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Blick in die Ausstellung in Darmstadt. Bild: Ben Livne Weitzman

Max Bächer war Architekt, allgegenwärtiger Preisrichter bei Architekturwettbewerben, streitbarer Publizist und von 1964 bis 1994 Professor an der Technischen Hochschule Darmstadt. Sein Nachlass wurde von seinen Töchtern dem Deutschen Architekturmuseum übergeben. Im Rahmen eines neuen Forschungsverbunds, dem Center for Critical Studies in Architecture (CCSA), wurden Stichproben aus dem umfangreichen Material untersucht. Jetzt werden erste Ergebnisse an der TU Darmstadt präsentiert.

Sein Spitzname war „der große Vorsitzende“. Nicht nur, weil er bei 423 Architekturwettbewerben im Preisgericht saß und meistens den Vorsitz übernahm. Mao Tse-tung, ebenfalls „der große Vorsitzende“ genannt, der berüchtigte Anführer der kommunistischen Partei Chinas, war für Bächer zwar gewiss kein Vorbild. Aber auch Bächer stand eher links. Ab dem Protestjahr 1968 galt er an seiner Architekturfakultät als „roter Dekan“. Und er war ein glänzender Agitator in allen Architekturangelegenheiten. Streitend, schreibend, einen zusammengewürfelten Haufen von Sach- und Fachpreisrichtern dirigierend. Faire Architekturwettbewerbe zu fordern, war eines seiner Lieblingsthemen. Aber er konnte auch subtil an den Fäden eines Verfahrens ziehen, um Kollegen in Position zu bringen, deren Arbeit ihn mehr interessierte als die von anderen. Für Bächer war architektonische Kultur (von Baukultur sprach damals noch niemand) kein wertneutraler Moderationsprozess, bei dem alle Beteiligten in einen Endlosdialog eingesponnen werden, in der Hoffnung, irgendwann die Qualität zu heben. Er konnte schroff sein, belehrend, drohte mit dem Rückzug aus Gremien und zögerte nicht, konsequent zu sein.

Wie Bächer Netze knüpfte


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Modell Wettbewerbsentwurf Rathaus Fellbach, Ernst Gisel. (Bild: CCSA >>> )

Bächers Tätigkeit als Preisrichter zog sich über gut vierzig Jahre. Zwischen 1960 und 2010 änderten sich die Leitbilder in der Architektur mehr als ein Mal. Postmoderne, Nachhaltigkeit, Sensibilität für den Kontext, Stadtumbau nach 1989: Bächers Nachlass wirft die Frage auf, wie diese Umwälzungen in der zunächst west-, später gesamtdeutschen Architekturszene bearbeitet wurden. Seine Unterlagen sind ein Festschmaus für die Analyse von Netzwerken. Dazu ein Beispiel, eigentlich ein Zufallstreffer, ausgewählt nach der Sichtung einer Box mit Briefen, es sind etwa 1000 Seiten. Es gibt vier solcher Boxen mit „Korrespondenz, diverses“, insgesamt umfasst der Nachlass nun über 300 Boxen mit Schriftgut sowie etliche Mappen mit Architekturzeichnungen. In der „Korrespondenz, diverses“ also fand sich ein handschriftlicher Brief von Max Bächer an den Züricher Architekten Ernst Gisel. Datiert mit 7. Juli 1979, ist das Schreiben zwölf Seiten lang, in denen der Preisgerichtsvorsitzende Bächer dem Wettbewerbsgewinner Gisel eindringlich schildert, welche Probleme in der Jury erörtert wurden. Es geht um den Neubau des Rathauses von Fellbach, einer Stadt im Einzugsbereich von Stuttgart mit damals etwa 40.000 Einwohnern. Bächer gibt Gisel eine Art Liste mit auf den Weg, wie der Entwurf nun zu verändern sei. Das bereits ist ungewöhnlich, denn normalerweise wird Derartiges im Protokoll formuliert. Gräbt man sich aber tiefer hinein und öffnet eine weitere Box mit etwa 200 Seiten zum Verfahren in Fellbach, dann wird deutlich, warum Bächer sich so stark engagiert. Er selbst war es, der Gisel, den Erstplatzierten, als Teilnehmer ins Spiel gebrachte hatte!

Ursprünglich sollte der Rathaus-Wettbewerb, wie damals üblich, nur für Architekten im Einzugsbereich der zuständigen Architektenkammer offen sein, also für Büros aus Baden-Württemberg. Doch Bächer konnte im Vorfeld den Bürgermeister überzeugen, weitere Teilnehmer hinzuzuladen. Die Liste umfasst ein Who-is-Who einer damals neuen Tendenz-Gruppe in der Gegenwartsarchitektur: Oswald Mathias Ungers, Hans Hollein, Ernst Gisel, Josef Lackner und Alexander von Branca. Einige sagten ab. Gisel jedoch verfehlte nicht Bächers Erwartungen, der sich zudem einen Freund und Gleichgesinnten in die Jury geholt hatte, den Schweizer Architekten und Bildhauer Walter M. Förderer,  seinerzeit Professor in Karlsruhe.

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Ausstellung Max Bächer – 50 Meter Archiv, TU Darmstadt, Fachbereich Architektur, bis zum 3. Februar. (Bild: Leonie Lube und Marius Wolf)

50 Meter in Darmstadt

Das Rathaus in Fellbach wurde schließlich, nach langen und starken Bürgerprotesten und einigen öffentlichen Auftritten Bächers, im Jahr 1986 eingeweiht und steht seit 2014 unter Denkmalschutz. Die intensive Sichtung der Unterlagen in Bächers Nachlass erfolgte durch Studierende der Kunstgeschichte, der Curatorial Studies und der Architektur. Das Archivseminar fand im Rahmen des CCSA statt, zu dem sich das Deutsche Architekturmuseum, das Kunsthistorische Institut der Goethe-Universität (beide Frankfurt) und der Fachbereich Architektur der TU Darmstadt zusammengeschlossen haben. Die Studierenden entwickelten aus ihren Funden eine Ausstellung, die in einem Workshop mit Nina Beitzen vom Berliner Architekturbüro Kuehn Malvezzi konzipiert und nun rings um die „Kuhle“ im brutalistischen Architekturgebäude auf dem Campus Lichtwiese in Darmstadt umgesetzt wurde. Die Auszüge aus Bächers Nachlass sind entlang der Betonbrüstung präsentiert, wodurch ein 50 Meter langes, bedrucktes Band entsteht. Daher der Ausstellungstitel: „50 Meter Archiv“. Außerdem programmierten die Studierenden eine Website.

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Max Bächer, Haus Luz, 1958. (Bild: CCSA >>> )

Zu einem Symposion des CCSA wurden parallel zur Ausstellungseröffnung Wissenschaftler/innen eingeladen, die sich mit ähnlichen Fragen beschäftigen, die auch der Nachlass von Max Bächer aufwirft. Es ging um Fragen des Wettbewerbswesens und der Bildung von Netzwerken. Das Ziel besteht darin, Bächers Werk und Wirken für die Wissenschaft zu erschließen. Das klingt selbstverständlich, denn was sonst sollte ein Museum wie das DAM mit seinen Beständen tun, als sie auszustellen und der Forschung zu öffnen?

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Max Bächer, Haus Huber, 1982. (Bild: CCSA >>> )

Ungewöhnlich ist aber, den Schritt in die Öffentlichkeit zu einem so frühen Zeitpunkt zu gehen, also nicht damit zu warten, bis irgendwann aus den Archivbeständen eine gewichtige Dissertation destilliert wurde. Stattdessen sollen die Probebohrungen Anschlusspunkte für ein breites Spektrum an Wissenschaftlern bieten, zumal Bächer international nicht so bekannt ist wie unter den deutschen Architekten jener Generation, die sich langsam in den Ruhestand verabschiedet.

Bächers Manöver in Fellbach sollen nicht den Eindruck erwecken, es sei immer hinter den Kulissen geschoben worden. Doch ist es notwendig, sich die Fülle von Varianten im Wettbewerbssystem anzusehen, abzuwägen und schließlich zu Bewertungen zu gelangen. In der Ausstellung werden noch zwei andere Beispiele präsentiert, die Wettbewerbe zum Deutschen Historischen Museum in Berlin (1988) und zum Potsdamer Platz (1992). Beim Potsdamer Platz agiert Bächer ganz anders als in Fellbach. Hier kämpft er für ein Setting, dass es dem großen Kreis der Preisrichter erlaubt, effektiv durch die Sitzung zu kommen. Aufgrund früherer Erfahrungen entwickelt er ein Karussell, eine Art Drehbühne, auf deren rotierenden Stellwänden die Pläne ohne Umbaupausen präsentiert werden können, ohne dass das Preisgericht seine Sitzplätze verlassen muss.


Bächers Interesse für Speer


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Max Bächer, Kleiner Schlossplatz, Treppe, Aufnahme von 1968. (Bild: CCSA >>> )

Doch es geht nicht nur um Wettbewerbe. Anhand von drei Projekten wird Max Bächer auch als Architekt vorgestellt: Zu sehen sind die Häuser Luz (1958) und Huber (1982) sowie der Kleine Schlossplatz in Stuttgart, für den er 1965 den Wettbewerb gemeinsam mit Kammerer und Belz gewinnt.
Ein weiteres Kapitel ist Bächers intensiver Beschäftigung mit der Architektur des Faschismus gewidmet. Hier haben die Studierenden einen Fund machen können, der die Züge eines Kammerspiels oder eines Psychogramms trägt. Nachdem Bächer sich zunächst vergeblich darum bemüht, Albert Speer treffen zu können, der 1966 aus dem Gefängnis entlassen wurde, kommt es schließlich 1973 zu einem Besuch in Heidelberg, den Bächer in einem minutiösen Protokoll festhält. Er bemüht sich, wie er selbst schreibt, eine „kollegiale“ Gesprächsebene herzustellen, scheitert aber an Speers abweisender Haltung. Als einige Jahre später Speer einen Prachtband mit seinen Architekturzeichnungen der NS-Jahre herausgibt, wendet sich Bächer entsetzt ab und bricht mit Speer in einem offenen Brief. Dieses Schreiben verfasst er mit großem Aufwand. Von keinem anderen Schriftstück des Nachlasses sind bisher so viele Vorfassungen aufgefunden worden.

Nachdem der Bächer-Nachlass zunächst auf der Projektebene durch die freie Kuratorin Sunna Gailhofer bearbeitet wurde, die für das DAM bereits eine Ausstellung über das Büro ABB-Architekten entwickelt hat, steht das Material nun für die weitere Forschung offen. Das CCSA ist ein permanenter Arbeitsverbund, aber die Verbindungen des DAM zur Wissenschaft sind vielfältig und offen für neue, gemeinsame Projekte.


Max Bächer – 50 Meter Archiv. Eine Ausstellung von Studierenden. Fachbereich Architektur der Technischen Universität Darmstadt, bis zum 3. Februar. Weitere Information >>>
Der Autor dankt den Studierenden Christina Armanious, Iskender Caliskan, Leonardo Costadura, Jennifer Dyck, Nicole Fecher, Jule Försch, Jessica Girschik, Hilla Nienke Griesemann, Anastasia Gugushvili, Sarah Heuberger, Kiumars Kazerani, Anne Konopka, Anna Lazaridi, Ekaterina Meisner, Hendrike Nagel, Clara Nicolay, Paula Pohle, Arne Udo Schneider, Andrea Strehl, Isabelle Emilie Tondre, Maximilian Wahlich, Alessia Weckenmann, Ben Livne Weitzman, Sandra Zaitsev, Borui Zhang, Nan Zhao.
Ein besonderer Dank gilt der Koordinatorin des Seminars und der CCSA-Tagung zu Max Bächer, Frederike Lausch, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Goethe-Universität Frankfurt und der TU Darmstadt