• Über Marlowes
  • Kontakt
 Bauen kann helfen. Aber es muss auch noch einiges anderes unternommen werden. (Bild: Christian Holl)
Marktgeschrei (36) | Ein Mann der großen Worte ist Olaf Scholz bekanntlich nicht. Manchmal fragt man sich, warum er so beharrlich schweigt. Um so gewichtiger wird es, wenn er sich dennoch zu Wort meldet. Nun hat er sich auch zum Wohnungsbau geäußert. Schade, dass er nicht wieder geschwiegen hat.

Es ist ein bemerkenswertes Statement, das Olaf Scholz nach dem Haushaltsdesaster im Internet verbreiten ließ. Dieses Mal wollte er wohl, anders als nach dem Terroranschlag der Hamas und den israelischen Gegenschlägen, nicht so lange warten, bis Robert Habeck sich an die Öffentlichkeit wenden würde, um die Haltung der Bundesregierung zu vermitteln. Dieses Mal wollte Scholz selbst die Menschen beruhigen. Dass Hilfen in besonderen Notlagen weiterhin möglich seien. Und dass sich Bundesregierung von „klaren Punkten“ leiten ließe. Unter diesen fünf „klaren Punkten“ findet sich der Klimaschutz nur in einem einschränkenden Nebensatz: Die Regierung wolle „unser Land unverändert modernisieren, damit wir auch in Zukunft eine starke Industrie, gute Arbeitsplätze und gute Löhne haben, wenn wir künftig klimaneutral wirtschaften.“ Wie sie klimaneutrales Wirtschaften erreichen will, bleibt weiterhin offen, dabei stellt sich doch gerade diese Frage nach dem Urteil aus Karlsruhe besonders dringend.

Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass die Partei des vermeintlichen Klimakanzlers nachdenklich werden lässt. Im „Eckpunktepapier einer Hessenkoalition der Verantwortung“, mit dem die Regierungsliason zwischen SPD und CDU in Hessen vorbereitet wird, heißt es einleitend: „Jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Aber noch nie waren es so viele auf einmal: Ukraine-Krieg und Hamas-Terror, Preis-, Wirtschafts- und Migrationskrise.“ Die Klimakrise hat sich offensichtlich ins Nebenzimmer zu den schmollenden Hessen-Grünen verzogen.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler

Man scheint nun auch bei der SPD der Meinung zu sein, dass die Folgen der Klimakrise nur Grünen-Wähler:innen treffen. Schon vor zwei Wochen hatte sich Olaf Scholz in einem Interview mit der Heilbronner Stimme zum Wohnungsbau geäußert. Dort hatte er ein radikales Umdenken gefordert: Man brauche „wahrscheinlich 20 neue Stadtteile in den meistgefragten Städten und Regionen – so wie in den Siebzigerjahren“, so Scholz. Moment mal, sind es nicht die Zins- und Preissteigerungen, die dem Wohnungsbau gerade so zusetzen, dass er eingebrochen ist? Man muss wirklich tief Luft holen angesichts solch geballter Realitätsferne, aber auch angesichts der leider ziemlich vorhersehbaren Antworten, die darauf gegeben wurden. Das Institut der Deutschen Wirtschaft reagierte wohlwollend, die Bundesarchitektenkammer skeptisch und die Grünen widersprechen.

Man könnte nämlich auch so antworten: „Lieber Olaf Scholz, danke für die Anregungen. Wir berücksichtigen sie schon seit Jahren. Wir versiegeln täglich 56 Hektar, obwohl auch eine CDU-SPD-Regierung noch 2013 bekräftigt hatte, dass es 2020 nur noch 30 sein sollten. Strategien, wie wir dieses Ziel nun 2030 erreichen wollen, sind nicht erkennbar. Wir haben neue Stadtteile auf der grünen Wiese gebaut, in Frankfurt (Riedberg) oder in Wolfsburg (Steimker Gärten) beispielsweise, auf Parkplätzen (München Südwest) und in Kleingartengebieten (Hamburg Pergolenviertel). Wir planen und bauen dichte Quartiere auf der grünen Wiese bereits reihenweise: in Frankfurt (Nordwest), Wiesbaden (Ostfeld), Köln (Kreuzfeld), München (Freiham, Nordost), Freiburg (Dietenbach), Hamburg (Oberbillwerder), Münster (Steinfurter Straße) – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wir planen große neue Stadtteile auf Brachen wie in Stuttgart (Rosenstein), Hamburg (Grasbrok), Leipzig (Leipzig416) oder Heidelberg (Patrick-Henry-Village), neue Wohnungen auf Konversionsflächen entstehen in Mannheim, Münster, Darmstadt, Berlin, in Köln, Bremen … Der Wohnungsbestand ist in Deutschland auf einem Rekordhoch und wuchs in den letzten Jahren stärker als die Bevölkerung.

Und wir stellen fest, dass das in den letzten Jahren praktizierte und propagierte „Bauen, Bauen, Bauen“ uns einer Lösung des Problems nicht näher gebracht hat. Das liegt nicht nur an den von Ihnen kritisierten falschen Wohnungen, die gebaut wurden, sondern daran, dass die Rahmenbedingungen nicht so sind, dass das Bauen auch denen zugute kommt, die bezahlbaren Wohnraum brauchen. Wir sehen, dass das Vertrauen in Großinvestoren uns nicht weitergeholfen hat, manche haben sich böse verspekuliert. Generell haben sie ohnehin kein Interesse, sich an der Lösung des Problems zu beteiligen. Um wirklich auf dem Wohnungsmarkt umzusteuern, muss die Bodenpolitik gemeinwohlorientiert reformiert werden, müssen die Möglichkeiten zur Spekulation eingedämmt werden, müsste die Intransparenz von Grundbucheintragungen angegangen, müsste der Umbau erleichtert werden und die Sonder-AfA anders aufgesetzt, das kommunale Vorkaufsrecht deutlich preislimitiert erweitert werden. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte neue Gemeinnützigkeit muss endlich eingeführt werden. Es müssen die Potenziale des Bestands in peripheren Lagen, namentlich in den vielen Einfamilienhausgebieten genutzt werden, anstatt neue Einfamilienhäuser zu fördern. Und man müsste endlich, wie es einer Ihrer Vorgänger vor fast fünfzig Jahren leider vergeblich versucht hatte, die leistungslosen Gewinne abschöpfen können. Solange dies alles nicht angepackt wird, werden uns weitere 20 Stadtteile auf der grünen Wiese nicht weiterhelfen.“

2349_AT_ch_Wohnungsbau

Alter Wein in alten (links) und in neuen Schläuchen (rechts). (Bild: Christian Holl)

Rechts blinken

So etwa. Man muss Scholz eigentlich nicht für so dumm halten, dass er all das nicht weiß, schließlich hat am 25. September gerade ein Wohnungsbaugipfel stattgefunden, die Regierung ein Paket vorgelegt, das zumindest einige der genannten Punkte berücksichtigt. Die Frage ist also, was Scholz dann geritten hat, sich derartig zu äußern. Verzweiflung angesichts der Umfragen und Wahlergebnisse? Scholz, so scheint es, will sich als ein Tabubrecher inszenieren, der ein vermeintlich starres dogmatisches Denken in Frage stellen will. Mit anderen Worten, er will sich sichtbar von all jenen distanzieren, die für Klimaschutz und gegen weitere Bodenversiegelung stehen. Also von die Grünen. Die Schuld daran, dass die Zahl fertig gestellter neuer Wohnungen nicht die Höhe der dummerweise in die Welt gesetzten 400.000 erreichen will, haben, so wird damit suggeriert, die, die sich gegen das Bauen auf der grünen Wiese wehren. Also die Grünen. Und die springen denn auch bereitwillig über das Stöckchen, das Scholz ihnen hinhält, beharren darauf, dass nur im Bestand gearbeitet werden soll. So bestätigen sie den Eindruck, den Scholz hervorrufen möchte. Besser wäre es, die Diskussion nicht auf „Bestand oder Neubau“ zuzuspitzen, sondern auf die tatsächlichen und bitteren Neubau-Realitäten zu verweisen und aufzuzeigen, wie wenig sich ändern kann, wenn man nicht bereit ist, die Mühen der Ebene auf sich zu nehmen. Wie wenig sich ändert, wenn Boden- und Spekulationsfragen, wenn Besitzverhältnisse und nicht erfüllte Gemeinwohlverpflichtungen des Eigentums außen vor bleiben. Dann würde sichtbar, dass das von Scholz geforderte Umdenken einer Fastenkur mit Schokotorten ähnelt und in etwa so radikal wie eine Verkehrswende mit E-Fuels ist. Also überhaupt nicht.

Wie Olaf Scholz zu suggerieren, man könnte diesen Mühen der Ebene mit einfachen Lösungen aus dem Weg gehen, ist letztlich kaum mehr als Populismus. Es scheint, als würden hier schon Gräben zum Partner der Regierungskoalition geschaufelt. Man ahnt, siehe Hessen, worauf es hinauslaufen könnte: auf eine Koalition mit der CDU, die für anstrengende Projekte wie eine neue Bodenpolitik oder den Kampf gegen Spekulation ohnehin nicht zu haben ist. Dann kann man sich wahrscheinlich leichter einreden, dass solche Projekte irgendwie doch nicht so wichtig sind. Das sind nicht nur für den Klimaschutz düstere Aussichten. Sondern auch für Menschen, die bezahlbaren Wohnraum brauchen.