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Holzbestand erhalten, transformieren


Holz war schon ein wichtiges Baumaterial als man mit Worten wie „klimaneutral“ nichts anzufangen wusste: vielfach gestaltbar, nachwachsend, mit geringem Enerergieaufwand für das Bauen zu nutzen. Heute heißt verantwortungsvolles Bauen nicht nur, Bestand zu erhalten und mit Holz zu bauen, sondern auch, bestehende Holzbauten zu sanieren, umzunutzen, anzupassen. Wir zeigen drei Beispiele, wie das gelingen kann: In Kressbronn am Bodensee, in Eglharting bei München und in Utting am Ammersee
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Neue Schulungsräume in alter Hütte – deren Holztragwerk nicht geändert wurde. (Bild: Florian Holzherr)

Schiffshütte am Ammersee

1905 am Ammersee für den traditionsreichen Augsburger Segelclub errichtet, ist die Schiffshütte bis heute ein für den Verein wichtiges Gebäude. Als nach Räumen für die Schulungen der Jungsegler gesucht wurde, und man einen Neubau ausgeschlossen hatte, kam die Schiffshütte ins Gespräch. Zwei Architekten wurden von Mitgliedern des Segelclubs angesprochen, einen Vorschlag für den Umbau der Schiffshütte zu machen; Fabian Wagner, selbst Segler, konnte mit seinem Entwurf die Clubmitglieder überzeugen. Die ursprüngliche Substanz sollte nicht angetastet werden – daran hat sich das Buero Wagner gehalten. Wohl aber durften die später erfolgten Umbauten revidiert werden – diese Chance haben die Architekten genutzt. Die ursprüngliche und unverändert gebliebene Tragkonstruktion wurde wieder sichtbar, Raum gewonnen, um ein „Haus im Haus“ Konzept umzusetzen. Teile der bisherigen Nutzung als Bootshaus und Lager geblieben sind, doch im Obergeschoss auf etwa der Hälfte der Grundfläche das neue Volumen mit einer schmalen Galerie zur Halle hin eingesetzt werden, ohne den Raumeindruck der Halle im Ganzen zu beeinträchtigen.
Der neue Schulungsraum, der sich mit einer Faltwand in zwei Räume teilen lässt, zeichnet das Volumen des Bestandes nach; die Oberflächen des Raums und die dort verlaufenden Balken der alten Konstruktion sind mit Seekiefer bekleidet; als Bodenbelag wurde Gussasphalt gewählt. Nach innen, zum Lager hin wurde seine Stirnseite über die gesamte Raumhöhe mit Profilglas geschlossen, die Fensteröffnungen an der Giebelwand mit dem Blick auf den Ammersee sind die des ursprünglichen Zustands.

Auf eine chemische Behandlung der Materialien wurde verzichtet, der Einbau so organisiert, dass auch spätere Umnutzungen möglich sind, ohne das historische Gebäude zu beeinträchtigen. Der Kontrast zwischen dem neuen, flächig-ruhigen Raum und dem alten Tragwerk sorgen dafür, dass das eine nicht in Konkurrenz zum anderen tritt.
Ein kleine Raumbox mit Nebenräumen wurde mit Biolasur auf Wasserbasis behandelter Seekiefer bekleidet, in ihr liegt das aus Brandschutzgründen mit zementgebundenen Spanplatten verkleidete Treppenhaus, das man über eine neue Außentür auch direkt ohne den Umweg über die Halle erreichen kann, um nach oben in die Schulungsräume zu kommen. Die jungen Segler werden sich allerdings trotz aller Architektenkunst darauf freuen, wie wieder verlassen zu können – soll ihnen doch dort vor allem der Wunsch gestärkt werden, sich auf dem See mit der Kraft des Windes zu bewegen.



Schiffshütte mit Schulungsräumen, Eduard-Thöny-Straße 26, Utting a. Ammersee
Bauherr: Augsburger Seglerclub e.V.
Architekt: BUERO WAGNER, Fabian A. Wagner Architekt BDA
Team: Fabian A. Wagner, Sophia Eun Joo Pfeiffer, Maxi Wagner
Bauleitung: Mit Edwin Hoffmann Dipl. Ing. Architekt
Holzbauarbeiten: Gebrüder Meier GmbH & Co
Fotografie: Florian Holzherr
Größe: 120 qm
Fertigstellung: 2018

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Erlöserkirche in Eglharting

Freunden des Holzbaus muss man Julius Natterer nicht vorstellen. Anderen aber vielleicht doch. Natterer ist einer der bedeutendsten Protagonisten des modernen Holzbaus der Nachkriegszeit und wichtigster Autor des Holzbauatlas. Er entwickelte die Brettstapeltechnik, war Konstrukteur von Brücken, Hallen, Wohnhäusern. Und von Kirchen. Eine davon steht in Eglharting, im Osten Münchens. Sie ist in den letzten Jahren saniert worden, was nicht selbstverständlich war: die 1973 von Carl Theodor Horn in Zusammenarbeit mit Julius Natterer errichtete Kirche stand vor dem Abbruch; dem Engagement des örtlichen Kirchenpflegers, des Erzbischöflichen Ordinariats und des Architekturbüros Hirner und Riehl ist es zu verdanken, dass dies verhindert wurde. Erhebliche Wasserschäden am Dach und an der Fußbodenheizung hatten die Frage nach der Zukunft des Hauses dringend werden lassen.

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Erlöserkirche Eglharting vor der Sanierung mit Pyramidendach 1980. (Bild: Alois Wust)

Die früh nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil errichtete Kirche ist nach zwei Jahren Bauzeit in ihrer Klarheit und Präzision, in ihrer wunderbaren Lichtführung erhalten, oder besser gesagt wieder hergestellt: besonders das in den 1980er Jahren aufgesetzte Pyramidendach, damals als eine Reaktion auf das undichte Flachdach der Entstehungszeit, hat den eigentlichen Entwurfsgedanken in den Hintergrund gerückt – nun ist die Erlöserkirche wieder so zu sehen, wie sie ursprünglich gebaut worden war; die in einer unaufdringlichen Selbstverständlichkeit fein aufeinander abgestimmten Konstruktionsraster und sensibel ausgewählten Materialien (Terrakottafliesen, Kalkssandsteinwand, gebürstete Fichte) können nun weiterhin Besucher beeindrucken und Gottesdiensten dienen.

Eine große Herausforderung war es, das für die Entstehungszeit neuartige und für den Raumeindruck elementare, auf Stahlstützen ruhende Dachtragwerk zu sanieren. Es besteht aus 1,26 Metern hohe Brettschichtträgern, die als freitragendes Kassettentragwerk den 22 mal 22 Meter messenden und neun Meter hohen Innenraum überspannt. Risse im Knotenbereich der Träger mussten verpresst und mit Stahldübeln ertüchtigt werden, Spuren von Wasserschäden retuschiert werden. Die Schalung der Deckenuntersicht wurde, um dem Brandschutz zu gewährleisten, demontiert, aufbereitet und wieder verwendet. Neue Lichtkuppeln über den vier über dem Altar angeordneten Lichtzylindern sorgen dafür, dass die ursprüngliche Lichtdramaturgie wieder erlebt werden kann.

Ein neues Vordach aus Stahl entspricht so präzise dem bestehenden Gebäude, dass es kaum als neue Zutat auffällt, die Gemeinde hatte sich dies als Wetterschutz für den Aufenthalt für das beiläufige Gespräch vor und nach dem Gottesdienst gewünscht, die Architekten konnten sich mit ihrem Anliegen durchsetzen, die Eingangskuben aus Sichtbeton zu erhalten. So ist die sanierte Kirche zum Glücksfall für alle geworden. Für die Gemeinde wie für die Freunde der Nachkriegsmoderne und des Holzbaus.


Sanierung Erlöserkirche Eglharting, Graf-Ulrich-Straße 24, 85614 Kirchseeon
Bauherr: Kath. Pfarramt St. Joseph
Architekten Sanierung: hirner & riehl architekten stadtplaner bda
Fotografie: Julia Schambeck
Fertigstellung: 2018

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Umbau und Umnutzung ließen sich ohne zusätzliche Anbauten bewertkstelligen. Die neue Nutzung und die Geschichte sind gleichermaßen präsent. Foto: Brigida Gonzaléz

Bücherei in Kressbronn am Bodensee

1923 ist der große Stadel in der Ortsmitte von Kressbronn entstanden, seit 2009 wurde er nicht mehr genutzt. Die Gemeinde hat ihn erworben; das nicht einmal hundert Meter vom Rathaus entfernt liegende, ortsbildprägende Gebäude sollte erhalten werden und zur Bibliothek umgenutzt werden. So löblich der Entschluss zum Erhalt, so anspruchsvoll die architektonische Aufgabe: Eine Gebrauchsarchitektur, deren Qualität und Kraft sich daraus ergibt, wie sie im Alltag und gebraucht wird, in eine Architektur mit großem A zu verwandeln, ist nicht so einfach. Beiläufig Pragmatisches erhält eine Bedeutung  für die es nicht gedacht war, die Gefahr ist groß, dass das Vergangene verklärt wird.

Steimle Architekten hatten im Wettbewerb nur den dritten Platz belegt, letztlich die Gemeinde aber überzeugt. Der von ihnen vorgeschlagene Umgang mit der historischen Scheune und seiner besonderen Geschichte als Teil eines Gesamtensembles im alten Ortskern von Kressbronn traf die Vorstellung  Umnutzung am besten. Steimle Architekten setzen auf eine Mischung aus struktureller Adaption, Verfremdung und und Abstraktion. Form, weitauskragendes Dach, Tragwerk werden beibehalten, kein Anbau dem Gebäude zugefügt. Auch der Aufbau aus massivem Sockel und hölzernem Aufbau wird übernommen. Der bestehende Dachstuhl wurde abgetragen, eingelagert und sorgfältig saniert sowie in Teilen ergänzt wieder aufgebaut. Der ursprüngliche Sockel aus Beton und Mauerwerk sollte eigentlich erhalten werden, doch letztlich hatte er dafür nicht die Qualität. Er wurde durch neue, 77 Zentimeter starke Leichtbetonwände ersetzt und mit tiefliegenden Öffnungen versehen, so dass das Innere des Erdgeschosses gut belichtet werden kann. Es kann nun als Ausstellungsfläche und für die 24-Stunden-Bibliothek genutzt werden, nimmt außerdem einen teilbaren Mehrzweckraum auf. Im leichteren Geschoss über dem Sockel liegt die eigentliche Bibliothek mit einer frei eingestellten Sichtbetonkonstruktion einschließlich einer vom Tragwerk abgesetzten Galerie. Das beeindruckende Tragwerk kann so sowohl als Regal genutzt als auch über seine gesamte Ausdehnung erlebt werden.

Die ursprünglich geschlossene Stülpschalung der Fassade wurde so gewandelt, dass sie diffuses Licht ins Innere lässt und gleichzeitig durch ein optisches Spiel die neue Bedeutung des Stadels interpretiert. Die Bretter der senkrechten Verschalung aus vorvergrauter Weißtanne werden unterschiedlich stark um die Vertikalachse gedreht, so dass sich je nach Blickwinkel ein unterschiedliches grafisches Muster zeigt, das den Eindruck erweckt, die Fassade könne sich in einer kontinuierlichen Bewegung öffnen und schließen lassen – gerade so, als würden Seiten eines Buches wie mit dem Daumenkino geöffnet. Insgesamt ist so Innen wie Außen ein Haus von signifikanter Modernität entstanden, das seinen Ursprung sichtbar bleiben lässt, ohne ihn als Repräsentanz vermeintlich zeitloser Gültigkeit zu überhöhen.


 


Zu Bibliothek umgenutzter Stadel H11
Hemigkofener Straße 11, 88079 Kressbronn am Bodensee
Bauherr: Gemeinde Kressbronn am Bodensee, vertreten durch Bürgermeister Daniel Enzensperger
Architekten: Steimle Architekten BDA, Stuttgart
Tragwerksplanung wh-p Ingenieure, Stuttgart
Bauphysik, Akustik, Haustechnik: Bobran Ingenieure, Stuttgart
Fotografie: Brigida Gonzaléz
BGF: 860 Quadratmeter
Fertigstellung:2018