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Immer häufiger taucht der architektonisch konkrete Begriff „niederschwellig“ in (gesellschafts-)politischen Absichtsbekundungen auf. Mit „niederschwelligem“ Anspruch lässt sich kaum etwas falsch machen, was die Beliebtheit des Begriffs in einer von Ängsten und Sorgen durchsetzten Republik erklärt. Was aber zeigt dieser Erfolg des Niederschwelligen im Planungskontext, der Architekten und Stadtplaner betrifft?


Konkret, im architektonischen Kontext, verknüpft man mit „niederschwellig“ die Rücksicht auf divers eingeschränkte Mitmenschen. Seh-, Geh-, Hörbehinderte beanspruchen zu Recht, dass ihnen Zugang zu unterschiedlichen Angeboten der Gesellschaft gewährt wird – vor allem notwendig zu nutzenden wie Mobilität, Ausbildungsstätten, Grundversorgungseinrichtungen. Unsere Gesellschaft überaltert, das heißt, auch die Wählerschaft in Deutschland wird alt und älter, so dass es politisch opportun ist, sich um die Belange dieser alternden Gesellschaft mit ihren Einschränkungen zu kümmern. So sind zum Beispiel die Rillen und Noppen zur Orientierung von Menschen, die im Sehen eingeschränkt sind, sowie Aufzüge, Rampen und ähnliches inzwischen im öffentlichen Raum omnipräsent.

Rillen, Noppen, Kanten: den Einen eine Hilfe, den Anderen eine Stolperfalle (Bild: Wilfried Dechau)

Rillen, Noppen, Kanten: den Einen eine Hilfe, den Anderen eine Stolperfalle (Bild: Wilfried Dechau)

Stolperfallen

Nun sind beispielsweise die Rillen und Noppen aber Stolperfallen für Andere, wie ich kürzlich an einem Bahnsteig wahrnahm. Dort stolperte ein Mensch mit reliefierten Sportschuhen über die Rillen und durfte sich nur durch rettend Zugreifende rasch wieder auf den Beinen wissen. So einfach, wie es mit dem Barrierefreien, Niederschwelligen klingt, ist es eben doch nicht. Mutmaßlich wird in Kürze – rasendem Fortschritt in allen digitalen Anwendungsmöglichkeiten – ein elektronischer, sensorbedienbarer Modus auf den Markt kommen, mithilfe dessen sich die Rillen und Noppen und andere Orientierungshilfen beziehungsweise Stolperfallen erübrigen.

Reliefs an Schuhen und auf den Bahnsteigen: Das geht nicht immer gut. (Bild: Ursula Baus)

Reliefs an Schuhen und auf den Bahnsteigen: Das geht nicht immer gut. (Bild: Ursula Baus)

Wir sind in Deutschland – baubürokratisch muss die Barrierefreiheit mehr und mehr durchgesetzt werden. Die dem § 4 BGG Behindertengleichstellungsgesetz folgende DIN 18040 will es so.1) Dadurch verringert sich faktisch die Zahl der nicht barrierefreien Wohnungen, die mit günstigeren Miet- oder Kaufpreisen für die minderbemittelten „jungen Hüpfer“ geeignet sind. Ein anderes Beispiel: Es fand eine Eigentümerversammlung für ein elfstöckiges Wohnhaus aus den 1950er Jahren statt, in dem es einen Lasten-, aber keinen Personenaufzug gibt. Bei der Versammlung beklagte sich ein Wohnungsbesitzer, er habe vor vielen Jahren eine Wohnung im 8. Stock „für das Alter“ gekauft. Könne nun aber, wenn er einziehe, nicht mehr so viele Treppen gehen, weswegen er die Wohnung nicht nutzen könne. Und deswegen sei ein Aufzug nachzurüsten. Geht’s noch?
Auch werden barrierefreie, bodengleiche Duschwannen in Wohnungen eingebaut, die ohne Treppensteigen gar nicht zu erreichen sind. Das Gleiche gilt für Balkone, die nicht nur niederschwellig, sondern schwellenlos zu erschließen sein sollen.

Um nicht missverstanden zu werden: Selbstverständlich muss darauf reagiert werden, dass die Gesellschaft älter wird und wie auch immer eingeschränkte Menschen ein menschenwürdiges Dasein haben müssen. Aber einmal mehr schießt der Markt mit all seinem Begehr, etwas baukonjunkturell durchzusetzen, mit gesetzverankerten Vorgaben über ein vernünftiges Ziel hinaus.

Den öffentlichen Raum zu modulieren, heißt: ihn zu verteilen, den Ansprüchen aller Nutzenden anzupassen. Niedershwellig? (Bild: Ursula Baus)

Den öffentlichen Raum zu modulieren, heißt: ihn verteilen, um ihn den Ansprüchen aller Nutzenden anzupassen. Niederschwellig? (Bild: Ursula Baus)

Im übertragenen (Planungs-)Sinne: Baum oder Parkplatz?

„Niederschwellig“ soll nun auch die Sprache sein, damit Menschen mit eingeschränkter Sprachkompetenz Informationen verstehen können. Nicht zuletzt hängt die „elektronische Demokratie“ mit dem Ziel, politische Partizipation zu ermöglichen, an solchen Konzepten, die auch die direkte Demokratie in Beziehung zur repräsentativen setzen.“Politische Organisationen (z. B. Parteien) und Massenmedien verlieren in diesem Modell ihre Bedeutung als Vermittlungsinstanz zwischen Bürger und Staat.“2) Gerade Architektur- und Stadtplanungs-, auch Verkehrsentscheidungen hängen extrem an diesen partizipatorischen, der „elektronischen Demokratie“ zugehörigen Kommunikationsmodellen.

Ich, Du, er sie, es

Die sogenannte Leichte Sprache soll, so die offizielle Verlautbarung seitens des Bundes, Originaltexte allerdings nicht ersetzen, sondern ergänzen.3) Leider setzt sich diese Idee der Leichten Sprache auch anderweitig durch, sie verbreitet sich in mehr oder weniger allen Kommunikationsbereichen. So verfasste ich kürzlich das Vorwort eines Kulturfestivals und war damit konfrontiert, ich solle eine einfachere Sprache wählen. Was seitens des Bundes an einer klaren, kleinen Zielgruppe orientiert ist, wird an anderen Stellen – wie der genannten – par ordre du mufti übernommen, ohne je auf einen Originaltext bezogen werden zu können. Einfache Sätze. Jeder Satz beginnt in neuer Zeile. Und so weiter. Reduziert wird damit eben auch jeder komplexe Inhalt. Jede/r Übersetzer/in weiß darum, wie schwierig es ist, komplexe Inhalte ohne inhaltliche Verluste in eine andere Sprache zu übertragen. Und es gerät nun mit der politbürokratisch initiierten Einfachen Sprache an vielen Stellen außer Acht, dass seitens des Bundes auf die Inhaltsverluste zwischen Einfacher Sprache und Originaltexten hingewiesen wird. Einfache Sprache blendet Inhalte aus – und damit Erkenntnisse und Grundlagen vernünftiger Debatten.

Mit der Folge, dass nicht nur die Sprache, sondern leider auch die Inhalte „niederschwellig“ werden, teils an Banalität kaum noch zu überbieten sind. Jedes Geschreibsel in „social medias“, das simple Sprachbotschaften mit noch simpleren Emojis kombiniert, manifestiert diesen Bedeutungs- und Inhaltsverlust in der Kommunikation.

(Bild: Wilfried Dechau)

(Bild: Wilfried Dechau)

Tür? Haus? Stadt?

Die Reduzierung von Inhalten infolge Leichter Sprache wirkt sich infolge direkter Partizipation maßgeblich in Planungsverfahren aus. Die Flipchart-Veranstaltungen mit ihren primitiven Farbzettelchen sind Indizien für inhaltsschwache Kommunikations-Usancen. Denn Inhalte werden auf vorgegebene Farbthemen reduziert, in denen sich ein Jeder wiederfinden kann. Erkenntnisse? Nebensache! Hauptsache: Alle waren „beteiligt“.

Zudem verlieren Sprachen, die sich über Jahrtausende verändert und entwickelt haben und der Komplexität menschlichen Denkens und Kommunizierens entsprechen, ihre erkenntnisbezogenen Charakter einerseits – ihre Kunstfähigkeit im Sinne der Literatur und Lyrik andererseits. Damit verbunden ist die Beobachtung, dass dem Einfachen, dem Reduzierten das Falsche auf den Fuß folgt. Wortwahl verpflichtet zur Sprachgenauigkeit auch eines einfachen Determinativkompositums.


1) Zu den Konsequenzen beispielsweise im öffentlichen Verkehrsraum siehe: https://www.dbsv.org/files/blindheit-sehbehinderung/beratung-reha/rechtliches/Vortrag%20Der%20rechtliche%20Rahmen%20zur%20Umsetzung%20von%20barrierefreiheit%20im%20%C3%B6ffentlichen%20Verkehrsraum.pdf

2) Thomas Zittel: Elektronische Demokratie. In: Grundbegriffe der Politikwissenschaft. Stuttgart 2022, Seite 52 f.

3) https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/arbeit-und-soziales/faq-leichte-sprache-2189214