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Nicht nur Corona stellt uns vor eine harte Probe. (Bild: Christian Holl)
Stilkritik (90) | Die Corona-Zeit, soviel lässt sich schon bilanzieren, war zumindest bis heute auch eine der blühenden Phrasen. Das wurde deutlich, weil die Krisenzeit die Dinge wie unter einem Brennglas besser sichtbar macht, um gleich mal ein Beispiel zu geben. Beobachtungen von Schlägereien und schwarzen Tagen.

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Es ist immer ein anderer Fluss. Nur fließt er manchmal recht langsam. (Bild: Christian Holl)

So war das, im Frühjahr 2020. Es gab eine Normalität, von der wir sicher waren, dass wir nicht mehr zu ihr zurückkehren würden. Es schien ausgemacht, dass nichts oder zumindest wenig wieder so werden würde, wie es einmal war. Das war zwar schon immer so, die Weisheit, dass man nie zweimal in denselben Fluss steigt, ist nun auch schon um die zweieinhalbtausend Jahre alt, aber es schien, als würde der Fluss auf einmal so richtig Fahrt aufnehmen.

Das war wohl nur Wunschdenken. Wer mit der verbauten Rückkehr in eine bekannte Normalität die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verbunden hatte, muss sich nun wohl auf eine Geduldsprobe einlassen, so schnell ist die Welt keine bessere geworden, dafür liegt dann wohl doch zu viel im Argen. Vorerst muss man sich damit begnügen, dass es keine Abwrackprämie gibt – das als Erfolg zu verbuchen, zeigt schon, wie niedrig die Ansprüche an eine bessere Welt inzwischen geworden sind. Man zeigt sich zufrieden damit, dass das nicht eintritt, was schon vor elf Jahren Irrsinn war. Das war es dann aber auch. Statt der Lufthansa ist die Deutsche Wohnen im Dax vertreten, das ist eine Firma, der das Wohl der Aktionäre näher liegt als das ihrer Mieter, was sich kaum ändern wird, da sie nun erst recht Anleger auf die Renditechancen einer Aktie dieser Firma schauen werden. Krankenschwestern wurden ein bisschen beklatscht und seither genauso ausgebeutet wie bisher, ein Schicksal, das sie mit vielen anderen in unserer Gesellschaft teilen, von denen nicht bekannt ist, ob sie wenigstens auch mal beklatscht worden wären oder ob sie froh sind, dass sie diesen Wohlstandsbürgerzynismus nicht über sich ergehen lassen mussten.

Aber vergessen werden ist auch kein schönes Schicksal, fragen Sie mal die Flüchtlinge in diesem Wie-hieß-es-nochmal-Camp auf einer der griechischen Inseln. Man sollte sich nicht beschweren: dass mit Corona eine Geduldsprobe verbunden sein würde, wurde uns früh genug mitgeteilt. Vielleicht hält man sich schließlich doch lieber an die große Erziehungsweisheit, dass man erst einmal eine Sache zu Ende bringen muss, bevor man etwas Neues anfängt. Jetzt haben wir einmal damit angefangen, die Welt zugrunde zurichten, das bringen wir jetzt erst mal hinter uns.

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Der Lack ist ab. Die alte Normalität kommt wieder zum Vorschein. (Bild: Christian Holl)

Letzte Ausfahrt Smalltalk

Als Gesellschaftsspiel könnte man sich im Smalltalk in kleiner Runde, solange die großen noch nicht erlaubt sind, gegenseitig seine Corona-Lieblingsphrase vorstellen. Es gibt so wunderschöne Sätze wie „Das Virus hält das Land in Atem“, was angesichts der Lungenerkrankungen, die es zur Folge haben kann, ein bisschen daneben liegt. Das ist fast so schön wie „Ich hänge an meinen Ohrringen.“ Besser waren nur die, die in den letzten Tagen der duch den Tod von George Floyd ausgeslösten Demonstrationen gegen ethnische Diskriminierung das Wort „schwarz“ in ihre Redewendungen eingebaut haben. „Voll ins Schwarze“ stand da in der Betreffzeile einer Mail, die ich von Ebay bekam und mir all die Dinge versuchte schmackhaft zu machen, von denen ich nicht ahnte, dass ich sie brauchen könnte, etwa, weil ich nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt, ein Sapphire NITRO+ RX 5700 XT 8G zum Beispiel. Voll daneben. Vom schwarzen Tag für die Polizei hat ein CSU-Politier geredet, nein, eben nicht geschwärmt.

Nun also zum Gesellschaftsspiel „Die wichtigste Phrase meines Corona-Zeit-Lebens.“  Mein Vorschlag wäre: „Die Natur schlägt zurück.“ Tataa, auf in den Kampf, Action-Szenen vor dem inneren Auge, Heldengeschichten, Showdown statt Shutdown. Endlich wieder ein klares Feindbild. Naja, wenigstens ein Feindbild. Es helfen alle Brenngläser nichts: dieses Feindbild ist so verschwommen, dass man schon ein ziemlich ausgebuffter Verschwörungstheoretiker sein muss, um klar zu sagen, was genau dahinter steckt. Wer genau schlägt, mit welcher Absicht und mit welchem Ziel? Hat sich die Natur das Virus ausgedacht als eine Form, uns darauf aufmerksam zu machen, dass sie noch da ist, „die Natur“? So eine Art Schwarm wie bei Frank Schätzing vielleicht? Die wabernde, sich ausbreitende und unangreifbar verteilende Superintelligenz, die es nun den Menschen endlich mal zeigt, dass es ja so wohl nicht geht mit dem Raubbau und der Verschmutzung und der Ausrottung der Arten und der Massentierhaltung und den Pestiziden und den Staudämmen und Verkehrstrassen und dem Plastik im Meer? Wer hier eigentlich schlägt, ist genauso offen wie die Frage, warum erst jetzt? Da hat sie sich ja ganz schön lange ganz schön viel gefallen lassen, die Natur. Aber stimmt das? Die Tuberkulose. Aids. Die Trockenheit. Der Tsunami, die Stürme, der Hagel. Krebs. Die Natur schlägt schon eine ganze Weile. Eigentlich schon immer. Lepra, Pest, Cholera. Und nicht nur uns. Sie schlägt Tiere und Pflanzen, die Blaumeisen wie die Koalabären, Mehltau macht die Rosen fertig, der Zünsler den Buchsbaum: Ein Kampf aller gegen alle.

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Preisfrage: Wo fängt die Natur an, wo hört sie auf? (Bild: Christian Holl)

Damit ist der SUV, dieser Panzer für Warmduscher, endlich gerechtfertigt – die Gefahr ist überall, nur wer sich schützt, wird überleben. Achten Sie auf Ihre Mitmenschen, sie könnten überall sein. Und die Natur ist auch überall. „Zuerst ist der Mensch erbarmungslos, baut alles in die Natur hinein, was ihm einfällt, aber die Natur auch nicht vornehm, wenn der Mensch kurz nicht hinschaut, ist schon wieder alles zugewachsen. Da sind wirklich einmal zwei Brutale zusammengekommen, und tut mir keiner leid,“ hatte Wolf Haas im Knochenmann geschrieben. Im Gesellschaftsspiel kann diese Phrase der zurückschlagenden Natur mit einer intellektuellen Wendung diskutiert werden: die Phrase schafft das Problem, das sie zu beschreiben vorgibt. Sie trennt zwischen „uns“ und „der Natur“ – und genau das ist das Problem am Umgang mit „der Natur“. „Die Natur“ ist aber nichts oder niemand da draußen, der oder die irgendetwas mit uns macht, damit kommt man genausowenig weiter wie in Konflikten, wenn man immer weiter aufeinander losgeht, bis man weiß, wer von den wenigen, die dann noch übrigbleiben, der Stärkere ist. Mit der Natur sollte man so vielleicht nicht umgehen. Man geht vielleicht raus in die Natur, aber am Ende trifft man auch dort doch immer wieder nur auf sich selbst. Dann helfen keine Phrasen mehr.