Marktgeschrei (9) | Manchmal könnte man glauben, es gäbe eine ausgleichende Gerechtigkeit. Wenn zum Beispiel Architekturschreiber für sich selbst eine Wohnung oder ein Haus suchen, geht es ihnen schlecht. Als hätte sich die Materie gegen sie verbündet, als wollte der umbaute Raum die kritischen Reporter und sensiblen Wortfinder mit der Macht des Faktischen konfrontieren.
Verschandelungen des Bestands
Es ist so: Wenn man sich subjektiv einer Immobilie nähert, mit der Absicht, sie zu mögen und zu besitzen, dann verschiebt sich die Kalibrierung der Maßstäbe, dann nimmt man es persönlich, dass einem etwas nicht gefällt. Und es gibt vieles, was man leidenschaftslos erklären und mit journalistischer Verve umschreiben könnte – nur nicht, wenn es künftig als eigener Lebensmittelpunkt taugen soll.
Natürlich ist man großzügig, bereit, sich auf Neues einzulassen: Ob krummes Fachwerkhäuschen im Dorf oder gutbürgerliches sechziger-Jahre-Einfamilienhaus mit Steingarten und Rasenteppich – beides wäre eine Erfahrung wert, ein Versuch, der Architektur nachzuleben. Doch zwei Dinge sind nicht verhandelbar.
Die Lage, die Lage, die Lage
Erstens die Umgebung. Der Makler hatte die Nähe zu Schulzentrum, Bahnhof und Aldi hervorgehoben. Aber uns stören die Nachbarhäuser, die man täglich wird ansehen müssen. Ein optischer Lärmschutzzaun wäre nötig, doch wir wollen uns ja nicht abkehren, sondern in einer sympathischen Nachbarschaft zuhause sein. Möglich, dass es sich um nette Leute handelt, mit denen wir vielleicht Interessen teilen. Nicht auszuschließen, dass wir das falsch interpretieren, was da hinter den Gartenzäunen dräut.
Baumarkt und Bauindustrie – die Seuche der Verschlimmbesserungen
Zweitens die Architektur selbst. Es fällt auf: Häuser, die nicht verändert wurden, sind oft gar nicht so übel. Unabhängig, aus welcher Zeit sie stammen und welches Talent ihre Architekten besaßen. Doch leider gibt es kaum Originale. An allen Häusern, wenn sie mal zwanzig Jahre alt waren, hat man herumgebaut, um Wohnfläche zu vergrößern, den Komfort zu erhöhen oder Energie zu sparen. Das ging durchweg schief. Die ausgebauten Dächer, linkisch angelehnten Wintergärten, herumgekleisterten Thermohäute, falsch geteilten Fenster, selbst gefliesten Bäder, Haustüren aus dem Baumarkt: Es ist eine Frage der Schmerzgrenze. Was kann man wiederherstellen, was ließe sich entfernen, was wäre noch auszuhalten? Und man spürt das Dilemma: Neue, dreifach verglaste Kunststofffenster rausreißen, weil sie die Ansicht stören? Eine solide Küche in Eiche rustikal zum Sperrmüll fahren? Rundbogentüren mit Messingbeschlägen, bunte Glassteine im Treppenhaus, hilflos verteilte Dachflächenfenster – einfach weg damit? Wollten wir nicht nachhaltig wirtschaften nach dem Prinzip Reduce, Reuse, Recycle? Man wird einiges ironisch interpretieren können, und wenn Kollegen zu Besuch kommen, jahrzehntelang beschwichtigende Erklärungen parat halten: Die Wand war schon da, der Sturz musste bleiben, die rosa Marmortreppe hätten wir natürlich nie gebaut…
Keiner war’s
Eine Immobilie zu kaufen, ist für Architekturbeflissene eine kulturelle Nahtoderfahrung. Eine Art soziales Langzeitpraktikum. Geschieht uns recht.