Stilkritik (101) | Man kann so weiter machen, wie bisher. Das ist dann eben schlecht. Man kann auch so diskutieren, wie hier immer diskutiert wird, wenn es um ein wichtiges und emotionales Thema geht. Das führt dann eben nicht weiter. Man könnte es aber auch mal anders versuchen. Zum Beispiel beim Thema Einfamilienhäuser. Dieses Thema ist nicht nur für die Städte brisant, sondern auch für den ländlichen Raum.
Endlich – könnte man sagen. Endlich wird über eines der Themen diskutiert, das für die Stadtplanung in den kommenden Jahrzehnten eines der wichtigsten sein wird. Nein, es sind nicht die Innenstädte, es ist nicht die Frage danach, wie wir die zu Shoppingcentern hochgepushten Zentren mit den ebenso hochgepushten Bodenpreisen wieder zu lebendigen Orten machen, auch wenn das wahrlich keine unwichtige Angelegenheit ist. Es ist die Frage nach den Einfamilienhausgebieten, namentlich nach denen mit freistehenden Häusern. Es ist nicht die nach Nachverdichtungen mit Stadthäusern. Es ist die Frage nach den Gebieten, die die Allgemeinheit viel Geld kosten, weil für sie Straßen und technische Infrastruktur angelegt werden, die unterhalten werden müssen. Sie kosten die Allgemeinheit viel Geld, weil dadurch Verkehr erzeugt wird, weil der Boden nicht effizient genutzt wird, weil viel Fläche versiegelt wird, die wir brauchen, um dem Klimawandel zu begegnen. Die wir brauchen, um C02-Senken zu schaffen oder zu erhalten, ohne gleichzeitig den Druck auf die landwirtschaftlichen Flächen so zu erhöhen, dass regionale, kleinteilige Landwirtschaft nicht mehr möglich ist.
Und wir müssen über Einfamilienhausgebiete allein deswegen diskutieren, weil es sie gibt. Weil es sehr viele davon gibt und eine Auseinandersetzung darüber geführt werden sollte, wie man mit ihnen so umgehen kann, dass sie nicht weiter einen Lebensstil erzwingen, der für eine Zeitlang der dominierende gewesen sein mag, es aber schon lange nicht mehr ist: der der Kleinfamilie.
Wir müssen uns auch in bestehenden Einfamilienhausgebieten fragen, wie man den Bestand verdichtet oder so verändert, dass soziale Dichte und Begegnung möglich wird, dass der öffentliche Personennahverkehr funktioniert, dass Freiräume für die Bewohnerschaft wie als ökologisch wertvolle Flächen angelegt werden können. Wir sollten darüber diskutieren, wie wir den enormen Bestand an Ein- und Zweifamilienhäusern für eine alternde Gesellschaft fit machen, wie junge Familien in bestehende Häuser einziehen können, wie alte Menschen ihre viel zu großen Häuser verlassen können und trotzdem in der vertrauten Umgebung wohnen bleiben dürfen. Und wir müssen uns fragen, wie wir mit den Gebieten umgehen, wo Häuser leerstehen, wo Lücken entstehen oder nicht gefüllt werden.
All diese Fragen sind bislang so gut wie unbeantwortet. Gut also, dass das Einfamilienhaus zur Diskussion steht, die Bauform, die schon viel zu lange unter dem Radar der Wahrnehmung fliegt, die so naturalisiert und selbstverständlich erschien, als sei sie eine unausweichliche Notwendigkeit, ein Naturrecht oder die unersetzbare und einzig mögliche Grundvoraussetzung für Freiheit und Selbstverwirklichung.
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Aber nein. So wird ja nicht diskutiert. Es wird nicht darüber diskutiert, wie wir Zukunft so gestalten wollen, dass es sie noch für die gibt, die erst noch geboren werden. Es wird über ein Phantom diskutiert. Es ist das des Einfamilienhausverbots, was immer genau darunter zu verstehen ist, aber um Aufmerksamkeit zu bekommen, Empörung zu schüren und politischen Gewinn zu ziehen, scheint keine Denkfaulheit zu peinlich. Vom Ende des Einfamilienhauses schreibt die Welt, und behauptet einfach mal, „wenn es nach Stadtplanern geht, ist für Einfamilienhäuser bald kein Platz mehr.“ „Statt Bürgerinnen und Bürger in DDR-Plattenbauten zu pferchen, müssen wir endlich mehr Menschen den Weg ins Eigenheim ebnen“, so der bau- und wohnungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Daniel Föst.
Ich habe nicht herausfinden können, wer gefordert hatte, dass Menschen in DDR-Plattenbauten gepfercht werden. Anton Hofreiter war es jedenfalls nicht, der hatte sich nur erlaubt, sich skeptisch gegenüber dem Neubau von Einfamilienhäusern zu äußern. Da wir ja bereits um die 17 Millionen haben, wäre auch ohne einen einzigen Neubau noch immer für jeden fünften Bundesbürger eines da; wenn man also zu fünft drin wohnen wollte, reichte es weiterhin für jeden, ohne ein einziges neu bauen zu müssen. Vorausgesetzt, es wollten alle in einem wohnen.
Es ist auch nicht Michael Werner-Boelz, der Leiter des Bezirks Hamburg-Nord, der nun zur Zwangskollektivierung bläst, wie es ein weiterer FDP-Politiker suggeriert, dieses Mal einer aus Magdeburg. Werner-Boelz hatte angekündigt, keine neuen Einfamilienhäuser mehr genehmigen zu wollen. Man könne das sogar verstehen, so Niklas Maak dazu am 3. Februar in der FAZ: „Hamburg-Nord ist kein Dorf, der Baugrund knapp, die Zersiedlung ein Problem. (…) Sogar die Immobilienwirtschaft hat Verständnis.“ Davon, dass nun alle in „Fickzellen mit Fernheizung“ umziehen müssten, wie es der Spiegel in leider nicht selten doofer, sondern üblich dümmlicher Weise an die Wand malt, als ob jede Wohnung eine solche Zelle wäre, wenn sie nur kein Einfamilienhaus ist, ist also keine Rede.
Es ist viel, viel harmloser. Im Falle von Hamburg-Nord geht es nämlich erst einmal darum, wie kommunale Planungshoheit in Anspruch genommen wird, was nichts weniger heißt, als dass es nicht um ein Verbot von irgendwas in irgendeiner anderen Kommune geht. Kommunale Planungshoheit heißt, dass jede Kommune darüber streiten darf und entscheiden kann, wie sie die ordnungspolitischen Möglichkeiten ausschöpfen will, um der Sorgfaltspflicht gegenüber ihrer Bürgerschaft gerecht werden zu können. Ein Politiker aus Hamburg-Nord weiß das für Hamburg-Nord möglicherweise besser als einer aus Berlin oder Magdeburg.
Nur nicht beirren lassen
Damit nicht Zeit damit verloren geht, eine „die Grünen wollen uns unser überlebensnotwendiges tägliches Schnitzel verbieten“-Diskussion oder eine „Freie Fahrt für freie Bürger“-Debatte zu führen, sollte man sich von all den albernen Kommentaren zu diesem Thema nicht irre machen lassen. Man sollte den Mut haben, weiterhin die Probleme anzusprechen, die uns neue Einfamilienhausgebiete bescheren und darüber hinaus zu fragen, wie wir sinnvoll mit dem Bestand umgehen könnten. Man sollte weiterhin den Mut haben, differenziert und klar in der Sache zu argumentieren und dabei die intelligente Einzellösung nicht in einen Topf mit den vielen Gebieten werfen, die uns zur Last werden, wenn sie es nicht schon sind.
Und zwar nicht nur in Hamburg-Nord, sondern auch und gerade dort, wo nicht das gilt, was Maak aufgezählt hatte. Nämlich im ländlichen Raum. Auch dort wird der Boden, die nicht vermehrbare Ressource verbaut und geht für den Klimaschutz verloren. Dort, wo Dorfkerne von Leerstand und Verödung bedroht oder schon gekennzeichnet sind. In schrumpfenden Regionen, wo Menschen mit entwertetem selbstgenutzten Wohneigentum die Hoffnung auf eine wirkungsvolle Altersvorsorge begraben können – überall stellt sich die Frage danach, was wirklich Not tut. Insofern stimmt es schon: Es geht hier um eine grundsätzliche Frage und nicht um einen Einzelfall. Es geht darum, ob wir bereit sind, regionale Zusammenhänge zu sehen und bereit sind, über die seit Jahren von Expertinnen und Experten empfohlenen Instrumente wie handelbare Flächenausweisungsrechte oder regionale Bodenfonds nachzudenken, damit nicht auch noch dort Einfamilienhausgebiete ausgewiesen werden, wo es den Bedarf danach nicht gibt, damit die offiziellen Flächensparziele der Bundesrepublik Deutschland nicht weiterhin so sorglos verfehlt werden wie bislang. Es geht darum, ob wir dazu bereit sind, die Voraussetzungen zu schaffen, dass die vielen intelligenten Alternativlösungen eine Chance haben – sie gibt es schon lange, die Wüstenrot Stiftung hat sie zusammengetragen, die Wohnmodelle aus Bayern, Modellvorhaben des Bundes haben Alternativen aufgezeigt, auch die Entwürfe aus Europan-Wettbewerben boten zahlreiche Anregungen. Es fehlt nicht an Grundlagen. Statt dessen soll nun der §13b BauGB verstetigt werden.
Es geht darum, wie wir das, was die neue Leipzig-Charta sehr deutlich einfordert, nämlich die Orientierung der Planung am Gemeinwohl, umsetzen wollen. Das hieße, zu fragen, wie sich individuelle Interessen und die der Gemeinschaft in eine Balance setzen lassen. Dass bei jedem einigermaßen plausiblen Vorschlag die Kommunismuskeule geschwungen wird, ohne ihn wirklich auf seinen Gehalt zu befragen, zeigt, dass die Bereitschaft dazu fehlt, genau über diese Balance zu diskutieren. Sie fehlt genauso wie die Fantasie, um sich irgendetwas anderes als das, was man kennt, vorstellen zu können.
Und schließlich geht es darum, die eine Fehlentwicklung nicht wegen einer anderen zu rechtfertigen. Ein aus dem Ruder gelaufener Wohnungs- und Bodenmarkt mit enormen regionalen und überregionalen Verwerfungen als Gegenargument für einen kritischen Umgang mit neuen Einfamilienhausgebieten anzuführen, ist wenig überzeugend. Das Recht auf Wohnen ist nicht bedroht, wenn wir keine Einfamilienhäuser mehr bauen. Neubaugebiete seien kein probates Mittel zur Behebung des Wohnraummangels, lässt auch die Architektenkammer in Baden-Württemberg in einer Pressemeldung verlauten. Sicher: Der Wert von bestehenden Häusern in einem stark nachgefragten Gebiet steigt, wenn keine weiteren mehr gebaut werden dürfen. Aber dann muss man erst recht die Frage danach stellen, wie mit solchen leistungslosen Gewinnen umgegangen wird. Eine Frage, die wir uns auch ohne die Einfamilienhausdiskussion ohnehin stellen sollten: Die Wertzuwächse von Boden streichen in aller Regel nicht die ein, die dafür eine Leistung erbracht haben. Es fehlt also nicht an guten Gründen, eine Diskussion über bestehende und neue Einfamilienhausgebiete zu führen. Schon allein, dass eine solche Diskussion eng mit anderen wichtigen Fragen verbunden sein müsste, zeigt, dass wir das Thema nicht mehr aus den Augen verlieren sollten.
Vielleicht wäre es an der Zeit, einen bundesweiten fachlichen und sachlichen Austausch zu diesem Thema zu organisieren und zu finanzieren, eine Plattform für Beispiele, Initiativen, Instrumente, Varianten, mit bekannten und neuen Alternativen, ähnlich wie man es einmal mit den Stadtquartieren getan hat, denen man „besonderen Entwicklungsbedarf“ bescheinigt hat: das Programm „Soziale Stadt“ war unter anderem deswegen ein besonders erfolgreiches, weil darin viele Politikfelder zusammengeführt wurden und es nicht nur ums Bauen ging. Und weil es zur Erkenntnis verhalf, dass sozial eine Stadt nur als Ganzes sein kann. Mit ein wenig Fantasie könnte das auch beim Umgang mit Einfamilienhäusern eine hilfreiche Leitlinie sein.