• Über Marlowes
  • Kontakt

Stilkritik (134) | Tausende Kirchen stehen leer. Es sind wunderschöne Räume, für die es keine Ursprungsnutzung mehr gibt. Und jetzt? „Architektur der Unendlichkeit“ heißt der Film von Christoph Schaub, der derzeit – teils unterstützt von den Architektenkammern – gezeigt wird und Räume für Gläubige thematisiert. „Sakralbau“ lautet der Titel der Bauaufgabe, die uns substanziell abhanden kommt. Es könnte der Auftakt zu einer regelmäßigen Reihe „Architektur und Film“ werden.


Es handelt sich um keinen James-Bond-Thriller, 007 muss nicht die Welt retten. In diesem Fall sollen die gebauten Räume für Kunst und Kirche dem Seelenfrieden helfen. In den bekannten Baukunstführern beginnen die Einträge für die einzelnen Orte immer mit den Kirchen, danach folgt das Profane. Vielleicht hat sich die Kammergruppe zehn der rheinland-pfälzischen Architekten bei der Auswahl des Films daran orientiert. Es geht in dem Streifen nämlich nicht um beinharte Fakten, Bebauungspläne, Wohnungsfertigstellungen oder Energieeinsparung, sondern um existenzielle Fragen, die Kunst- und Sakralbauten auslösen. „Architektur der Unendlichkeit“ ist ein Film für (kirchenferne) Gottsucher.

Ein wenig esoterisch wirkt diese kulturelle Pilgerreise zum Transzendenten schon. Auskunft geben die Architekten Peter Zumthor, Alvaro Siza Vieira, Peter Märkli und die Künstler Cristina Iglesias, Jojo Mayer, James Turrell, verwiesen wird auf Sigurd Lewerentz und Rudolf Schwarz. Die Kamera taucht in ihre Arbeiten zur Beweissicherung des Gesagten, aber es bleibt unentschieden, ob das Unausgesprochene in den gefühlten Bildern der Wahrheit näherkommt als die nach Erklärungen suchenden Kreativen. Sie sagen auch wenig Konkretes zu Kunst und Architektur, die Artefakte dienen nur dazu, die spirituelle Dimension unserer Existenz zu umschreiben.

„Vielleicht ist Kunst und was Künstler und Architekten hervorbrachten viel mehr Kirche, als was aus der Feder von Priestern und Gelehrten stammt“, überlegt Turrell. Diese Profanisierung des Sakralen würden gestandene Katholiken wie Martin Mosebach nicht gutheißen. Aber genau darum balanciert der Film: dass sich das Künstlerische und das Religiöse eine Gefühlswelt teilen, die sich im Erlebnis von Kirchenräumen ereignet. Siza spricht davon, wie uns Religion aufnehmen und Gott zum Guten leiten kann (es erinnert an Dietrich Bonhoeffers „Von guten Mächten wunderbar geborgen“), aber der neunzigjährige Architekt setzt seufzend nach: „Schön wär’s.“

2426_Rez_Kino_BCH_2(Pressebild)

Der 2019 in die Kino gekommene Film liefert also keine theologische Exegese des Gebauten. Er kann immerhin zeigen, dass menschliche Schöpfungen einen Sinn besitzen. Man mag sich in gebauten Räumen mit dem sinnlichen Erleben von Proportion und Licht zufriedengeben und braucht sich nicht der grüblerischen Hermeneutik des Regisseurs anzuschließen, der zu seinem Film erklärt: „Architektur der Unendlichkeit ist eine Reise an Orte, an denen die eigene (Un-)Endlichkeit fühlbar wird.“

Alvaro Siza Vieira (Pressebild)

Alvaro Siza Vieira (Pressebild)

Zurück ins Roxy, in dem der Film just gezeigt wurde. Das Kino war rappelvoll, nur etwa die Hälfte der Besucher waren eingetragene Architekten, die übrigen bekannten sich als „an Architektur interessiert“. Das ist doch eine großartige Schnittmenge, und man darf gespannt sein, was die Architektenkammer nach dem anspruchsvollen Auftakt noch an bewegten Bildern finden wird.
Nebenbei: Es gab außerdem einen kleinen Streifen zur rheinlandpfälzischen Baukultur zu sehen: Wir sind Heimat. Und als Hintergrund zu Brezeln und einem ausgezeichneten Lagen-Riesling von Christmann aus Gimmeldingen lief eine Bilderschau der 69 Projekte, die am „Tag der Architektur“ am 29. und 30. Juni zu begehen sein werden.
Man sieht sich!



Das Kirchenmanifest fordert eine gemeinnützige Zukunft für Kirchenbauten, die nicht mehr wie geplant genutzt werden. Am 18. Juni findet dazu eine Diskussion in Berlin statt.