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Bild: Christian Holl

Die aktuelle Epidemie zu bewältigen ist mit enormen Anstrengungen verbunden. Wenn die Verwerfungen der Krise sich nicht nach ihrem Ende verschärfen sollen, müssen jetzt die richtigen Weichenstellungen vorgenommen werden. Auch auf dem Boden- und Immobilienmarkt

Das Corona-Virus ist Auslöser für die schwerwiegendsten wirtschaftlichen Einschnitte seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Um Deutschland vor dem wirtschaftlichen Kollaps zu bewahren, soll ein Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) errichtet werden, der 400 Mrd. Euro Staatsgarantien für Verbindlichkeiten, 100 Milliarden Euro für direkte staatliche Beteiligungen und 100 Milliarden Euro für Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) vorsieht. Dabei sind auch Soforthilfen für Unternehmen in Höhe von 50 Milliarden Euro geplant.

Mit allen weiteren Maßnahmen zusammen hat die Regierung mittlerweile etwa 1,35 Billionen Euro an Hilfen zugesagt, was circa 40 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung ausmacht. (1) Die schwarze Null ist Geschichte. Die Regierungskoalition möchte zunächst 156 Mrd. Euro neue Schulden machen. Das wird aber nicht alles gewesen sein. Manche Stimmen gehen davon aus, dass die Corona-Krise allein für Deutschland teurer als die deutsch-deutsche Wiedervereinigung werden wird.

Derzeit muss alles darangesetzt werden, angesichts der Einnahmeneinbrüche die Haushalte und Unternehmen von fixen Kosten zu entlasten. Die Regelungen der Bundesregierung waren diesbezüglich zunächst einmal zielführend. Mietrückstände aus den Monaten April bis Juni 2020 dürfen einstweilen nicht zur Kündigung führen. Allerdings müssen die Mieten bis zum 30.06.2022 nachgezahlt werden. Hier wären weitergehende Maßnahmen wünschenswert gewesen; in den kommenden Monaten wird es wohl auch noch zu einigen Gesetzesreparaturen kommen. (2)Trotz der getroffenen Maßnahmen ist davon auszugehen, dass der deutsche Immobilienmarkt ordentlich durcheinandergeworfen wird. Dies betrifft nicht nur Mieter. Auch viele Eigentümer werden die Schulden nicht mehr bedienen können und zum Verkauf gezwungen sein. Vorübergehend ist mit Preiseinbrüchen zu rechnen.

Der derzeitige Shutdown kann allerdings nicht über mehrere Monate durchgehalten werden; er wird sukzessive wieder aufgehoben werden müssen. Wenn auch die Nachwehen über eine gewisse Zeit noch zu spüren sein werden (vor allem Arbeitslosigkeit), wird sich die Wirtschaft über kurz oder lang wieder erholen.


Nach Corona: Wie die Lasten schultern?


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Wie werden nach der Krise deren soziale und finanzielle Folgen gemeistert werden? Bild: Christian Holl

Wenn die Wirtschaft wieder auf die Beine kommt, werden auch die Immobilienwerte wieder ansteigen. Genauer gesagt ist der Anstieg dann vor allem auf die Bodenwerte zurückzuführen. Der Bodenwert ist ein Indikator für die konjunkturelle Lage. Diejenigen, die in der Krise billig gekauft haben, werden dann hohe Immobilien- beziehungsweise Bodenwertzuwächse erzielen können.

Nach dem Ende der Einschränkungen wird es nicht zuletzt darum gehen, die sozialen und finanziellen Folgen der Corona-Krise solidarisch zu schultern. Eine höhere Belastung der Einkommen nach dem Vorbild des Solidaritätszuschlages würde allerdings sehr stark die Arbeitnehmer und auch Selbstständige treffen, die ohnehin unter den Folgen der Corona-Krise zu leiden haben und wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen müssen. Eine Umsatzsteuererhöhung wäre zwar fiskalisch effektiv, wirkt aber in sozialer Hinsicht regressiv. Zu denken wäre auch an eine einmalige Vermögensabgabe oder eine Vermögensteuer. Dem steht aber allein schon die Komplexität bei der Vermögensbewertung im Weg. Besonders die südeuropäischen Staaten haben nicht die notwendige Finanzverwaltung hierzu. Außerdem ist die Vermögensteuer für konservative und liberale Kräfte ein „No-Go“, die an den üblichen politischen Frontlinien zu scheitern droht. Richtig an diesen Überlegungen ist jedoch, dass sie letztlich auf das Eigenkapital der Vermögensbesitzer abzielen. Die Vermögensteuer ist vom Wesen her eine Subjektsteuer, bei der Schulden als Minderungen der Leistungsfähigkeit abgezogen werden können. Das Eigenkapital ist letztlich das Spiegelbild der ökonomischen Leistungsfähigkeit.


„Boden-Soli“


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Der Boden ist wesentlicher Teil des Werts von Immobilien. Bild: Christian Holl

Immobilien sind der mit Abstand wichtigste Vermögenswert – sie machen circa 83 Prozent des volkswirtschaftlichen Sachvermögens aus. (3) Immobilien bestehen in der Regel aber aus zwei Wirtschaftsgütern: zum einen Grund und Boden, zum anderen das aufstehende Gebäude. Im Bundesdurchschnitt ergibt sich eine Relation zwischen den aufstehenden Gebäuden (die das Anlagevermögen dominieren) und den Grundstücken von etwa 70 Prozent zu 30 Prozent. (4) Was die Finanzierungsseite angeht, zeigen sich typischerweise zu Beginn einer Finanzierung ebenfalls Relationen von Fremd- zu Eigenkapital von circa 70 Prozent zu 30 Prozent. (5) In einer Schichtenbetrachtung wird also das Gebäude dominant durch Fremdkapital und der Boden dominant über Eigenkapital finanziert. Diese quantitativen Entsprechungen sind kein Zufall:

  • Investitionen in Gebäude generieren Abschreibungen, welche zur Kredittilgung genutzt werden können. Die Finanzierungskonditionen sind zumeist für viele Jahre fix vereinbart.
  • Der Boden ist hingegen ein nicht abnutzbares Wirtschaftsgut, auf den keine Normalabschreibungen entfallen – genauso wenig, wie das Eigenkapital Tilgungen benötigt.
  • Der Bodenertrag stellt – wie der Gewinn aus einer Immobilie – eine Restgröße dar. Dieser Rest entsteht, nachdem aus den Einnahmen die überwiegend fixen sonstigen Kosten bezahlt wurden.

 

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Grafik: Dirk Löhr

Die links gezeigte Abbildung stellt dies nochmals im Überblick dar.

Kommt es nach Ablauf der Corona-Krise wieder zu einer Erholung, werden die Immobilienerträge und Immobilienpreise wieder ansteigen. Dies ist dann aber vor allem auf die ansteigenden Bodenerträge zurückzuführen, weil die auf den Boden entfallenden residualen Erträge steigen. (6) Dies wirkt sich dann auch auf die Bodenwerte entsprechend aus.
Aus diesem Grunde bietet es sich an, die Erträge wenigstens für einen begrenzten Zeitraum über eine solidarische Bodenwertabgabe abzuschöpfen. Durch einen solchen „Boden-Soli“ wird aufgrund der dargestellten typischen Finanzierungskonstellation primär das Eigenkapital der Immobilieneigentümer herangezogen. Eine Belastung von Arbeit und Investitionen sowie des Verbrauchs könnte hingegen die wirtschaftliche Erholung bremsen und wäre daher kontraproduktiv. Durch einen Boden-Soli tragen vor allem diejenigen zu den Finanzierungslasten bei, die ansonsten passiv – ohne eigenes Zutun – von einer wirtschaftlichen Erholung wieder profitieren würden.

Ein solcher Boden-Soli könnte in einer Höhe von einem Prozent auf den Bodenwert festgesetzt werden. Bei einem Bodenwert von aktuell etwa 5.000 Mrd. Euro in Deutschland (7) wäre damit die Pandemie-bedingte Neuverschuldung in der Höhe von ungefähr 150 Mrd. Euro in 3,5 Jahren abzutragen, wenn es sich um eine rein deutsche Abgabe handeln würde.


Solidarität mit den europäischen Partnern


Allerdings ist nicht nur Deutschland betroffen, sondern ganz Europa – vor allem Italien und Spanien. Doch die finanzielle Solidarität fällt schwer. Insbesondere von den Nord-Staaten wird eine Corona-Anleihe („Corona-Bonds“) abgelehnt; es wird befürchtet, dass dies ein Einfallstor für die Vergemeinschaftung weiterer Schulden darstellen könnte. (8) Auf der anderen Seite könnte sich die Krise für die europäische Idee als existenzgefährdend erweisen, wenn den schwächeren Staaten die Solidarität verweigert wird. Vorzugswürdig wäre es daher, die Bodenwertabgabe in einen europäischen Sonderfonds fließen zu lassen. Die Mittel aus diesem Sonderfonds könnten an die verschiedenen europäischen Länder nach einem Schlüssel verteilt werden, der sich an der Einwohnerzahl und der Betroffenheit durch die Corona-Epidemie orientiert. (9)

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Warum nicht Europa stärken und die Bodenwertabgabe in einen europäischen Sonderfonds überführen. Bild: Christian Holl

In Ländern wie Deutschland wäre die Abgabe technisch relativ einfach durchzuführen. In Deutschland sind nach § 196 Abs. 1 S. 1 BauGB flächendeckend Bodenrichtwerte festzustellen. In anderen Ländern, die kein ausgebautes Gutachterausschusswesen haben, könnte ein Fiskalregister erstellt werden. Dabei erfolgen entweder Bodenrichtwerterhebungen auf statistischer Grundlage oder es findet eine grobe Richtwertermittlung auf Basis von Lageklassen statt. (10) Nachrangig und ergänzend könnte ebenfalls eine Selbstveranlagung der Grundstückseigentümer unter der Maßgabe erfolgen, dass die öffentliche Hand ein Vorkaufsrecht zu dem vom Eigentümer angegebenen Bodenwert ausüben darf. Bei entsprechendem politischen Willen und genügend Entschlossenheit könnten sich die betreffenden Maßnahmen innerhalb von wenigen Monaten durchführen lassen. Zu einer Auszahlung aus dem europäischen Sonderfonds kommt es nur dann, wenn das betreffende Land vorher die von der EU geforderten Einzahlungen auf Grundlage des Fiskalregisters geleistet hat. Dieses muss zuvor von der EU offiziell akzeptiert worden sein.


Kehrtwende?


Die Corona-Krise hat die Länder mit einem schwachen öffentlichen Gesundheitswesen am stärksten getroffen. Vor allem hier wurden die Bodenerträge in der Vergangenheit weitestgehend privatisiert, anstatt sie – im Sinne des Henry-George-Prinzips (11) – für die Bereitstellung öffentlicher Leistungen wenigstens teilweise abzuschöpfen. Die Folgen der Pandemie betreffen aber viele Länder.

Vor allem asiatische Staaten haben gezeigt, wie die Bekämpfung des Virus und seiner ökonomischen und sozialen Folgen funktionieren könnte. Zu erwähnen ist hier insbesondere Singapur. Der Stadtstaat ist zwar in politischer Hinsicht nur sehr bedingt ein Vorbild; er zeigt jedoch, dass öffentliche Bereitstellungsleistungen in auskömmlicher Weise erbracht werden können, wenn nur die Bodenerträge als Finanzierungsquelle genutzt werden.


Der Beitrag ist zuerst erschienen in der Zeitschrift HUMANE WIRTSCHAFT. Wir danken Der Redaktion für die Möglichkeit, ihn hier wieder zu veröffentlichen.

Zum Thema sind weitere Beiträge auf dem Blog des Autors zu finden:


(1) Focus (2020): 750 Milliarden Euro! Das ist die Corona-Quittung, die Deutschland jetzt zahlt, 26. März. Online >>>
Ettel, A. und Zschäpitz, H. (2020): Das 9,2-Billionen-Euro-Experiment. Welt, 26. März. Online >>>
(2) Haufe (2020): Vorerst keine Kündigung bei Corona-bedingten Mietschulden. 27. März. Online >>>
(3) Destatis (2019): Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen 1999 – 2018, Wiesbaden, Tab. S1 + S11. Online >>> ; eigene Berechnungen.
(4) ebd.
(5) M. Jäger, M. Voigtländer (2006): Immobilienfinanzierung – Hypothekenmärkte und ihre gesamtwirtschaftliche Bedeutung. Forschungsberichte aus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Köln, S. 30; BBSR (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.): Auswirkungen von Basel III auf die Immobilienfinanzierung in Deutschland. BBSR-Online-Publikation 09/2014, Bonn, September 2014, S. 13.
(6) Knoll K., Schularick M., Steger T. (2017): No Price like Home: Global House Prices, 1870-2012. American Economic Review 107: 331 – 353.
(7) Vgl. (3)
(8) Süddeutsche Zeitung (2019): Heftiger EU-Streit über Coronabonds, 29. März. Online >>>
(9) Vgl. Harrison F. und Löhr, D. (2013): Ricardo und die Troika – für die Einführung einer EU-Bodenwertabgabe. Wirtschaftsdienst 93, S. 702 – 709.
Eigentlich ist eine Bodenwertabgabe genuin eine kommunale Abgabe; dennoch kann sie auch dazu dienen, übergeordnete staatliche Stellen mit zu finanzieren.
(10) Ein grobes Verfahren zur Ermittlung von Bodenrichtwerten könnte folgendermaßen aussehen, wenn kein Gutachterausschusswesen zur Feststellung von Bodenrichtwerten existiert: Es wird ein lokales Komitee mit Sachverständigen und Ortskundigen eingesetzt. Dieses unterteilt eine Kommune in eine überschaubare Anzahl von Lageklassen (ländliche Kommunen mit niedrigen Bodenwerten haben vielleicht ein bis drei Lageklassen, in Großstädten gibt es vielleicht zehn davon). Es wird ein generalisiertes, durchschnittliches Bodenrichtwertniveau für eine Durchschnittslage (Mediancharakter) geschätzt. Jeder Lageklasse wird daraufhin eine Lagekennzahl zugewiesen, welche die Wertigkeit in Relation zur Durchschnittslage festlegt. Transaktionen werden statistisch erfasst und in der Folge die Bodenrichtwertermittlung sukzessive verfeinert. S. ähnlich Empirica (2019): Reform der Grundsteuer – zoniertes Bodenwertmodell statt eierlegender Wollmilchsau, empirica-Paper Nr. 249. Online >>>
(11) Vgl. Arnott, R. J. und Stiglitz, J. E. (1979): Aggregate Land Rents, Expenditure on Public Goods, and Optimal City Size. Quarterly Journal of Economics 93, S. 471-500.