Wir müssen reden. Über so einiges. Zum Beispiel darüber, wie mit einer politischen Ideologie Räume so gestaltet werden, dass selbstverständlich erscheint, was es nicht ist. Dass selbstverständlich erscheint, was Ausdruck eines Verteilungskampfes, der Machtsicherung ist oder der Diskriminierung dient. Was Ungerechtigkeiten produziert und Gewalt hervorruft. Zwei Bücher liefern Argumente.
Wohnen wird immer teurer – seit Jahren, ja, seit Jahrzehnten. Zwei Binsen zum Einstieg. Soweit die Zahlen vorliegen, scheint noch nicht einmal die sonst so vieles auf unheilvolle Weise aus den Angeln hebende Pandemie daran etwas zu ändern. Ein Grund für diese fortwährende Preisspirale, da sind sich erstaunlich viele Akteure einig, ist unser Umgang mit dem Boden. Allein zwischen 2015 und 2018 sind beispielsweise die Bodenpreise in Österreich um 76,01 Prozent gestiegen, während das Nettojahreseinkommen im selben Zeitraum um 9,07 Prozent sank. Diese beiden Zahlen stammen aus dem Begleitband zur Ausstellung „Boden für alle“, die im Architekturzentrum Wien (AzW) zu sehen ist.
Es ist ein beeindruckender Katalog, der kapitelweise die Ausstellung nachzeichnet und um eindrückliche Essays ergänzt. Gerlind Weber etwa kritisiert in mahnenden Worten den aktuellen Bodenfraß und fordert die dringend notwendige Abkehr von dieser Praxis. Ein ganzes Kapitel diskutiert Fragen, wann Boden überhaupt zur Ware wurde, wovon seine Preise abhängen oder welchen Einfluss beispielsweise Widmungen von Flächen auf diese Preise haben. Saskia Sassen weist in ihrem Text auf das Problem der Unternutzung von Immobilien hin, die nur mehr Anlageobjekte sind und ansonsten weitestgehend funktionslos in der Gegend herumstehen und eben einen Teil des Bodens besetzt halten. Eindrücklich liest sich auch der Beitrag der Wissenschaftlerin und Autorin Vandana Shiva, die eine postkoloniale und feministische Perspektive auf den Umgang mit Boden ins Spiel bringt, in der die kolonialistische Idee der Ausbeutung des Bodens als das dechiffriert wird, was sie ist: eine ernsthafte Bedrohung für den Fortbestand der Spezies Mensch.
Dazu kommen Beispiele, die unter der Überschrift „Gutes auf den Boden bringen!“ in vier Teilen im Buch verteilt sind: von der Umwandlung einer ehemaligen niederländischen Kalkgrube in der Nähe von Maastricht in ein Naturreservat über die Transformation von Stadtautobahnen in Seoul bis hin zu einem Wohnwagenproduzenten, der mitsamt seiner Mitarbeiter*innen in die österreichische Provinz umsiedelte und dort nicht nur fertigt, sondern sich als aktiver Teil in die Gestaltung der Dorfgemeinschaft einbringt. Diese Beispiele sind auch deswegen so toll, weil sie Mut machen. Weil sie zeigen, was sich bewegen lässt. Und weil sie klar machen, dass wir eben nicht in einer Sackgasse stecken, sondern das Heft des Handelns in die eigenen Hände nehmen können.
Allein die Grafik der Publikation kann sich nicht recht zwischen Hipness und Comic-Ästhetik entscheiden, was mal recht lustig, oft aber etwas anstrengend daherkommt. Dennoch ist das Buch aber vor allem deshalb so wertvoll, weil es nicht nur die auf unterschiedlichen Ebenen Mut machenden Beispiele zusammenträgt und vorstellt, sondern auch die planerischen Aspekte beleuchtet, die unsere gebaute Umwelt beeinflussen. Angelika Fitz, Karoline Mayer und Katharina Ritter fassen mit dieser Publikation die ökonomischen Momente ins Auge, die den Boden zur Ware machen und thematisieren vor allem die Wichtigkeit des Bodens im Gleichgewicht der biologischen und klimatischen Kräfte.
„Happyland“ nennt die Autorin Tupoka Ogette „den Zustand, in dem weiße Menschen leben, bevor sie sich aktiv und bewusst mit Rassismus beschäftigen“. Damit umschreibt sie in ihrem Buch Exit Racism „eine Welt, in der Rassismus das Vergehen der anderen ist. In Happyland wissen alle Bewohnerinnen und Bewohner, dass Rassismus etwas grundschlechtes ist, etwas, das es zu verachten gilt.“ Dazu kommt, so Ogette, dass Rassismus in Happyland „enorm moralisch aufgeladen“ ist: „Rassismus ist: NPD, Baseballschläger, Glatzen und inzwischen auch die AfD. Es ist Hoyerswerda, Hitler und Ku-Klux-Klan.“ In dieser Vorstellung, so die Autorin des bemerkenswerten Buches, ist Rassismus nicht ambivalent, „denn rassistisch ist, wer schlecht ist. Darüber gibt es in Happyland einen Konsens.“ Man muss sich dies vor Augen halten, wenn man aktuelle Diskussionen um Rassismus und Antisemitismus betrachtet. Anders als in Happyland können wir in der echten Welt durchaus rassistisch handeln, ohne bewusst Rassisten zu sein, für antisemitische und alle anderen „grundschlechten“ Handlungen gilt das in vergleichbarer Weise. Viele der Reaktionen auf Texte des Stuttgarter Architekturtheoretikers Stephan Trüby zum Thema „Rechte Räume“, die in den vergangenen Jahren verfasst wurden, scheinen aus Happyland zu stammen: Rassistisch oder gar antisemitisch handeln? Das tun nur die anderen. Die Verkürzung der Diskussion und die Übertragung der Kernfragen von Trübys Texten auf andere Themenbereiche in den Repliken waren zudem oft Paradebeispiele für „What-Aboutism“, also dem Ausweichen einer Antwort durch eine Gegenfrage, die vom ursprünglichen Thema wegführt.
So ging es in der Diskussion um ein antisemitisches Zitat auf einem von Hans Kollhoff geplanten Stadtplatz in Berlin nicht darum, den Architekten als Antisemiten zu diffamieren, wie Niklas Maak und andere schrieben, oder gar um eine Bewertung der angrenzenden Architektur, sondern zunächst um die Frage, wie es sein kann, dass ein solches Zitat an dieser Stelle auftaucht. Über andere Teile des ursprünglich von Verena Hartbaum verfassten und in Arch+ 235 wiederveröffentlichen Textes lässt sich dabei durchaus streiten. Die Auseinandersetzungen um das Dom-Römer-Areal in Frankfurt nahmen ihren Ursprung nicht etwa in der Unterstellung, dass Fachwerk böse sei oder Wiederaufbau per se schlecht, sondern in dem Hinweis darauf, mit wem und wessen Agenda man da im Ursprung gemeinsame Sache macht.
Trüby hat die strittigen Texte nun erneut veröffentlicht, teilweise ergänzt und diese Sammlung um einige Gespräche zu einer neuen Ausgabe der Bauwelt Fundamente erweitert. Dabei nimmt der Autor selbst eine Einschätzung des Geschehens vor, wie er einige Definitionen erläutert. So zum Beispiel die, was Rechtsradikalismus eigentlich ist. So definieren die hiesigen Verfassungsschutzbehörden ihn als „überspitzte, zum Extremen neigende Denk- und Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits ‚von der Wurzel (lat. Radix) her‘ anpacken will“. Dabei wird auch festgehalten, dass radikale politische Auffassungen ihren legitimen Platz in unserer pluralistischen Gesellschaft haben, so lange sie die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennen.
Mit Blick auf die Geschehnisse in den USA sind auch die Kapitel „Aufklärung der Dialektik. Über rechte Räume in den USA“ und „Architekturen des durchdrehenden Neoliberalismus“ lesenswert, zeigen sie doch, wie Architekturproduktion als Teil dessen funktioniert, was Trüby „Metapolitik“ nennt – jene Prozesse, die vor den eigentlichen politischen Entscheidungsfindungen lanciert werden und damit verschiedene Projekte erst möglich machen.
Der Hinweis, man bewege sich als Architektin oder Architekt per se auf ideologiefreiem Terrain, da man selbst ja oft genug kundgetan habe, keinem der eingangs geschilderten Ismen zu frönen, führt aus bestimmten Fragestellungen eben nicht hinaus. Beispielsweise, wie man es damit hält, Teil eines Projekts zu sein, das einst von Rechtsradikalen initiiert wurde, warum genau man ein Zitat eines antisemitischen Autors wählt oder was es bedeutet, wenn Geldgeber der Sanierung eines angesehenen Konzerthauses auch rechte Think-Tanks und Stiftungen unterstützen. Es bedeutet nicht, dass die jeweils Handelnden überzeugte Rechtsradikale oder Antisemiten sind, eine Haltung und kritische (Selbst-)Reflexion ist dennoch wünschenswert.
Tupoka Ogette zeigt das in ihrem Buch „Exit Racism“ auf, auch wenn die Selbsterkenntnis dabei nicht immer angenehm ist. Die Systematik von Ogettes Buch aber, die Hilfestellung und Exit-Strategie, die hätte man Trübys Texten doch gewünscht. Man muss die Tonalität, die Trüby hier anschlägt, nicht mögen, hilfreich ist das Buch trotzdem. Zum einen ganz einfach, weil es die Texte zum Thema sammelt, zum anderen, weil es Teil eines Wegweisersystems sein könnte, einen gemeinsamen Weg aus dem architektonischen Happyland zu finden.
Die beiden Texte wurden zuerst auf den Seiten der Zeitschrift der architekt veröffentlicht.