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Bild: Christian Holl

Die Debatte, wie Städte gestaltet werden können, wie Boden- und Immobilienspekulation eingedämmt und die Handlungsfähigkeit von Städten und Gemeinden verbessert werden kann, hat in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen. Plädieren die einen – wie etwa das Deutsche Institut für Urbanistik – für bodenreformerische Maßnahmen und mehr Handlungsspielraum für Kommunen, schlagen andere, wie das Deutsche Institut für Stadtbaukunst in der Düsseldorfer Erklärung, eine Deregulierung von Dichtegrenzen und eine Entwicklung der Stadt durch die private Hand vor. Es scheint, als stehe sich – wieder einmal – Urbanistik und Städtebau gegenüber. Ein Versuch, den lähmenden Widerspruch aufzulösen und Konturen eines sozial-ökologischen Städtebaus zu formulieren.


„Städtebau.Positionen“ (3) | In der Serie stellen Professorinnen und Professoren deutscher Hochschulen Perspektiven auf die Stadt und die Disziplin der Planung vor. Die Serie versteht sich als öffnender Beitrag zum Diskurs über Stadt, als Panorama der städtischen Vielfalt und Themen, mit denen umzugehen wir herausgefordert sind.



Es ist zweifelsfrei eine verheißungsvolle Vorstellung von Stadt, die der Düsseldorfer Erklärung zugrunde liegt. Ihr wichtigstes Merkmal ist die klare Trennung zwischen öffentlichen Räumen und privaten Blockrandbebauungen: Während die Anlage und Pflege von Straßen, Plätzen und Parks der öffentlichen Hand obliegen sollen, soll der Block als Zusammenschluss mehrerer Häuser privat entwickelt und von verschiedenen Architekten gestaltet werden, mit gemischten Nutzungen auf der Parzelle und halböffentlichen Höfen für Kinderspiele, Gartenfeste und andere Gemeinschaftsaktivitäten. Dauerhafte Fassaden sollen die Nachbarschaften von öffentlichen Plätzen abschirmen, die – von Cafés, Restaurants und Geschäften flankiert – ein vitales urbanes Leben bieten. Ein Narrativ von Stadt, wie es im Übergang ins 20. Jahrhundert an vielen Orten in Europa entstanden ist und soziale Durchmischung, funktionale Diversität, Wandelbarkeit in der Nutzung und kurze Wege verspricht.


Stadtentwicklung im Kontext der Finanzialisierung


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Bild: pxhere

Aber dieses Bild ist nicht nur problematisch, weil es mögliche Qualitäten anderer Typen und Räume verkennt und sich somit dogmatisch gegen die heterogene Realität der bestehenden Stadtlandschaften richtet, sondern weil mit den Mechanismen der heutigen Stadtentwicklung seine Versprechen nicht eingelöst werden können. Denn die Akteure, die diesen Städtebau historisch produziert haben, haben sich in gleichem Maße verändert wie die Ökonomie im Allgemeinen. Zwar versuchen private Bauträger immer noch die Gebäudedichte optimal auszureizen; aber die Nutzungen, die das beste Geschäft versprechen, sind heute in guten Lagen bevorzugt Gewerbeimmobilien, hochpreisige Wohnungen und im Erdgeschoss Einzelhandelsketten (oder auch dort Wohnungen), in weniger guten Lagen Supermärkte, Baumärkte, Fitnesscenter und B- und C-Gewerbeimmobilien. Auch hat sich der Maßstab der Investitionen und damit der Gebäude verändert: Kaum wird noch die klassische Typologie des städtischen Mietshauses mit sechs bis acht Fensterachsen in der Stadt entwickelt, sondern immer größere Kisten, die einen oder gar mehrere Häuserblocks umspannen können – die sich entweder abschotten oder, wie Shoppingmalls, nicht weniger die Urbanität zerstören. Wenn die Kosten für den Grundstückserwerb je nach Lage bis zu 70 Prozent der Gesamtkosten ausmachen, dann muss es durch die Masse wettgemacht werden. Und die Architektur muss ökonomische Vorgaben mit Marketingerwartungen vereinbaren. Das überall zu beobachtende Resultat ist nicht die feinkörnige, sozial und funktional durchmischte Stadt, sondern die verklumpte, insular monotone, ästhetisch oftmals vulgäre, manchmal auch in hübsche, aber großkörnige Blockrandbebauungen gegossene, wie sie Bernd Albers in seinem Gewinnerentwurf für Berlin-Brandenburg 2070 suggeriert.

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Detail Siegerentwurf im internationalen städtebaulichen Ideenwettbewerb Berlin-Brandenburg 2070, Bernd Albers Gesellschaft von Architekten mbH, Vogt Landschaft GmbH, Arup Deutschland GmbH.
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Darüber wird spätestens seit den frühen 1990er Jahren kontrovers diskutiert. Umso erstaunlicher, dass dreißig Jahre später immer noch Fachleute dem Glauben verfallen sind, der private Markt entwickelt eine gute und schöne Stadt. Vor allem, da sich die Situation seitdem in vielen Städten verschärft hat. So fiel nach der letzten Finanzkrise das Fluten des Immobilienmarkts durch unfassbare Geldmassen mit dem Ausverkauf zentral gelegener öffentlicher Liegenschaften zusammen. Hinzu kam noch der Aufstieg der Kreativindustrie und der Technologieunternehmen, die es vermehrt in die Städte zieht. „Der liberale Glaube daran, dass eine Nachfrage nach Wohnungen auch ein Angebot schaffe, ist seit hundert Jahren in Beweisnotstand“, schrieb Lucius Burkhardt vor 40 Jahren. (1) Dass ein deregulierter Immobilienmarkt keine soziale und funktionale Durchmischung erzeugt, muss mittlerweile ebenso jedem klar sein, wie dass er keinen ökologischen Städtebau der kurzen Wege und dauerhaften Gebäude hervorbringt. Hierin liegt das große Missverständnis. Denn obwohl die Innenstädte sich baulich verdichten, dünnt ihre Bevölkerungsstruktur immer mehr aus. Viele Menschen, selbst aus der oberen Mittelschicht, können bei den Mieten der Innenstadt nicht mehr mithalten. Die Entwicklung in den Schwarmstädten hin zu einer exklusiven Mitte und schwachen Peripherie birgt nicht nur sozialen Sprengstoff, sie ist auch ökologischer Wahnsinn. Denn die Entfernungen zwischen Wohnort und Arbeitsstätte steigen ins Unermessliche, insbesondere für jene, die so essenziell für das Funktionieren der Städte sind.


Diversifizierung des Immobilienmarkts


Doch wie lässt sich der Kurs des Tankers verändern? Und welche Bodenpolitik läge einer sozial-ökologischen Stadtentwicklung zugrunde? Um es deutlich auszusprechen: Obwohl es ein Fehler war, öffentliche Liegenschaften in guten Lagen konzeptungebunden an die Meistbietenden zu verkaufen, ist Skepsis gegen die Sozialisierung von Grund und Boden angebracht. Wenngleich sie in unserer Verfassung vorgesehen ist, verbietet es die besondere deutsche Geschichte, leichtfertig mit Enteignungen umzugehen. So schädlich das Monopol von Immobilienentwicklern in der Raumproduktion ist (was nicht liberal ist) und das Monopol des Grundbesitzes einiger Weniger wie in Luxemburg, wo ein Prozent der Bevölkerung ein Viertel des gesamten Baulands besitzt (was ebenso wenig liberal ist), so wenig zielführend ist die Verschiebung dieses Monopols in die öffentliche Hand. Da das Pendel jedoch so stark auf die Seite der Immobilienwirtschaft ausgeschlagen hat und viele Gemeinden fast nur noch Liegenschaften in Randlagen halten, erscheint eine Aufstockung des öffentlichen Bodenreservoirs mehr als geboten. Da Kommunen jedoch oftmals nicht die Mittel haben, eine strategische Bodenpolitik zu betreiben, steht die nachvollziehbare Forderung nach einem nationalen oder europäischen Bodenfonds im Raum. Eine solche Bodenpolitik ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für eine andere Stadtentwicklung.

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Bei vielen Projekten der IBA Berlin wurde das Erbbaurecht genutzt. So auch bei den Wohn- und Geschäftshäusern in der Kochstraße. (1981–1987, Aldo Rossi; Bild: CC BY-SA 4.0, Gunnar Klack)

Denn die entscheidende Frage ist, was die öffentliche Hand mit den Liegenschaften anfängt, wenn sie darauf nicht notwendige Infrastrukturen baut oder die Grundstücke nicht konzeptgebunden wiederverkauft? Sie kann sie über Erbbaurechte vergeben – ein Instrument, das sich auch bei privaten Landbesitzern als nachhaltige Anlageform immer größerer Beliebtheit erfreut. Sie kann sie entweder wie bei der Neubau-IBA Berlin 1987 an kommunale oder landeseigene Wohnungsbaugesellschaften vergeben, die offen für architektonische und städtebauliche Experimente sein müssen und primär der Gemeinwohlorientierung verpflichtet sein sollten. Oder sie kann sie an private Investoren vergeben, mit denen es zu einem fairen Aushandlungsprozess um den Erbbauzins, das Nutzungsprogramm und eventuell – was umstritten ist – die Höhe der Mieten kommt. In jedem Fall wird im Zuge des Erbbaurechtsverfahrens das nicht mehr benötigte Geld für den Bodenerwerb besser investiert, weshalb Ökonomen wie Ottmar Edenhofer im Umkehrschluss die Spekulation mit Grund und Boden auch ökonomisch für irrsinnig halten, weil das Geld in produktiven Bereichen viel besser aufgehoben ist. Oder Gemeinden vergeben Erbbaurechte an Baugemeinschaften und Baugenossenschaften, die es kaum vermögen, auf dem freien Markt um Grundstücke zu konkurrieren. Wenn es im Städtebau noch eine Emanzipation des Bürgers im liberalen Sinn gibt, dann in den Gemeinschaften der Mittelklasse der Spätmoderne und nicht im freistehenden Einfamilienhaus – und noch weniger trifft das Emanzipationsargument auf Bauträger zu. Das Erbbaurecht dämmt demnach die ökologisch, ökonomisch und sozial problematische Bodenspekulation ein und diversifiziert den Immobilienmarkt. Es ermöglicht einer Gemeinde, ihre Stadtentwicklung gegebenenfalls effektiver als anhand von Bauleitplanungen zu steuern, ohne sie dabei selbst zu entwickeln, und schließt Investoren aus der Stadtentwicklung nicht aus.

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Vorbild für andere Städte: München und die sozialgerechte Bodennutzung SoBoN. (Bild: pixabay)

Wo welcher Städtebau strategisch betrieben wird, ist immer eine Frage des Kontexts, dabei generiert das Erbbaurecht eine viel dynamischere Stadtentwicklung als rigide Masterplanungen. Es als „Bodenverleih“ für „philanthropische Eigentümer mit niedrigen Renditeerwartungen vorzugsweise am Stadtrand“ zu verspotten, wie kürzlich Michael Mönninger in der FAZ, (2)wird den Möglichkeiten dieses Instruments jedenfalls in keiner Weise gerecht. Doch vermutlich wird der prinzipielle Einsatz des Erbbaurechts auch bei einer relativen Vermehrung des öffentlichen Bodenreservoirs nicht mehr ausreichen, um die Städte wieder mehr zu durchmischen; dieser Weg ist auch nur langfristig wirksam. Immer mehr Kommunen praktizieren daher sogenannte Baulandmodelle wie die Münchner sozialgerechte Bodennutzung (kurz SoBoN). Bei der Ausweisung neuen Baurechts werden städtebauliche Verträge mit den Immobilienentwicklern geschlossen, in denen u.a. der Anteil des geförderten Wohnungsbaus geregelt wird. Und auch, welcher Anteil der planungsbedingten Gewinne in Gemeinbedarfseinrichtungen und grüne Infrastruktur investiert werden muss. Vonnöten wäre auch die Einführung einer Bodenwertsteuer, um die Innenentwicklung der Städte voranzutreiben. In Luxemburg könnte man die hier Beschäftigten problemlos unterbringen, wenn man die in den Bebauungsplänen ausgewiesenen Grundstücke endlich entwickeln würde. Aber so liegen sie einfach brach und gewinnen, Jahr für Jahr an Wert. Mehr als Aktien, mehr als Gold und deutlich mehr als das Sparkonto.


Sozial-ökologischer Städtebau


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Arealentwicklung Lysbüchel-Süd, Basel. (Bild: Stiftung Habitat / Metron)

Welcher Städtebau würde den ökologischen Herausforderungen nun gerecht werden, wenn diese Instrumente der Stadtentwicklung genutzt würden? Welcher Städtebau muss in den nächsten 30 Jahren entwickelt werden, wenn unsere Städte klimaneutral werden wollen, sprich wenn wir den CO2-Ausstoß je nach Stadt auf ein Zehntel des aktuellen reduzieren müssten, um die zentrale Zielvorgabe des Weltklimarats einzuhalten? Und welcher Städtebau verspricht Resilienz gegenüber Klimaerwärmung und Pandemien? Blockrandbebauungen sind ein möglicher Typus, auch wenn sie eine relativ hohe Versiegelungsfläche aufweisen. Poröse und kleinteilig angelegte Blockrandbebauungen können eine besondere Intensität urbaner Erdgeschossfunktionen und im Sinne der Kreuzberger Mischung eine Kombination von Wohnen und Arbeiten generieren. Aber der zeitgenössische Städtebau darf sich nach dem „Ende der Zuversicht“ (Wolfgang Pehnt) in seinem Repertoire nicht unnötig einengen lassen, sondern muss sich jedes Mal emphatisch auf den Topos einlassen.

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Prospektive Gross-Genf 2050 (Bild: Florian Hertweck / Milica Topalovic / Etienne Delgado)

Eine besondere Rolle in der Produktion, der Nutzung und dem Verhandeln von Stadtentwicklung wird – zwischen öffentlich und privat, kollektiv und individuell – das Gemeinschaftliche spielen. Die derzeitige sanitäre Krise hat den schwelenden Widerspruch unserer Gesellschaft zwischen einerseits dem subjektiven Wunsch nach mehr Raum und andererseits der objektiven Notwendigkeit, die individuelle Wohn- und Siedlungsfläche zu reduzieren, verschärft. Gemeinschaftlich genutzte Flächen, egal ob sie außen- oder innenliegend sind, können diesen Widerspruch auflösen, indem sie das hinzugeben, was individuell reduziert wird. Auch geben sie Impulse, Mobilitätsreduktion als Gewinn an Lebensqualität zu empfinden, durch gemeinschaftliche Aktivitäten in Gärten, Co-Working-Räumen, Werkstätten, usw. Das Mantra der kompakten Stadt mit ihrer suggerierten Trennung von Urbanität und Landschaft wird dann von engmaschigen Stadt-Land-Systemen abgelöst werden, in denen es zu einem intensiven Zusammenspiel von Geplantem und Ungeplantem, von Gebautem und Unbebautem kommt: vielfältige urbane Strukturen, die sich mit urbanen Landwirtschaftsflächen und Topologien der Biodiversität verweben.


(1)Lucius Burckhardt, „Selberbauen, ökologisch bauen, regional bauen“, in: Michael Andritzky, ders., Ot Hoffmann (Hg.), Für eine andere Architektur. Bauen mit der Natur und in der Region, Band 1, Frankfurt a. M. 1981, S. 11.
(2) Michael Mönninger, „Die Stadt gehört immer den Falschen“, in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. April 2020.