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Stand am Beginn der Renaisancve des Lehms in moderner Architektur: Versöhnungskapelle in Berlin (Architekten: Sassenroth und Reitermann, Lehmbau: Lehm Ton Erde, Martin Rauch; Bild: Flemming Ibsen, flickr.com CC BY-NC 2.0)

Lange bekannt dafür, historische Holzkonstruktionen trocken zu halten, wird Lehm inzwischen immer öfter in neuer Architektur eingesetzt. Dabei ist er geradezu zu einem Synonym für nachhaltiges Bauen geworden. Doch es kommt – wie immer –  darauf an, was man daraus macht. Ein Überblick über aktuelle Entwicklungen und innovative Projekte.

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Traditionelle japanische Lagergebäude hatten bis zu einen Meter dicke Lehmwände. (Bild: Tatsya Tokura)

Nachhaltigem Bauen gegenüber aufgeschlossene Architekt:innen fragen sich, warum sich Lehm nicht aus der Nische heraus bewegen konnte, in der er seit den 1950er Jahren zu stecken scheint. Tatsächlich gab es immer sehr viel Lehm in Fachwerkbauten. Insofern war nicht der Baustoff in einer Nische. In einer Nische fand die Produktion von Lehmbaustoffen statt. Sie wurden einfach zu wenig gebraucht: Nicht für Altbauten, deren Lehmbauteile wie Fachwerkwände und Lehmwickeldecken noch nach Jahrhunderten funktionieren; nicht für Neubauten, bei denen fehlende Normen seinen Einsatz erschwerten.

Dabei ist Lehm ausgesprochen nachhaltig. Er ist einfach wiederzuverwenden und leicht zu verarbeiten. Zusammen mit dem geringen Energieeinsatz im Lebenszyklus und seiner regionalen Verfügbarkeit führt das zu einer besonders guten Ökobilanz. Seit Jahrhunderten wird sein sehr guter Brandschutz und seine gute Feuchtepuffer für Spezialbauten eingesetzt, etwa für traditionelle japanische Lagergebäude mit bis zu einen Meter dicken Lehmwänden – Bauten, die heute noch stehen. heute noch stehen. Heute wird die befeuchtende Wirkung auf die Raumluft gerne in den Vordergrund gestellt, (1) auch wenn andere offenporige, kapillaraktive Baustoffe fast ebenso gut befeuchten, hygroskopische Raumausstattung wie Stoffe und Textilien  sogar deutlich besser. (2) Jahrhundertelang stand vor allem die entfeuchtende Wirkung innerhalb einer Holzkonstruktion im Vordergrund.


Sichtbar – Unsichtbar


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Eine Sanierung, die Tradition und modernes ökologisches Bauen mit verschiedenen Lehmbaustoffen auf einem hohen Niveau verbindet, ist der Sandberghof in Darmstadt von Schauer + Volhard. (Bild: Schauer + Volhard Architekten BDA)

Die Vermutung, dass Lehm ein Nischenbaustoff sei, liegt auch daran, dass er in Altbauten erst zu sehen ist, wenn man die Bauteile öffnet. Nur erfahrene Sanierer kennen und schätzen ihn. Ein Beispiel für seine Dauerhaftigkeit ist die ökologische und baubiologische Sanierung und Umnutzung einer denkmalgeschützten Hofreite in Darmstadt durch Schauer + Volhard. Hier hält er wie in traditionellen Bauten anfallende Kondensationsfeuchte von der Konstruktion und neuer Innendämmung fern. Architekten, wie Franz Volhard und Ingenieure wie Gernot Minke (2) benutzten Lehmbaustoffe für Alt- wie auch für Neubauten. Franz Volhard dokumentiert in dem Buch „Bauen mit Leichtlehm“ (3) die Entwicklung verschiedener Leichtlehmtechniken anhand von nachhaltigen und schönen Gebäuden.

Neue Lehmproduktnormen
Weil Lehm ein nachhaltiges Baumaterial ist, machte sich der Dachverband Lehm daran, neue Lehmbauregeln zuerarbeiten. 1998 veröffentlichte er erstmals die Lehmbauregeln (4), die für industriell und auf der Baustelle hergestellte Lehmbaustoffe gelten.

2013 wurden dank der Vorarbeiten des Verbands neue Normen für werksmäßig hergestellte Lehmsteine, Lehmmauermörtel und Lehmputzmörtel veröffentlicht. 2018 wurden sie überarbeitet und durch eine Norm für Lehmplatten ergänzt. Durch die neuen Normen ist Bauen mit Lehm rechtssicherer geworden und einfacher umzusetzen:

Lehmproduktnormen
DIN 18942-1:2018-12 Lehmbaustoffe – Teil 1: Begriffe
DIN 18942-100:2018-12 Lehmbaustoffe – Teil 100: Konformitätsnachweis
DIN 18945:2018-12 Lehmsteine – Anforderungen und Prüfverfahren
DIN 18946:2018-12 Lehmmauermörtel – Anforderungen und Prüfverfahren
DIN 18947:2018-12 Lehmputzmörtel – Anforderungen und Prüfverfahren
DIN 18948:2018-12 Lehmplatten – Anforderungen und Prüfverfahren
Energetisch ertüchtigte Fassade des Sandberghofs: Kalkputz, Lehmbauplatte, Installationsebene mit Innendämmung aus Zellulose, historische Fachwerkwand mit Lehmgefachen, Schilfmatte, Kalkputz.

Energetisch ertüchtigte Fachwerkfassade des Sandberghofs: Kalkputz, Lehmbauplatte, Installationsebene mit Innendämmung aus Zellulose, historische Lehmausfachung oder neues Lehmsteinmauerwerk, Schilfmatte, Kalkputz.
(Bild: Schauer + Volhard Architekten BDA)

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Vor die Trennwand gestampfter Lehm im japanischen Ecotone Hotel am Biwa See von Ryuichi Ashizawa Architects verbessert die passive Kühlung. (Bild: Ryuichi Ashizawa Architects)

Mit den Lehmbauregeln und den Produktnormen DIN 18945 und 18946 ist auch wieder der lasttragende Einsatz von Lehmsteinen mit Zulassung im Einzelfall möglich. Inzwischen wird dazu auch zunehmend geforscht. Raik Hartmann etwa hat am Institut für Tragwerksplanung der TU Dresden bei Wolfram Jäger zu modernem Lehmmauerwerk promoviert und einen Bauteilkatalog zu tragenden Lehmsteinen im Wohnungsbau zusammengestellt. Er ist sich sicher: „Modernes Lehmmauerwerk ist richtungsweisend für nachhaltiges Bauen“,  wie er in der Edition Bauen+ berichtet. (5) Eine Anwendungsnorm mit Forschungsergebnissen von Christoph Ziegert ist in Vorbereitung.

Um auf den historischen Einsatz von Lehm hinzuweisen, werden gerne pittoreske Bilder von lehmfarbigen Gebäuden außerhalb Europas gezeigt, wie etwa von marokkanischen Kasbahs. Gernot Minke war ein ökologischer Planer, der auch in Europa dunklen Lehm ästhetisch für Oberflächen von Neubauten einsetzte. Er realisierte Kuppeln und Gewölbe mit einer mitunter wulstigen Ästhetik, was wohl auch zu Ablehnung führte.

Damit war er aber auch Vorreiter einer Mode. Nachdem Lehm in unserem europäischen Klima so lange unsichtbar eingesetzt wurde, prägt er heute die Optik unterschiedlicher Bauteile sichtbar – von Wandfarbe, -putz und Spachtel über massive Böden und Vorblendungen, bis hin zur tragenden Fassade. Lehmputze sind am differenziertesten entwickelt und werden am häufigsten verarbeitet, etwa beim  Teehaus im japanischen Garten des Karlsruher Zoos (6) von 2018.

Die Ästhetik von Wänden mit mineralischer Farbigkeit, Böden mit fundamentaler Erdigkeit und Schutz vermittelnden Decken ist heute fast schon ein Synonym für nachhaltiges Bauen.

Es gibt aber auch bauphysikalische Gründe für den Einsatz von Lehm auf Oberflächen: beim Wandputz des Museum Kolumba des Pritzkerpreisträgers Peter Zumthor konnten dank dem spannungsarmen Lehm auch große Flächen fugenfrei verputzt werden. Beim Vorarlberg Museum von Cukrowicz Nachbaur Architekten unterstützt er auch die technische Klimatisierung.

Wasserlöslich und weich

Vor- und Nachteile

Diese spektakulären Projekte lassen vergessen, dass die einfache Wiederverwendbarkeit und leichte Verarbeitung von Lehm auch mit einem großen Nachteil einhergehen: Lehm bindet nur physikalisch ab und bleibt dabei relativ weich. Wenn er nicht stabilisiert wird, ist diese Bindung durch Wasser stets wieder zu lösen. Eine unsachgemäße Verwendung von Lehm führt unweigerlich zu Schäden, überzogene Erwartungen zu Enttäuschungen. So sind auch Behauptungen, wie die, dass Lehmfarbe das Raumklima verbessere, einem weiteren Einsatz von Lehm abträglich: Wenn Lehmfarben etwas verbessern, dann die Ästhetik. Lehm ist lokal sehr unterschiedlich. Auf Böden in denen das Gas Radon vorkommt, kann er radioaktiv belastet sein. Solch ein Lehm wird von Fachleuten und Firmen, die ihn testen, mischen und zur Verarbeitung vorbereiten allerdings nicht abgebaut.

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Frei tragende Stampflehmfassade, Alnatura Arbeitswelt Darmstadt von Haascookzemmrich Studio2050. (Bild: Achim Pilz)

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Da die Baustellenentwässerung leckte, wusch Regenwasser an einer Stelle schneller die Zuschläge frei als geplant. (Bild: Achim Pilz)

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Ursprünglich war der spannungsarme Lehmputz im Inneren von Kolumba eingesetzt worden, damit die großen Flächen rissfrei bleiben. Außerdem zeichnete er die Durchfeuchtung der Ziegelfassade 2018 innen schnell und ortstreu ab. Inzwischen konnte der Schaden behoben werden. (Bild: Achim Pilz)

Geht man bewusst mit den Schwächen von Lehm um, so lassen sie daraus Vorteile ziehen. Die Abläufer an der Fassade der Alnatura Arbeitswelt belegen das. Christian Holl hat über die erzählende Ästhetik des Bürobaus berichtet. Der erfahrene Stampflehmbauer Martin Rauch rechnet für solche Stampflehmfassaden geradezu mit der Wasserlöslichkeit von Lehm. Er rezeptierte die Zuschläge so, dass eine „kontrollierte Erosion“, wie er es nennt, die Fassade nicht schädigt. Vielmehr entwickelt sie durch diese Erosion mit der Zeit noch mehr Charakter. Die Zuschläge werden sichtbar und die Sonne kann die Plastizität der Wand durch Schatten verstärken. Dabei bleibt sie sowohl dauerhaft als auch sauber – im Gegensatz zu vielen Fassaden mit WDVS. Rauch rechnet für das Alnatura-Gebäude mit einem Lehm-Abtrag von einem bis zwei Zentimetern innerhalb von 70 Jahren. (7) Dafür hat er gemahlenes, getrocknetes Tonmehl aus dem Westerwald antransportiert. Der Primärenergieeinsatz ist bei einer solchen dicken Wand mit Kerndämmung allerdings sehr hoch. Deutlich besser ist da eine Stampflehmwand mit Innendämmung, wie bei Rauchs Wohnhaus in Schlins.

Auch Franz Volhard argumentiert in einem Artikel in der Fachzeitschrift „Bauen im Bestand“, dass hochfeste Baustoffe mitunter unnötig sind und ausreichend fester Lehm in diesem Fall ökologischer ist. (8)

Ein weiterer Vorteil von Lehm ist, dass er Feuchteschäden schnell und ortstreu abzeichnet. So half er etwa 2018 beim Kölner Museum Kolumba schnell die Durchfeuchtung der Klinker-Fassade zu erkennen.


Nachhaltige Beispiele


Wie müsste sich das Bauen ändern, damit Lehm seinem Potenzial gerecht werden könnte? Bauen müsste wieder lokaler werden, wie bei Gion A. Caminada. Durch lokal verfügbare Materialien und Techniken, die lokale Handwerker gut umsetzen können, können Materialkreisläufe geschlossen und wieder kleiner werden.

Ein aktuelles Beispiel für kleine Materialkreisläufe ist Haus St. Wunibald des Klosters Plankstetten in Oberbayern. Hier wurden neben Lehm auch Holz und Stroh aus der Klosterproduktion verbaut. Auch ein Bauen mit dem Aushub spart Transportwege sowie Deponiebelastungen und kann daher zu kleineren Materialkreisläufen führen. Firmen wie Lehmag haben es sich zur Aufgabe gemacht, den Aushub vor Ort zu verwenden. 2021 bauten sie einen von Roger Boltshauser entworfenen Ofenturm im Ziegelei-Museum Cham, einen vorgespannten, überhohen Ausstellungsraum mit Brennofen. (9)

Ein besonderes ökologisches Wohnhaus ist Haus J in Darmstadt von Schauer + Volhard Architekten BDA. Dessen Außenwand ist eine solare Strahlungsgewinne speichernde Leichtlehmschale, außen kalkverputzt, innen gedämmt. Sie benötigt je Quadratmeter Fassade nur ein Zehntel des Lehms des Alnatura Gebäudes und keine Geogitter aus Kunststoff zur Bewehrung. Die Innenwände wurden zum sommerlichen Hitzeschutz mit schweren Lehmsteinen ausgefacht.  2013 wurde das Haus mit der Joseph-Maria-Olbrich-Plakette des BDA Hessen ausgezeichnet. (10)

Es gibt also durchaus Beispiele, wie mit Lehm nachhaltig gebaut werden kann. Dabei helfen ein schonender und gekonnter Umgang mit dem Material – wie bei jedem Baustoff auch.


(1) Achim Pilz (Hrsg.): Lehm im Innenraum – Eigenschaften, Systeme, Gestaltung, 2. Auflage, Fraunhofer IRB Verlag. 2012, S. 24
(2) ebd., S. 33
(1) Knapp vorgestellt auf der Büroseite >>>
(2) Übersichtartikel auf baubiologie-magazin.de >>>
(3) Franz Volhard: Bauen mit Leichtlehm. Handbuch für das Bauen mit Holz und Lehm. 9. Auflage. Birkhäuser-Verlag. 2021
(4) Dachverband Lehm e.V. (Hrsg ): Lehmbau Regeln – Begriffe – Baustoffe – Bauteile, 3. Auflage. Springer Vieweg Verlag. 2009
(5) R. Eberl-Pacan, K.-J. Edelhäuser, B. Gigla (Hrsg.): Edition Bauen+ 1 Schwerpunkt: Gebäudetechnik. Fraunhofer IRB Verlag 2021. S. 8 ff.
(6) Der Architekt Kazuhisa Kawamura berichtet auf baubiologie-magazin.de >>>
(7) „Einzigartige Projekte aus Stampflehm von Martin Rauch“ auf cradle-mag.de >>>
(8) Franz Volhard: Lehmbaustoffe für die schadenfreie Sanierung älterer Gebäude gezielt nutzen. B+B Bauen im Bestand Heft 1.2019. Verlagsgesellschaft Rudolph Müller. S.20-24
(9) Vorgestellt auf der Büroseite der Architekten >>> und bei den Lehmbauern >>>
(10) Vorgestellt auf bda-hessen.de >>>