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Sichtbeton satt im Südwesten

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© Oliver Rieger, Brigida González

Auch noch so üble Nachrede hat ihm nicht geschadet: Sichtbeton ist und bleibt Faszination und Herausforderung. In Stuttgart und Umgebung wurden zuletzt einige bemerkenswerte Bauten fertiggestellt, die zeigen, was mit Sichtbeton möglich ist.

„An Beton scheiden sich die Geister.“ Mit diesem Satz beginnt das inzwischen 10 Jahre alte Sichbetonkompendium von Rüdiger Kramm und Tilman Schalk (>>> Sichtbeton. Betrachtungen.) Dass Sichtbeton bei Laien oft als Synonym für Kälte gilt, schreibt dort Riklef Rambow; dass er faszinierende Gestaltungsmöglichkeiten bietet, aber kein rationaler Grund die Faszination befriedigend nachvollziehbar macht, Arno Lederer. Eine Erklärung könnte sich darauf beziehen, dass mit Beton nach wie vor einer der am meisten verwendeten Baustoffe überhaupt ist – wesentlich mehr, als sichtbar ist. Und dass der uralte Wunsch der Architekten, mit dessen Äußerem davon zu erzählen, wie das Haus konstruiert ist, wie es gemacht ist, im Sichtbeton eine zeitgemäße Entsprechung findet. Aber nicht nur das: Seine Gestaltbarkeit erlaubt es eben auch, sehr genau einen Körper zu formen, der nicht in einzelne Bauteile aufgelöst werden muss und deswegen ausgesprochen gut die (vermeintlich) zeitlosen geometrischen Grundformen wiedergeben kann. Erst in diesen beiden Motivationen wird auch die Spannbreite verständlich, derer sich der Sichtbeton erfreut: von der die Materialität betonenden, den Herstellungsprozess inszenierenden Oberfläche und Form bis zur samtenen Glätte, die gerade nicht die Materialität betont, sondern darauf verweist, dass die Form einer abstrakten Idee folgt, die erst in ihrer Reinheit repräsentiert werden kann: der einer hinter den Erscheinung liegenden Wahrheit.
Ob nun der Südwesten Deutschlands besonders anfällig für dieses Verständnis von Architektur ist, weil sich Freude an der Konstruktion, handwerkliche Fertigkeit und mitunter eine auf jenseitige Wahrheit besonders konzentrierte Glaubensrichtung mischen, soll an dieser Stelle offen bleiben – uns fielen jedenfalls in letzter Zeit einige gute Sichtbeton-Bauten auf, die wir vorstellen wollen.

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Bild: © Oliver Rieger

1. Stuttgart – Hochschulerweiterung

Start in Stuttgarts Stadtmitte. Zwischen Liederhalle und Universität liegt die Architekturfakultät der Hochschule für Technik, die durch einen 2016 eingeweihten Neubau erweitert wurde. In Fortsetzung der Bestandsbebauung wurde ein klar konturierter Quader platziert. Auf einem Sockel sind drei durch fassadenbündige Glasbänder verbundene Riegel zu einer kompakten Form verbunden. Im Innern ist das Gebäude so übersichtlich strukturiert, wie es das Äußere vermuten lässt. Quer gelagert, verbinden ein kleines Foyer im Erdgeschoss und ein breiter Flur in den Obergeschossen diese drei Riegel, längs sind die Zwischenräume einmal als Lichthof, einmal als eine Halle über drei Geschosse gestaltet. Diese Riegel nehmen Büros, Arbeits- und Unterrichtsräume auf, im Erdgeschoss liegen die größeren Vorlesungssäle, die Werkstätten im Untergeschoss – ein belebendes Café oder ähnliches ist leider nicht im Raumprogramm enthalten.
Sichtbeton prägt das Haus außen wie innen – neben Glas und Aluminium das den Eindruck beherrschende Material. Die Außenwand des Stahlbetonskelettbaus ist als kerngedämmte Konstruktion ausgeführt, auf eine präzise Fügung der Bauteile wurde großen Wert gelegt, große Öffnungen raumhoch angelegt, so dass das Haus wie ein veredelter Rohbau wirkt, dessen Herstellungsprozess deutlich sichtbar ist, ohne aufdringlich inszeniert zu sein. Die seitlichen Fensterbänder liegen tief in der Fassade, so dass sie innen bündig abschließen, während die Fugen zwischen den Riegeln außenbündig verglast wurden.


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Erweiterung der Hochschule für Technik, Fachbereich Architektur
Bauherr: Land Baden-Württemberg, vertreten durch Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Universitätsbauamt Stuttgart und Hohenheim
Architekten: berger röcker architekten, Stuttgart
BGF: 8000 qm
Bausumme 21,9 Mio €
Fotografie: Niels Schubert, Oliver Rieger

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© Brigida González

2. Pleidelsheim – Büro- und Ausstellungsgebäude

Auch das zweite Beispiel zeigt eine Mischung aus Öffnungen, die die Wandtiefe betonenden und als außenbündige diese verbergen. Die Firma Greiner stellt Stühle für Fahrzeuge, Friseursalons, Krankenhäuser und Arztpraxen her. Mit dem Neubau wird nicht nur der Wunsch des Unternehmens erfüllt, sich und die Firmenprodukte zu präsentieren. Auf einem Eckgrundstück nimmt das auf einer Grundfläche von 23 mal 23 Metern errichtete Gebäude mit der Kubatur Rücksicht auf die noch zumindest partiell dörflich geprägte Nachbarschaft: dank der Dachterrasse tritt das dritte Obergeschoss in den Hintergrund. Die Klarheit der Form, die Präzision der Details und die Fassade aus Sichtbeton bilden aber dennoch einen deutlichen Kontrast zur Alltagsarchitektur der Nachbarschaft. Über Eck zu den Straßen verglast, zeigt sich der Ausstellungsbereich, tief eingeschnitten wurden im Obergeschoss die Fenster für Büros und Besprechung. Der Eingang liegt an der bis auf ein außenbündig gesetztes Schaufenster geschlossenen Ostfassade unter einem mit Streckmetall verkleideten Erkervorbau aus Stahl. Diese Seite ist so etwas wie der optische Rücken des Gebäudes. Dem entspricht das von außen kaum vermutete Highlight im Innern: die dreigeschossige Halle mit einer asymmetrisch eingestellten Cortenstahl-Wendeltreppe. Diese Halle verbindet Büro- und Konferenzbereiche und Ausstellungsraum auch visuell miteinander. Wie das Äußere, ist auch dieses Foyer von in höchster Präzision ausgeführten Sichtbetonoberflächen geprägt, sauber sind die Wandscheiben gefügt. Bei der Herstellung wurde eine teleskopierbare Trägerrostschalung aus Metall mit Schalplatten aus Holz verwendet, die eine hohe Präzision und ein präzise gerastertes Schalbild erlaubt.


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Büro- und Ausstellungsgebäude der Fa. Greiner OHG, Pleidelsheim
Bauherr: Fa. Greiner ohg
Architekten: f m b architekten – Norman Binder, Andreas-Thomas Mayer – Stuttgart
Projekt- und Bauleitung: Norman Binder
Baukosten: ca. 5 Mio € (KG nach din 276: 200-700 brutto)
Fotografie: Brigida González, Andreas-Thomas Mayer

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Bild © Brigida González

3. Besigheim – Verwaltungs- und Sozialgebäude

Die Karl Köhler GmbH ist die Firma, der in Pleidelsheim die Verantwortung für die Betonverarbeitung übertragen wurde. Beheimatet ist sie nur wenige Kilometer weiter nordwestlich, in Besigheim. Hier hat sich das Unternehmen auf seinem Betriebsgelände, zwischen Neckar und Feldern mit Blick auf die Felsengärten von Hessigheim einen Neubau errichten lassen, der neben weiteren Büroräumen auch Flächen für Ausstellung und Veranstaltungen bietet, der aber eben auch zeigt, was man in Sachen Betonbau zu leisten imstande ist. Den Architekten ist es gelungen, all dies in einem zweigeschossigen, pavillonartigen Neubau zu verwirklichen, und ihn dabei dennoch als ein in sich stimmiges und wenig aufdringliches Gebäude erscheinen zu lassen. Dazu trägt (auch hier) die einfache, klare Form, aber vor allem die ruhige und elegante Fassadengliederung mit wenigen Fensterformaten in einheitlicher Höhe bei. Die Außenwand erhält tiefe, halbseitig angeschrägte Einschnitte, die Fensterebene scheint hinter der Betonhülle zu liegen. Dieses Motiv wurde für den Eingang variiert. Die Büros liegen an der Außenseite, das Innere prägt ein großes zweigeschossiges Atrium für Schulungen, Veranstaltungen und als Treffpunkt, es liegt zwischen den beiden massiven Kernen für Treppe und Sanitärräume. Von diesen Kernen sind die Decken stützenfrei bis zu den tragenden Elementen der Außenwände gespannt. Das Haus ist auch im Innern ein Demonstrationsobjekt. Die Betonoberflächen der Kerne sind zum Atrium hin grob gespitzt, auf ihrer Innenseite glatt geschalt. Als Zuschlagsstoff wurde der Splitt eines regionalen Muschelkalksteins verwendet, der für die steinmetzmäßige Bearbeitung gut und gleichmäßig verteilt werden musste. Auch die Deckenuntersichten sind als Sichtbeton ausgeführt. Weil man Ortbeton verwendete, konnte auf Dehnungsfugen verzichtet werden. Eine Besonderheit findet man am Eingang: Hier wurde aus transluzentem Beton das abstrahierte Firmenlogo abgebildet. Über eine Neoprenmatrize eingeführte Lichtleitfasern sorgen dafür, dass das Logo erstrahlt, wenn die Rückseite beleuchtet wird.


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Verwaltungs- und Sozialgebäude Karl Köhler, Besigheim
Bauherr: Karl Köhler GmbH, Besigheim
Architekt: wittfoht architekten bda, Stuttgart
BGF: 2.800 qm
Fotografie: Brigida González

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© Bridiga González

4. Stuttgart – Seminargebäude

Fein und sauber geglättet sind die Oberflächen des Kubus, der als Erweiterung der Hochschule der Medien auf dem Universitätscampus in Stuttgart-Vaihingen errichtet wurde. Als freigestellter Solitär vor den bestehenden Bauten der Hochschule platziert, kommt die klare geometrische Form gut zur Geltung, lediglich durch einen Einschnitt an der Nordostecke für den Eingang wurde sie unterbrochen. Fast samtig wirkt der Beton hier, die geometrische Form wird betont, nicht die Materialität, die bündig in der Fassade liegenden Festverglasungen eines durchgehend einheitlichen Formats sind durch leicht nach innen gesetzte, opake Öffnungsflügel rhythmisiert und zusammengefasst. Je Fassade ergibt eine leichte Variation der Ansicht, in der die Schalungsstöße das Gebäuderaster abbilden. Die Konstruktion des Neubaus besteht aus quadratischen Stützen im Abstand von 8,50 Metern in der einen und 7,50 Metern in der anderen Richtung sowie unterzugslosen, 35 Zentimeter starken Flachdecken. Die vorgefertigten, kerngedämmten Beton-Sandwichelemente der Fassade bestehen jeweils aus einer inneren tragende Wandscheibe von 25 Zentimetern Stärke, einer mittleren Dämmschicht aus Steinwolle von 20 Zentimetern Stärke und einer 9 Zentimeter dicken Vorsatzschale aus Sichtbeton. Industrieparkett, graues Linolium, Glas, grau gestrichene Leichtbauplatten und Sichtbeton auch im Innern vermitteln einen hellen und noblen Werkstattcharakter. Ein Vorlesungssaal liegt im Erdgeschoss, Büros, und Seminar- und Projekträume im Obergeschoss sind um eine offenen Innenbereich angeordnet, der über einen Luftraum die Geschosse miteinander verbindet.


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Seminargebäude Erweiterung Süd, Hochschule der Medien
Bauherr: Hochschule der Medien, vertreten durch Universitätsbauamt Stuttgart und Hohenheim
Architekten (LP 1 – 8): Simon Freie Architekten BDA, Stuttgart
BGF: 3.240 qm
Investitionssumme: ca. 7 Mio € (KG 200- 700 brutto)
Fotografie: Brigida González


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Bild © Brigida González

5. Pliezhausen – Wohnhaus

Die letzte Station liegt im Süden Stuttgarts, in Pliezhausen bei Tübingen. Hier haben Steimle Architekten ein kleines Einfamilienhaus errichtet. Dessen Wahrnehmung changiert zwischen einem Findling und einer freien Komposition aus schrägen und geknickten Scheiben, was insbesondere bei der Ansicht auf den in das ansteigende Gelände geschobene Eingangsgeschoss mit Garageneinfahrt und Haustüre der Fall ist. Auf dem Grundriss eines unregelmäßigen Sechsecks mit parallelen Wänden erzeugt vor allem das Schalbild aus sägerauhen Brettern einen stark materialbetonten, archaischen Charakter, der gut zur Form passt. Präzise wurden die Fensteröffnungen in diese Form geschnitten, oft über Eck, was die skulpturale Wirkung noch verstärkt. Verwendet wurde hier ein Leichtbeton mit Blähtonzuschlag, so dass die 50 Zentimeter starken Außenwände als Massivkonstruktion errichtet werden konnten. Im Innern wurden die unbehandelten Betonwände mit weißen Flächen und dem Boden und Einbauten aus Eichenholz kontrastiert, die Unmittelbarkeit der Betonoberflächen tritt dadurch um so stärker hervor. Aus dem Wechsel aus engen Durchgängen und sich öffnenden Räumen wurde eine abwechslungsreicher Wohnraum komponiert.


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Wohnhaus E20, Pliezhausen
Bauherr: privat
Architekten: Steimle Architekten GmbH, Stuttgart
BGF: 359 qm
Fotografie: Brigida González

Und wer damit nicht genug hat: Weitere sehenswerte Sichtbetonbauten finden sich Aalen, wo MGF Architekten die Hochschule um Aula und Auditorium erweiterten (2014, >>>), auf dem Campus der Uni Vaihingen die beiden Forschungszentren für Informatik (>>>) und für Simulationstechnologie (>>>) von Hartwig Schneider Architekten (2010/12).