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Transfers und Spiele


Drei Viertel des Jahres sind vergangen, der Bauhaus-Feier-Dauermarathon neigt sich dem Ende zu. Neue Museen wurden eröffnet, Ausstellung reihte sich Ausstellung, Publikation an Publikation. Wir richten den Blick auf zwei Veröffentlichungen und eine Internetausstellung, die sich wohltuend von dem großen Hype abheben.

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bauhaus – documenta – Grafik von L2M3, Stuttgart, © documenta archiv

Ein Team um Philipp Oswalt, dem unter merk- und unwürdigen Nebengeräuschen entlassenen ehemaligen Direktor der Stiftung Bauhau Dessau, hat ein umfangreiches Programm verfolgt – Schwerpunkt war der in den vielen Bauhaus-Festspielen meist nur im Hintergrund auftauchende Hannes Meyer, unter dessen Ägide Hilberseimer ein wachsendes Haus aus Holz entworfen hatte, das aber erst nun errichtet werden konnte.
Ein weiterer Schwerpunkt waren – Oswalt lehrt in Kassel – die Bezüge zwischen Bauhaus und der großen Kunstausstellung documenta. Die noch bis zum 10. November zugängliche virtuelle Ausstellung „Wieviel Bauhaus steckt in der documenta?“, die diesen Bezügen nachspürt, ist Teil des Projekts „bauhaus | documenta. Vision und Marke“, sie wurde von Birgit Jooss kuratiert.  Der Begriff der Ausstellung ist insofern verwirrend, als er an ein Vermittlungsformat denken lässt, das räumlich organisiert Exponate, Erläuterungen, Inszenierung und Installation miteinander verknüpft. Im Internet sind es Bilder, Textblöcke, die von einer Startseite, die als erweitertes Inhaltsverzeichnis aufgerufen werden können und über Links wieder untereinander verknüpft sind oder zu weiterführenden Quellen außerhalb der Webseite führen.

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Paul Klee: Umgriff, 1939, Kleister-, Ölfarbe und Aquarell auf Papier auf Karton, 23,5 x 31 cm. © documenta archiv

Acht „Stories“ und vierzehn „Close-Ups“ erzählen von den Verbindungen, den expliziten und impliziten Verwandtschaften, Einflüssen und Beziehungen zwischen Bauhaus und den ersten documenta-Ausstellungen und dem documenta-Gründer Arnold Bode. Schwerpunkt sind unter anderem Grafik, Künstler, Bodes erste Pläne, die darauf zielten, weit über eine Kunstausstellung hinausgehend angewandte Kunst, Grafik, Architektur, Design, aber auch Theater und Film mit einzubeziehen. Hier wird deutlich, wie sehr sich Bode an Ideen des Bauhauses orientierte, wie sehr er sich an ihm messen und dessen Erbe weiterführen wollte; entsprechend werden auch in anderen Kapiteln die mitunter recht offensichtlichen Bezüge anschaulich dargestellt. Das typografische Erscheinungsbild ist eng an des Bauhaus angelehnt, viele der letztlich ausgewählten Künstler waren am Bauhaus aktiv gewesen. Bode gehörte auch zu den Initiatoren einer Werkakademie, die explizit nicht Kunstakademie heißen sollte, um den weiterreichenden Anspruch – analog zum Werkbund – zu signalisieren.

Ausstellungsansicht des großen Malereisaals im Museum Fridericianum. documenta 1 (1955). © documenta archiv / Foto: Günther Becker

Für die documenta konnte dieser Anspruch letztlich nicht verwirklicht werden, was an materiellen Grenzen lag, aber auch mit dem weniger in der Wahrnehmung präsenten Werner Haftmann zusammenhängt. Haftmann war als kunsthistorischer Berater der ersten drei Ausstellungen die „graue Eminenz“ der documenta, wie er in der Ausstellung genannt wird. Und er teilte eben Bodes Ehrgeiz nicht, viele Disziplinen in die documenta einzubeziehen. Bode setzte seine weiterreichenden Ideen in der Frankfurter Göppinger Galerie um, die bis 1964 bestand.
Die Ausstellung zeigt Verbindungen und Hintergründe anschaulich und gut nachvollziehbar, auch wenn sich hin und wieder Tücken des Netzes bemerkbar machen – nicht alle Links funktionieren, andere sind aus dem Inhaltsverzeichnis nicht direkt aufrufbar. Auch hätte es nicht unbedingt sein müssen, dass Bilder beim drüberscrollen so groß werden, dass sie nicht mehr vollständig sichtbar sind. Ton- oder Filmdokumente sind nicht integriert, lassen sich aber bei einer Weiterentwicklung eines solchen Formats durchaus denken, das sich weiter als komplentäres Vermittlungsformat zu Ausstellungen etablieren wird.


 

1939_KF_wkh_screenshotEtwas Zeit zum Lesen mitbringen muss – das ist für die Kenner dieser Zeitschrift aber nichts Neues –, wer sich die neue Ausgabe von Wolkenkuckucksheim zu Gemüte führen möchte. Auch sie konzentriert sich auf die Veränderung und Weiterführung der Ideen und Methoden des Bauhauses. „Sie diskutieren, unter anderem, den Transfer von Bauhausästhetiken, Entwurfspraktiken, sozialen Agenden, Technik- und Industrieverständnissen und pädagogischen Modellen. Im Zusammenlesen der Artikel wird die anhaltende Verbreitung der zentralen Bauhausideen in heutigen globalisierten sozialen und ästhetischen Umgebungen sichtbar“, wie es die Redakteure dieser Ausgabe, Uta Poerschke und Daniel Purdy, im Editorial schreiben. Analog zur neueren Forschungssicht werden dabei nicht die großen Heldengeschichten von Meyer, Mies und vor allem Gropius erzählt, wird nicht eine evolutionäre Geschichtsauffassung weiter beschrieben, nach der das Bauhaus eine Initiatialzündung hin zu einer allumfassenden Lebenskonzeption war, die durch Kunst und Architektur geleitet und geprägt wird.

Statt dessen wird der Blick gezielt auf die Weiterentwicklung und Rekontextualisierung von Bauhaus-Ideen in verschiedenen Ländern gerichtet, die oft wenig im Blickpunkt stehen: Australien, Russland, China, Palästina zur Zeit des britischen Protektorats und den USA einschließlich den Rücktransfers nach Deutschland. Dabei tauschen Personen wie Robert Rauschenberg, Hin Bredendieck oder Ludwig Hirschfeld-Mach auf, die Bauhaus-Pädagogik wird in ihrer besonderen Rolle und Wirkung mehrmals hervorgehoben. Mit einem anderen und neuen Blick auf das Bauhaus, der sich nicht, wie sonst meist, auf die Erzeugnisse konzentriert, verbindet Eduard Führ, Gründer von Wolkenkuckucksheim, in seinem Beitrag „Return to Progress“ außerdem eine Hoffnung: „Beim Bauhaus geht es nicht (…) um Deduktion eines Werkes aus einem Regelwerk. Bauhaus heißt Genese des Subjekts. Entwerfer*innen sind nicht allein die Architekten*innen, sondern alle Nutzer*innen und alle Betrachter*innen, sofern sie sich lesend – das heißt, die Komplexität und die Irritationen explizierend – auf das Werk einlassen. Das braucht allerdings – wie jedes gute Buch – seine Zeit und das Bewusstsein des Noch-Nicht-Wissens. Können wir dahin zurückkehren? Können wir dort wieder anfangen?“

 


1939_KF_kimmerle_BauhausEinen etwas unbefangeneren Zugang zum Bauhaus suchte der Stuttgarter Grafiker Michael Kimmerle, der mit den ubiquitären Bauhaus-Formen (Quadrat ,Dreieck, Kreis) und Farben (rot, blau, gelb) ein eigenes Spiel trieb. Damit hat er im einen Buch echte und imaginäre Bauhaus-Ikonen dargestellt. Im zweiten wird als „typografisches Essay“ der Bauhaus-Schriftzug entwickelt und fast wie in einer Art Bastelanleitung nachvollzogen. Der Wert dieser Bücher besteht vor allem darin, der stets ernst-hehren Lesart einen unbeschwerteren Zugang beiseite zu stellen und im unbefangen Spielerischen den Raum zur eigenen Aneignung zu öffnen, die im besten Fall etwas Befreiendes haben kann und darin vielleicht einen Weg dazu öffnet, dass sich im Spiel die „Genese des Subjekts“ (Eduard Führ, s.o) stattfindet. Auch das ist ein Kommentar zum Bauhaus: Dass wir uns von der Größe des Erbes nicht erdrücken lassen sollten – wir können es auch als Angebot zu einer neuen Leichtigkeit verstehen. In Zeiten des Jubiläums nicht ganz einfach – vielleicht gelingt dies im Jahr eins nach dem Jubiläum etwas besser.