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Immer weiter gehen oder in Kreisen denken

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Das „Ende der Welt“ als Beginn etwas Besseren?  (Schlosspark Schwetzingen. Bild: Wikimedia Commons, CC By-SA 4.0, Foeniz)

Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur ist nicht so, wie es sich Papst Franziskus vorstellt, eine “sublime Geschwisterlichkeit mit der Schöpfung“. (1) Wann und wie ist diese sublime Geschwisterlichkeit, das gleichrangige Verhältnis zwischen Natur und Kultur verloren gegangen?

„In unserer Auffassung von Architektur bedeutet Bauen (…) vor allem: nachdenken.“ (2)

Markus Lanz meinte in der Woche nach der Wahl, wir müssten den Leuten die unbequeme Wahrheit zumuten, dass wir so nicht werden weitermachen können. Harald Welzer widersprach ihm insofern, als er eine kollektive Lebenslüge konstatierte, der zufolge das „Weiter so“ eben doch fortsetzbar sei, obwohl Natur und die Naturverhältnisse uns das Gegenteil mitteilten. Die Idee von grünen Wachstum sei eine „merkwürdige, magische Beschwörungsformel“. Aber: „Wachstum bedeutet gesteigerten Verbrauch, unausweichlich“. Der Vertreter der FDP in der Sendung, Johannes Vogel protestierte. (3)


Aufklärung


Das hilft uns aber nicht so recht weiter. Wie kann man dem Leben innerhalb der Naturgrenzen einen Sinn geben? Wie ließe sich denn so nachdenken, dass eine andere Zukunft anders wenigstens nur wieder zu erahnen wäre als im Beharren auf Bekanntem oder in der Rückkehr zu alten Ordnungen? Wie kann man dem Leben innerhalb der Naturgrenzen einen Sinn geben?

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Das Ende vom Traum einer Welt, derer sich der Mensch ohne Konsequenzen bedienen darf. (Bild: flickr.com, 350org/Tim Wagner, CC BY-NC 2.0)

Um ein wenig Ordnung in diese Fragen zu bekommen, könnte ein vereinfachendes Gedankengerüst vielleicht hilfreich zumindest für die Frage sein, wo wir gerade stehen: Auf der Türschwelle zwischen zwei Räumen. Immanuel Kant hatte uns bereits in den Raum der Aufklärung geschickt, um den der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu verlassen und uns Mut zugesprochen, uns für diesen Schritt unseres eigenen Verstands zu bedienen. Ein enormer Aufschwung von Fortschritt und Technik begleitete diesen Weg, der linear war und die Folgen des Tuns hinter uns anhäufte: Walter Benjamin hatte dafür das Bild des Engels der Geschichte gefunden, der vom Sturm des Fortschritts immer weiter vom Paradiese weggeweht wird. (4) Die Aufklärung hatte uns „von fremder Leitung freigesprochen.“ (5) Dieser Freispruch war aber offensichtlich nur unter den Bedingungen der Vorstellung einer unbegrenzten Natur möglich, derer wir uns ohne Konsequenzen bedienen können.

Die Möglichkeit des Auswegs durch ein „Immer weiter“ schließt sich aber endgültig bei 1,5 Grad Erderwärmung. Die lineare Zeit, die „prinzipielle Offenheit der Zukunft“ (6) wird gebeugt. Wir stehen auf der Schwelle zwischen einem dystopischen Raum der Unmündigkeit und dem der Mündigkeit, des utopischen Kreislaufs. Das Verhältnis dieser beiden Räume wird das Verhältnis von Natur und Menschheit mitbestimmen. Stadtplanung und die Architektur werden in Zukunft in beiden Räumen praktizieren müssen: Anpassung an die Fortschrittsfolgen mit neuer Technik und Metabolismus, Kreislauf. Nur fehlen für den Kreislauf bisher ausreichend Ideen und vor allem die Kraft, die, die es gibt, auch zu realisieren.

Und so bewegen wir uns auf einen für uns dystopischen Zustand zu. Das Wunschbild der Zukunft in den meisten Köpfen ist das einer dekarbonisierten und entmaterialisierten Vergangenheit. Um es zu erreichen, verändern wir nur die Dinge um uns herum, dämmen die Häuser, wollen die Wirtschaftsgüter zirkulieren lassen. Grünes Wirtschaftswachstum ist eine fantastische konservative Utopie, die den Menschen vor Veränderung bewahren, aber ein ungefährliches Verhältnis zwischen Kultur und Natur erhalten soll. Die Zukunft ist in dieser Sichtweise eine technische Aufgabe für ein „entwicklungsoffenes Subjekt, das aus sich nicht nur etwas machen kann, sondern auch muss, will es in dieser Gesellschaft bestehen.“ (7)


Ökonomie


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Zielt auf Balance: „Donut-Ökonomie“. Der äußere Ring beschreibt die ökologischen Grenzen, der innere Ring die sozialen Banden. Die Menschen müssen sich zwischen diesen Grenzen bewegen, ansonsten droht der ökologische „Overshot“ oder der soziale „Shortfall“. (Bild: Wikimedia Commons, DoughnutEconomics, CC-BY SA 4.0)

Es ist eine gängige Auffassung, dass sich die Baupraxis durch Produktionsinnovationen physisch transformieren ließe und unser Verhältnis zur Natur dabei neutral-technisch bleiben könne. Natur sorgt, so der Glaube, weiterhin für eine angenehme, bewohnbare Welt – und ist degradiert zum Bild eines riesigen englischen Landschaftsparks. Die Objekte des Bauens sollen durch wirtschaftliche Anreize oder gesetzliche Grenzen so verändert werden, dass sie keinen negativen Einfluss auf die Umwelt und die Natur haben und vielleicht negative Entwicklungen sogar umkehren, etwa durch eine negative C02-Bilanz. Dieses Ziel soll im Wesentlichen mit einer ökologischen, an den Instrumenten der sozialen Marktwirtschaft orientierten Ökonomie erreicht werden. Die treibende Kraft in die Zukunft ist nicht die Utopie einer neuen oder wiederhergestellten Balance zwischen Kultur und Natur, sondern ein schlichter Austausch von Materie: Wir entnehmen der Natur Ressourcen, um zu gestalten, und führen diese Materie irgendwann wieder zurück. Beide Prozesse – Entnahme und Rückgabe – werden als Wertschöpfung verstanden. So verstanden, vertrauen auch Architekt:innen und Stadtplaner:innen die Zukunft der Ökonomie an.

Allerdings hat weder in der klassischen Ökonomie eines Adam Smith noch in den Utopien des Karl Marx, weder im Kapitalismus noch im Sozialismus die Natur je einen Wert gehabt, der der Arbeit, dem Kapital oder der Produktion gleichrangig wäre. Natur ist in all unseren bisher real praktizierten wie in den erdachten Wirtschaftsmodellen unerschöpflich. (8) Juliet B. Schoor muss feststellen, dass „die meisten Ökonomen ihr Handwerk“ so betreiben „als würde die Natur gar nicht existieren“. Einige Ökonomen versuchen, die Natur „in den Geltungsbereich des Marktkalküls hineinzubringen“ (9); in der Regel heißt nichts anderes, als an die Natur ein Preisschild zu hängen. Das wird aber nicht ausreichen. Harald Welzer und Bernd Sommer stellen fest: „sozial-ökologische Transformationen bedeutet (…) nie nur die Formierung der äußeren Bedingungen menschlicher Existenz, sondern immer auch die der psychischen Strukturen der Menschen, (…). Nicht nur materielle Infrastrukturen, gesellschaftliche Machtverhältnisse und Institutionen sorgen für eine gewisse Pfadabhängigkeit der gesellschaftlichen Entwicklungen, sondern auch die mentalen Infrastrukturen“. (10)

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Kann die Zwischenstadt auch Kreislaufwirtschaft (Bild: Philipp Schwarz)

Mentale Infrastruktur


Tatsächlich gibt es die Versuche, an der mentalen Infrastruktur zu arbeiten. Papst Franziskus versucht, sie jenseits technischer Fragen für die Gläubigen im Sinne einer „Küngschen Ökumene“ neu zu fassen. Ernst Ulrich von Weizsäcker und der Club of Rome wollen die Aufklärung revidieren, um das verschattete und unklare Verhältnis des modernen Menschen zur Natur zu korrigieren. Sie begründen eine solche Revision damit, dass die Aufklärung aus einer Zeit der leeren Welt stammt – also einer prinzipiell unbegrenzten Verfügbarkeit von Ressourcen. Seit den 1950er Jahren sei aber die globale Population so stark gestiegen, dass wir von einer vollen Welt ausgehen müssten. Diese Tatsache werde bis heute von der Philosophie vernachlässigt. In der vollen Welt gelten andere „Naturgesetze“, die durch die alte Aufklärung nicht mehr erfasst würden. „Wir haben eine philosophische Krise“, so Weizsäcker. (11)

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Wenn keine weiteren Rohstoffe aus dem Boden entnommen werden, bleiben alle Elemente im Kreislauf und können immer wiedergewonnen werden. (Grafik: Alexandra Hanisch / Philipp Schwarz)

Die Philosophen der Aufklärung waren mitunter tatsächlich nicht zimperlich mit der Natur. Während im Evangelium Jesus von den Vögeln spricht und sagt, das Gott nicht einen von ihnen vergisst (Lk 12,6), meint G.W.F. Hegel: Dem „Huhn sein vernünftiges Daseyn ist, daß es gefüttert, und gegessen wird“ und „überhaupt daß die eigne Thätigkeit der Natur, Elasticität der Uhrfeder, Wasser, Wind, angewendet wird, um in ihrem sinnlichen Daseyn etwas ganz anderes zu thun, als sie thun wollten – ihr blindes Thun zu einem zweckmässigen gemacht wird – zum Gegentheile ihrer selbst – vernünftiges Verhalten der Natur Gesetze in ihrem aüssern Daseyn.“ (12) Für Hegel war der Sinn der Natur also, unterworfen zu werden. Und einzig und allein dazu da, Tauschwert zu werden. (13)

Bei einem anderen Wegbereiter der Aufklärung klingt das anders. F.W.J. Schelling ist nicht nur Verfasser der Freiheitsschrift, sondern auch einer Naturphilosophie. Anders als Kant oder Hegel belässt er den Menschen wie die Freiheit in der Natur. Das richtige Verhältnis zwischen Kultur und Natur wird bei Schelling als eine sich überlagernde Einheit von menschlichem Willen und Grund zur Natur gesehen. Der anthropomorphe und der „Universalwillen“ sind durch Bänder verbunden und müssen zusammengehalten werden. Das erstaunliche an Schelling ist, dass der Mensch vollkommen frei ist in seinen Entscheidungen: „das Band der Prinzipien in ihm ist kein notwendiges, sondern ein freies.“ „Er steht am Scheidepunkt; was er auch wähle, es wird seine Tat sein.“ Bewegt sich der Mensch aber aus dem Universalwillen heraus, um selbst die alleinige Macht über die Natur zu übernehmen, „so ist auch das Band der Kräfte gewichen; stattdessen desselben herrscht ein bloßer Partikularwille“ und die Menschen sind bedroht von „Unruhe und Verderbnis“. (14)

Schellings Überlegung – „Die Freiheit der organischen Natur in ihrer Hervorbringung zeigt sich in der Freiheit ihres Vor- und Zurückgehens“ (15) – kann als erster Grundsatz für einen utopischen Raum, eine Inspiration für eine andere Zeit und Art als Teil der Natur zu leben, angesehen werden. Vielleicht liegt hier ein entscheidender Hinweis: dass wir für eine andere als eine dystopische Zukunft ein anderes Zeitverständnis brauchen. Damit ist nicht der postmoderne Versuch gemeint, die Zeit so in Schleifen zu führen, dass am Ende nur die Stile zirkulieren. Und das Geld. Schelling beschrieb es vielmehr so: die Natur kann eine „Bewegung abbrechen und unter das Erreichte zurückgehen“ und sie „aufs neue anfangen“. (16)

Was nach Vision klingt ist an deutschen Gerichten schon Realität: Vor dem Oberverwaltungsgericht in Mannheim beantwortete ein Richter meine Frage, wann ein Mischgebiet kein Mischgebiet mehr ist, damit, dass man das erst abschließend wüsste, wenn es tatsächlich weg ist.


(1) Papst Franziskus: Laudato si. Über die Sorge für das Gemeinsame Haus. Rom 2015.
(2) „As an architect, you explore the concept of building. Building can be seen in very material and systematic terms because you build with bricks, concrete, steel, and windows. But in our view, building means first and foremost thinking.“
Anne Lacaton and Jean-Philippe Vassal in Conversation with Mathieu Wellner. In: Muck Petzet/Florian Heilmeyer (Hrsg.): Reduce, Reuse, Recycle: Ressource Architektur. Stuttgart 2012. Online unter >>>
(3) Siehe >>> (ab 57:30)
(4) Siehe >>>
(5) Immanuel Kant (1784): Was ist Aufklärung. Online unter >>>
(6) Peter Sloterdijk: Nach Gott. Berlin 2017, S. 12
(7) Harald Welzer und Bernd Sommer: „Transformation Design“, München 2017, S. 103
(8) Hans Immler (2018). Siehe >>>
(9) Juliet B. Schor: Wahrer Wohlstand. Mit weniger Arbeit besser leben. München 2016, S. 89
(10) Harald Welzer und Bernd Sommer: „Transformation Design“, München 2017, S. 104
(11) Ernst Ulrich von Weizäcker und Anders Wijkman, u.a.: Wir sind dran. München 2017, S. 110 u. 179
(12) G. W. F. Hegel: Jenenser Philosophie des Geistes. [1805/06], in: G. W. F. Hegel, Jenaer Realphilosophie, hrsg. v. Johannes Hoffmeister, Hamburg 1969, S. 206
(13) Hans Immler (2014): Nur die Natur produziert. Kassel, S. 77
(14) F.W.J. Schelling: Darstellung der Naturprozesse. In: Hans Immler (2014): Nur die Natur produziert. Kassel, S. 103
(15) ebd., S. 91
(16) ebd.