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Wortwahl: Kulturkampf

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Furchterregende Horden auf dem Weg in den Kulturkampf. Oder vielleicht doch nicht? (Bild: Critical Mass Freiburg, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0, Rudy23)

Stilkritik (129) | Wenn vom Kulturkampf die Rede ist, sollten die Alarmglocken schrillen. So wie der Begriff inzwischen gebräuchlich ist, verschleiert er, wie selbstverständlich Konflikte sind und dass sie sachlich verhandelt werden können. Aber warum sollte man dem Aushandeln von Konflikten aus dem Weg gehen wollen? Um Privilegien zu verteidigen, zum Beispiel.

Das Wort ist so groß, dass es schwerfällt, darüber einen Text zu schreiben, zumal einen einigermaßen kurzen. Kulturkampf. Es wird schon dadurch schwierig, dass es hier um einen Kampf geht. Im Kampf gibt es Sieger und Besiegte, und wenn wir nicht gerade im Sport sind, so wird der Sieg nicht selten mit einem hohen Preis bezahlt, der den Sieg bitter macht. So schön eindeutig, wie man es gerne hätte, ist ein Kampf selten.

Gut, es gibt auch den Kampf gegen eine Krankheit, gegen die Armut, für soziale Gerechtigkeit. Könnte der Kulturkampf ein solcher Kampf sein? Wohl eher nicht. Es wird da nicht für die Kultur gekämpft, was beruhigen könnte, so wie die hunderttausende beruhigend sind, die gegen die Bedrohung unserer Demokratie von rechts auf die Straße gehen. Keine Lösung, aber doch ein Bekenntnis, das vielleicht zu einer führt. Der Kulturkampf ist aber kein Bekenntnis. Es wird nicht für die Kultur gekämpft. Aber auch die beunruhigendere Variante ist nicht richtig. Es wird im Kulturkampf nicht gegen die Kultur gekämpft, wer da gegen welche Kultur mit welchen Mitteln auch immer kämpfen wollte.

Wer kämpft?

Also noch mal von vorne. Das Wort ist so groß, dass es schwerfällt, darüber einen Text zu schreiben. Das soll es wohl auch. Es soll so groß sein, dass es nicht mehr kritisiert oder in Frage gestellt wird: Wenn vom Kulturkampf die Rede ist, werden in einer Weise vermeintlich große Erzählungen und unabänderliche Wahrheiten verkündet, dass eine Widerrede schon sehr weit ausholen müsste und infolge dessen auch meist unterbleibt. Leider.

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Wenn heute von Kulturkampf die Rede ist, wird kaum an den im 19. Jahrhundert als Kulturkampf bezeichneten Konflikt zwischen Staat und katholischer Kirche gedacht. (Bild: Karikatur „Zwischen Berlin und Rom“ aus dem Kladderadatsch, 16. Mai 1875; public domain)

Eigentlich müsste es ja Kulturenkampf heißen, denn so wie man den Begriff gebraucht, wird die Vorstellung vermittelt, es kämpften Kulturen gegeneinander. Der Kampf der Kulturen suggeriert zudem eine prinzipielle, antagonistische Unvereinbarkeit zweier oder mehrere Seiten, und deswegen geht es dabei auch um Sieg und Besiegen. „Kampf der Kulturen“ war der deutsche Titel des Buchs von Samuel P. Huntington, dem „Clash of Civilizations“ von 1996. Nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation steuerten wir, so Huntington, auf einen Kampf der Kulturen zu, der als einer zwischen Kulturkreisen verstanden wurde. Dabei würden die Werte der westlichen Zivilisation bedroht. Das Buch wurde vielfach wegen seiner Vereinfachung der Dimensionen von Religion, Vielfalt, kulturellen Feinheiten gescholten. François Jullien schrieb etwa: „Aber gibt es überhaupt einen ‚harten, reinen Kern‘ einer Kultur? Wenn Huntington dies behauptet, gelingt es ihm nicht ansatzweise, das Interessante an diesen Kulturen zu erfassen. Indem er sie auf Banalitäten reduziert, indem er sie voneinander isoliert und und in das einmauert, was vermeintlich ihre Besonderheiten, ihre am klarsten konturierten Unterschiede ausmacht, indem er sie auf ihre Identität zusammenschrumpfen lässt, können die Beziehungen zwischen ihnen nur einem ‚Zusammenstoß’, enden.“ (1)

Ein antagonistisches Konzept von Kultur ist der europäischen Geschichte nicht fremd. Zu ihr gehören die Gegenüberstellung von Orient und Okzident, die Vorstellung von Barbaren ebenso wie die von „edlen Wilden“, die meist in einer Verzerrung des Außen dazu dienten, das Selbstbild genauer zu bestimmen und zu rechtfertigen. (2) Eine den Dialog behindernde Sichtweise und groteskerweise nicht selten gerade den vermeintlich universellen Werten entgegenstehende, die damit doch eigentlich konturiert werden sollen. Diesem Dilemma konnte man nur entkommen, indem man anderen Menschen das Menschsein absprach.

Genauer auf den Kulturbegriff und dessen jeweiliger Verwendung kann hier eingegangen werden. Zudem wird auch angezweifelt, ob es überhaupt sinnvoll ist, dies zu tun. Andreas Reckwitz etwa geht davon aus, dass sich nicht Kulturen einander gegenüber stünden, „sondern – noch elementarer – zwei konträre Auffassungen darüber, was Kultur überhaupt bedeutet, und dem entsprechend zwei konträre Formate, in denen die Kultursphäre organisiert ist.“ (3)

Alles Kultur?

Wenn vom Kulturkampf die Rede ist, wird so gut wie nie gesagt, was mit Kultur gemeint ist. Auch dies ist Teil der rhetorischen Strategie. Sie setzt voraus, dass sich der Sinn dessen, was Kultur sei, im Zusammenhang erschließt oder ohnehin vorausgesetzt werden kann, genauso wie der vermeintlich unvereinbare Antagonismus vorausgesetzt wird. Im Kulturkampf ist Kultur mal Religion, mal Lebensstil, mal eine politische Richtung. Die große Einheit aus Bräuchen, Menschenbild, Denktradition, Kunst, Umgangsformen und politischer Praxis ist es in den seltensten Fällen.

Und damit sind wir bei den Themen der Architektur und der Stadtplanung. Vom Kulturkampf ist die Rede, wenn es um die Diskussion von Abriss und Neubau geht.(4) Ebenso werden der Einsatz um bessere Radwege in den Städten und die Bemühungen um eine Domestizierung des Autoverkehrs als Kulturkampf interpretiert.(5) In beiden Fällen wird nicht nur der Begriff der Kultur wie der des Kulturkampfs stark überdehnt, sondern auch die Auseinandersetzung so beschrieben, dass der Weg zu einer Vermittlung in den jeweiligen Konflikten erschwert wird.

Beispiel Radwege. Hier geht es, etwas nüchterner und realitätsnäher betrachtet darum, dass sich Lebensgewohnheiten und Alltagspraktiken ändern, deswegen bislang geltende Regeln nicht mehr ausreichen und zudem anerkannte Privilegien nicht mehr akzeptiert werden. Vielfach ist inzwischen vergessen, dass die Selbstverständlichkeit, mit der dem Auto mehr Platz im Straßenraum eingeräumt wurde, nicht naturgegeben ist, sondern auch erst mitunter recht rabiat durchgesetzt werden musste: „Systematisch zerstört wurden auch die Vorteile und die Sicherheit des Fahrrades; damit nahm man der heranwachsenden Jugend ihre Unabhängigkeit und ihren Aktionsradius und verwies sie auf die Sehnsucht nach dem Auto“, so Lucius Burckhardt 1981.(6) Dass nun in der Verteilung der Straßenräume Konflikte auftreten, weil andere darin vertretenen Verkehrsmittel stärker und die Privilegien der Autofahrenden angezweifelt werden, lässt sich nicht dadurch lösen, dass man diesen Konflikt auf die Ebene eines Kulturkampfes stellt. Hier geht es nicht darum, wer sich am Ende durchsetzt, sondern darum, den Konflikt zu vermitteln und neue Gewohnheiten, neue Argumente, neue Bedarfe und Erkenntnisse zur Kenntnis zu nehmen und verschiedene Interessen neu auszubalancieren.

Wie es Aladin El-Mafaalani im Zusammenhang mit Integrationsfragen dargelegt hat, wird man einer solchen Situation erst dann gerecht, wenn man die Ansprüche derer anerkennt, die ihren Anteil an gesellschaftlicher Teilhabe einfordern, was eben auch heißt, dass Privilegien aufgegeben und als solche erkannt werden müssen. Konflikte sind demnach kein Erscheinungsformen eines Kulturkampfes, sondern Alltag einer dynamischen Gesellschaft und Voraussetzung für deren Funktionieren, weil erst auf der Basis von Konflikten Regeln neu aufgestellt werden können.(7) Konflikte gehören zur Voraussetzung einer demokratischen Gesellschaft, weil vorausgesetzt werden darf, dass sie verhandelt werden können.

Am Sophienblatt 44, Ecke Ringstrafle. Im Hintergrund rechts das Hotel Berliner Hof in der Ringstrafle.

Wenn’s um Geld geht, sollte man nicht vom Kulturkampf reden. Abriss und Neubau ist ein seit Jahrzehnten etabliertes Geschäftsmodell. Deswegen wollen einige, dass daran noch lange festgehalten werden kann. (Bild: Neubau Sparkasse in Kiel anstelle des abgerissenen Hotel Hintz. Wikimediacommons, CC BY-SA 3.0 DE, Friedrich Magnusson)

Dialog oder Kampf?


In der Frage von Abriss und Neubau ist es nicht prinzipiell anders. Die nicht mehr ganz so neuen Erkenntnisse über die Wirkungen von Abrissen und deren Energiebilanzen legen es nahe, im Sinne einer lebenswerten Zukunft anders über den Gebäudebestand nachzudenken, als das so lange üblich war. Es bedeutet, neue Argumente zur Kenntnis zu nehmen und daraus Konsequenzen zu ziehen. Und auch hier geht es darum, die Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen, die die vermeintliche Überlegenheit des einen Vorgehens gegenüber dem anderen gesichert hat. Also um Privilegien. Es geht darum, in Frage zu stellen, wie bisher Neubauten gegenüber Bestandssanierungen bevorzugt werden und der Gebrauch von benutztem Baumaterial erschwert wird. Auch hier geht es um das Aushandeln von Konflikten, in denen die, die bisher so gut mit den Privilegien gelebt und von ihnen profitiert haben, diese Privilegien mitunter sehr vehement verteidigen.(8)

Und das geht am besten, indem man vertuscht, dass es um Privilegien geht. Etwa in dem man von einem Kulturkampf redet, der suggeriert, es gehe um ein Entweder-Oder, um ein Innen und Außen, um ein „die“ und „wir“. Darum, dass es sich nicht um einen Konflikt handelt, der ausgehandelt werden kann, der im Rahmen eines Kompromisses Zugeständnisse einfordert, der auf der Basis gemeinsamer Grundlagen zur Normalität einer demokratischen Gesellschaft gehört, die Veränderungen unterworfen ist. Zugegebenermaßen sind an Diskurs-Verhärtungen auch die nicht ganz ohne Anteil, die den Eindruck erwecken, jeden Abriss grundsätzlich abzulehnen oder das Bauen verbieten zu wollen. Allerdings muss dann auch anerkannt werden, dass die Lage des Unterprivilegierten immer die ist, die erst laut werden muss, um gehört zu werden und die nicht unbedingt gut beraten ist, schon von vornherein mit Kompromissvorschlägen in die Öffentlichkeit zu gehen, in der der anderen Seite von vorneherein die größten Anteile für sich in Anspruch nimmt. Und die nicht unbedingt ein Interesse daran hat, dass sich an ihrer privilegierten Lage überhaupt etwas ändert.

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„Das Kreuz hochhalten: Gerade in Zeiten eines Kulturkampfes müssen Zeichen gesetzt werden“, so die FAZ im Kommentar der Seite 1 vom 20. Dezember 2023. Und wem wird damit geholfen? (Bild: Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0, Dosseman)

Man könnte es also so formulieren: Wer vom Kulturkampf faselt, will die Ebene des Dialogs, der Verständigung, der Aushandlung von Konflikten verlassen. Kulturkampf ist die Behauptung einer universellen Unversöhnlichkeit. Wer den Kulturkampf proklamiert, will kein Problem lösen. Es gilt also, die Herausforderung, die gestellt wird, wenn der Kulturkampf aufgerufen wird, nicht anzunehmen und statt dessen darauf zu bestehen, dass andere Wege als der eines Kampfes beschritten werden. Sich von der Größe des Wortes nicht einschüchtern zu lassen, sondern sie als eine Inszenierung zu demaskieren, die der Einschüchterung dient, einer Einschüchterung, die sprachlos machen soll.

Das ist auch auf der Ebene jenes Kulturkampfes so, der tatsächlich Kultur als ein umfassenderes Konzept versteht – auch hier ist die Behauptung einer unveränderlichen, fixierten und eingekapselten kulturellen Identität ein Hindernis für den Dialog. Die Behauptung einer Kultur, die sich antagonistisch gegenüber einer anderen verhält, leugnet den Austausch, der ihr Werden überhaupt erst möglich gemacht hat. Mit anderen Worten: Das Konzept antagonistischer Kulturen verleugnet den Charakter von Kultur, verleugnet, dass sie sich im Austausch vollzieht und die permanente Mutation ihr Dauerzustand ist. Es gelte daher, so nochmals Jullien, Widerstand zu leisten gegen „die Abkapselung kulturell oder auf andere Weise definierter Gemeinschaften.“(9) Solche gegeneinander abgekapselte Gemeinschaften führen keinen Dialog mehr, sie bestehen auf der Eigenheit, die sie verteidigen. Und dieser Dialog müssten wir „vielmehr im Sinne jener Spannung denken, die, ausgehend vom Abstand und vom Gegenüber, das Gemeinsame hervorbringt.“(10)

 


(1) François Jullien: Es gibt keine kulturelle Identität. Berlin 2017. S. 50
(2) siehe hierzu beispielsweise: Bernd Roeck: Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance, München 2019, S. 904-912
(3) Andreas Reckwitz: Zwischen Hyperkultur und Kulturessenzialismus. Die Spätmoderne im Widerstreit zweier Kulturalisierungsregimes. Soziopolis.de, 24.10. 2016 >>>
(4) Bspw.: Kulturkampf Abriss oder Erhaltung in Berlin: Es braucht objektivere Entscheidungskriterien. Der Tagesspiegel, 28. 2. 2023 >>>
(5) Bspw.: Kulturkampf ums Rad. Radweg in Berlin. Die Zeit vom 30. Juni 2023 >>>
(6) Lucius Burckhardt: Der kleinstmögliche Eingriff. Kassel 2013, S. 17 (Manuskript 1979-1981)
(7) „Integration führt zu Konflikten.“ El-Mafalaani im Interview. gew.de, 6.12.2018 >>>
(8) siehe etwa: EU-Lieferkettengesetz vor dem Aus: FDP und Wirtschaftslobby attackieren Kompromissentwurf. Correctiv vom 24. Januar 2024 >>>
(9) François Jullien: Es gibt keine kulturelle Identität. Berlin 2017. S. 54
(10) ebd., S. 81