• Über Marlowes
  • Kontakt

Routine reicht nicht

2149_KF-pxhere_duedo

Irgendwas läuft hier schief. (Bild: pxhere)

Marktgeschrei (31) | „Man ist nicht realistisch, in dem man keine Idee hat.“ Der berühmte Satz aus der Streitschrift „achtung: die schweiz“ (Lucius Burckhardt, Max Frisch, Markus Kutter) von 1955 ist aktueller denn je. Wie unter einem Brennglas wurde auf einer Veranstaltung zur Wohnungspolitik deutlich, woran es hakt: an allen Enden. Bei Einfamilienhausgebieten wie beim Thema bezahlbares Wohnen.

Es ist zu einfach, immer nur auf die Politik zu schimpfen. Genauso fatal sind ideenlose Lobbyisten. Und es wäre schön, wenn sich in Deutschland auch das Diskursklima wandelte, damit unbequeme Wahrheiten endlich ausgesprochen werden können. Soweit ist es noch nicht. Jüngstes Beispiel: Ein „Wohnungspolitisches Forum“ vom ifs Institut Wohneigentum, veranstaltet kurz nachdem der ausgehandelte Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition öffentlich gemacht worden war. Zu Gast waren neben den Impulsgebern, einem Zukunftsforscher (Daniel Dettling, Zukunftsinstitut) und einem Volkswirt (Reiner Braun, empirica) die wohnungspolitischen Sprecher der Koalitionäre, Kevin Kühnert, SPD, Chris Kühn, Bündnis90/Die Grünen und Daniel Föst von der FDP, sowie von der zukünftigen Opposition Mechthild Heil, CDU. Es ging um die Wohnungspolitik, und, na klar, um die Frage nach den Möglichkeiten der Wohneigentumsbildung.

Kühnert, Kühn und Föst waren ganz offensichtlich von der bewältigten Verhandlung beseelt und wild entschlossen, sich die daraus resultierende Euphorie nicht vermasseln zu lassen. Was man verstehen kann. Einfach waren die Verhandlungen sicher nicht, und so gaben sich die drei wie Mitglieder einer noch nicht lange zusammenspielenden Jungs-Mannschaft, die gerade einen knappen, aber wichtigen Sieg errungen hat und nun verkündet, dass man nun auch den Titel wolle. Beziehungsweise „richtig, richtig Bock auf Verantwortung“ hat, wie es Föst ausdrückte.

Das Bündnis für Wohneigentum hat eine überschaubare Agenda – Wohneigentum. Das wird wie ein Fetisch hochgehalten. Angesichts einer leicht sinkenden Eigentumsquote werden Alarmglocken geläutet, wie man das erwarten kann. Mittelstand in Gefahr, Wohneigentum gleich Entlastung der Sozialsysteme und Sicherung der Altersvorsorge, Deutschland mit schlechten Werten im europäischen Vergleich, so alt, so bekannt. Man darf an dieser Stelle gerne noch einmal darauf hinweisen, dass in Europa Rumänien die höchste Eigentumsquote hat, die Schweiz die niedrigste. Nur mal so als Anregung zum Nachdenken.


Viele Dimensionen


Ballonfahrt über Köln - Wohngebiet Neuenhöfer Allee, Castellauner Straße, Am Beethovenpark

Für viele ist Wohneigentum in einer Stadt wie Köln unerreichbar geworden. Köln, Wohngebiet Neuenhöfer Allee, Am Beethovenpark. (Bild: ©Raimond Spekking, Wikimedie Commons, CC BY-SA 3.0)

Die drei von der Koalition hatten es am Abend aber auch nicht schwer, sich zu verteidigen, da die Veranstalter keine Ideen hatten und auch keine forderten. Dettling verkündete, dass das Land attraktiver werde, die jungen Menschen sich nach dem Einfamilienhaus sehnten und dass es gelte, das Lokale mit dem Globalen zu verbinden. Und dass die Politik die Wünsche der Menschen zu berücksichtigen habe, weil der Gesellschaft sonst die Spaltung drohe. Das ist eine kaum satisfaktionsfähige Vorstellung von Politik auf dem Niveau des ADAC aus den 1980er Jahren. Zudem eine ebensowenig ernstzunehmende Darstellung von Sachverhalten, die erst vom zweiten Redner, Reiner Braun etwas geradegerückt werden konnte, der erst einmal darauf hinwies, dass die Attraktivität des Landes sich auch aus den hohen Preisen in den Städten erklären ließe.

Nicht, dass Reiner Braun vor Ideen gesprüht hätte, aber es war ein Vortrag, der klar in der Sache war. Braun verweigerte sich den einfachen Erklärungsansätzen seines Vorredners. Er zeigte, dass es immer schwerer wird, die Eigenkapitalanteile für den Kauf von Wohneigentum aufzubringen, insbesondere in der Gruppe der 30- bis 44-Jährigen. Er wies darauf hin, dass nicht die Preise für den ÖPNV zu hoch seien, sondern das Angebot einfach zu schlecht sei. Darauf, dass nicht alle Menschen im Homeoffice arbeiten können. Dass wir zu viel am falschen Ort bauen. Und er konnte erläutern, dass eine gestrichene Pendlerpauschale zu sozialen Verwerfungen führt, weil das die Wohnungspreise in den Städten noch weiter in die Höhe treibt.

Das aber heißt in der Summe ja nichts anderes, als in größeren Zusammenhängen zu denken. Aussagen wie die, dass die Idealvorstellungen des Wohnens, die das Dorf idyllisieren, den Rückzug des Sozialstaats selten berücksichtigen, „so dass die Sehnsucht nach kleinräumigem sozialen Zusammenhalt ungewollt die Privatisierung staatlicher Fürsorge plausibilisiert“ waren jedoch am ganzen Abend nicht einmal am Horizont zu sehen. Das etwas sperrige Zitat ist aus dem Buch von Kathrin Schulte, „Gebrauchte Einfamilienhäuser als Wohnform“, auf das wir noch zu sprechen kommen. Es sagt nichts anderes, als dass die Sehnsucht nach dem Land nicht nur eine Reaktion auf den Abbau von Sozialleistungen ist, sondern dass sie es auch leichter macht, diese Leistungen (weiter) abzubauen.


Wohneigentum, wozu nochmal?


2149_cc_Rabich_luedinghausen

Es muss endlich darüber diskutiert werden dürfen, dass neue Einfamilienhausgebiete ein echtes Problem sind. (Bild: Dietmar Rabich, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)

Und so wurden kritische Felder wie Bodenpolitik nur gestreift, so kam nicht zur Sprache, dass mehr Homeoffice zu einem Bumerang-Effekt führen kann, dann nämlich, wenn man wegen der Heimarbeit eben noch weiter nach draußen zieht und so in der Summe kein Verkehr reduziert wird. Sie wurden nur gestreift, weil keiner den Mut hatte zu sagen, dass es so wie bisher nicht einfach weitergehen kann. Weil keiner den Mut hatte zu sagen, lass uns doch mal nach den Gründen fragen, die Wohneigentum attraktiv machen – Stichwort Abbau des Sozialstaats – und die nur deswegen zu den stereotypen Antworten wie der vom Einfamilienhauswunsch führen, weil andere jenseits der Alltagsvorstellungen der Befragten sind. Die aber dennoch forciert werden könnten. Genossenschaften und Gemeinschaften, verkehrsberuhigte Quartiere mit ausreichenden Freiräumen, Hauskonzepte, die die Aneignung erlauben, Rentenideen, die jenseits der konventionellen Wege Sicherheit bieten.

Das muss ja nicht unbedingt nur oder in erster Linie die Aufgabe der Politiker:innen sein. Die sprachen über die Rahmenbedingungen und darüber, dass sie nun die fördern wollten, die sich Eigentum nicht ohnehin leisten können (wie es beim Baukindergeld der Fall ist). Die Gedanken um die Spekulation und den Bodenmarkt wenigstens mal aufblitzen ließen, auch wenn man sich mit Blick auf den Koalitionsvertrag wahrlich wünschte, dass gerade das Thema Bodenpolitik entschiedener angegangen würde.

Die kritischen Felder wurden, und das ist letztlich das Wesentliche, nur gestreift, weil das Pferd komplett von der falschen Seite aufgezäumt wird, wenn man beim Wohneigentum anfängt. Wohneigentum zu diskutieren, ohne zu fragen, auf welche Frage es die Antwort ist und wie es in einem Gesamtzusammenhang wirken sollte,  kann nicht weiterführen. Der Skandal von heute ist nicht die Wohneigentumsquote. Wir haben mindestens zwei viel größere. Ein Skandal sind die immer höheren Miet- und Kaufkosten in den Städten, die Eigennutzer nicht mehr zum Zuge kommen lassen und Mietern hohe Kosten abverlagen, die sie sich oft nicht mehr leisten können. Die so hoch sind, weil spekuliert wird, weil Renditen produziert werden, weil Wohnungen und Boden Anlageobjekte geworden sind, die immer weiter verkauft werden, um die Preise nach oben zu treiben. Und der andere Skandal ist der, dass munter weiter Einfamilienhausgebiete ausgewiesen werden. Sie erzeugen Verkehr und ökologische Folgekosten, die die Gesellschaft dann zu tragen hat. Die Frage wäre doch eher: Wie müsste man diesen beiden Skandalen begegnen – und daran anschließend könnte man fragen, wie darin Wohneigentum eine sinnvolle Rolle spielen könnte.

2149_KF_ch_50erEFHG

Bestand ist eine Ressource, die man aktivieren kann: Einfamilienhaus der Nachkriegszeit. (Bild: Christian Holl)

Aufschlussreiche Lektüre


Es war Reiner Braun, der darauf verwies, dass es auch nicht ökologisch sei, vorhandene Infrastruktur nicht zu nutzen. Dann sollten wir das auch tun. Und dann darf man auch den Bestand der Einfamilienhäuser in den Blick nehmen. Eine Studie des vhw von Bernd Hallenberg und Fabian Rohland über die Einfamilien- und Zweifamilienhäuser der 1950-er bis 1970er zeigte, dass in den immerhin über 6,3 Mio Wohnungen dieser Häuser zu 43 Prozent Menschen wohnen, die über 65 sind, fast ausschließlich 1- und 2-Personenhaushalte. Das enorme Potenzial, das hier liegt, könnte aktiviert werden – wenn es denn gewollt wird. Die Studie gibt deutliche Hinweise darauf, dass die Umzugsbereitschaft am höchsten unter den jüngeren Senior:innen ist und um so höher, je besser das Angebot an Alternativen in der unmittelbaren Umgebung ist. Damit stellt sich eine Aufgabe, die kleinteilig ist und mühsam – und auch nicht durch ein einzelnes Instrument zu lösen sein wird.

2149_KF_Schulte_titel

Kathrin Schulte: Gebrauchte Einfamilienhäuser als Wohnform. Eine ethnografische Untersuchung im Bestand. 190 Seiten, 29,90 Euro
Waxmann Verlag, Münster 2021

Ein andere bemerkenswerte Veröffentlichung wurde von Kathrin Schulte vorgelegt, die „gebrauchte Einfamilienhäuser als Wohnform“ untersuchte. Sie hat anhand konkreter Fälle genau nachgefragt: Warum ist ein Einfamilienhaus gewünscht? Wann entscheidet man sich für ein Haus im Bestand? Die Antwort: Man möchte sich verbessern, was die Fläche angeht, möchte einen Garten, und schließlich möchte man selbst am Haus arbeiten: Als Aneignung und soziale Vernetzung (man zieht die Unterstützung von Verwandten und Bekannten heran und festigt so soziale Beziehungen). Mit dem Bau am Haus werden zudem die eigenen handwerklichen Fähigkeiten aktiviert und bestätigt – die Autorin stellt hierbei übrigens fest, dass sich hierduch meist traditionelle Rollenklischees verfestigen: Über die handwerkliche Arbeit am Haus sprechen fast nur die Männer.

Und man stellt mit dem Hauskauf Verbindungen in die Vergangenheit her. Man wünscht sich Naturnähe und hofft auf eine sichere Kapitalanlage – was erheblich mit dem Rückbau der sozialstaatlichen Leistungen zusammenhänge. Man sieht: Die Gründe sind fast deckungsgleich mit denen für das Einfamilienhaus generell. Interessant ist dabei allerdings die Beobachtung, dass die Käufer:innen von Bestandshäusern heterogener sind – vor allem hinsichtlich unterschiedlicher Lebensmodelle und Familienphasen. Gute Gründe, bei diesem Thema endlich genauer hinzuschauen. Und nicht nur über die Häuser, sondern auch mit den Menschen zu sprechen.

Und was kommt jetzt?

Kommen wir nochmal zurück zu unserer wohnungspolitischen Runde.  Man möchte doch sehr hoffen, dass sich der Blick in den nächsten Jahren nicht nur auf Seiten der Politik weitet und dort die Themen des bezahlbaren Wohnens ebenso wie die des Landverbrauchs entschiedener angegangen werden als das derzeit der Fall ist. Hier sind, gerade wenn man den Flächenverbrauch senken will, umfassende, ressortübergreifende Konzept gefragt. So sehr man sich über das Bauministerium freuen mag – es wird in zentralen Fragen eine Zusammenarbeit mit anderen Ministerien geben müssen. Auch diese Wahrheit traute sich keiner auszusprechen: Wenn man keine neuen Flächen in Anspruch nehmen will und Wohnen bezahlbar sein soll, dann muss man streng und schmerzhaft regulieren, sollen nicht am Ende die (finanziell) Schwächsten hinten runter fallen. Vollmundig hatte Föst (FDP, wohlgemerkt) in der Vertragseinigungseuphorie auch noch verkündet, dass man ja auch die Obdachlosigkeit abschaffen wolle – dann aber bitte auch B sagen. Das wird nämlich nur gehen mit dem Konzept „Housing first“ – Obdachlose müssen dauerhaft verlässlich untergebracht werden und nicht nur temporär: Abschaffen heißt nicht verwalten. In Finnland hat man mit „Housing first“ die Obdachlosigkeit von 17.000 auf 4.000 gesenkt. (1) Das heißt aber, dass Wohnungen Eigentum von Kommunen und gemeinnützigen Trägern werden können müssen – das ist vielleicht auch ein Aspekt von Wohnungseigentum. Dass Spekulation Obdachlosigkeit zur Folge haben kann, heißt auch, den Wohnungsmarkt grundlegender anzupacken. Für Berlin wurde schon mal eine progressive Hauszinssteuer nach dem Vorbild der Zwischenkriegszeit vorgeschlagen. Solche Instrumente dürfen nicht mehr tabuisiert werden. Spekulation muss viel entschiedener entgegengetreten werden – auch und gerade der mit dem Boden. Den Boden dabei als wesentlichen Faktor mit in den Blick zunehmen, scheint sich die Koalition leider zu scheuen. Das wird aber nötig sein. Routine wird nicht reichen. Wer „richtig Bock auf Verantwortung“ hat, muss sich dann eben auch etwas trauen. Wenn wir dann auch noch eine Lobby mit Fantasie und Ideen hätten, um diese Verantwortung einzufordern, eine, auf die gehört wird, dann, ja dann…


(1) Siehe hierzu die eindrückliche Dokumentation „Leben ohne Zuhause“ >>>