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Welche Aufregung dieser Tage! Empörung über Einfamilienhäuser, obwohl die Innenstädte veröden. Die Bodenfrage klären, während sich Wohneigentum als Alterssicherung erledigen könnte. Internationale (Immobilien-)Investoren treiben im stinkreichen Deutschland die Preise hoch. Und jetzt taucht ein weiterer „Dienstleister“ auf und schafft einen „Vormarkt“ zum Markt, auf dem Stadt und Architektur ohnehin in lange, teils goldschwere Wertschöpfungsketten gelegt sind.

298.000,00 Euro – ein Schnäppchen? In Bielefeld? Da klingeln wir doch gleich mal… (Bild, Montage: Ursula Baus)

Letzten Sommer fuhr eine schwarze Limousine mit getönten Fenstern durch unsere Straße. Vor jedem Haus blieb sie stehen, geräuschlos versank ein Seitenfenster irgendwo in der Seitentür, ein asiatisch aussehender Herr machte Notizen. „Wir verkaufen nicht“, dachte ich noch, im Hinterkopf, dass die Chinesen ja ganz Europa und mehr kaufen wollen. Wer immer in der Limousine mit welchen Intentionen saß: Es ging ums Gebaute.

Nun wurde in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 14. Februar 2021 die Website „scoperty.de“ vorgestellt, genauer: nicht im Zeitungsteil „Bauen + Wohnen“, nicht im Feuilleton, sondern im Wirtschaftsteil „Geld & mehr“. Illustriert mit einem Bild, das einen Blick von oben auf die Erde zeigt – und eine Art Spielwiese für Immobilieneinkäufer präsentiert. Denn die Darstellung kommt in Manier von Google-Earth daher und hat bei jedem Gebäude statt einer Hausnummer eine Kostenschätzung eingeblendet. Die geschätzten Kosten schwanken gelegentlich um 100 Prozent – woher sollen die Scoperty-MitarbeiterInnen auch wissen, was in den Häusern saniert worden ist oder nicht? Ob eine alte Ölheizung bollert oder ein nagelneues Heizgerät für CO2-ausstoßarme Behaglichkeit sorgt? So liegt ein Schätzwert bei Scoperty beispielsweise für ein und dasselbe Wohnhaus in Lüneburg zwischen 284.000 und 426.000 Euro. Schätzer, die so schätzen, könnte man mit durchdachten Gründen als strategische Selbstbereicher bezeichnen. Diese dominieren einen weltumspannenden Kapitalismus, der mit ethischen Werten nicht vereinbar ist.

Thomas Klemm berichtete in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 14. Februar 2021.

Thomas Klemm berichtete in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 14. Februar 2021.

Scoperty startet als „Vormarkt für Immobilien“, kommuniziert mit dem vertraulichen Ikea-Du und spricht den User harmlos an: „Deine Immobilienbewertung beginnt mit Scoperty“. „Schätzwerte zu über 35 Mio. Immobilien frei verfügbar“.  Wie, so fragt man sich sofort, kommen die Mitarbeiter zu welchen Schätzwerten, auch wenn diese Werte teils hanebüchen aussagelos sind? Man mag von Immobilienmaklern halten was man will, aber seriöse Vertreter wie Engel & Völkers und viele lokale Traditions-Makler besichtigen sachverständig jedes Haus, das sie vermarkten sollen und besprechen mit den verkaufswilligen Eigentümern einen vernünftigen Preis. Und sie verlangen Maklergebühren dafür. Auf dem neuen „Vormarkt“ sollen sie, die Makler, jetzt selber angezapft werden. Von einem „Dienstleister“, der das Wohnen noch mal teurer macht.

Algorithmen und Köder im „Vormarkt“

Wir lesen auf der Scoperty-Website: „Relevante Daten zu fast allen Immobilien. Ein hochmoderner Algorithmus berechnet den individuellen Schätzwert für fast alle Immobilien in Deutschland. Durch den Schätzwert erfahren Eigentümer den aktuellen Marktwert des Objekts und Kaufinteressenten erhalten fundierte Daten zum Preisniveau der jeweiligen Region. Nach der Registrierung und Verifizierung bei Scoperty haben Eigentümer die Möglichkeit durch die Angabe zusätzlicher Daten den Schätzwert zu optimieren. Zudem erhalten sie Zugang zu der Wertentwicklung ihrer Immobilie und des Viertels.“ Wieso hat Scoperty „Zugang zur Wertentwicklung“ unserer Immobilien – sprich Häuser und Wohnungen?

Der öffentliche Raum als Selbstbedienungsladen mit Preisschildern? (Bild, Montage: Ursula Baus)

Der öffentliche Raum als Selbstbedienungsladen mit Preisschildern? Im Schwarzwald? (Bild, Montage: Ursula Baus)

Scoperty weiß alles durch den „hochmodernen Algorithmus“ – schon vor knapp zehn Jahren habe ich die von Menschenh gesteuerte Macht solcher digitalen Werkzeuge angesprochen, siehe Seitenspalte. Scoperty verfährt geschickt, um an ergänzende Daten zu kommen, denn die Algorithmen haben doch ihre Grenzen. Indem „Du“ um Angaben zum Zustand deines Hauses, deiner Wohnung gebeten wirst, fragt Scoperty – sobald „Du“ registriert bist – nach „zusätzlichen Daten“. Tja, denkt man, welcher Depp liefert diese Daten kostenlos an Scoperty? Damit Scoperty sein Leistungsprofil steigern und vermarkten kann? Geködert von Neid auf das besser, höher „bewertete“ Haus der Nachbarin sind mutmaßlich viele Eigentümer bereit, freiwillig Informationen über technische und funktionale Veränderungen am Haus rauszurücken, mit denen sich der Schätzwert des eigenen Hauses erhöhen ließe.

Hier tritt ein weiterer Dienstleister ins Immobiliengeschäft und in die Wertschöpfungskette des Geschäfts mit allem Gebauten, der mit selbstverständlicher Gewinnabsicht agiert und einen „Vormarkt“ bedient. Das ist sein gutes Recht. Er hat grundsätzlich aber die Möglichkeit, die Preisentwicklung mit seinen „Schätzwerten“ zu beeinflussen. Er greift außerdem „freiwillig“ bereitgestellte Daten ab, die weit in die Bereiche des Privaten reichen. Das machen andere auch, und rechtens dürfte es auch sein. Doch mit welchen Konsequenzen?

Die weltweit zu verkaufende Republik

In der FAS wurde schon darauf hingewiesen, dass die Schätzwert-Deutschlandkarte nicht berücksichtigt, wer sein Haus oder seine Wohnung überhaupt verkaufen möchte. Es wird hier also eine Bezifferung jeglicher Häuser und Wohnungen in die Öffentlichkeit getragen, obwohl keine Verkaufsabsichten auszumachen sind. Es werden Angebote und Nachfragen simuliert, die es so nicht gibt.
Durch den algorithmisch ermittelten, vermeintlichen Marktwert eines Hauses wird zudem die Quantifizierung in der Stadt- und Architekturbewertung ein Mal mehr ausgeweitet, die baukulturell relevante Qualitätsansprüche völlig ausblendet. Auch hier muss man fragen: Mit welchen Konsequenzen?

Die Republik wird hier als Kaufladen dargestellt, in dem die Preise intransparent, weil durch nicht erläuterte Algorithmen und subjektive Angaben von Eigentümern ermittelt werden. Nun ließe sich einwenden, dass sich jeder Markt durch Angebot und Nachfrage steuern lässt. Nur hadern wir ja seit geraumer Zeit damit, dass „Wohnen“ ein immer teureres „Gut“ geworden ist und dem Markt aus sozialen Gründen weitreichend entzogen werden müsste. Danach sieht es nicht aus. Im Gegenteil: Durch die billigen Zinsen suchen Jene, die Kapital haben oder sich aneignen, nach rentablen Anlagemöglichkeiten. Der deutsche Immobilienmarkt gilt als „sicherer Hafen“, wie Reiner Braun, Chef des Analysehauses Empirica, der Süddeutschen Zeitung am 24.2.2021 sagte. Das interessiert private Kleininvestoren genauso wie internationale Wohnungskonzerne, die ihren Firmensitz gern in Luxemburg platzieren.

Um nun neue „Vormarkt“-Schöpfer und -Abschöpfer in ihre Schranken zu weisen, bieten sich aber Möglichkeiten: Denn wer an seinem Haus kein Preisschild haben möchte, kann sich einfach: abmelden.