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Immer hintendran

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Weg ist weg. Immer mehr Stimmen fordern, dem Abrissfuror ein Ende zu setzen. Gründe gibt es genug. (Bild: Christian Holl)

Stilkritik (116) | Die drängenden Probleme des Klimawandels, der Energiekrise und steigender Preise treiben die Menschen um. Es ist eine Zeit der Offenen Briefe, Erklärungen und Aufrufe. Quälend langsam sind hingegen die Fortschritte, die sich auf dem politischen Feld ausmachen lassen. Wenn es überhaupt welche gibt.

Irgendwo unten, in der Rubrik „Immobilien“ der FAZ, wurde am 30. September davon berichtet, dass „das Bauen im Bestand zum Standard wird, während Neubauten die Ausnahme bilden sollen.“ Fachleute und Berufsverbände fordern das schon lange. Das Neue hier: Es geht tatsächlich um getroffene politische Entscheidungen. Die „bauordnungsrechtliche Privilegierung von Neubauten soll nach dem Willen der Bundesregierung beendet werden.“ Statt wie noch 2022 mit 11 Milliarden, sollen von 2023 Neubauten nur noch mit einer Milliarde, Sanierungen aber mit 13 Milliarden gefördert werden. (1)

Zweifellos ist das wichtiger Schritt. Aber nur einer. Denn zum einen ist das Bauordnungsrecht auf der Ebene der Länder angesiedelt – damit das Umbauen einfacher wird, müssen die Landesbauordnungen geändert werden, und bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Zum anderen ist es immer noch nicht die Regel, dass Abrisse genehmigungspflichtig sind. Daher fordern knapp 300 Unterzeichnende in einem Offenen Brief an die Bundesbauministerin Geywitz ein Abrissmoratorium. 55 Prozent des gesamten deutschen Abfalls kommen aus Bau- und Abbruchabfälle, so heißt es im Brief. Konsequenz müsse sein: „Jeder Abriss bedarf einer Genehmigung unter der Maßgabe des Gemeinwohls, also der Prüfung der sozialen und ökologischen Umweltwirkungen.“ Gefordert werden auch hier regulatorische Rahmenbedingungen, den Einstieg in die Kreislaufwirtschaft, unter anderem „Unterstützung bei der Nutzung wiederverwendbarer Bauteile, der Errichtung dezentraler Bauteillager und digitaler Bauteilbörsen.“

Experimente und Kultur der Transdisziplinarität

Immerhin ist die Bundesregierung mit der Änderung ihrer Förderpolitik den Forderungen ein Stück weit nachgekommen – auch wenn das bei weitem nicht genug ist, wenn man den Bausektor als maßgebliche Schraube, an der man für Klimaschutz und CO2-Einsparung drehen kann, ernst nimmt. Man mag die bürokratischen Hürden, die zähe Langsamkeit des politisch-bürokratischen Apparats beklagen, immerhin bewegt er sich hier in die geforderte Richtung. Zumindest ein Stück weit.

In gewisser Hinsicht weiter als das Abrissmoratorium geht die Berliner Erklärung der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung, der DASL. Sie veröffentlicht diese Erklärung als „Vorwärtsschau“ anlässlich ihres hundertjährigen Jubiläums. Auch in ihr wird der „Vorrang für jeden Bestand“ gefordert, auch hier heißt es, Wirtschaftlichkeitskalküle hätten sich „am Primat der Schonung und Wiederverwendung von Flächen und Materialien sowie des Erhalts der in der gebauten Umwelt gebundenen ‚grauen‘ Energie zu orientieren.“ Das Planungsrecht müsse gründlich reduziert und überarbeitet werden: Die aktuellen Verfahren seien zu schwerfällig, überdifferenziert und widersprüchlich.

Beim Bauen sollte „die Preisbildung die realen Kosten für die Inanspruchnahme von Flächen, Energie, Material sowie für die Entsorgung der Altbauten abbilden“. Als wichtige Stellschraube nennt das DASL-Papier die Bodenwende, das heißt auch, leistungslose Gewinne zu besteuern und die Gemeinden wieder mehr als bisher in die Lage zu versetzen, Flächen und Gebäude zu erwerben.

Im Einzelnen konkret wird diese Erklärung leider kaum – aber sie betont das Ineinanderwirken verschiedener Politikfelder, die Bedeutung von Beteiligung und Teilhabe und plädiert für eine Kultur der Transdiziplinarität. Verkehrswende, Energiewende, Boden-Bau und Agrarwende müssen „in ihrer Raumwirkung zusammengedacht werden.“ Neben räumlichen Leitbildern, die die Zukunft von Stadt und Region anschaulich und erstrebenswert machen sollen, werden Prozessprinzipien gefordert, „die der Unsicherheit und Widersprüchlichkeit zukünftiger Entwicklungen Rechnungen tragen.“ Architektur, Städtebau und Landschaftsplanung sollten neue Maßstäbe für die Schönheit unserer Umwelt entwickeln und vermitteln. Das Experiment solle zur Routine werden.

Traurige Wirklichkeit

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Blick auf die Baustelle Molkenmarkt. (Bild: Matthias Grünzig)

Wie wenig davon in der Realität die Rede sein kann, zeigt ein Blick nach Berlin. Beispiel Nummer 1: Der Molkenmarkt, immerhin eines der größten innerstädtischen Entwicklungsgebiete der Stadt, direkt hinter dem Roten Rathaus. Nach aufwändigen Beteiligungsverfahren zwischen 2018 und 2021 wurden acht Leitlinien für die Entwicklung festgelegt. Der Boden sollte nicht privatisiert werden, bezahlbare Wohnungen und Kulturräume geschaffen, eine klimagerechte Stadtplanung konzipiert werden. Im darauffolgenden Wettbewerb- und Werkstattverfahren wurden 2021 zunächst zwei Preise gekürt, die bis September 2022 im Dialog mit dem Preisgericht überarbeitet wurden. Und dann wurde vor der Jurysitzung entschieden, dass es keinen Sieger geben solle, „diese Entscheidung [wurde] zu Beginn der Preisgerichtssitzung am 13. September von der Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt mitgeteilt“, so Matthias Grünzig. der Bürgervertreter im Verfahren, in einer Stellungnahme.

Nun wird eine Charta vorbereitet, auf deren Basis dann erst die Neugestaltung und Masterplan erarbeitet werden soll. Das Verfahren wurde also mehr oder weniger willkürlich beendet, um sich die mühsame Arbeit von Planer:innen und Architekt:innen, von Preisgerichtsmitgliedern, um sich das Engagement von Bürgerinnen für eine Planung nach eigenem Gusto zurecht zulegen. Viel würdeloser kann man mit beteiligten Bürgerinnen und den Wettbewerbsteilnehmenden kaum umgehen. Es kann nur gemutmaßt werden, was die Gründe für eine solche Entscheidung sind, für die der Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Andreas Geisel (SPD) und die Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt verantwortlich sind. Es wird sich zeigen, wenn die neue Planungen vorliegen. Das Porzellan ist indes jetzt schon zerschlagen. Ein aufwändiges Verfahren wurde abgebrochen, weil man offensichtlich mit den Ergebnissen nicht zufrieden ist. Demokratisches Selbstverständnis, Prozesskultur, Respekt vor Planenden und Bürgerinnenengagement? Fehlanzeige.

Doch viele wollen sich damit nicht zufrieden geben. Ein breites Bündnis fordert nun, das abgebrochene Verfahren zu Ende zu führen und einen Sieger zu küren. In einem öffentlichen Aufruf heißt es: „Das Wettbewerbs- und Werkstattverfahren Molkenmarkt hat gezeigt, dass diese Leitlinien (aus dem Beteiligungsverfahren) auch umsetzbar sind. Der Entwurf von OS arkitekter mit czyborra klingbeil architekturwerkstatt, der in der ersten Wettbewerbsphase prämiert wurde, konnte den Leitlinien voll entsprechen. Aber auch der zweite prämierte Entwurf von Bernd Albers, Silvia Malcovati und Vogt Landschaftsarchitekten hat im Verlauf des Werkstattverfahrens eine stärkere soziale und ökologische Ausrichtung erfahren.“ Es ist kaum zu erwarten, dass Politik und Verwaltung dem Aufruf folgen, aber so wird öffentlich besser sichtbar, mit welcher Arroganz die Verantwortlichen handeln.

Ideen? Nein, danke

Rund um die Friedrichwerdersche Kirche entstehen teure Wohnungsbauten. Der "rote Kasten", dessen Ecke hier als Attrappe installiert ist, würde weitere Sichtbezüge zustellen. (Bild: Wilfried Dechau, Mai 2021)

Mock-up Bauakademie. Das Land Berlin hat sich offensichtlich schon auf eine Rekonstruktion festgelegt. (Bild: Wilfried Dechau, Mai 2021)

Nicht erbaulicher wird es, wenn man die aktuelle Entwicklung in Sachen Bundesstiftung Bauakademie verfolgt – Beispiel Nummer 2.  Es laufen die Vorbereitungen für den Realisierungswettbewerb zum Bau für die Bundesstiftung. Im September 2022 wurde das Grundstück, auf dem die Bauakademie von Schinckel gestanden hatte, an die Stiftung übergeben. Was Vorbereitung des Wettbewerbs angeht, heißt es, die Öffentlichkeit solle sich einbringen können, wie etwa Björn Leffler berichtet: „Auch zivilgesellschaftliche Initiativen wurden laut Stiftung eingeladen, grundsätzlich sind alle Bürgerinnen und Bürger willkommen.“ Ein „Think Tank“ solle die Stiftung beraten. Wozu allerdings, ist die Frage. Denn das Ergebnis will das Land Berlin sicherheitshalber schon mal vorgeben: „So soll die Senatsverwaltung einen Entwurf zur „Verordnung über die äußere Gestaltung der wiederzuerrichtenden von Karl Friedrich Schinkel erbauten Bauakademie am Schinkelplatz 1 in Berlin Mitte, Ortsteil Mitte“ erarbeiten haben, die wohl eine historische Rekonstruktion zwingend vorschreibt. (…)  Das Land Berlin würde damit dem Bund, der Bauherr des Projekts ist, die Gestaltung des Gebäudes quasi vorgeben bzw. extrem enge Richtlinien für den Realisierungswettbewerb festlegen“, so Leffler weiter.

Und auf Website der Bundesstiftung Bauakademie heißt es: „Die drei Berliner Bürgervereine Förderverein Bauakademie e.V., die Gesellschaft Historisches Berlin e.V. und der Stadtbild Deutschland e.V. haben jüngst bei dem Institut Forsa eine bundesweite Umfrage in Auftrag gegeben, aus der hervorging, dass die Mehrheit der Befragten sich für das künftige Bauakademie-Gebäude eine originalgetreu rekonstruierte Fassade wünscht.“ Eine solche Umfrage vor dem Wettbewerb zu machen, wenn keine Alternativen vorliegen, ist schlichtweg unseriös. Es macht sichtbar, wie erschreckend weit wir davon entfernt sind, etwas zu wagen, dem Neuen eine Chance zu geben – wie weit wir davon entfernt sind, dass das „Experiment zur Routine“ wird. Es hatte mal eine Kampagne gegeben, die für ein „Deutschland – Land der Ideen“ geworben hatte. Hier werden nicht einmal Ideen zugunsten des Altbekannten verworfen. Hier verhindert man, dass Ideen zur Diskussion stehen.


(1) Neubauten sollen die Ausnahme werden. Von Thomas Schröer. FAZ, 30.9.2022. >>>

Der Autor dieses Beitrags ist Unterzeichner des Abrissmoratoriums und des Aufrufs „Für ein soziales und ökologisches Modellquartier am Molkenmarkt“