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Chronisch planlos

2406_Dachaufsicht_UBStilkritik (130) | Nun zeigen alle auf René Benko. Laut Insolvenzverwalter sind im Insolvenzverfahren der Signa Holding insgesamt 8,6 Mrd Euro angemeldet – vermeldet die NZZ. Flaggschiffe des Handels wie das KaDeWe in Berlin, das Haus Oberpollinger in München, das Alsterhaus in Hamburg und das Luxuskaufhaus Lamarr in Wien sind in Mitleidenschaft gezogen. Aber längst wird überlegt, was aus den bereits aufgegebenen Kaufhausriesen in Innenstädten werden kann – wie in Neustadt.

Zwei hohe Kirchen, eine riesige, flache Konsumtempel-Ruine in Neustadts Innenstadt. Was tun? (Bild: Ursula Baus)

Eigentlich hatte ich mit der Publikation „Weiterbauen in der Pfalz“ ganz nette Ideen formuliert.1) Aber jetzt geht es mal konkret um das Hertie-Gebäude in Neustadt an der Weinstraße, um ein Immobilientrumm aus den 1970er Jahren, das seit 2010 leer steht. Zunächst hatte sich Jürgen Mayer H. daran versucht,2) doch trennte sich die Devello AG, die den Klops 2016 gekauft hatte, vom Architekten, weil man sich mit seinem Entwurf nicht anfreunden wollte, und beauftragte die Generalplaner IPROconsult.3) Auf deren Website heißt es lakonisch: „Das erste Konzept eines namhaften Architekturbüros mit Mall und futuristischer Fassade konnte nicht überzeugen. Zu fremdartig blieb das Gebäude im Stadtkörper.“ 4) Der Alternativ-Vorschlag des neuen Unternehmens erinnert an Fassaden, die es bereits bei einer Aldi-Filiale in Dresden realisiert hatte.5)

Seit 14 Jahren Leerstand: Der bekommt dem Beton auch nicht gut. Am Bauzaun hängt die Visualisierung dessen, was IPROconsult vorhatte. (Bild: Ursula Baus)

Seit 14 Jahren steht das Kaufhaus leer, was dem Beton auch nicht gut bekommt. Am Bauzaun hängt die Visualisierung dessen, was IPROconsult vorhatte. (Bild: Ursula Baus)

Mittlerweile hat die Devello Immobilien AG ein Insolvenzverfahren beantragt. Und in Neustadt wartet der OB (Marc Weigel, Freie Wähler) auf ein Wunder, sonst „muss die Devello wohl bald die Segel streichen, da die Bank den Stecker ziehen wird“. Offenbar hat sich der Bürgermeister nachhaltig in das Thema Energiesparen eingearbeitet, dass er metaphorisch gar nicht mehr von Windkraft und Elektroantrieb lassen möchte. Scherz, denn immerhin setzt sich die Erkenntnis durch, dass die üble Shopping Mall endlich zugunsten des darbenden Einzelhandels aufgegeben werden muss, für die es „weder den Bedarf noch die Bereitschaft“ gebe. „Abreißen und neu bauen“, heißt es jetzt hie und da – also doch nix mit Nachhaltigkeit? Der OB verlautbart nun, man könne „an einen städtebaulichen Wettbewerb für die Fläche denken“. Ja, da schau her, so ein Hammerplan!

Wir verfolgen das Trauerspiel seit Jahren in der Regionalzeitung Die Rheinpfalz, die journalistische Echokammer der herrschenden Meinungen. Um die zukunftsweisenden Funktionen des Gebäudes oder die dafür notwendigen städtebaulichen und baukulturell relevanten, architektonischen Leistungen geht es wieder nicht. Die Chefin der Lokalredaktion schickt ihren verschiedenen Beiträgen am 7. Januar 2024 noch einen affirmativen Kommentar hinterher. Darin steht exakt dasselbe, was der Bürgermeister ihr zuvor mitgeteilt hatte. Niemand ist schuld, man kann das alles verstehen. Es bedarf „dazu gar nicht vieler Worte“. Wie es weitergeht, „hängt von zahlreichen Faktoren ab, manche davon sind derzeit noch gar nicht abzusehen. Aber allzeit bereit zu sein, ist ein guter Weg.“ Lirum-larum-Löffelstiel…

Der öffentliche Raum rund um die Hertie-Ruine: Autos, Fußgängerschild (aber keine Fußgänger), Verkrautung und (Bild: Ursula Baus)

Der öffentliche Raum rund um die Hertie-Ruine: Autos, Fußgängerschild (aber keine Fußgänger), Verkrautung, Verwahrlosung – typisch für die deutschen Innenstädte, die mit Planungshinterlassenschaften zu kämpfen haben. (Bild: Ursula Baus)

Haben das jetzt alle verstanden?

Eine Woche später, am 4. Februar 2024, lässt Die Rheinpfalz die Parteien zu Wort kommen.6) Alle sind sich einig, voller Sorge und haben das Malheur schon lange kommen sehen. Die FWG schlägt einen Investorenwettbewerb vor, auch mit Wohnnutzung wäre denkbar, Hauptsache die Parkplätze bleiben erhalten. Die CDU erinnert an die Traditionspflege der neuen Frankfurter Altstadt, ihr Architekt im Bauausschuss möchte immerhin die graue Energie der Betonruine nachhaltig verwenden. Und die CDU erwähnt, ein kommunales Vorkaufsrecht zu prüfen. Erstaunlich die Grünen. Sie plädieren für Abriss und erwarten offenbar ein besseres Stadtklima ohne Bebauung. Aber gleichzeitig sollten „mehrstöckige Parkhäuser ins Auge gefasst“ und die Bürgermeinungen einbezogen werden. Die FDP kann sich alles vorstellen, auch den Totalabriss und eine städtebauliche Neuordnung – und natürlich ein Parkhaus. Die SPD denkt auch zuerst an Parkplätze, und weil wohl noch lange nichts Entscheidendes passieren wird, an eine künstlerische Behandlung der Ruine mit Graffitis. Eine spätere Nutzung als Technisches Rathaus wäre zu ventilieren.

Zeit für einen Wettbewerb

Alle Fraktionen denken an: Parkplätze. In einer Stadt wie Neustadt, die über außerordentlich gute Verbindungen in den Rest der Republik verfügt (durchgehende ICEs nach München und Berlin) und auch mal ambitioniert den eigenen ÖPNV vorantrieb, bedeutet das kaum Gutes. (Bild: Ursula Baus)

Alle Fraktionen denken an: Parkplätze. In einer Stadt wie Neustadt, die über außerordentlich gute Verbindungen in den Rest der Republik verfügt (durchgehende ICEs nach München und Berlin) und auch mal ambitioniert den eigenen ÖPNV vorantrieb, bedeutet das kaum Gutes. (Bild: Ursula Baus)

Ein Konsens besteht bei allen Parteien darüber, dass sich die Stadt das Areal irgendwie sichern muss. Sehr froh macht das alles nicht. Blöd, hinterher mit guten Ratschlägen zu kommen. Zeit genug für einen eingeladenen Wettbewerb wäre doch gewesen – und ist es jetzt wieder. Es bietet sich die einmalige Chance, mit einem städtebaulichen Wettbewerb eine Kehrtwende von der autogerechten, auf Konsum fixierten City hin zur wohntauglichen, fußgängerfreundlichen Innenstadt hinzukriegen. Ein solcher Wettbewerb muss vorgeben, ob mit oder ohne Bestand geplant werden soll. Denn diese Entscheidung den Teilnehmern aufzubürden, ist absurd. Die Stadt muss zuvor klären, was der Beton aus den 1970er Jahren noch taugt. Zudem müsste Klarheit in den Funktionen gegeben sein.

Oh je, die Bürger kommen …

Und wir wären nicht in Deutschland, hätte das Ganze nicht subito Weitere auf den Plan gerufen. Am 6. Februar titelt Die Rheinpfalz: „Hertie, Sauberkeit, Verkehr: Innenstadtbeirat lässt nicht locker„. Seit 2015 gibt es diesen Innenstadtbeirat als Interessenvertretung für die Innenstadt, dessen Mitglieder von im Stadtrat vertretenen Parteien benannt werden. Dieser Beirat insistiert nun auf seine Wahrnehmbarkeit und fordert: „auf Bürger zugehen und deren Wünsche und Vorstellungen hören und diese dann an die Stadt weitergeben. Vorrangig wichtig dort sind Parkplätze und ein Vollsortimenter für die Innenstadt.“

Na dann. Am 9. Juni stehen Kommunalwahlen an.

P.S. (7.2.24): In Paris entschieden die BewohnerInnen, dass SUVs sehr viel mehr Parkgebühren zahlen sollen. Das ist in jeder deutschen Stadt so vernünftig wie in Paris.


1) Wolfgang Bachmann: Weiterbauen in der Pfalz, Edition DETAIL, München 2022

3) Fassadenstudie des Teams um Büroleiter Danyel Pfingsten und die Architekten Ferdinand Eichler und Marcus Stevens. In der Beschreibung der Neustadter Fassaden heißt es: „Es entstand ein Entwurf mit Lamellen in Rottönen an einer Fassade mit Vor- und Rücksprüngen. Die Lamellen erinnern an die typischen Pfähle der Weinberge. Verstärkt wird diese regionale Verwurzelung durch Fassadengrün sowie eine Gitterstruktur an der Parkhauswendel, die an Fachwerke der Altstadt erinnert.“ (siehe Anm. 4)

6) Axel Nickel: „Schandfleck beseitigen: Fraktionen zur Hertie-Ruine. In: Rheinpfalz, 4.2.2024 (https://www.rheinpfalz.de/lokal/neustadt_artikel,-schandfleck-beseitigen-ideen-der-fraktionen-zur-hertie-ruine-_arid,5608523.html)