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§ 34? In die Tonne

2405_BB_©wdDer fürs Neu-, An- und Umbauen relevante Gesetzesapparat sprengt im Kontext aller dazukommenden städtebaulichen Planungsrichtlinien und -konzepte inzwischen das menschliche Vorstellungsvermögen derart, dass bereits ein einziger § für ausdauernde Beschäftigungsrituale sorgt. So geht es ein Mal mehr um den §34 BauGB und seine Konsequenzen im bundesrepublikanischen Baualltag, der sich weitgehend ohne das Zutun von Architekten entwickelt.

oben: kein Neubaugebiet, sondern Häuser, „in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt“. (Bild: Wilfried Dechau)

Im Paragraphendschungel

Es geht kaum anders: Solange der Gesetzgeber nicht in der Lage ist, Teile seiner Gesetzesapparate abzustoßen, wird an Einzelteilchen rumgeschraubt. Müssen wir beim Gebauten aus ökologischen Gründen den Bestand wertschätzen, gilt das für das bürokratische Monster des Gesetzesapparates keineswegs. Damit zum § 34 BauGB 1). Wie er im Laufe seiner Existenz modifiziert worden ist, also etwa die Unbedenklichkeits- durch eine Einfügungsklausel ersetzt und statt auf Einheitlichkeit auf Harmonie geachtet werden sollte, hat Yasemin Utku in diesem Magazin (18. Mai 2021) bereits erläutert. Große Hoffnungen werden immer wieder in Teilhabe- und Partizipationsprozesse gesetzt, auf dass sich nun vor allem „die Stadt“ und diverse andere Siedlungsarten nachverdichten und sozioökonomisch und ökologisch der Gegenwart anpassen lassen.

Abseits der Städte

In diesem Zusammenhang Gestaltungsfragen anzusprechen, gilt als altmodisch, wenn nicht autoritär. Wird doch das Verhältnis zwischen privat und öffentlich in all seinen Begleiterscheinungen, räumlichen Indifferenzen immer wieder auf „die Stadt“ und damit das gesellschaftsrelevant Gemeinsame bezogen – wie es sich in nicht-städtischen Ambientes darstellt und aussieht, ist sekundär. Solche Einschränkungen sind nicht falsch, aber direkte Konfrontationen, harmloser gesagt: Unverträglichkeiten etwa in direkten Nachbarschaften werden kaum beachtet. Zum Beispiel ein kunterbunt gestrichener Balkon am Mehrfamilienhaus: Was derart hausintern Konflikte beschert, landet dann bei der Hausverwaltung. In direkten Nachbarschaften treten Juristen auf den Plan, die Zwiste erreichen bisweilen die Regierungspräsidien. Die Grenzen zwischen privat und öffentlich sind hier schwer zu schärfen und justitiabel zu schützen. So geht es immer wieder um den Ausgleich nicht nur von handfesten Interessen, sondern von unterschiedlichen Vorstellungen von Wohlbefinden, Ästhetik und anderen Individualvorlieben. Wenn aber nun Alles und Jedes ausgehandelt und via Teilhabe geregelt werden müsste, wären Arbeitszeit und Kraft der Beteiligten und Betroffenen beansprucht; Berufsvertreter im Amt oder im Architekturbüro kosten dann Geld, Anwohner und Nachbarn kostet das Ganze Freizeit und meistens Nerven.

Im Schwarzwald: In einer erkennbar alten Straße müssen dort rechterhand Wohnende einen schaurigen Neubau ertragen. (Bild: Ursula Baus)

Im Schwarzwald: In einer erkennbar alten Straße müssen dort rechterhand Wohnende einen schaurigen Neubau ertragen. (Bild: Ursula Baus)

Zurück zum § 34 BauGB

„Leipzig ist bunt“ – „… ist bunt“ las man nun vielerorts auf den hübsch gemalten Schildern bei den jüngsten Demokratiedemos. Es manifestiert sich darin durchaus die Bereitschaft, das Zusammenleben von vielerlei Individuen nicht nur zu tolerieren, sondern gutzuheißen. Doch wie sieht das im konkreten Miteinander in bebauter Umgebung aus? Im § 34 BauGB (1) wird bei Neubauten, die auch auf leergeräumten Grundstücken entstehen, die Einfügung an die „Eigenart der näheren Umgebung“ geknüpft. Jetzt geht man zum Beispiel im Schwarzwald spazieren, tritt aus dem dunklen Forst ins Helle, wo sich an einer Waldrandstraße ein Neubau offenbart, siehe Bild oben. Rechterhand stehen alte Holzhäuschen, die in gegenwärtiger ikonographischer Lesart als gebaute Dokumente geknechteter Bewohner interpretiert werden können: Weh dem, der aus der Reihe tanzt! ­Die Holzbekleidung ist allerdings inzwischen mal senkrecht, mal waagerecht angebracht, Giebelfensterchen haben teils keine Sprösschen mehr – und im Hintergrund fällt sogar ein Krüppelwalmdach auf. Nun gut, im Ganzen scheint hier Disziplin beim Umbauen, Pflegen, Ertüchtigen geherrscht zu haben – oder doch ein Einverständnis darüber, was passt und was nicht. Linkerhand sticht ein nagelneues Mehrfamilienhaus hervor, das, so signalisieren etwa der Porsche und die geschlossenen Erdgeschoss-Rollläden, für Wochenend- oder Ferienaufenthalte gebaut worden ist. Ganz abgesehen davon, dass die Terrassentüren auf der Südseite auf einen Parkplatz ausgerichtet sind – das wäre uns im ersten Semester Architektur vom Zeichentisch gefegt worden – also davon abgesehen: Die Gestalt dieses Hauses darf nicht nur als banal, sondern geradezu als ordinär bezeichnet werden. Wer hat dies genehmigt? Was wird den Bewohnern gegenüber zugemutet? Das Bauskandalöse liegt hier nicht am § 34, sondern an der gestalterischen Inkompetenz von Behörden, Bauherren und Architekten, denn ohne Architektin entsteht so ein Haus nun auch wieder nicht. So ist hier kaum die Rechtsunsicherheit zu beklagen, sondern die berufsübergreifende Inkompetenz.

Irgendwo zwischen Dorf und Stadt: Was geht die Nachbarschaft an? (Bild: Ursula Baus)

Irgendwo zwischen Dorf und Stadt: Was geht die Nachbarschaft an? Wäre ein Farbkonzept für die ganze Straße ratsam? (Bild: Ursula Baus)

Aushandeln in der Nachbarschaft

Wenn es darum geht, die durchaus schwammigen Vorgaben des § 34 BauGB zu konkretisieren, kommen als Beteiligte nur Verwaltungsmitarbeiterinnen, Nachbarn, Bewohnerinnen, Eigentümer – und im Streitfall Juristen infrage. Zur Entlastung der Verwaltungen gibt es da und dort externe Moderationsbüros, Beteiligungsorganisatoren und vieles mehr. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die Verwaltungen für alles und jedes KI zunutze machen – die spart Personal. Das machen renitente oder unbedarfte Bürger dann allerdings auch. In dem Gefüge von Baugesetzgebung, Ausführung und Kontrolle liegen die Hauptaufgaben deswegen bei einer Verwaltung, die Vertrauen zurückgewinnen muss, das in den Einsparungsjahrzehnten verloren ging und das politisch gewollt ignoriert worden ist. Wenn nun etwa das Laien-KI-Portal www.archi.ai im wesentlichen auf Innenräume abzielt, funktioniert das Gleiche prinzipiell für jede Hausgestaltung – mit oder ohne Architekten. Das heißt, dass nicht einmal mehr die Fertighauskataloge das Unpassende, weil Beliebige zur Auswahl vorlegen, sondern die potenziellen Bauherrschaften selbst ans Werk gehen können. Ohne Befähigung, aber mit KI-Ermächtigung. Und nebenbei: Das Haus gegenüber den Schwarzwald-Holzhäuschen hätte wohl jede halbwegs seriöse KI besser hinbekommen oder argumentativ ablehnen können, als es realiter ablief.

Im Schwarzwald. Kein Neubaugebiet, keine Stadt, sondern Bauen "in unmittelbarer Nähe". (Bild: Wilfried Dechau)

Im Schwarzwald. Kein Neubaugebiet, keine Stadt, sondern Bauen „in unmittelbarer Nähe“. Eingefügt schon, aber wer entdeckt hier auch nur eine Spur „Harmonie“? (Bild: Wilfried Dechau)

Befähigung und Ermächtigung

So zeichnen sich neue Themen ab. Privaten und öffentlichen Raum voneinander abzugrenzen, ist eine komplexe Angelegenheit, aber wenn es darum geht, den konkreten Raum zu gestalten – auch zu nutzen oder umzunutzen –, stellt sich die Frage, wer mit dieser Komplexität zurecht kommt und etwas umsetzt. Wer entscheidet? Wer legt Form, Farbe, Funktion und mehr fest? In diesen komplexen Angelegenheiten muss, davon bin ich überzeugt, jegliche Befähigung Vorrang vor Ermächtigung haben. Qua Amt haben Verwaltungen eine Ermächtigung, die von Betroffenen nur toleriert wird, wenn sie – die Ermächtigung – mit qualitativer und quantitativer Befähigung einhergeht. Dazu gehört eine politische Agenda, zumindest eine nachvollziehbare politische Rückendeckung, die kompetent konzipiert und ausgehandelt und schließlich demokratisch legitimiert ist. Auch daran mangelt es hierzulande aus Gründen, die zu erläutern in diesem Beitrag zu weit führt, die wir aber immer wieder ansprechen. Im Nachbarschaftsrahmen – etwa in einem Quartier oder auch nur in einer einzigen Straße – genügt im Grundsatz eine einfache Gestaltungssatzung, die Funktionsmodalitäten einbezieht, relativ einfach zustande gebracht und dann auch kontrolliert werden kann. Ich entsinne mich an wunderbare Farbkonzepte für Straßenräume, die keiner unzumutbaren Entmündigung der Bewohner oder Eigentümer gleichkommen. Das Gleiche gilt für Vorgärten, Garagen, Carports und vieles mehr. Die großen Themen – europäische Stadt, kritische Rekonstruktion und vieles mehr – können, müssen aber dabei nicht erörtert werden. Zu üben wären Hinschauen, Beschreiben, Vergleichen, Erklären, Zuhören. Zänkische Nachbarn zu befrieden, ist die Aufgabe einer befähigten und ermächtigten Verwaltung, die das en passant erledigt.

§ 34 BauGB? In die Tonne, wenn er im Alltag nichts mehr nützt und beim Umformulieren nur noch schlimmer wird.


1) https://www.gesetze-im-internet.de/bbaug/__34.html. Achtung: Wer in der Architekturkommunikation Wert auf gute Sprache legt, erlebt hier sein Waterloo…