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Oho, oho!


Dass das Kleine eine gewisse Macht entfalten kann, ist spätestens bekannt, seit die Chaos-Theorie populär wurde. Zwar löst nicht jeder Schmetterlingsschlag einen Wirbelsturm aus. Dennoch lohnt es sich, auch das Kleine mit Sorgfalt zu behandeln. Denn da ist ja auch die große Wirkung, die sich allein durch Summe der vielen kleinen Dinge entfaltet. Drei Beispiel für die wohltuende Sorgfalt im Kleinen: in Weimar, München und Kaiserslautern.
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Ansicht vom Parkweg, Blickrichtung Schauckelbrücke. (Bild: Naumann Wasserkampf Architekten)

Friedrich Achleitner hatte darauf hingewiesen, dass die alpinen Regionen wegen der vielen kleinen Entscheidungen in den Gemeindestuben »verbaut und versaut« sind: »Das Große ist der Wahnsinn des Kleinen.« (1) Dann gilt es aber auch umgekehrt: Dass im Kleinen der Keim für eine Änderung liegt. Gaston Bachelard widmet der Miniatur ein eigens Kapitel in der »Poetik des Raumes«, denn die Miniatur ermöglicht es, den Blick in die Welt neu zu justieren, Neues zu entdecken und die Einbildungskraft zu aktivieren: »Das Detail eines Dinges kann das Zeichen einer neuen Welt sein, einer Welt, die wie alle Welten die Attribute der Größe enthält. Die Miniatur ist ein Fundort der Größe.« (2) In der Architektur wissen wir, wieviel von den kleinen Details abhängt, die den Unterschied machen.

Parktoilette in Weimar

Wir beginnen in Weimar. Man könnte die Stadt als die bezeichnen, die im Kleinen den Fundort des Großen bietet: Wenige Städte dieser Größe dürften so bekannt sein. Hier haben das junge Büro Naumann Wasserkampf Architekten an der Ilm eine Parktoilette gebaut, am südlichen Ende des Parks, in direkter Nachbarschaft zur so genannten Schaukelbrücke. Eine Bauaufgabe, der früher in den Städten etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde; über die Gründe mag man spekulieren, hier wird aber offensichtlich, welchen Gewinn es bedeutet, sich der sonst inzwischen üblichen Mixtur aus Sparsamkeit, Fantasielosigkeit und Nachlässigkeit zu widersetzen. Naumann Wasserkampf haben sich an historischen Vorbildern orientiert, die klassische Dreigliedrigkeit aus Sockel, Mittelzone und Dach ist aber nicht Selbstzweck, sondern leitet sich aus funktionalen Kriterien ab: Der umlaufend betonierte Sockel schützt die Fassade vor Spritzwasser, darüber findet sich das Traggerüst in Holzständerbauweise, die mit Massivholz-Dreischichtplatten bekleidet sind: außen tannengrün lackiert, innen naturbelassen. Unter dem 95 Zentimeter auskragenden Dach aus kupfergedeckten Brettschichtholzplatten verläuft ein attika-ähnlicher Streifen aus gelochten Holzplatten, die die Belüftung des Innern gewährleistet. Die Fassaden sind mit lackierten Stahlprofilen gefügt, das Schraubbild ist nicht verdeckt, sondern als Gliederungselement eingesetzt. Auch andere Details wurden mit Sorgfalt entwickelt, seien es die Wasserspeier, die schlichte Außenbank oder die zurückhaltende Beschilderung und Beleuchtung. Genau diese Zurückhaltung macht die besondere Qualität aus, die man erwartet: Man möchte nicht zu viel über die Toilette sagen müssen. Eben auch nichts Schlechtes. Und es ist schließlich auch eine Form des Respekts, der Wertschätzung gegenüber den Gästen und Bewohnerinnen der Stadt, wenn sie sich an dem Ort wohlfühlen dürfen, den sie aufsuchen müssen.


Architektur: Naumann Wasserkampf Architekten, Weimar
Mitarbeit: Julia Naumann, Max Wasserkampf, Pascal Schettki

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Bild: Sebastian Schels

Unterstellplatz für Wartungsgeräte

Alltäglicher geht es kaum. Ein Schuppen für Wartungsgeräte einer Sportanlage in Münchens Stadtteil Untergiesing, am Agilofingerplatz, nicht mehr als eine beiläufige Ergänzung. Westner Schürer Zöhrer Architekten und Stadtplaner, ein junges Münchner Architekturbüro, hat die Bauaufgabe so angenommen, wie sie ist: alltäglich. Sie haben einen Schuppen mit Pultdach gebaut, konstruiert aus Fichtenvollholz, teils mit zimmermannsmäßigen Verbindungen, teils mit Stahlwinkelverbindern. Thema Wellplatte: je nach Funktion wurde eine andere verwendet. Bekleidet mit einseitig beschichteten, schwarzen, Faserzementwellplatten, an der hohen Seite belichtet über einen Streifen gewellter Acrylglasplatten, gedeckt mit Wellplatten aus verzinktem Stahl. Die Eingangsseite ist hellgrau. Das Material ist präzies und sorgfältig behandelt, die Beschläge dezent, das Dach steht nur über den Türen als Regenschutz über, ein L-Stahl dient als Regenrinne. Die Sorgfalt ist aber auch nicht überhöht: man sieht die Schrauben, die Stöße, die Konstruktion.

Nur die Pfette an der Eingangsseite ist vor die Stütze gezogen und von der Bekleidung freigestellt, so dass eine leichte Irritation entsteht: Was trägt, was ist vorgesetzt, was ist Hülle, welche Fläche hat welche Stärke? Eine Stelle, an der eines der ganz pragmatischen Teile des kleinen Gebäudes sich löst und für sich zu stehen scheint, als Hinweis auf eine Mehrdeutigkeit, die allein schon deswegen besteht, weil auch die alltäglichste Aufgabe herausfordert, Entscheidungen zu treffen, ein Hinweis darauf, dass auch das Pragmatische immer eine ästhetische Wirkung hat, dass nie etwas so alltäglich sein kann, dass es sich nicht lohnt, sich darüber Gedanken zu machen. Vielleicht. Oder ein Spiel mit einem alltäglichen Eckkonflikt, der entsteht, weil die Flächen, aus denen der Körper zusammengesetzt ist, eine Tiefe haben, ein Kniff, der dafür sorgt, dass der Schuppen wie zusammengesteckt wirkt, als sei er aus Fundstücken gefügt. Vielleicht. Vielleicht geht es aber auch nur um die Freude daran, das Alltägliche ernstzunehmen, damit es alltäglich, also beiläufig bleiben kann und uns nicht stören oder ärgern muss.


Auftraggeber: Landeshauptstadt München, Referat für Bildung und Sport
vertreten durch Baureferat Hochbau H65, Sportbauten
Architektur: WESTNER SCHÜHRER ZÖHRER Architekten und Stadtplaner PartGmBB,
Projektleiter: Andy Westner
Mitarbeit: Sebastian Mühlbauer
Bruttogeschossfläche: 22,0 qm
Gesamtkosten: 30.000 Euro (brutto)
Leistungsphasen: 1-8
Fotos: Sebastian Schels


Wohnhausanbau in Kaiserslautern


Architektur

Auch ohne den Bestand zu sehen, spürt man, dass der neue Anbau auf ihn abgestimmt ist. (Bild: Michael Heinrich)

Erst hatte die sechsköpfige Familie das Haus aus den 1930er Jahren nur gemietet, dann aber doch gekauft. Inzwischen war die Familie auf acht Personen angewachsen, das Gebäude sollte vergrößert werden und in diesem Zuge auch die innere Organisation etwas überarbeitet werden, um den Bestand großzügiger wirken zu lassen. Eine Aufstockung war nicht erlaubt, ein Anbau hingegen schon. Er sollte möglichst wenig in den Garten eingreifen, so behutsam wie möglich mit dem Bestand umgehen, und in kurzer Zeit errichtet werden können. Als zweigeschossige Holzkonstruktion nimmt der realisierte Anbau Bezug auf die Holzkonstruktion eines Wintergartens an der der Straße abgewandten Nordseite des Hauses.

Die gebäudebreit vor den bisherigen Einbau gesetzte Kubatur nimmt im Erdgeschoss Garderobe und einen Arbeitsbereich, im Obergeschoss ein zusätzliches Zimmer und eine kleine Saune auf. Die Holzkonstruktion ist sichtbar gelassen, die Einbauten weiß von ihr abgesetzt. Wie von der Bauherrschaft gewünscht, eröffnet der Anbau zudem neue Ausblicke in die Umgebung.

Den Architekten Bayer Uhrig ist es gelungen, trotz anderer Materialien eine dem bestehenden Haus entsprechende Sprache zu finden: aus der Fassaden- und Geschossgliederung wurde eine fein strukturierte, kassettierte Holzfassade entwickelt, die den Charakter von Schreinereinbauten aus der Entstehungszeit des Gebäudes hat. Über die Farbe wurden zudem Holzläden und Anbau miteinander verbunden. Wie der Wintergarten im Obergeschoss zudem zeigt, sind Häuser wie dieses auch früher schon ergänzt und erweitert worden, sind Terrassen vor der Witterung geschützt und Räume für die Stunden der Entspannung und besondere Anlässe geschaffen worden, die sich im Material von der massiven Struktur des Hauses abgesetzt haben. In diesem Fall wurden außerdem über Geländer, Treppenaufgang und Sockel, im Innern über Fußbodenbeläge und die Farbe Weiß Verbindungen zum Bestand hergestellt. Es wurde einfach, aber wohldurchdacht und sorgfältig detailliert weitergebaut – so wie man es sich eben wünscht, nicht nur, wenn man zu acht in diesem Haus wohnen darf.


Architektur: bayer | uhrig Architekten PartGmbB, Andrea Uhrig Architektin BDA, Dirk Bayer Architekt BDA, Kaiserslautern
Projektteam: Andrea Uhrig und Jeanette Wunder
Tragwerk: IG Bauplan Kaiserslautern
Holzbau: Dahler und Sester Heltersberg
Fotos: Michael Heinrich

(1) Friedrich Achleitner. Region, ein Konstrukt. In: ders: Reion, ein Konstruk? Regionalismus, eine Pleite? Basel 1997, S. 101–112, hier S. 112
(2) Gaston Bachelard: Poetik des Raumes. Frankfurt am Main 1999 (1987), S. 162