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Carl Fingerhuth (1936–2021)


Wenn heute Städtebaukultur gefordert wird, muss an das erinnert werden, was Carl Fingerhuth geleistet hat. Er hat den Dialog und das Gespräch ebenso geführt und gefordert wie er für die Qualität des Gestalterischen einstand. Überhaupt dachte er nicht in Gegensätzen. Lieber sprach er von Balance.

2149_AT_fingerhuthIn den späten 1980er und in den 1990er Jahren war es eine Pflichtexkursion für Architekt:innen und Studierende: Basel. Die Transformation der Stadt war wesentlich von explizit guter Architektur getragen – und die wäre nicht möglich geworden ohne den Kantonsbaumeister Carl Fingerhuth. Von 1978 bis 1992 hatte er dieses Amt inne. Baukultur als Prozesskultur wurde von ihm praktiziert, lange bevor dies als Schlagwort die Runde machte. Er sorgte für Wettbewerbe auch für Bauten von Privaten und für kleinere Bauaufgaben, er nahm Bauherren wie Planende in die Verantwortung für Stadt und Gemeinwesen, glaubte an den Dialog und sorgte oft dafür, dass junge Büros zum Zuge kamen. Was dabei entstand, war deswegen so faszinierend, weil in vielen der Bauten jener Zeit – Diener und Diener, Herzog & de Meuron, Michael Ader – die Grenze zwischen Architektur und Städtebau aufgehoben wurde. Es war kein Zufall, dass Fingerhuth später in vielen Gestaltungsbeiräten als Mitglied gefragt und dort ebenso gern gesehen war wie in vielen Wettbewerbsjuries. In Basel hatte er wesentlichen  Anteil daran, dass die Heimatschutzkommission, wie sie hieß, 1980 in Stadtbildkommission umbenannt und der Denkmalschutz darin eine Stimme bekam – diese Kommission war eines der Vorbilder für deutsche Gestaltungsbeiräte.


Stadt und Haus gehören zusammen


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Erweitertung des SUVA Hauses in Basel, 1988-1993, Herzog & de Meuron. (Bild: robert at made-by-architects.com). Ein Beispiel für Erhalt und Weiterbauen statt Abriss und Neubau.

Was sein Wirken in Basel auszeichnete, waren Überzeugungen, die er schon zuvor vertreten hatte und später in anderen Zusammenhängen weiterentwickelte. Die eine, dass Stadtplanung, Raumplanung und Architektur gleichermaßen politische Aufgaben sind, dass sie nur erfolgreich sind, wenn die Verpflichtung zum Gemeinwohl, das Aushandeln unterschiedlicher Interessen ebenso seinen Platz hat wie das Einhalten von Spielregeln.  Die einzuhalten forderte er auch von Entscheidern, Bauherrn, Investoren – und zu diesen Spielregeln gehörte immer auch die Anerkennung der Kompetenz des Architekten gehört. Das andere, was sich in Basel so wunderbar studieren konnte, war, dass die später so gerne eingeforderte Hierarchie von Stadt und Haus Unsinn ist. Stadt und Haus, Stadtraum und Architektur entstehen gemeinsam, sind keine Gegenüber, die sich gegeneinander ausspielen lassen dürfen, in denen die Regeln der einen Ebene Dominanz gegenüber der anderen behaupten dürfen. Das gibt der Architektur deswegen Freiheiten, weil sie eine Verpflichtung eingeht. Anstatt von Gegensätzen hat er ohne lieber von der Balance gesprochen, der zwischen Kontinuität und Veränderung, von Rationalität und Emotionalität.

In der chinesischen Philosophie hat er die Hinweise darauf gefunden, dass auch die Gegensätze von Kultur und Natur keine sind, die uns weiterhelfen, sondern dass wir danach trachten müssen, einen Einklang herzustellen – lange genug hatte das Denken in Gegensätzen dazu geführt, dass etwas zu sehr ausgeblendet wurde. Geschichte, Natur, Sinnlichkeit sollten genauso Teil eines Ganzen sein wie das Neue, die Originalität und die Subjektivität.


Etappen und Bücher


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Wichtige Etappen im knappen, aber ergiebigen publizistischen Schaffen Fingerhuths. (Bilder: Verlage)

Nach einer Ausbildung zum Architekten an der ETH Zürich gründete Fingerhuth 1964 ein eigenes Büro für Stadt- und Raumplanung. In jener Zeit entstand der Pavillon der Schweizer Armee “Wehrhafte Schweiz” auf der Expo 64 in Lausanne. Fingerhuth entwickelte Projekte in Frankreich, Österreich, Spanien und Nigeria. Nach der Zeit in Basel war er als Lehrer – unter anderem an der TU Darmstadt – und im eigenen Büro tätig, veröffentlichte 1996 „Die Gestalt der postmodernen Stadt“; 2004 „Learning from China – das Tao der Stadt“ und zuletzt 2019 „Menschen wie Häuser, Häuser wie Städte, Städte wie die Welt“.

2011 schrieb er: „Es entsteht ein Bewusstsein von der Dringlichkeit der Reintegration von Emotionalität, Sinnlichkeit und Spiritualität in unsere von der Rationalität des Denkens geprägtem Leben. Das  alles ist unsere neue ‚Identität‘. Und so gibt es nicht eine Identität, die zum Rettungsanker in einem stürmischen Meer werden kann, sondern ein Spiel von kollektiven und individuellen Prägungen, mit denen wir versuchen müssen die Gegenwart zu leben.“ Am 15. November ist Carl Fingerhuth in Zollikon gestorben.