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Wie könnte es weitergehen?


Die Herausforderungen sind gewaltig, auch Architekt:innen sind gefragt, sich auf die Herausforderungen des Klimawandels einzustellen. Neue Publikationen zeigen, was möglich ist, was sich ändern muss und an welches Wissen angeknüpft werden kann.

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FHNW Institut Architektur, Annette Helle, Barbara Lenherr (Hg.): Beyond Concrete. Strategien für eine postfossile Baukultur
208 Seiten, ca. 100 Abbildungen, 18×24 cm, Broschur, 39 Euro
TriestVerlag, Zürich, 2022

Wenn das Bauen sich radikal von der bisherigen Praxis wird unterscheiden müssen, um den Herausforderungen des Klimawandels begegnen zu können, sind die Hochschulen als Labore einer neuen Baukultur im doppelten Sinne gefordert: Zum einen werden hier die Menschen geprägt und ausgebildet, die in Zukunft mit ihren Ideen und ihrem Engagement das Bauen bestimmen werden. Zum anderen sind hier über Forschung und Vermittlung die Wege zu bahnen, auf denen die bisherigen, ausgetretenen Pfade verlassen werden können.

Auf der Basis eines Symposiums, das 2021 stattfand, hat die Fachhochschule Nordwestschweiz sich mit der Veröffentlichung „Beyond Concrete“ dieser Verantwortung gestellt. Der Band beeindruckt vor allem deswegen, weil er Technik, Baugeschichte, kulturelle und soziale Aspekte gleichermaßen berücksichtigt und zeigt, dass die notwendige Transformation sich als eine umfassende Aufgabe stellt: eindrücklich verweist darauf Axel Schubert in seinem Beitrag – darauf, dass wir „eine postfossile Kultur, die in Einklang mit der Langsamkeit der Naturmitwelt steht, die Sorgsamkeit, Haltbarkeit, Umnutzbarkeit, Imperfektion, Adaptionsfähigkeit und Bescheidenheit in den Mittelpunkt rückt, erst noch erschaffen und erlernen müssen.“ Dem Bericht an den Club of Rome von 1972 stellt Harald Stühlinger die sich in den 1960ern entwickelnde alternative Sicht auf ein in Traditionen verwurzeltes Bauen gegenüber, wie es Christopher Alexander oder Bernhard Rudofsky vertraten. Und Kim Förster macht sich auf eine Spurensuche nach den Konnotationen, über die der Baustoff Zement in der kulturellen Bildwelt des Bauens verankert wurde.

Demgegenüber stehen Überlegungen zu den architetkonischen Strategien des Re-Use, die Kerstin Müller und Jasmin Aman sowie Axel Humpert, Domonique Salathé und Tim Seidel anstellen, jeweils unterfüttert mit Beispielen aus der Praxis. Einer integralen Weise des Bauens schließlich ist der dritte Teil gewidmet, hier finden sich Beiträge von Anupama Kundoo, Ken de Cooman (Brussels Cooperation) und Xavier Ros Majó (Harquitectes), die geschichtliche, soziale und typologische Betrachtungen miteinbeziehen – sei es die Mahnung von Kundoo, so planen, dass jeder sich am Bauen beteiligen kann, sei es die von Majó, es zuzulassen, dass Häuser ansders genutzt werden als es vorgesehen war. Das schön gemachte Buch lässt nur die in der Einleitung gelobten Arbeiten von Studierenden vermissen, vielleicht bekommen sie in einer weiteren Publikation ihren Raum.



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Edeltraut Haselsteiner (Hg.): Robuste Architektur, Lowtech Design.
192 Seiten, zahlreiche Abbildungen und Fotos, 30×23 cm, Hardcover, 59,90 Euro
Edition Detail, München, 2022

»Robuste Architektur – Lowtech Design« stellt den aktuellen Wissensstand über die Alternativen zu einer Architektur mit hohem Technikaufwand zusammen und beschreibt damit gleichzeitig, was damit denn konkret gemeint sein könnte. Denn die Grenzen zwischen Lowtech und Hightech seien fließend, so die Herausgeberin Edeltraut Haselsteiner in ihrer Einleitung. Es geht also nicht um einen Technikverzicht wo immer möglich, sondern um eine angemessene Kombination von zeitgemäßer Technik mit robusten Konstruktionen, die nicht störanfällig sind, sich gut andere Nutzungen anpassen lassen und Funktionsfähigkeit auch nach Jahrzehnten noch gewährleisten. So kommt das Bürogebäude 2226 von Baumschlager Eberle ohne Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik aus, dafür sorgt eine ausgeklügelte Mess-, Steuer- und Regeltechnik für die natürliche Lüftung über motorisch bewegte Fenster.

Der Band beleuchtete in zahlreichen Beiträgen renommierter Autor:innen unterschiedlichste Aspekte: Materialwahl, kreislauffähiges Bauen, Bewertungssysteme und Entwurfsstrategien, Sanierungskonzepte für den Bestand – und ist insofern ein ausgezeichnetes Grundlagenbuch. Die Darstellungen sind gut lesbar, die Beiträge üppig illustriert. Auch das Thema der Stadt wird immerhin gestreift, ohne dass es freilich in seinen Potenzialen und Herausforderungen tatsächlich dargestellt werden könnte, das würde einer weiteren Publikation bedürfen.

Wenn überhaupt, dann sind die Mängel dieses Buchs darin zu suchen, dass der Weg in die Breite immer noch in Leuchtturmprojekten gesehen wird und folgerichtig auch auf die Frage kaum eingegangen wird, wie ein Lowtech-Umgang mit den großen Mengen des Bestands aussehen könnte. Auch ist ein bisschen Mode dabei: Gerade der Baustoff Lehm, der eine wichtige Rolle in einem technikreduzierten Bauen spielen könnte, wird sehr stark auf Stampf- und Sichtlehm reduziert, verputze Lehmziegelkonstruktionen als eine unprätenstiöse, aber eben robuste Variante etwa sind nicht im Buch nicht dargestellt. Von diesen Aspekten abgesehen kann man das Buch aber rundheraus empfehlen, geeignet für alle, die sich auf den aktuellen Stand bringen wollen.



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Carla Ferrer, Thomas Hildebrand, Celina Martinez-Cañavate (Hg.): Touch Wood. Material, Architektur, Zukunft
304 Seiten, 286 Abbildungen, 20×27 cm, Broschur, 40 Euro
Lars Müller Publishers, Zürich, 2022

Touch Wood ist der Katalog zur Ausstellung gleichen Titels, die noch bis zum 18. Dezember in Zürich zu sehen ist; das Buch macht aber auch als eigenständige Publikation große Freude. Sie widmet sich dem Material Holz, um den in der letzten Zeit ein regelrechter Hype entstanden ist. Einerseits ist das verständlich, denn Holz ist einer der Baustoffe, mit denen eine Wende hin zu einem klimafreundlicheren Bauen gelingen könnte. Doch gerade deswegen ist es wichtig, realistisch zu bleiben. Dass diese Absicht nicht nur auf technischer, sondern vor allem auch aus kulturgeschichtlicher und forstwirtschaftlicher Ebene verfolgt wird, macht das Buch wertvoll. Holz ist mit hoher Emotionalität verbunden, gerade weil in ihm die Spannung zwischen lebendiger, natürlicher Materie und einem zum Hochleistungswerkstoff verarbeiteten Produkt nie ganz aufzulösen ist, so Philipp Ursprung in seiner Einleitung. Er gibt damit den Ton für die weiteren Kapitel des Buches vor. Und weist darauf hin, dass die Idee einer „unberührten Natur“, des schwärmerischen Umgangs mit ihr, ein Erbe der Industrialisierung ist und zu einer Trennung zwischen Menschlichem und Nichtmenschlichen geführt habe, die wir hinter uns lassen sollten, wenn die rücksichtslose Ausbeutung der Wälder beendet werden soll.

Ein Abschnitt des Buchs ist dem Wald, den Holzsorten, seiner Bewirtschaftung, seiner Bedeutung für das Klima gewidmet, verbunden mit der Mahnung, dass sich die wachsende Nachfrage „auf effizientzere, wirkungsvollere, fairere und nachhaltigere Weise“ als bisher gedeckt werden muss, so Jürgen Blaser. Im zweiten Teil, „Vom Holz zur Architektur“, werden viele der aktuellen Themen rund ums Holz behandelt: Klimawandel, Hochhäuser, Robotik, Systembau. Darunter auch kritische wie die Rolle des Klebstoffs für die Ökobilanz. Der dritte Teil schließlich widmet sich der Architektur aus Holz, mit den bekannten Bauten seit den 1980ern von Peter Zumthor, Herzog & de Meuron, Meili & Peter oder Jürg Conzett, aber dann auch mit vielen neuen Projekten aus der Schweiz, Europa sowie aus Brasilien, China, Chile und – natürlich – aus Japan, dessen große Holzbautradition nochmals separat gewürdigt wird.

Als Epilog wird dem Lesenden eine Liste von Imperativen mit auf den Weg gegeben: „Entscheide, in Jahrhunderten und nicht in Jahren zu denken“, ist der letzte, mit dem dieses schöne Buch schließt.



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Hans Drexler: Open Architecture. Nachhaltiger Holzbau mit System
352 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 17×24 cm, Broschur, 38 Euro
Jovis Verlag, Berlin, 2021

Eine konkretes Beispiel, wie hohe Ansprüche umgesetzt werden können, hat Hans Drexler entwickelt. „Open Architecture“ stellt ein modulares Bausystem vor, mit dem Skelettbauten aus Holz errichtet werden können. Im diesem System sind auch Wände und Decken aus Holz, das Tragwerk erlaubt flexible Raumkonfigurationen und ist dabei auch für partizipative Entwurfsstrategien geeignet. Das Besondere dieses Systems ist, dass es ohne weitere Verbindungsmittel aufkommt. Dabei werden neue Technik und traditionelles Handwerkswissen miteinander kombiniert.

Die im Rahmen einer Dissertation entstandene Publikation zeigt, welche Möglichkeiten und Varianten sich aus dem System ergeben, wie sie angewendet werden können. Dies wird in großer Ausführlichkeit erörtert. Um die Potenziale des Systems zu veranschaulichen, vergleicht Drexler unterschiedliche Bauten, die auf seiner Basis entworfen wurden. Zu den vorgestellten Beispielen zählt beispielsweise das Haus des Collegium Acacademicum in Heidelberg, weitere drei Projekte sind in der Planung oder Umsetzung. Freie Arbeiten und Wettbewerbsbeiträge erweitern das Spektrum der Fallstudien.

Drexler zeigt damit, welche Varianz das System zulässt: vom Studierendenwohnheim mit kleinen Indivudualzellen und großen Gemeinschaftsräumen über eine Hausgemeinschaft mit verschiedenen Wohnungstypen einschließlich Clusterwohnung bis hin zu Reihenhaus und größerer Wohnanlage; auch ein Sport- und Erlebniszentrum ist unter den vorgestellten Beispielen. Das Baysystem illustriert, welche Möglichkeiten ein modulares Bauen bietet, Ansprüche nach materieller und sozialer Nachhaltigkeit miteinander zu verbinden.