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Das große Flicken


2346_Titel_neuDie Abreißerei muss ein Ende haben, Abbrechen abbrechen, Abrissatlas und Abrissmoratorium – es gibt inzwischen zahlreiche Appelle, Petitionen, Initiativen, die den Bestandserhalt fordern. Die Ausstellung The Great Repair in Berlin zeigt aber, dass wir noch gründlicher die Fundamente hinterfragen müssen, auf denen wir das Bauen, das Wirtschaften und das Zusammenleben organisieren, wenn sich etwas wirklich ändern soll. Dem gehen wir nur zu gern aus dem Weg, weil wir ahnen, dass die große Reparatur eine enorme Kraftanstrengung werden wird.

Aus urheberrechtlichen Gründen durften die Bilder zu diesem Beitrag nur eine begrenzte Zeit gezeigt werden und mussten im Februar 2024 gelöscht werden. red



Am Ende der Ausstellung gibt es dann doch noch einen Happen Statistik. 9,49 Quadratkilometer werden in Berlin von Parkplätzflächen eingenommen. Zusammenmontiert ergeben sie ein Areal, welches das Zentrum von Berlin abdeckt – plastisch überhöht dargestellt mit einer Fotomontage aus Luftbildern der Parkplätze. Die Recherche, eine Studierendenarbeit „After Parking“, erstellt unter der Leitung von Florian Hertweck und Markus Miessen der Universität Luxemburg, ist allerdings so gestaltet, dass sie innerhalb der über vierzig Positionen, die die Ausstellung „The Great Repair“ präsentiert, nicht als Fremdkörper heraussticht. Es gehört zur Qualität der Schau, dass sie auf die Überwältigungsrhetorik der Informationsgrafik verzichtet, mit denen sonst dargestellt wird, wie sehr der Mensch in die Kreisläufe der Erde eingreift. Dieses Mal also keine Balkendiagramme über CO2-Ausstoß, menschengemachte Materie, Abfallvolumina, die Menge der Haustiere für unseren Fleischkonsum oder den Verlust an Biodiversität. Statt Zahlen-Alarmismus viele kluge und spezifische Strategien, wie dem Raubbau an Ressourcen begegnet werden kann: der sukzessive Innen-Umbau eines Hauses aus den 1980ern von Fuminori Nousaku und Mio Tsuneyama, die computergestützte Produktion von Ersatzteilen für ein Institutsgebäude der ETH (Matthias Brenner), ein Kurs, der Jugendlichen zeigt, wie sie Schilder zum Schutz inidgener Territorien, die von den großen Firmen, die den Raubbau am Urwald vorantreiben, zerstört werden, selbst herstellen können. Es werden Produkte von Dipdii Textiles gezeigt, einem Projekt Anna Heringers, das Frauen in Bangladesh eine Erwerbsgrundlage bietet, um sich nicht den ausbeuterischen Praktiken der Textilindustrie aussetzen zu müssen.

Widerspruch provozieren


Die verschiedenen Stationen, nach denen die Ausstellung geordnet ist, sie heißen beispielsweise „Werkzeuge für alle“, „Wissenswelten dekolonisieren“ oder „Mit dem Bestand arbeiten“, fassen zudem zahlreiche künstlerische Arbeiten, tauchen in die Reperaturpraktiken anderer Kulturkreise ein, zeigen ein Archiv von Materialproben und Dias von Berliner Siedlungen der Moderne (Atelier Brenne) oder die Arbeit von Bas Princen, der sich mit den Scherben der Kirche San Francesco in Assisi befasst hat. Ein Erdbeben hatte die Kirche mit den wertvollen Frescen Giottos und Cimabues schwer beschädigt. Erinnerungsarbeit –  Hypomnemata nennt es Kader Attila –, die benötigt wird, um die namenlose Melancholie und die keinen Widerspruch duldende Unbedingtheit des Neuen zu überwinden, die uns vom Vorhandenen, Gebrauchten, mitunter Schadhaften trennt und die Arbeit mit ihm belastet – zu zerstören ist auch deshalb noch viel zu selbstverständlich. Die Aktionen des Schweizer Architetk:innenkollektivs ZAS haben mit einem Wettbewerb für den Erhalt dreier Hochhäuser der Nachkriegszeit des Stadtspitals Triemli gezeigt, welche Potenziale in den Gebäuden stecken, die abgerissen werden sollen. Der Wettbewerb war ausgelobt worden, ohne dass die Auslobenden im Besitz des Gebäudes gewesen wären.

In die Tiefe gehen


„Mit dem Alltag beginnen“ – so heißt es gleich am Anfang. Schon auf dem Weg in die Ausstellung über einen Nebeneingang konnte der Besuchende erfahren, was damit gemeint ist: Die in den Alltag eingeschriebenen Praktiken, mit denen zerstörerische Konsummaschine, Klimakrise und Ungerechtigkeit am Leben gehalten wird. Fotos von Zara Pfeifer machen hier die Arbeit der Menschen sichtbar, die für die Reinigung und Pflege der Akademie zuständig sind. Und in den Texten zur Ausstellung wird deutlich: Wir werden nicht freundlich zu schmerzlosen Änderungen im Kleinen aufgefordert, es wird fundamentale Kritik am Wirtschaftssystem und den gesellschaftlichen Strukturen, den Benachteiligungen von Frauen, der Unterbewertung von handwerklicher Arbeit, der Ausbeutung von Menschen geäußert, an den Mechanismen, die bewirken, dass auch die Arbeit an der Pflege des Bestands systematisch gering geschätzt wird.

Es ist sehr begrüßenswert, dass die „Große Reparatur“ sich nicht damit zufriedengibt, ein wenig Symptome zu behandeln und statt dessen in die Tiefe der Kulturpraktiken vordringt, dorthin, wo sie das mörderische Wirtschaftssystem stärken. Ein Umsteuern, so wird Besuchenden suggeriert, ist auch deswegen bislang so wenig erfolgreich, weil genau diesen Tiefenbohrungen meist so beharrlich aus dem Weg gegangen wird. „Das vorherrschende Narrativ einer grünen, wachstumsorientierten Transformation verspricht, die Klima- und Ressourcenkrise allein mithilfe technologischer Innovation in den Griff zu bekommen. Solche Visionen mit ihrem Effizienz- und Konsistenzversprechen sind im Grunde Technofixes, die das extraktive Paradigma nicht überwinden. (…) Es hat sich nämlich gezeigt, dass die verschiedenen ’smarten‘ Lösungen oft gut mit unterschiedlichen Formen des staatlichen und unternehmerischen Konservatismus kompatibel sind“, wie es in der Sprache der Kurator:innen heißt. Es soll möglichst lange so weitergehen wie bisher. Die Ausstellung zeigt, dass im Rahmen unseres aktuellen Lebensstils, mit den geschlossenen Augen vor Vergangenheit und Ungerechtigkeit keine große Reparatur gelingen wird. Es überrascht dann nur etwas, wie vorsichtig mit dieser These umgegangen wird. Denn die „brüchigen Zwischenräume im Bestehenden“, von denen es im Rahmen der Ausstellung heißt, dass in ihnen das Reparieren beginnen könne, drohen uns bereits zu verschlingen. Begonnen haben wir doch schon. Im Kleinen. Wie aber kommt man vom Reparieren zum „großen Reparieren“? (*)


Narben pflegen

Im hinteren Bereich der zweiten von drei Ausstellungssälen wird darauf verwiesen, dass Reparatur damit beginne, „das Irreparable, die Unumkehrbarkeit der Zerstörung anzuerkennen. Wir müssen wiederaufbauen, ausbessern, heilen und instandsetzen, aber wir müssen gleichzeitig zugeben, dass unsere Reparaturbemühungen die materiellen oder immateriellen Verletzungen nicht überdecken können. Die Narben sichtbar und das Gedenken lebendig zu halten gehört daher zur großen Reparatur dazu.“ Das klingt plausibel. Um es zu belegen, werden dennoch große Geschütze aufgefahren. In einem Film kommen Überlebende des russischen Bombardements auf das Theater in Maripol zu Wort, die Synagoge von Babyn Yar, dem Ort eines der größten NS-Verbrechens im Zweiten Weltkrieg, zeigt den Sternenhimmel zum Zeitpunkt des Massakers von 1941. Hier wird der Zusammenhang zum Bewahren des Bestands, zum Reparieren als wieder zu erlernende Kulturtechnik mit Kriegsverbrechen kurzgeschlossen – ein kuratorisches Wagnis. Ja, der Nationalsozialismus und seine Verbrechen waren kein vormodernes Barbabentum, kein Rückfall, sondern ein Teil der Moderne, der sich deren Logik bediente. Diese Verbrechen allerdings in einen Raum mit einem Blick auf eine notwendige Systemwende unter dem Titel des Reparierens zu stellen, birgt das Risiko zumindest des Missverstehens – denn hier kann man nichts mehr reparieren, auch dann nicht, wenn man Narben pflegt. Also doch Überwältigungsrhetorik? Wir brauchen das dem Bewahren zugrunde gelegte Erinnern, das Pflegen der Narben, um nicht wieder und wieder die gleichen Mechanismen der Zerstörung in Gang zu setzen, so könnte man es verstehen. Was genau gemeint ist, bleibt in der Schwebe, so dass sich die Zuversicht, die die guten Beispiele vermitteln, in Nachdenklichkeit wandelt. „Wir dürfen den Anspruch an tiefgreifende Veränderungen nicht aufgeben“, so fordern die Kurator:innen. Aber wie könnte uns die tiefgreifende Veränderung gelingen, wie ließe sich das Zerstören beenden? Reichen eindrückliche Kunstwerke, Nischen alternativer Raum- und Bedeutungsproduktion, einzelne Akte der Anerkennung von sonst verachteten Tätigkeiten und damit der Menschen, die sie ausüben?


Es wird nicht leicht


Und so stiften die Arbeiten im dritten Raum etwas weniger Zuversicht, als sie es sonst getan hätten, mag man sie auch durch die heitere Architektur des Atelier Bow-Wow betreten. Hier treffen wir die Helden aus der Architektur, Assemble etwa oder Anne Lacaton und Jean-Philipp Vassal, letztere mit dem Place Léon Aucoc (1996), den sie mit den üblichen Stadtverschönerungselementen zu behübschen sie sich geweigert hatten und stattdessen vorgeschlagen hatten, den Platz regelmäßig zu reinigen, ihn auszubessern, den Verkehr zu beruhigen und die Linden so zu behandeln, dass die Bänke unter ihnen nicht vom klebrigen Honigtau der Blattläuse unbenutzbar werden. Es wird das Projekt der Umnutzung eines Gewerbegebiets in Luxemburg gezeigt, das wir hier bereits vorgestellt hatten und dessen zupackende Pragmatik wohltuend aufmuntert. Hier wird der große Maßstab tatsächlich in Angriff genommen. Doch so rechte Aufbruchsstimmung kommt nicht auf. Direkt nebendran steht ein von Folke Köbberling und dem verstorbenen Martin Kaltwasser aus Autoteilen gebautes Lastenrad. Man muss sich nur kurz vorstellen, wie es zu zu fahren wäre, um zu ermessen, was uns mit „The Great Repair“ bevorsteht: eine enorme Anstrengung. Haben wir die Kraft dazu?

The Great Repair
Bis zum 14. Januar 2024 in Berlin in der Akademie der Künste, Hanseatenweg. >>>
Künstlerische Leitung: Florian Hertweck, Christian Hiller, Markus Krieger, Alexandra Nehmer, Anh-Linh Ngo, Milica Topalović
Projektträger: ARCH+ gGmbH
Kooperationspartner: Akademie der Künste, Berlin; Departement Architektur der ETH Zürich;  Faculté des Sciences Humaines der Universität Luxemburg
Über die Ausstellung findet sich weitere Information auf einer eigens eingerichteten Internetseite >>>
Zur Ausstellung erschienen zwei Ausgaben der Zeitschrift arch+, eine dient der theoretischen Einführung >>>eine zweite stellt die in der Ausstellung präsentierten Arbeiten vor >>>

(*) Alle Zitate von der Internetseite „The Great Repair“ >>>