Kontext vom 6.6. 2018 >>>
sowie Bayrischer Rundfunk vom 21. 2. 2018 >>>
(5)Ulrich Beck: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main 2015 (Erstauflage 1986), S. 202
(6) Statistisches Bundesamt vom 28. 2. 2017 >>>
(7) Niloufar Tajeri: Fast unsichtbar. In: Christian Holl, Felix Nowak, Peter Schmal, Kai Vöckler (Hg.): Living the Region, Tübingen 2018, S. 204-215, hier S. 205