Seit dem Angriff der AfD auf das Bauhaus und deren pauschaler und diffuser Kritik an der Moderne scheinen die Fronten klar abgesteckt. Doch so einfach lässt sich politische Gesinnung nicht mit Formen von Architektur und Design kurzschließen. Um den Verächtern der Demokratie wirkungsvoll entgegentreten zu können, bedarf es kleinteiliger und konzentrierter Analyse.
Vor fünf Jahren erschien das Buch „Die Neue Rechte und ihr Design“ des Designwissenschaftlers Daniel Hornuff. Im Gespräch mit Gerda Breuer äußert er sich zu den jüngeren Entwicklungen, zur Stilistik einer vermuteten gesellschaftlichen Mitte und zur bedenklichen Cottagecore-Bewegung. Und warnt vor einer Art der Kritik, mit der in der Form übernommen wird, was mit ihr inhaltlich kritisiert werden soll.
Der Beitrag erschien zuerst im DDC Magazin am 2.10.2024. Wir danken für die Möglichkeit, ihn zu veröffentlichen. red
Gerda Breuer: Sie haben 2019 das für Designer*innen beachtenswerte Buch mit dem Titel „Die Neue Rechte und ihr Design. Vom ästhetischen Angriff auf die offene Gesellschaft“ publiziert. Es geht zurück auf ein Seminar mit Studierenden, das Sie an der Kunsthochschule Kassel durchgeführt haben. Ihre Kernthese lautet, dass das Neue an der Neuen Rechten nicht etwa in den Programmen liegt, sondern in ihrem Design. Können Sie das kurz erläutern?
Daniel Hornuff: Das Buch war ein Versuch, das zeitgenössische Verpackungsdesign des Rechtsextremismus zu analysieren. Ich ging davon aus, dass die sogenannte Neue Rechte keine wirklich neue Programmatik verfolgt. Bis heute geht es ihr um Exklusion, Hierarchisierung, Markierung von Andersartigkeit, um die Normalisierung von Reinheitspraktiken. Und wieder gilt für deren Durchsetzung Gewalt als politisch legitimes Mittel. Neu ist aber das Erscheinungsbild, die Form. Man setzt auf eine Stilistik der Diversität, kultiviert einen jugendästhetischen Habitus, greift zu unverdächtig wirkenden Sprechweisen und sucht mit Kleidung, Bildern, Videos, Grafiken und Auftrittsformen den Anschluss an eine vermutete gesellschaftliche Mitte.
Gerda Breuer: Wir sind von den „alten Rechten“, wenn ich sie so nennen darf, etwa den Neonazis, den Identitären, der NPD, ein eindeutiges, meist furchterregendes Design gewöhnt: Bomberjacken, Militärstiefel, Frakturschrift, Nazi-Symbole, eine rassistische Sprechweise, überhaupt ein maskulin-militaristischer Auftritt. Wenn es nun zu einer Aufweichung und Verwischung des Designs kommt, wie erkennt man dann die Neuen Rechten? Und welches Design der sogenannten gesellschaftlichen Mitte übernehmen sie, so dass sie auf den ersten Blick nur noch schwer zu erkennen sind? Sie haben schon einiges angedeutet, nur: Das Problem ist doch, wie sind sie zu identifizieren?
Daniel Hornuff: Ich kann den Wunsch nach ästhetischer Identifizierbarkeit verstehen, halte ihn aber für doppelt problematisch. Zum einen, weil die, um mit Habermas zu sprechen, „neue Unübersichtlichkeit“ den Kern der neurechten Designstrategie ausmacht. Man will auf Formebene gerade nicht ideologisch identifizierbar sein. Ästhetische Uneindeutigkeit wird als Maßnahme eingesetzt, um eine gesellschaftliche Vergewöhnlichung zu erreichen, und damit auch, um im Unterschied zu den Bomberjacken-Neonazis nun parlamentarisch reüssieren zu können. Zum anderen halte ich den Wunsch nach ästhetischer Erkennbarkeit für problematisch, weil er die politische Hermeneutik des neurechten Denkens affirmiert. Wir sollten grundsätzlich vermeiden, aufgrund äußerer Merkmale auf innere Zustände schließen zu wollen. Ein solches Festschreiben ist politisch fatal und analytisch irreführend. Ich plädiere daher nicht für eine Kultur der Identifizierbarkeit, sondern für eine Praxis kleinteiliger Formanalysen: Welche Mittel werden zu welchen Zwecken eingesetzt?
Gerda Breuer: Nun denn, könnten Sie ein oder mehrere Beispiele nennen? Mir fällt dazu ein, dass man auf erfolgreiche feministische Kampagnen setzt. Beispielsweise orientiert sich das Video „#120db. Frauen wehrt euch!“, in dem rechte Frauen sich als Opfer männlicher Gewalt inszenieren, an der MeToo-Bewegung. Bei #120db geht es aber im zweiten Schritt darum, Rassismus und Islamfeindlichkeit kund zu tun. „Wir wollen ein Sprachrohr für jene Frauen werden, die Opfer von Ausländerkriminalität geworden sind…“, heißt es dort. Gleichzeitig vertreten die Neuen Rechten – Männer wie Frauen – ein sehr traditionelles Frauenbild und sind alles andere als feministisch.
Daniel Hornuff: Ja, #120db war einer der Versuche, linke Protestformen zu kapern. Mehr als ein paar bemüht wirkende Videos und Posts brachte dieser Ableger der Identitären Bewegung allerdings nicht zustande. Wirkungsvoller war beispielsweise, wie es Leuten wie Götz Kubitschek und Martin Sellner seit 2015 wiederholt gelungen ist, großflächig in etablierten Massenmedien porträtiert zu werden. Seitenlange, mystisch bebilderte Homestorys über das angebliche Faszinosum rechtsextremer Lebensstile trugen erheblich zur gesellschaftlichen Normalisierung bei. Schaut man sich diese Berichte im Detail an, muss teilweise erschrecken, wie ungefiltert Propagandaabsichten massenmedial übernommen wurden. Diese Hinwendung zur Introspektion in Verbindung mit einer Ästhetisierung politischer Ideologien findet in den Sozialen Medien ungebrochen Fortsetzung, wenn man etwa an die Cottagecore-Bewegung denkt. An ihr lässt sich gut studieren, wie sich das Ineinander von Lebensform und Extremismus gestalterisch formiert.
Gerda Breuer: Ja, das ist richtig und der Hinweis auf die Cottagecore-Bewegung ist für die Designszene besonders interessant, weil Gestaltung hier, beispielsweise im erweiterten Landhausstil oder dem Self-Made-Design eine große Rolle spielt. Das Perfide an der Bewegung ist, dass wieder einmal alles auf den Kopf gestellt wird und schwer identifizierbar ist. Und es werden wieder die sogenannten Social Media in Anspruch genommen, nicht zuletzt, um ein junges Publikum zu erreichen. Die globale Bewegung erscheint dann groß, divers und friedlich, im Einklang mit der Natur. Subkutan werden aber die eigentlichen rechten Botschaften suggeriert. Aber sagen Sie uns noch etwas zu der Cottagecore-Bewegung?
Daniel Hornuff: Ihre Beschreibung trifft es: Entscheidend an der Cottagecore-Bewegung ist ihre essenzialistische Gestimmtheit. Zelebriert wird das Echte, Eigentliche, Ursprüngliche. Die Bewegung bedient sich kulturkritischer Versatzstücke. Man imaginiert ein harmonisches Früher und verbindet die Vorstellung einer verfallenen Jetztzeit mit dem Topos der Überfremdung. So erscheint die Gegenwart als zerbrochen, die Zukunft als Dystopie und die Wiederkehr der Vergangenheit als Erlösung. Damit reaktiviert die politisierte Cottagecore-Bewegung bekannte Muster des Rechtsextremismus: Der vermeintlich eigene Kulturraum wird als gleichermaßen überlegen wie bedroht präsentiert, garniert mit grotesk überformten Stereotypen eines unberührten, unschuldigen, unkorrumpierten Lebens im Einklang mit der Natur. Ziel ist es, einen westlichen Kulturraum mit einem europäischen Naturraum zu verschweißen, um dieses Ideologiegebilde gegen äußere Einflüsse abzuhärten.
Gerda Breuer: Cottagecore ist ja nur eine der vielen Bewegungen der Rechten, man hat den Eindruck, sie sind überall unterwegs. Nun haben Sie Ihre Publikation „Die Neue Rechte und ihr Design“ vor fünf Jahren herausgegeben. Ich habe den Eindruck, dass sich die ideologischen Grundelemente der rechten Bewegung fast gar nicht verändert haben, aber die „Verpackung“, das Design, und die Kommunikationswege werden immer raffinierter. Wie sehen Sie die Entwicklung in der Zwischenzeit? Hat sich etwas verändert und wenn ja, was?
Daniel Hornuff: Das Buch hat sich meines Erachtens historisch überlebt. Als ich es geschrieben habe, bin ich noch davon ausgegangen, dass es sich bei der Bewegung um eine zumindest ideologisch eindeutig beschreibbare Gruppierung handelt. Spätestens aber, als bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen Reichskriegs- und Regenbogenflaggen, Hängt-sie!-Plakate und Friedenstauben-Banner teilweise nebeneinander gezeigt wurden, ist mir klar geworden: Die vor allem vom Rechtspopulismus forcierte Querfront ist gesellschaftliche Realität. Es ist bitter zu sagen, aber wir erleben einen zum Radikalen neigenden Mainstream. Er lässt sich weder politisch noch ästhetisch verorten, wohl aber verfügt er über ein sehr stabiles, medial attraktives Denkmuster: Wir, die Eigentlichen, gegen die anderen, die Systemlinge. Das Denken und Leben im Freund-Feind-Schema ist gesellschaftlich und inzwischen auch parlamentarisch prägend geworden. Die Frage ist daher nicht mehr, wie sich die Neue Rechte verhält, sondern die Frage ist: Was hat die republikanische Demokratie ihren Verächtern entgegenzusetzen?
Gerda Breuer: Das wäre dann die wichtige Frage. Was können wir dagegen tun? Ein sensibles Beobachten, Aufklären, Kritik und Widerspruch scheinen mir sehr wichtig zu sein. Im Internet gibt es ja bereits sehr beachtenswerte Informationen von Institutionen wie der Amadeu Antonio Stiftung oder dem Else-Frenkel-Brunswik-Institut, beide in Leipzig, die sehr gezielt gegen Rechtsextremismus arbeiten, und andere mehr. Die Schulen sind sehr gefordert, und so weiter. Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen?
Daniel Hornuff: Eine Möglichkeit beginnt aus meiner Sicht mit der Verabschiedung falscher Hoffnungen. Zu den beliebten Glaubenssätzen gehört beispielsweise die Auffassung, Bildung schütze vor Extremismus. Wer sich nur ein bisschen mit der Szene und ihren Dynamiken auskennt, weiß: Es sind oft genug die Klugen und Gebildeten, die die Agenda setzen und strategische Raffinesse entwickeln. Verfassungsfeindschaft besitzt meist ein elaboriertes intellektuelles Framing. Blinder Gegen-Aktionismus hilft in der Regel nicht, im Gegenteil: Er läuft Gefahr, mit besten Absichten in der Form zu übernehmen, was er im Inhalt bekämpfen will. Aus designwissenschaftlicher Sicht halte ich daher eine kleinteilige, konzentrierte, am Objekt orientierte Analysearbeit für verdienstvoll. Erschließung und Durchdringung extremistischer Formen und Formate ist Bedingung der Möglichkeit, um aufgeklärt agieren zu können.
Gerda Breuer: Das ist ein wichtiger Hinweis. Ignoranz und Gleichgültigkeit sind keine Optionen mehr, wir müssen im Detail informiert sein und dagegen halten. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.
Daniel Hornuff (*1981) absolvierte nach einer Tätigkeit als Erziehungshelfer ein Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik und Komparatistik an der Universität Leipzig sowie der Kunstwissenschaft/Medientheorie und Philosophie/Ästhetik an der HfG Karlsruhe. Hornuff habilitierte 2013 mit einer Schrift zur Kultur- und Designgeschichte der Schwangerschaft. Lehraufträge führten ihn u.a. an die Universität der Künste Berlin, die Universität München, die Bayerische Theaterakademie August Everding, die Universität Tübingen, die Universität für angewandte Kunst Wien und das Mozarteum Salzburg. Seit 2019 ist Daniel Hornuff Professor für Theorie und Praxis der Gestaltung an der Kunsthochschule in der Universität Kassel.