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Wippen und Wimpel

2444_Leipzig_ubZwei aufwändig, gut durchgeführte Wettbewerbe für ein und dasselbe Denkmal, eine bislang diffus geplante Umgebung, eine diskussionswürdige Denkmal-Funktion: Entschieden wurde kürzlich, wie das Leipziger „Freiheits- und Einheitsdenkmal“ aussehen soll. Die Entwicklung des Ortes wirkt wie eine Rechnung mit mehreren Unbekannten – und ist deswegen kompliziert. Im Ergebnis ist es aussagekräftig für Verfahren dieser Art in der Republik: Vermeintlich demokratischer Wille dominiert künstlerisches Fachwissen und künstlerische Freiheit.

Hinter Max Dudlers mittig platziertem S-Bahn-Zugang liegt der Standort des geplanten Freiheits- und Einheitsdenkmals am Leipziger Wilhelm-Leuschner-Platz. (Bild: Ursula Baus)

Den «Ort», an dem das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal stehen soll, gibt es eigentlich noch gar nicht, denn die Randbebauungen des Platzes und seine (Freiraum-)Gestaltung sind noch nicht fertig, teils noch gar nicht in Angriff genommen.

Der erste Versuch: korrekt, ambitioniert

Die Preisträger zum Wettbewerb 2012, von links: 1. Preis, M + M, Marc Weis, Martin de Mattia, München; Annabau Architektur und Landschaft, Sofia Petersson und Moritz Schloten, Berlin 2. Preis: realities: united, Studio for art and architecture, Jan Edler und Tim Edler, Berlin mit Schlaich Bergermann und Partner Beratende Ingenieure, Berlin; Prozessagenten Susanne Jaschko, Berlin und Belgrad Creative 3. Preis: 'Herbstgarten'' von Anna Dilengite, Tina Bara, Alba d’Urbano, Leipzig

Die Preisträger zum Wettbewerb 2012, von links: 1. Preis, M + M, Marc Weis, Martin de Mattia, München; Annabau Architektur und Landschaft, Sofia Petersson und Moritz Schloten, Berlin
2. Preis: realities: united, Studio for art and architecture, Jan Edler und Tim Edler, Berlin mit Schlaich Bergermann und Partner Beratende Ingenieure, Berlin; Prozessagenten Susanne Jaschko, Berlin und Belgrad Creative
3. Preis: ‚Herbstgarten“ von Anna Dilengite, Tina Bara, Alba d’Urbano, Leipzig

Nationales Einheits- und Freiheitsdenkmal in Berlin, überarbeiteter Entwurf Stand Herbst 2014: Nachtansicht vom Schinkelplatz aus betrachtet. (© Milla & Partner)

Nationales Einheits- und Freiheitsdenkmal in Berlin, überarbeiteter Entwurf Stand Herbst 2014: Nachtansicht vom Schinkelplatz aus betrachtet. (© Milla & Partner)

Seit den späten 1990er Jahren ist über dieses Denkmal diskutiert worden, und wie in Berlin spielte der Deutsche Bundestag eine initiierende Rolle dabei. Der hatte die Bundesregierung im Dezember 2008 aufgefordert, sich mit dem Freistaat Sachsen und der Stadt Leipzig darum zu kümmern – ein halbes Jahr später begannen aufwändige Verfahrensprozesse mit Jugend- und Experten-Werkstattphasen, Bürgerumfragen und -foren, schließlich der Standortfestlegung und 2011 mit dem ersten Künstler-Wettbewerb für das Denkmal. Exzellente FachpreisrichterInnen waren der Landschaftsarchitekt Henri Bava, der Kunstwissenschaftler Dieter Daniels, die Publizistin Stefanie Endlich, der Künstler Jochen Gerz, die Kuratorin Ulrike Lorenz, der Stadtplaner Martin zur Nedden, der Architekt Gernot Schulz und der Kunstwissenschaftler Philipp Ursprung. 2012 hieß es, das Denkmal solle zum 25. Jahrestag der Friedlichen Revolution am 9. Oktober 2014 eingeweiht werden. Doch das war’s dann erstmal.

Denn die Stadt Leipzig fasste später zusammen: «Der erste Verfahrensversuch wurde im Jahr 2014 ohne Ergebnis geschlossen. Mit großer Mehrheit folgte die Ratsversammlung am 16. Juli 2014 einem Vorschlag von CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, das Wettbewerbsverfahren zu beenden.»1) Zur Begründung hieß es in einer Pressemeldung vom 16.7.2014: „Das laufende Verfahren wird beendet, zugleich aber ist die Verwaltung beauftragt ein neues Verfahren vorzulegen, in dessen Ergebnis die Friedliche Revolution vom Herbst 1989 angemessen gewürdigt werden kann. Zentraler Punkt soll künftig eine breite und umfassende Bürgerbeteiligung sein. Nur so könne über „Gestalt und Verfahren für eine angemessene Würdigung der Friedlichen Revolution im öffentlichen Raum entschieden“ werden, heißt es in dem Antrag. Oberbürgermeister Burkhard Jung sagte: ‚Diese Atempause wird gut tun.‘ Zugleich haben die Stadträte ihren früheren Beschluss zum Ort des Denkmals aufgehoben: Eine künftige Erinnerung an den Herbst 1989 muss nun nicht mehr auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz realisiert werden.“2)

Nicht JurorInnen, sondern „die Leipziger“ haben das letzte Wort?

Was war passiert? Nach einem völlig korrekten Verfahren mit Bürgerbeteiligung und vielem mehr? Unter anderem hatte das Stadtforum Leipzig protestiert: „Erstens sind die bisherigen Siegerentwürfe aus Sicht des Stadtforums nicht geeignet, der Bedeutung der weltpolitischen Ereignisse des 9. Oktober 1989 in würdiger Form gerecht zu werden. Das neue Denkmal richtet sich weniger an die Leipziger, sondern an ihre nationalen und internationalen Gäste, die mit diesem Datum im Regelfall leider nicht viel anfangen können. Hier die notwendige Aufmerksamkeit zu erzeugen, kann keiner der Siegerentwürfe leisten. Zweitens würde mit ihrer Realisierung zudem ohne Not die Chance vertan, den Wilhelm-Leuschner-Platz in seinen historischen Raumkanten wiederherstellen zu können. Dies ist aber die Voraussetzung dafür, hier zwischen Innenstadt und Zentrum-Süd eine Verbindung mit wirklich urbanem Charakter wiederentstehen zu lassen.“3)

Der Wilhelm-Leuschner-Platz in seiner ovalen Version, um 1920 (Bild: Wikipedia free)

Der Wilhelm-Leuschner-Platz – zuvor „Königsplatz“ – in seiner ovalen Version, um 1920, mit „historischen“ Raumkanten (Bild: Wikipedia free)

Damit waren Pflöcke eingeschlagen: Die Gäste von auswärts sind offenbar schimmerlos, historische Raumkanten müssen her.4) „Die Leipziger“, für die das Stadtforum zu argumentieren sich anmaßte, brachten sich gegen die nationalen und internationalen, auf jeden Fall als kenntnislos eingeschätzten Gäste in Stellung. Und weiter heißt es ebenda: „Den vielen Leipzigern, die sich bisher in großer Zahl, meist negativ, geäußert haben, ist insoweit zuzustimmen, soweit vorgebracht wird, dass die Leipziger Bürger selbst eigentlich kein weiteres Denkmal brauchen, denn sie haben die Friedenssäule, die Nikolaikirche, die Runde Ecke und die vielen Infostelen, die darüber informieren. (…) Das Stadtforum bemüht sich auch die Mitglieder der Ratsversammlung davon zu überzeugen, dass das bisherige Wettbewerbsergebnis nicht befriedigt, wenn die Bedeutung des 9. Oktobers 1989 deutlich sichtbar gewürdigt werden soll.“ [alle Hervorhebungen durch die Autorin]

Dem Stadtforum hätte man nun sagen können: Lasst es gut sein, wenn ihr sowieso kein Denkmal braucht. Und was meint das Stadtforum mit „würdiger Form“? Am ersten Verfahren ist in der Sache nichts zu bemängeln. Aber das Stadtforum argumentierte: „Wir [das Stadtforum, Anm. der Autorin] hoffen, dass die Bundesregierung und der Freistaat Sachsen eine solche Willensäußerung für einen neuen Wettbewerb aus der Leipziger Bevölkerung akzeptieren.“ Die Bedeutung eines nationalen Denkmals wurde hier auf die Befindlichkeit „der Leipziger Bevölkerung“ reduziert. Das Ergebnis eines korrekten Verfahrens wurde von „den Leipzigern“, die am Vorfeld sehr wohl beteiligt waren, beiseite geschoben.

Der zweite Versuch: bemüht

Das Wettbewerbsgebiet

Das Wettbewerbsgebiet; http://www.wettbewerb-freiheits-und-einheitsdenkmal-leipzig.de/projects_fel_information.htm

2021 beauftragte der Stadtrat dann die 2018 gegründete „Stiftung Friedliche Revolution“ mit der Weiterverfolgung des Freiheits- und Einheitsdenkmals: „Das Verfahren für den künstlerischen Wettbewerb zum Freiheits- und Einheitsdenkmal wird von der Stiftung Friedliche Revolution transparent und unter breiter Beteiligung der Bevölkerung umgesetzt. Begleitet wird der Prozess von einem umfänglichen Vermittlungsangebot und diversen Informationsmöglichkeiten.“5) Auf die Suche nach einem neuen Standort begeben sich daraufhin „Experten“ und „neun Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Leipzig“; ein Bürgerrat aus 35 Personen mit Wohnsitz in Leipzig beriet zudem über den Standort. Und empfohlen wurde schließlich: der Wilhelm-Leuschner-Platz.

Der Stadtrat schloss sich an, es folgte ein „Denkmal-Dialog“, der neue Wettbewerb wurde vorbereitet, eine DenkmalWerkstatt im Hansahaus eingerichtet. Im Juni wurde der zweite Wettbewerb unter zuvor 12 von einer Findungskommission ausgewählten Teilnehmern und 24 zusätzlich möglichen Bewerbern ausgelobt – 32 Beiträge gab es schließlich zu bewerten, die von KünstlerInnen auch internationalen Rangs erarbeitet worden sind. Und nun ist er entschieden.

Der preisgekrönte Entwurf des Ateliers Loidl für den Wilhelm-Leuschner-Platz; Oval? (C Atelier Loidl)

Der preisgekrönte Entwurf des Ateliers Loidl für den Wilhelm-Leuschner-Platz; (C Atelier Loidl)

Die Freiraumgestaltung des Wilhelm-Leuschner-Platzes hatte inzwischen das Atelier Loidl im März 2024 für sich entscheiden können6) – an Ort und Stelle sieht man natürlich noch nichts davon. Die Stadt wünschte sich inzwischen eine „zukunftsweisende Klimakomfortinsel für das Quartier mit herausragender ökologischer und gestalterischer Qualität“. Und fast gleichzeitig mit den noch nicht umgesetzten Planungen sollten nun Künstler und Künstlerinnen erneut ein nationales Freiheits- und Einheitsdenkmal entwerfen, das in der Konzeption von Loidl und der Stiftung und der Stadt quasi den alten Standort zugewiesen bekommen hatte.

Am Platz – wenn man denn von einem solchen schon reden will – sind bekannte Bauten, aber bislang keine Raum bildenden Bebauungen zu finden – siehe unser Einstiegsfoto. Max Dudlers S-Bahn-Station, einiger Bestand und die Trinitatiskirche von Schulz und Schulz sind gut und schön – aber was dazwischen platzgestaltend entsteht, lässt keine räumliche Klarheit ahnen. Am alten wie neuen Wettbewerbsstandort Wilhelm-Leuschner-Platz wird viel Neues entstehen, das nicht explizit aufeinander bezogen ist – aber so ist Stadtplanung heute. Unwägbarkeiten wie bürgerlicher Unmut, Investorenpleiten, Arbeitsmarktentwicklung oder Gesinnungswechsel, wahlbedingter Wechsel im politischen Personal, Verteuerungen aller Art und vieles mehr gehen vielerorts zulasten einer konsistenten, zeitlich zuverlässigen Planung früherer Zeiten. So darf man sich im Blick auf das Wettbewerbsgebiet auch nicht über die Vokabel „Möglichkeitsraum“ wundern. Die gewünschte „Verzahnung“ war für den Denkmalwettbewerb also schwierig und teils fiktiv.

Das Ergebnis: dürftig

von links: 1. Preis: ZILA Architekt.innen, Architekten, Leipzig, mit Bea Meyer, Künstlerin, Leipzig und Michael Grzesiak, Architekt, Leipzig; 2. Preis: Richter Musikowski Architekten, Berlin, mit Grieger Harzer Dvorak | Landschaftsarchitekten, Berlin, und Anna Talens, Künstlerin, Berlin; 3. Preis: Thomas Moecker, Künstler, Leipzig, mit Werner Klotz, Künstler, Berlin, und Anna Dilengite, Architektin, Leipzig; (© Hansjoachim Wuthenow)

von links: 1. Preis: ZILA Architekt.innen, Architekten, Leipzig, mit Bea Meyer, Künstlerin, Leipzig und Michael Grzesiak, Architekt, Leipzig;
2. Preis: Richter Musikowski Architekten, Berlin, mit Grieger Harzer Dvorak | Landschaftsarchitekten, Berlin, und Anna Talens, Künstlerin, Berlin;
3. Preis: Thomas Moecker, Künstler, Leipzig, mit Werner Klotz, Künstler, Berlin, und Anna Dilengite, Architektin, Leipzig;
(© Hansjoachim Wuthenow)

Die Jury-Pressemeldung zitiert den Juryvorsitzenden Kjetil Thorsen (Snøhetta), der unter anderem den Museumskomplex am Ground Zero in New York geplant hat: „In Summa freue ich mich ganz besonders, dass das Projekt so mit einem Entwurf beschenkt wird, der im globalen Kontext einen Maßstab setzen wird.“ Und zur Begründung des ersten Preises an die Leipziger ZILA Architekt.innen, Architekten (Clemens Zirkelbach, Peter Ille, Dirk Lämmel und Alexej Kolyschkow): „Der Entwurf Banner, Fahnen, Transparente überzeugt das Preisgericht durch seine zugleich abstrakte und konkrete Würdigung eines zentralen Elements von Protestbewegungen im Allgemeinen und der ‚Friedlichen Revolution‘ von 1989 im Besonderen. Die kraftvolle Inszenierung der 50 über den Platz verteilten Objekte, in den Boden gesteckte Banner, Fahnen und Transparente, überlässt den Betrachtenden Raum für Assoziation, Aneignung und Partizipation.“7)
Ist das so? Banner, Fahnen und Transparente sind motivisch im Entwurf wenig abstrakt aufgenommen; Aneignung und Partizipation könnten bedeuten, dass Menschen eingeladen sind, die Teile eigenmächtig zu gestalten. So ist es aber nicht gedacht. Wäre aber auch nicht schlimm, denn bürgerlicher Eigensinn und Vandalismus werden das Ihre tun. Das alles gehört zur Stadt der Gegenwart dazu – Leipzig hat nach der Wende gleichwohl stadtplanerisch Gutes erfahren.

Viele Fragen zur „Freiheit“

Ist die Berliner Wippe – wie so viele nationale oder große Projekte in Deutschland – ein mit Witzen überschüttetes Projekt, drängen sich in Leipzig zum jahrelangen Vorfeld und den beiden aufwändigen Verfahren Fragen auf. Die Jury des ersten Wettbewerbs entschied mit internationaler Fachkompetenz, die Jury des zweiten war ambitioniert, aber verfahrensmäßig deutlich lokaler dominiert. Kommentare, die ich in Foren und in der Leipziger Volkszeitung gelesen habe, bezeichneten den ersten Preis des ersten Wettbewerbs aus Laiensicht als „unverständlich“. Und genau darin kann man ein Problem sehen.

Denn Kunst, auch oder sogar gerade die im öffentlichen Raum, muss keineswegs auf Anhieb verständlich sein. Werke von Otto Herbert Hajek, Richard Serra, Joseph Beuys; Mischa Kuball, Flaka Haliti, Jochen Gerz und vielen, vielen anderen stehen im öffentlichen Raum, sind von einem künstlerischen Rang, der zeittypischem Geschmack und Volkes Stimme schlichtweg voraus war oder ist. Wenn wir einmal mehr die Architektur bemühen wollen: Der Eiffelturm avancierte vom Scheusal zum weltweit bekannten Sehnsuchtssymbol.

Den jetzigen Siegerentwurf finde ich durchaus schlicht und recht belanglos in der Aussage. Da werden fünfzig starre, weiß gestrichene „Plakate“ aus Edelstahl ohne Inhalt an durchaus überlegten Stellen auf den Platz gestellt – alle Passanten werden schon wissen, was gemeint ist. Gewiss unmissverständlich kommt die semiotische Aussage daher, aber eben auch ohne jede Komplexität, Mehrdeutigkeit oder doch Interpretationsspielräume. Darin zeigt sich eine befremdende Harmlosigkeit, die eingedenk der heute deutlich schwieriger gewordenen Denkmalaufgabe „Freiheits- und Einheitsdenkmal“ zu korrigieren wichtig wäre.
Die „Atempause“ nach dem ersten Wettbewerb hat den gleich gebliebenen Standort beschert, die Leipziger Bürgerschaft zur Causa zwischenzeitlich befriedet – aber ein intensive, gegenwartsgemäße Auseinandersetzung mit den zeitgeschichtlichen Ereignissen zu 1989 innerhalb der letzten zwölf Jahre erkenne ich nicht. Gerade diese hätte man erwarten dürfen, auch wenn sie leider nicht explizit eingefordert war.
Im „freitag“ wurde beklagt: „Der Wendezeit in ihrer Komplexität zwischen anfänglicher Euphorie, zunehmender Skepsis und biografischen Brüchen ein Denkmal zu setzen, das leisten beide Entwürfe [Berliner und Leipziger Denkmal, Anm. der Autorin] nicht. Konsequent wäre die Trennung in ein Freiheitsdenkmal in Leipzig und ein Einheitsdenkmal in Berlin gewesen. Beide hätten dann die Chance gehabt, Ambivalenzen deutlicher zu fassen.“8) Dergleichen wäre auch ein Aufgabenteil der KünstlerInnen gewesen, wenn sie denn die Freiheit dazu gehabt hätten. Die sie sich auch hätten nehmen können. Und wenn „die“ Leipziger dies nicht begriffen hätten: Nicht auf Anhieb erkennbare Bedeutungen gehören zu jedem ambitionierten Kunstwerk dazu. Lokale Denkmale haben die Leipziger ja nach eigener Aussage genug.

Einheit?

Wenn man sich auf das zwangsweise laienhafte Kunstverständnis von BürgerInnen und deren Unwilligkeit, vermeintlich Unverständliches zu akzeptieren, einlässt, beides sogar zu einem Kriterium zusammenfügt, deutet sich eine erhebliche Einschränkung öffentlicher Kunst an. So heißt es explizit: „Gefordert war eine künstlerisch zeitgemäße Gestaltung, die der nationalen Bedeutung des Denkmals und seiner internationalen Strahlkraft gerecht wird, eine Bildsprache, die für die Leipziger Stadtgesellschaft und ihre Gäste heute wie in Zukunft verständlich ist [Hervorhebung durch die Autorin], sowie die gestalterische, funktionale sowie städtebauliche Verzahnung von Denkmal und dem neu entstehenden Quartier rund um den Leipziger Wilhelm-Leuschner-Platz als Standort des Denkmals.“9)

So wird das nationale Denkmalkunstwerk provinzialisiert: Für die Leipziger Stadtgesellschaft und ihre Gäste „verständlich“ soll es sein. Dass diese Klientel auseinander dividiert wird, deutet auf ein Selbstverständnis im Sinne von „Wir“ und „die anderen“. Und dann hilft es auch nicht, wenn für die Wettbewerbsausstellung eine „Westreise“ geplant ist, genauer: nach Frankfurt am Main, Karlsruhe, Nürnberg, Hannover und Bonn.

Freiheit ist immer auch: Freiheit der Kunst

Einfordern darf man statt der „Verständlichkeit“ vielmehr die Freiheit der Kunst. Im Falle des Denkmals potenziert sich zudem die Krux der Aufgabe: Gerade mit der Einheit ist es gegenwärtig nicht weit her, vermeldet doch dieser Tage ein Neubrandenburger: „Der Osten tickt anders, wir werden hier eine rechte bürgerliche Mehrheit hinbekommen“.10) Eingedenk der Tatsache, dass die AfD-Landesverbände Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen vom Landesverfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft werden, dürfte der Neubrandenburger Grund für seine Perspektive haben. Die aktuelle Studie des Rostocker Soziologen Steffen Mau („Ungleich vereint“. edition suhrkamp, 2024) räumt gründlich mit einem romantisierenden Einheitsverständnis auf, das sich in einem Denkmal künstlerisch darstellen ließe.
Was also bleibt inhaltlich vom „Freiheits- und Einheitsdenkmal“? Ein verklärender Rückblick? Eine Bestandsaufnahme zu Enttäuschungen? Dazu hätten KünstlerInnen sich aus unserer Gegenwart heraus auf die Suche machen können.

Und auch wenn es politisch unkorrekt sein mag: Die „Bevölkerung“ – im Osten, im Westen, im Süden und im Norden – verfügt nicht über künstlerischen Sachverstand – wie sollte sie? Sie hat es nicht gelernt, was keinerlei Vorwurf ist. Die „Bevölkerung“ kann sich auch nicht in die Verfahrensentwicklung von geringinvasiven Operationstechniken einmischen. Ärgerlich ist also vielmehr, wenn in einem Denkmalkunst-Wettbewerb künstlerischer Sachverstand entscheidet und durch vermeintlich demokratische Willensbildung ersetzt wird – auch, wenn der Wettbewerb außerordentlich ernsthaft und aufwändig über viele Jahre hinweg von BürgerInnen begleitet worden ist. Man muss nicht Adornos Kunstverständnis des „Rätselhaften“ bemühen, um einzufordern, dass Kunst nicht als Dienstleistung für eine Bevölkerung degradiert werden darf, die ihrer selbst nicht sicher sein kann. Für die Kunsttheorie relevant: Gibt es eine Zensur durch einen vermeintlichen, vielfältig beeinflussten „Bürgerwillen“? Bürgerbeteiligung „im Nachhinein“ soll maßgeblich sein?

Es wird auch argumentiert, es gehe hier ja um Steuergelder. Mit denen die Kunst im öffentlichen Raum finanziert werde. Jedes öffentliche Museum wird mit Steuergeldern finanziert. Aber fragt man die Bürgerschaft, ob eine öffentliche Sammlung mit einem Tizian oder einem Rembrandt erweitert werden möge? Derzeit ist es, zum Glück, kunstwissenschaftliche Kompetenz, die das entscheidet. Die Aufgaben freier Kunst sind nicht in Museen oder gar private Räume zu verbannen. Sie gehören in den öffentlichen Raum.


4) Das konservative Stadtforum Leipzig „wünscht und fordert die Aufnahme der historischen Baufluchten auf dem Plangebiet. Das heißt: die Wiederherstellung des Platzes in Form des alten Königsplatzes und die Bebauung zwischen Wilhelm-Leuschner-Platz (Königsplatz) und Markthallenstraße sowie auf den drei geplanten Flächen im östlichen Bereich.“ (https://www.stadtforum-leipzig.de/projekte/wilhelm-leuschner-platz/)

8) Sarah Alberti: Den Mutigen ein Zeichen. In: der freitag, 8.10.2024

10) Tim Großmüller, „Stabile Bürger Neubrandenburg“, zit. nach: Süddeutsche Zeitung, 18.10.2024