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Was machen die da eigentlich?


Wie erklärt man und erzählt man, was Architekten tun, warum sie es tun, welchen Zwängen sie unterliegen und welchen Idealen sie nacheifern? Wir stellen zwei Bücher vor, die sich diesen Fragen auf verschiedene Wiese nähern: auf wissenschaftliche und auf literarische.

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Ralf Liptau: Architekturen bilden. Das Modell in Entwurfsprozessen der Nachkriegsmoderne
236 Seiten, 77 s/w-Abbildungen, kartoniert, 34,99 Euro
Transcript, Bielefeld, 2019
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Mit seinem Buch hat Ralf Liptau einen überzeugenden Zugang zu verschiedenen Spielarten und Richtungen der Nachkriegsmoderne geöffnet. „Die Moderne war kein Stil“, so beginnt er seine Ausführungen, in denen er zeigt, wie das Modell in der Moderne eine neue Rolle zugewiesen bekam. Oder besser gesagt: das Modell und das neue Verständnis von Architektur der Moderne gehen Hand in Hand, das eine ist ohne das andere nicht zu denken. Die Moderne, so ist der Ausgangspunkt von Liptaus Argumentation, löst sich von der Verwurzelung in der Tradition, der Schaffensprozess wird zu einem, der auf Neues zielt und der dem Entwurfsprozess daher eine andere Aufmerksamkeit widmet. Um das Neue wiederum sichtbar zu machen und überhaupt architektonisch formulieren zu können, um es auch selbst im Entwurfsfortschritt als Arbeitshypothese formulieren zu können, wird das Modell herangezogen, das entsprechend im Gegensatz zu anderen Epochen weniger der Veranschaulichung des fertigen Entwurfs dient, sondern als Arbeitsmodell eine neue Karriere macht.

Dabei ist ein zweiter Punkt wichtig, der die neue Bedeutung des Modells erklärt: In der Moderne wird Architektur überwiegend objekthaft verstanden – als freigestellter Körper, dessen Ansichten weniger hierarchisch, sondern als annähernd gleichwertig verstanden werden. Erstaunlich in der umsichtigen und gut nachvollziehbaren Gedankengang Liptaus, dass in diesem Zusammenhang nicht auf die Rolle der Mobilität eingegangen wird, die mit der Moderne eine Dimension bekam, die das Auto breiten Schichten zugänglich machte und damit die neue Raum- und Stadtwahrnehmung maßgeblich mit prägte – auch die Faszination des Fliegens und der nun möglichen der Wahrnehmung von Architektur aus der Luft spielt dabei eine Rolle.

Wie die Architektur letztlich aussieht, ist mit der Prozessorientierung  freilich noch nicht gesagt – auch noch nicht, wie das Modell dafür eingesetzt wird, eine Lösung für eine Entwurfsaufgabe zu finden. Die Stärke von Liptaus Argumentation zeigt sich darin, dass er die verschiedenen Wege, das Modell einzusetzen und die verschiedenen Ergebnisse, die daraus entstehen, schlüssig über das Medium Modell zusammenbinden kann. Das Testen, das künstlerische Entwickeln der Form, das Abwägen von Alternativen nach strenger Methodik, all diese Möglichkeiten, werden erläutert und vorgestellt. Der skulpturale Ansatz etwa von Rolf Gutbrod, der experimentelle wie bei Frei Otto, der strukturalistische Ansatz, der die verschiedenen Anordnungen eines Grundmoduls gegeneinander abwägt, die großen Montagebauten, die Häuser wie überdimensionierte Stecksysteme erscheinen lassen und das Arbeiten mit vorgefertigten Teilen als Ausdrucksform zelebrieren – all dies lässt sich über das Modell herleiten und nachvollziehbar machen. Dabei wird sowohl die städtebauliche Konfiguration als auch die Entwicklung eines Details berücksichtigt – von Entwürfen der Neuen Heimat für große Wohnkomplexe bis zu den Test von der Lichtwirkung neuer Fassadenmodule, mitunter bis in den Maßstab 1:1.

Liptau konzentriert sich in seiner Darstellung auf die Nachkriegsmoderne, weil sie von de erste Generation von Architekten getragen wird, die bereits in der Ausbildung mit der neune Idee von Architektur vertraut gemacht wurden und daher mit der Sicht auf Architektur als Skulptur, mit den industriellen Möglichkeiten der Vorfertigung, mit der Orientierung an naturwissenschaftlichen Methoden bereits von Anbeginn ihrer Karriere vertraut gemacht wurden. Mit den 1970ern, der Postmoderne und der damit einsetzenden Bezugnahme auf die Architekturgeschichte und die zeichenhaften Elemente von Architektur setzt dann eine andere Entwicklung ein.



1949_KF_spinnen

Burkhard Spinnen: Zwölf Aufsätze über Architektur, Leben und Wohnen.
128 Seiten, 12 Abbildungen, 21 x 13 cm, Softcover, 28, 00 €
DOM Publishers, Berlin, 2019
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Burkhard Spinnen ist weder Architekt noch Planer, auch kein Kunsthistoriker – er ist Schriftsteller. Zwölf seiner Vorträge über Architektur und Stadt, die er zwischen 2006 und 2017 gehalten hat, sind in diesem Buch vereint, Spinnen hat sie ausgewählt, überarbeitet, aktualisiert. Sein Blickwinkel, so im Klappentext der Vorstand des BDA Münster-Münsterland, der die Publikation unterstützte, „entlarve viele Denkfaulheiten, Marotten und Plattitüden, die uns immer wieder begegnen und leider kaum noch hinterfragt werden.“ Das stimmt bei einigen der Texte von Spinnen, die er mal in eine fiktive Erzählung über die Entwicklung einer Stadt, mal in eine essayistische Form kleidet, mal im Zusammenhang der eigenen Biografie kleidet.

Diese letzte Art der Texte, mag sich auch als die authentischste erscheinen, ist die schwächste, sie kommt oft kaum über die Beschreibung persönlicher Vorlieben hinaus, deren Verallgemeinerungswert angesichts fehlenden Wissens in einer oberflächlichen Beurteilung mündet, die kaum mehr Neues bietet. Die Freude am ach so lebendigen 19. Jahrhundert in Ehren, aber diese Architektur darf auch von einem Fachfremden als Teil eines durchökonomisierten Baubetriebs benannt werden, gerade wenn er die Ökonomisierung von heute kritisiert; dass Loos nicht das Motto „Ornament ist Verbrechen“ hatte, sondern von Ornament und Verbrechen, also dem Ornament als Verbrechen schrieb, sollte man wissen, wenn man sich solcher Zitate bedient.

Andere Beiträge sind dann erhellender und sie können Architekten wie Nichtarchitekten darüber aufklären, wie wenig gewonnen ist, den Versprechungen aktueller Moden zu glauben – darunter ist auch die Renaissance der Innenstädte ebenso wie der Lifestyle Schick der weißen Kuben, das marketing getriebene Feiern geschichtlicher Referenzen ebenso wie die Sucht nach Aufmerksamkeit. Und so wird Bielefeld als Ort vermeintlicher Mittelmäßigkeit zu der Stadt, in der man mehr als anderswo übers Leben lernen kann, wird das Schmalzbrotessen an Münsters Hansetafel zu einem Fest, das mehr über Demokratie erzählt, als es Weinfeste, Kunsthandwerks- oder Weihnachstmärkte tun, die ohnehin nur dafür sorgen, dass der Konsum auch außerhalb von Ladenschlusszeiten weitergehen kann. Die Themen sind breit gestreut: Schrumpfende Orte, neue Ruinen, die engen Beziehungen zwischen Stadtraum, Wohnen und sozialer Gemeinschaft,  Smart Homes und Heimat, Spinnen beobachtet sehr genau, manchmal freilich schon ein wening altväterlich voreingenommen, früher war es doch auch nicht schlecht. Dort aber, wo Spinnen zweifelt und fragt, wo er sich um eigene Antworten, um Alternativen zu den von ihm selbst kritisierten Entwicklungen bemüht, anstatt zu postulieren, ist er am stärksten. Gut lesbar geschrieben sind seine Texte ohnehin und wenn sie zum Widerspruch herausfordern – um so besser. Genau das sollen sie ja.