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Städte sind Meere aus Beton (Bild: Christian Wittmann, CC BY-NC 3.0)

Die Zukunft des Betons, Teil 1 | Beton ist in der Kritik – weil seinetwegen das Bauwesen einer der Hauptverursacher des Klimawandels ist. Zu den offensichtlichsten Problemen gehört die emissionsintensive Herstellung des Zements. Wer heute sein Berufsleben startet, sei es im Bereich Architektur oder Bauingenieurswesen, sieht sich herausgefordert, nach Alternativen zu suchen.

Teil 2 Das wird ziemlich knapp: Wie verantwortlich mit knappem Sand umgehen? >>>
Teil 3 Jetzt kommt’s drauf an: Im Entwurf werden die wesentlichen Entscheidungen getroffen >>>


Wir Bauschaffenden gehören zu den Hauptakteuren in der Klimakrise. Der leistungsfähige Bausektor der führenden Industriestaaten hilft zwar, einen lebenswerten Rahmen für das Leben der Menschen zu schaffen. Gleichzeitig erzeugt er aber von allen Branchen den meisten Müll, ist einer der ressourcenintensivsten Wirtschaftszweige und emittiert enorme Mengen an CO2 – ein Materialkrake. Reduziert ein durchschnittlicher Bauingenieur ein Jahr lang die CO2-Emissionen seiner geplanten Tragstrukturen um 20 Prozent, was durchaus als realistisch gilt, so müsste er, um Vergleichsbares im Privaten zu erreichen, 100 Jahre lang auf Fleisch, Fisch, Milchprodukte und Bier verzichten. (1)

Dieses Beispiel verdeutlicht, welches Potenzial unsere Arbeit im Kampf gegen den Klimawandel birgt, aber auch wie tiefgreifend unser heutiges Bauwesen auf dem Weg in eine umweltgerechte Zukunft transformiert werden muss. Alle Konventionen stehen auf dem Prüfstand – auch der Grundpfeiler des heutigen Bauens, der Stahlbeton. Gibt es für ihn einen Platz im klimaneutralen und ressourcenschonenden Bauen der Zukunft? Wo liegen seine Probleme, und wie können wir ihn weiterentwickeln? Brauchen wir ihn in 30 Jahren überhaupt noch? Könnten wir heute schon auf ihn verzichten?

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Der Bedarf an Infrastruktur, wie er in den OECD Staaten selbstverständlich ist – im Bild eine Brücke in Japan – wird in anderen Teilen der Welt steigen. (Bild: pxhere, CC0 1.0)

Zumindest nach jetzigem Kenntnisstand lässt er sich nicht vollständig ersetzen. Er ist robust, einfach zu verarbeiten, und in Kombination mit den geringen Materialkosten macht ihn das unverzichtbar für Ingenieurbauwerke wie Brücken, Staudämme oder Tunnel. Viel wichtiger aber: 90 Prozent der globalen Zementproduktion finden heute und ihn Zukunft außerhalb der OECD-Staaten statt, wo der enorme Hunger sich entwickelnder Länder nach Infrastruktur gestillt werden muss. Hier bildet Beton eine wichtige Grundlage für ein besseres Leben. Deswegen gilt es, seine Schwachstellen unvoreingenommen aufzuarbeiten und Verbesserungen so anzugehen, dass sie auch außerhalb der OECD-Staaten greifen. Nur dann können wir den mächtigsten Klimahebel der globalen Bauwirtschaft tatsächlich nutzen.

Zement als Klimatreiber

Die Zementproduktion ist für den Großteil der CO2-Emissionen des Betons verantwortlich und mit einem Anteil an den weltweiten Gesamtemissionen von etwa 8 Prozent ein fast dreifach so starker Klimatreiber wie der Flugverkehr – mit steigender Tendenz. Wahrlich ein schlechtes Zeugnis einer Branche, die auf eine ungebrochene Nachfrage immer mit massenhafter, billiger Produktion antworten konnte, sich nun aber angesichts der drängenden Klimafrage gleich mit mehreren existenziellen Problemen konfrontiert sieht. Da wäre zum Beispiel die drohende Preisexplosion ihres Produkts im Falle einer umweltgerechten CO2-Besteuerung. Aber auch der wachsende Imageverlust von Beton und Zement machen der Branche zu schaffen. Eine Perspektive zum emissionsarmen und tatsächlich zirkulären Bauen kann sie momentan nicht bieten.

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Zementwerk Lichtenberg, Berlin (Bild: Ansgar Koreng, Flickr, CCO BY 2.0)

Die Reaktion der Zementindustrie ist eloquent. Auf den Webseiten der Hersteller sind professionell gestaltete Nachhaltigkeitsberichte zu finden. Sie erzählen von den Erfolgen der vergangenen Jahre und den kühnen Netto-Null Plänen bis 2050. Einen solchen Plan hat unter dem Titel „Dekarbonisierung von Zement und Beton – Minderungspfade und Handlungsstrategien“ auch der Verein Deutscher Zementwerke (VDZ) vorgelegt. (2) Der Bericht liest sich differenzierter als die Nachhaltigkeitsberichte der Hersteller, spricht auch Probleme auf dem Weg zur Klimaneutralität an und nimmt Politik und Konsumenten in die Verantwortung – schließlich kann klimaneutraler Zement nur entwickelt werden, wenn es einen Markt für ihn gibt und sich dessen Akteure an den Kosten beteiligen.

Laut VDZ können die CO2-Emissionen von Beton mit den heute verfügbaren Technologien bis 2050 um etwa ein Drittel gesenkt werden. Die Einsparung der restlichen zwei Drittel ist demnach nur mit bisher nicht marktreifen Technologien (Breakthrough-Technologien) möglich. Wir wollen zuerst fragen, wie wir unsere Betone schon heute klimafreundlicher machen können und  dann danach, wie realistisch eine Klimaneutralität bis 2050 mit Breakthrough-Technologien ist.

Beton heute schon besser machen

Zementherstellung

Bei der Herstellung eines herkömmlichen Portlandzements (CEM I, Klinkeranteil 100 Prozent) in Deutschland entstehen pro Tonne Zement etwa 700-950 Kilogramm CO2. Etwa ein Drittel davon sind sogenannte energiebedingte Emissionen. Sie resultieren hauptsächlich aus dem Betrieb des Brennofens für die Klinkerherstellung, aber auch aus der Förderung, Verarbeitung und dem Transport der Rohmaterialien. Die restlichen zwei Drittel bezeichnet man als prozessbedingte Emissionen, sie entstehen während der chemischen Reaktion im Brennofen, wo bei sehr hohen Temperaturen Kalkstein (CaCO3) zu Branntkalk (CaO) entsäuert wird.

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CO2-Roadmap vom Verein deutscher Zementhersteller: Szenario Klimaneutralität (Bild: VDZ)

Weil der Energiebedarf der Zementherstellung eng mit den Herstellungskosten verknüpft ist, haben die Hersteller den Prozess in den letzten Jahrzehnten bis an seine Grenzen optimiert. Die CO2-Emissionen kann man mit heutigen Mitteln nur senken, wenn Zemente mit niedrigem Klinkeranteil produziert werden, in denen der Klinker durch ungebrannte oder bei niedrigeren Temperaturen hergestellte Zuschlagstoffe ersetzt wird. Außerdem ist die Wahl des Brennstoffes für den Drehofen für die Klimabilanz wichtig, denn der ist für 90 Prozent der benötigten Energie verantwortlich. Heute werden bis zu 70 Prozent der Brennstoffe durch Abfallprodukte wie Altreifen, Altöl oder Klärschlamm abgedeckt. Die Zementindustrie spart hierdurch fossile Brennstoffe ein und kann die eigene Bilanz aufpolieren, da gemäß dem Verursacherprinzip Emissionen aus der Abfallverbrennung nicht auf die Zementherstellung angerechnet werden. Solange ausreichend geeigneter Abfall verbrannt werden muss, lässt sich dieses Vorgehen rechtfertigen. Doch nimmt man das Ziel ernst, die Bauwirtschaft zirkulär und klimaneutral zu machen, muss absehbar vollständig auf Ökostrom und Wasserstoff umgestellt werden.

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Blick in den Drehrohrofen mit Klinker (Bild: DLR, CCO BY 3.0)

Weitaus mehr können wir mit heutigen Mitteln dadurch erreichen, dass die prozessbedingten Emissionen aus der Klinkerherstellung reduziert werden. Weil der benötigte Branntkalk (CaO) in der Natur sehr selten vorkommt, muss er in der Regel aus Kalkstein (CaCO3) gewonnen werden, wobei große Mengen CO2 frei werden. Dagegen hilft nur, so viel Klinker wie möglich durch andere Stoffe zu ersetzen. Weil der Klinker als reaktiver Anteil dem Zement günstigen Eigenschaften verleiht, müssen Entwerfende bei Zementen mit niedrigeren Klinkergehalten mehr Sorgfalt walten lassen, sei es bei der Planung des Bauablaufs wegen längerer Erhärtungszeiten, sei es bei der Wahl einer passenden Zementart für die gegebene Expositionsklasse.

Im Laufe der letzen Jahre wurde der durchschnittliche Klinker/Zement-Faktor in Deutschland sukzessive gesenkt, er liegt derzeit bei 71 Prozent. Während die wichtigen Klinkersubstitute Hüttensand (Stahlproduktion) und Flugasche (Kohlekraftwerke) als Nebenprodukte fossiler Industrien in Zukunft wegfallen könnten, stehen bereits neue zur Verfügung, die beispielsweise auf natürliche Zusatzstoffe wie gemahlenen Kalkstein oder kalzinierten Ton setzen und Klinkergehalte bis 65 Prozent ermöglichen. Vor der Markteinführung stehen effizientere Zementmischungen wie der CEM II/C, der bei einem Klinkergehalt von 50 Prozent für fast alle baupraktischen Anwendungen geeignet ist, und der etwas weniger dauerhafte CEM VI mit 35 Prozent Klinkergehalt.

Planen mit Beton

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Es müssen nicht alle Stützen und Träger gleich dimensioniert sein. Sorgfältige Planung kann helfen, Material einzusparen. (Bild: pxhere, CC0 1.0)

Genauso wie den Klinker/Zement-Faktor kann man den Beton entlang seiner gesamten Wertschöpfungskette auf die Probe stellen. Dabei lassen sich zahlreiche Verbesserungsmöglichkeiten ausmachen. Im nächsten Schritt kommt man zum Zement/Beton-Faktor – laut Studien sind heute schon deutlich niedrigere Zementgehalte möglich, als unsere Normen zulassen. Weiter geht es mit dem Beton/Bauteil-Faktor – oft sind unsere Bauteile stark überbemessen, was wirtschaftlich sein kann, oft aber auch der Bequemlichkeit geschuldet ist: Alle Stützen werden einfach so gebaut wie die am meisten belastete, und auf der Baustelle gießt man die Decke zur Sicherheit noch zwei Zentimeter dicker. In der Zukunft müssen wir aber mit Materialmengen wieder verantwortungsvoller umgehen. Der letzte kritische Faktor ist der Anteil von Betonbauteilen im Bauwerk. Es gibt unzählige Beispiele von Bauteilen, für die Beton einfach nicht nötig ist. Warum bauen wir nichttragende Wände aus Beton? Das ist so, als dürften Zahnbürsten nur noch aus verzinktem Stahl sein. Wir als Planer können also bereits heute mit unseren Entscheidungen einen enormen Beitrag leisten. Das der VDZ mit heutigen Mitteln bis 2050 nur eine CO2-Ersparnis von circa einem Drittel erwartet, mag in Anbetracht der heutigen Planungsmentalität nachvollziehbar sein. Doch das Einsparpotenzial ist größer: Wir schätzen, dass mit heutigen Mitteln und intelligenter Planung die CO2-Emissionen bereits halbiert werden können.


Kann Beton wirklich klimaneutral werden?


Doch selbst dann muss bis zu Klimaneutralität des Baustoffs auch die andere Hälfte eingespart werden. Hier müssen wir auf die Entwicklung und Förderung von Zukunftstechnologien durch Industrie und Politik hoffen.

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In Zukunft kann der Klinker/Zement-Faktor durch klinkereffiziente Zemente noch weiter gesenkt werden (Bild: VDZ)

Auf der Materialseite haben wir oben mit den neuartigen Zementen CEM II/C und CEM VI bereits zwei marktreife Zukunftstechnologien vorgestellt. Darüber hinaus gibt es immer wieder Forschungsinstitutionen und Firmen, die mit neuartigen, klinkerfreien Bindemitteln den Beton revolutionieren wollen, so etwa mit aluminiumbasierten CSA-Zementen. Bezogen auf die CO2-Emissionen können diese Bindemittel den heutigen Beton zwar deutlich verbessern, sie stellen aber aufgrund ihrer beschränkten Verfügbarkeit im globalen Maßstab keine echte Alternative dar. (3)

Als letzte Hoffnung auf die tatsächliche Klimaneutralität bleibt eine Zukunftstechnologie, auf die auch gewichtige Branchen wie die Chemie- und Stahlindustrie setzen: Carbon Capture. Hierbei werden die nicht vermeidbaren CO2-Emissionen während des Produktionsprozesses aufgefangen und entweder dauerhaft gelagert (CCS – Carbon Capture and Storage) oder als Rohstoff anderen Industriezweigen zur Verfügung gestellt (CCU – Carbon Capture and Utilization). Am vielversprechendsten erscheint zunächst CCS, die dauerhafte Einlagerung von CO2. Im ICC special report von 2005 wird die technische Machbarkeit der großflächigen Einlagerung von CO2 in unterirrdische Öl-, Gas- und Salzformationen bestätigt. Es stehe außerdem ein ausreichendes Volumen dafür zur Verfügung.

Auch CCU birgt interessante Zukunftspotenziale. Momentan gibt es zwar, so der VDZ-Bericht, noch keine Industrie, die entsprechend große Mengen CO2 abnehmen könnte, aber vielversprechende Ansätze wie die Mineralisierung werden bereits entwickelt. Hierbei wird aus der Betonproduktion abgeschiedenes CO2 in einem späteren Produktionsschritt wieder in den Beton eingebracht und dauerhaft gespeichert. Die Firma Soldia injiziert beispielsweise während des Aushärtens erfolgreich CO2 in den Beton. Da so da alkalisches Milieu, das den Bewehrungsstahl vor Korrosion schützt, verloren geht, ist dies nur für nicht-korrosive Bewehrung und unbewehrte Bauteile geeignet.

Beide Methoden eint allerdings ein Problem: die fehlende Infrastruktur. Tatsächlich wird in der Zementindustrie noch daran gearbeitet, wie CO2 im Ofen wirtschaftlich isoliert und abgeschieden werden kann; Heidelberg Cement testet dies in einem Versuchswerk in Norwegen. Außerdem birgt Carbon Capture ein Energieproblem, denn laut VDZ-Bericht würde sich der Strombedarf je Tonne Klinker etwa verdoppeln, was nicht nur einen großen zusätzlichen Bedarf an Ökostrom, sondern auch höhere Herstellungskosten mit sich bringt. Damit kommt eine weitere, nicht marktreife Technologie ins Spiel, die ebenfalls neuer Infrastruktur bedarf: Wasserstoff als Energieträger. So verführerisch die Idee vom klimaneutralen Beton durch CO2-Abscheidung ist – momentan scheint der Weg dorthin noch weit. Die grundsätzliche technische Machbarkeit ist zwar geklärt, aber wie lange dauert es, die nötigen Pipelines und Zwischenspeicher zu bauen? Wer baut, pflegt und bezahlt sie? Und lässt sich das Konzept auch auf weniger entwickelte Länder oder Riesen wie China anwenden, das mehr als zwanzig Mal soviel Zement wie die USA produziert? Der VDZ-Bericht lässt Konkretes hierzu vermissen, und auch die deutsche Politik hat Carbon Capture zwar in Ihren Parteiprogrammen verankert, eine seriöse Beschäftigung mit dieser Technologie ist aber nicht in Sicht. Bleibt nur zu hoffen, dass der vielzitierte Exportweltmeister seiner Vorreiterfunktion im Kampf gegen den Klimawandel  doch noch gerecht wird. Das wäre durchaus im eigenen – auch wirtschaftlichen Interesse. Denn sobald der Klimawandel auch weltweit in den Fokus rückt, wird die Nachfrage nach entsprechender Technologie groß sein. Worauf wird also noch gewartet?


Der zweiten Teil zur Zukunft des Betons behandelt das Ressourcenproblem des Betons: der massenhafte Verbrauch spezieller Sande. Das wird ziemlich knapp >>>


(1) How to calculate embodied carbon – Verständliche Zusammenfassung zum Thema Lebenszyklusanalyse von Gebäuden und Bauteilen unter >>>
(2) Dekarbonisierung von Zement und Beton – Minderungspfade und Handlungsstrategien (Verein Deutscher Zementwerke e.V.) >>>
(3) Einen guten Überblick zu Zementalternativen gibt Karen Scrivener, eine der führenden Forscherinnen auf diesem Gebiet >>>

Literaturhinweise
A sustainable future for the European Cement und Concrete Industry – Technology assessment for full decarbonisation of the industry by 2050 (ETH Zürich) >>>
Klimaschutz in der Beton- und Zementindustrie – Hintergrund und Handlungsoptionen (WWF Deutschland) >>>