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Zum 13. Mal wurden in Karlsruhe die Architektur- und Theoriepreise der Schelling Architekturstiftung verliehen. Rotor aus Brüssel, Bruther aus Paris, Aristide Antonas aus Athen – neue Architekturkonzepte untermauerte Keller Easterling bei der Schelling Architektur- und Theoriepreisverleihung mit ihrer Arbeit zur infrastrukturellen Festlegung urbaner Entwicklungen.

noAarchitecten mit Rotor: Fassade aus wiederbenutzten Ziegeln für das Rathaus in Lo-Reninge. (Bild: Filip Dujardin)

„Kann Kunst die Welt retten?“ Unter diesem bangen Motto präsentierte sich die belgische Stadt Antwerpen Anfang der neunziger Jahre als Europäische Kulturhauptstadt. Aber verglichen mit heute war die Welt damals gerade irgendwie in Ordnung gekommen: Deutschland wiedervereinigt, der Kalte Krieg beendet, und das Waldsterben der achtziger Jahre auch halbwegs überstanden. Vom Klimawandel war noch keine Rede, und den Plastikmüll im Meer fraßen ja gottseidank die Fische. Wozu denn die Welt retten wollen in jenen Tagen? Alle waren guter Dinge …
Und die Architektur? Nun ja, auch die Postmoderne hatte man damals mehr oder minder ohne Traumata überstanden. Und doch – es gab einiges zu tun. In Karlsruhe wurde eine Stiftung gegründet, von Trude Schelling-Karrer – der Witwe des Architekten Erich Schelling, dem Erbauer der dortigen Schwarzwaldhalle (Ingenieur war Ulrich Finsterwalder) – und Heinrich Klotz, dem vormaligen Gründungsdirektor des DAM in Frankfurt und danach des ZKM in Karlsruhe. Und diese Stiftung rief 2002 den Erich-Schelling-Architekturpreis ins Leben. Implizit – nicht ausdrücklich – stand dahinter der Ehrgeiz, mit Baukunst und komplementär einer intelligent und wach weitergeführten Architekturtheorie die Welt zu retten, wenn es denn mal notwendig werden sollte.

Baustofflager statt Mülldeponie: Rotor entwickelt eine Wiederverwertung, die radikaler ist als die Recycling-Industrie. (Bild: Rotor)

Baustofflager statt Mülldeponie: Rotor entwickelt eine Wiederverwertung, die radikaler ist als die Recycling-Industrie. Dazu gehört ein Vademecum, in dem die wiederzunutzenden Baustoffe und -teile baurechtlich geprüft sind. (Bild: Rotor)

Bauen und Umwelt

Jetzt könnte es bald soweit sein. Statt für Waldsterben durch Sauren Regen sorgt der Klimawandel heute durch ausbleibende Niederschläge für Waldbrände. Jene Fische, die sich seit damals mit Mikroplastik mästeten, werden von schwimmenden Fischfabriken zu Fast Food verarbeitet und landen in unseren Mägen – hätte hätte Nahrungskette! Und jeden Tag rechnen uns besorgte Mahner und Propheten vor, dass das besinnungslose Bauen mit Beton für eine rapide wachsende Weltbevölkerung die geschundene Atmosphäre noch weiter mit Stickoxiden anreichert, vom Engpass an geeignetem Sand und dem Energieverbrauch beim Bauen und während des Nutzungszyklus von Häusern und Städten gar nicht zu reden. Bauen als Umweltzerstörung: Erinnern Sie sich noch an diesen Buchtitel, dessen Autor, wenn wir uns recht erinnern, ein Schweizer Architekt namens Rolf Keller war?
Kunst konnte und brauchte damals, in der Kulturhauptstadt Antwerpen, die Welt nicht retten. Aber jetzt ist es ein belgisches Architekten-Kollektiv aus dem nahen Brüssel mit dem Namen Rotor, das den Erich-Schelling-Architekturpreis 2018 mit nach Hause nehmen durfte, weil es die Welt ein bisschen rettet.

Basis-Demokratie?

Die Spielregeln der Preisvergabe, nach denen sich die Jury richtete (welcher auch die kurz zuvor separat gekürte Theorie-Preisträgerin Keller Easterling angehörte, davon später), hatten dafür gesorgt, dass eine heikle Patt-Situation durch Stimmengleichheit für zwei der nominierten Kandidaten sich dann doch auflösen ließ: Erstmalig gab es am Ende der Festveranstaltung in der Karlsruher Baufakultät nämlich eine Publikumsabstimmung – das Auditorium durfte Zünglein an der Waage spielen. Mehr Demokratie wagen heißt eben auch ein wenig mehr Populismus wagen, und sei’s auch nur im akademischen Betrieb.

Design und Mode Centre in Brüssel, 2017 mit Vplus Architekten (Bild: Maxime Delvaux)

Design und Mode Centre in Brüssel, 2017, Rotor mit Vplus Architekten (Bild: Maxime Delvaux)

Diesmal fiel die Architektur etwas zurück, denn das Rotor-Kollektiv baut zwar auch Häuser (gern in Kooperation mit anderen Teams), aber Aufsehen erregt ein Spin-off der Gruppe, der sich als Nebenbetrieb um die Wiederaufbereitung und Ertüchtigung „gebrauchter“ Baustoffe und -materialien kümmert. „Urban Mining“ nennt man das heute, aber man könnte auch sagen, Rotor fungiere als eine Art Baustoff-Trödler – und das Kollektiv ist erfolgreich damit. Kritiker können einwenden, ganz Afrika halte sich mit dem Sammeln von Wertstoffen auf den Müllkippen der Megalopolen des Kontinents über Wasser; aber ist es nicht Zeit, dass auch die Bewohner der nördlichen Halbkugel sich mal seriös für ihren Abfall interessieren?

Gut – und schön

Seit jeher ist bei der Vergabe des Schelling-Preises „das zukunftsträchtig Bedeutsame“ zu gewichten, auf der Grundlage eines Kandidatenpanels, dessen triftige Zusammenstellung für die Juroren jedes Mal eine Herausforderung ist: Wer will das schon so genau wissen? Aber diese Prozedur hat ihren Vorteil – die Juroren suchen hartnäckig nach Persönlichkeiten, die das Bedeutsame eher jenseits des Starbetriebs in der Weltarchitektur vollbringen. Ergebnis: Nicht nur die Schelling-Preisträger fanden und finden die Aufmerksamkeit der Fachöffentlichkeit, sondern auch die jeweils Nominierten: stets interessante Akteure der Szene, deren Arbeit zu verfolgen sich allemal lohnt.

Kultur- und Sportzentrum in Paris von Bruther (Bild: Julien Hourcade)

Kultur- und Sportzentrum in Paris von Bruther (Bild: Julien Hourcade)

Wohnungsbau Pelleport, Paris von Bruther (Bild: Maxime Delvaux)

Wohnungsbau Pelleport, Paris von Bruther (Bild: Maxime Delvaux)

Das Publikum wollte am Ende des Festaktes ganz gerne wissen, wie es nach der insgesamt etwas kargen Vorstellung und Präsentation der Kandidaten durch jeweils eine(n) BerichtertatterIn in toto geurteilt hatte. Aber dazu verhängte die Stiftung eine Nachrichtensperre. So wissen wir nicht, ob das französische Architektenteam Bruther (sprich: Brütäär, Stephanie Bru und Alexandre Thériot) nur knapp oder deutlich auf den 2. Platz verwiesen wurde – obwohl Bruther doch sehr, sehr gute Architektur macht, in der Materialverwendung nicht unähnlich ihren französischen Kollegen Lacaton + Vassal, aber doch deutlich ehrgeiziger in Sachen Form und Design.

Häuser in der Wüste um nichts zu tun (Zeichnung: Aristide Antonas)

Häuser in der Wüste um nichts zu tun (Zeichnung: Aristide Antonas)

Konzepte, Ideen, Kunst

Einen ehrenvollen 3. Platz in der Schelling-Konkurrenz 2018 besetzte der Grieche Aristide Antonas. Er produziert eher Kunst als Baukunst, ist Literat und Philosoph und wohl auch Architekt – aber ein konzeptueller, so wie manche seiner Kollegen aus den achtziger Jahren, die mit viel Glück erst nach harten Jahren des Strichelns sinnreicher Papier-Architekturen zu Ruhm und Wohlstand kamen (etwa: Hadid, Libeskind, Coop Himmelb(l)au). Aber in der Festveranstaltung wurde der Kern seiner Raumideen nicht recht anschaulich, man muss sich dann schon auf seine Homepage und seine Schriften und Skizzen verlassen, die er „Protokolle“ nennt.


Analysen des Unsichtbaren

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Keller Easterling (Bild: privat)

Keller Easterling (Bild: privat)

Der Sprung vom Konzeptuellen zum Theoretischen ist kein allzu weiter. Damit wären wir bei der Theorie-Preisträgerin Keller Easterling. Die Amerikanerin lehrt an der Yale University, ihr Thema ist derzeit die Infrastruktur, ihre raumbildende Kraft und, nicht zuletzt, die ihr innewohnende Macht, die sie als umfassendes, in den Städten ubiquitäres und gleichwohl recht gut verborgenes „Medium“ ausübt: gemäß den Zielen und Interessen jener, die die Infrastruktur bereithalten und kontrollieren. Wer hat noch Lucius‘ Burckhardts kluges Buch mit dem Titel „Design ist unsichtbar“ in Erinnerung? Keller Easterling kümmert sich gedanklich um eine Modernisierung dieser Gedankenwelt, indem sie auf die politischen Dimensionen ihres Forschungsgegenstands hinweist. Da ist sie den praktizierenden Kollegen weit voraus. Die Zunft hat immer noch nicht begriffen, dass sie unter der Fuchtel des Politischen agiert: Seit Jahrzehnten hat sie nur den bösen Kapitalismus im Auge, diesen Schlingel.