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Partizipation, Teilhabe – in allem und jedem soll heutzutage der/ die BürgerIn mitmachen, als habe er/ sie sonst nichts zu tun. Dabei kann gerade beim Bauen die Öffentliche Hand nicht auf Vernunft und Gestaltungsverständnis des/ der Einzelnen hoffen und muss mit Festsetzungen und Vorschriften dem individuellen Drang Einhalt gebieten. Was aber bringt dabei ein Bebauungsplan? Ein konkretes Beispiel wirft Fragen auf, zu denen so schnell keine Antworten zu finden sind. Weil es 15 bis 20 Jahre dauert, bis ein Baugebiet „gefüllt“ ist, wird uns das Thema noch Jahrzehnte beschäftigen.

oben: Schön hier? Bebauung prägt den öffentlichen Raum, der offenbar jeder hier tätigen Bauherrschaft schnurzegal ist. (Bild: Ursula Baus)

Irgendwo in Deutschland. Nicht gerade in der Lausitz oder der Eifel, sondern in einer prosperierenden Region zwischen Niederrhein und Markgräfler Land, aber nicht in Sichtweite des Rheins. Dort ist 2005 ein kleines Neubaugebiet ausgewiesen worden, so dass die Frage, ob überhaupt solche Wohngebiete noch entstehen dürfen, mal sekundär ist. Vielmehr geht es darum, was dabei heraus kommt, wenn man den/ die Bürger/in veritabel schalten und walten und mitbestimmen lässt. Die Bürgerbaufreiheit ist im Einfamilienhausgebiet abhängig davon, dass er/ sie Eigentümer/in vom Baugrundstück ist. Diese Prämissen kennzeichnen erst einmal eine Realität. 2019 wurden 101.569 neue Ein- und Zweifamilienhäuser genehmigt, davon übrigens 21.171 Fertighäuser. Die Branche boomt (Quelle: BDF e-V.).

Häuschen für Häuschen artig an der Straßen (Bebauungsplan, Screenshot)

Bebauungsplan, vor 15 Jahren abgesegnet. Häuschen für Häuschen auf Abstand und in Reihe am Straßenrand (Bild: Screenshot)

Hier im Beispiel-Gebiet gilt eine Landesbauordnung und ein entsprechender Bebauungsplan. Der Bebauungsplan konfrontiert mit textlichen Festsetzungen und örtlichen Gestaltungsvorschriften, es handelt sich um ein „allgemeines Wohngebiet gemäß § 4 BauNVO“ mit „offener Bauweise“. Festgelegt sind Baufenster, Baunutzung, maximale Geschossfläche, Gebäudehöhe, Traufhöhe. Einzel- und Doppelhäuser sind zugelassen, eine Hauptfirstrichtung ist festgelegt, die Positionierung von Garagen- und Stellflächen vorgeschrieben. Erleichtert könnte man jetzt hoffen: Hier kann nichts mehr schiefgehen. Das Ergebnis aber ernüchtert.

Planungshierarchien

Solche Hierarchien – Bund, Land, Kommune – sind das Ergebnis langer Planungsgeschichte, die in der Architektur- und Stadtbaugeschichte so gut wie unerforscht ist. Die deutsche Hierarchie impliziert jedenfalls die Rangfolge Bund, Land und Kommunen. Ein Bebauungsplan (BP) bezieht sich auf ein klar umrissenes Gebiet, besteht aus einem Planteil (A) und einem Textteil (B). Zudem gehört eine Begründung zum BP. Plan, Text und Begründung sind durch Normen weitgehend festgelegt, allerdings liegt die Planungshoheit bei den Kommunen, wobei die BP natürlich zu Landesbauordnung und dem vom Bund verantworteten Baugesetzbuch passen müssen.
Ziele eines BP beziehen sich auf städtebauliche Aspekte und werden mühsam mit den Trägern öffentlicher Belange ausgehandelt, Umweltschutz und Bürgerbeteiligungen sind dabei in den letzten Jahren immer wichtiger geworden.
Wenn kein Bebauungsplan vorliegt, könnte man schließen, dass die Bauverwaltung faul und/ oder unfähig oder unterbesetzt ist, dann kommt der berühmte § 34 BauGB zur Anwendung: (fast) anything goes, es öffnen sich unterschiedliche Interpretationsspielräume.
Der BP dagegen weist auf die Demarkationslinie zwischen privatem, freiheitlichem Schaffens- und Darstellungsdrang und öffentlicher Planungshoheit. Doch vom Sinn eines BPs begreift die Bauherrschaft in der Regel: nichts. Wie könnte sie, warum sollte sie auch, wenn sie fachfremd und kenntnislos bauen darf. Und sind wir ehrlich: Wenn ein Architekt mit im Spiel ist, garantiert dies keineswegs ein besseres Ergebnis für den öffentlichen Raum.

Los geht’s

Bauwillige Familien sind im hier gezeigten Fall primär jene, die Grundstücke erworben oder geerbt haben und nun ihr neues Zuhause schaffen. Fertighauskataloge werden als erstes gewälzt oder entsprechende Angebote im Internet durchgeklickt. Wie wäre es, mit einem/r Architekt/in zu bauen? Ja, einen Versuch habe er unternommen, erzählt ein werdender Vater, aber der sei nicht gut gelaufen. Also doch: Fertighausanbieter. Der Grundriss, den mir der gutgläubige Vater auf seinem noch unbebauten Grundstück zeigt, ist allein funktional dermaßen schlecht, dass man die Firma auf der Stelle vom Markt fegen müsste – aber das ist ein anderes Thema.

Wer hat hier als Bauherr*in daran gedacht, was die Qualität eines öffentlichen Straßenraumes ausmacht? (Bild: Wilfried Dechau)

Wer hat hier als Bauherr*in daran gedacht, was die Qualität eines öffentlichen Straßenraumes ausmacht? Lt. BP müssten die Müllbehälter in Müllboxen stehen – das würde das Haus auch nicht verbessern. (Bild: Wilfried Dechau)

Im Ganzen

Nun beginnt der Spaziergang durch das allmählich gefüllte Neubaugebiet. Es ist offensichtlich vergebliche Mühe, mit Bebauungsplanfestsetzungen und -vorschriften den Bauherrschaften klarzumachen, dass es nicht allein um die Verwirklichung eigener (Wohn-)Träume, sondern um das Einfügen in eine Kulturlandschaft geht, wenn man baut. Analog zu „freier Fahrt für freie Bürger“ gilt offensichtlich: „Freies Bauen für freie BürgerInnen“. Aber bleiben wir konkret.
Was im BP beispielsweise noch als regelmäßige Positionierung von Häusern angedeutet ist, erweist sich im Zusammenwirken mit Garagen, Stellplätzen, Vor- und Rücksprüngen als Witz. In der dritten Dimension reizen die Bauherrschaften alles aus, was ihren persönlichen Vorlieben entspricht. Weiße Neo-Moderne steht jetzt neben Toskana-Idylle, skandinavisch blaue Fjord-Haus-Variante neben dem denkbar Banalsten. Einer schiebt ein Bauteil vorwitzig nach vorn, einer zieht das Dach bis in Reichweite hinunter. Einer versteht unter einer Gaube eine hochgezogene Fassade, einer konterkariert die Hauptfirstrichtung mit einem um 90 Grad gedrehten Vordach, das vielleicht ursprünglich als Gartenhäuschen begonnen wurde.

Dachlandschaft nach Plan (Bild: Wilfried Dechau)

Dachlandschaft nach Plan? (Bild: Wilfried Dechau)

Zeichnerische Erläuterung im Bebauungsplan dazu, was mit dem Dach zu tun ist.

Zeichnerische Erläuterung im Bebauungsplan dazu, was mit dem Dach zu tun ist.

On top

Blicken wir genau auf Straßenraum-relevante Aspekte wie beispielsweise das Dach. Im BP ist eine Hauptfirstrichtung parallel zur Straße festgelegt, ein Kreisbogenabschnitt definiert aufwändig Scheitel- und Traufhöhen, zur Dacheindeckung heißt es: „Geneigte Dächer sind mit naturroten bis dunkelbraunen Dachziegeln oder entsprechend eingefärbten Dachpfannen einzudecken. Ausnahmsweise sind auch Dacheindeckungen aus Zinkblech und Glas zulässig. (…) Papp- oder Foliendächer, Well- und helle Faserzementplatten-Eindeckungen sowie farbige, durchscheinende Eindeckungen sind unzulässig.“

Ich erkenne in diesen Festlegungen weder Logik, noch Gestaltungsintention, zumal – siehe Bild oben – Flachdächer im Kreisbogen bei 0 Grad erlaubt sind, mit straßenseitigem Balkon auf Gebäudeteil-Flachdach der Vorschrift auch entsprochen wird und rabenschwarze Ziegel offenbar noch als dunkelbraun durchgehen.

Schottergarten mit Freidhofsgewächsen und formfixiertem Buchsbaum – vis-à-vis kunterbunter Blütenpracht (Bild: Wilfried Dechau)

Schottergarten mit Friedhofsgewächsen und formfixiertem Buchsbaum – vis-à-vis kunterbunte Blütenpracht auf noch unbebautem Grundstück. Die Baukörpergebirgslandschaft links hinten im Bild ist auf vollgepflastertem Grund gewachsen. (Bild: Wilfried Dechau)

(Bild: Wilfried Dechau)

Andeutung eines ländlichen Eingangsidylls mit Auto (Bild: Wilfried Dechau)

Vorm Haus

Selbstverständlich weist der BP auch „Flächen für Garagen“ aus. Zulässig sind im Vorgartenbereich Müllboxen (mit Sichtschutz), damit man die Müllbehälter nicht sieht. Als ob es darauf ankäme. Sichtschutzwände – wie sie derzeit in abartiger Scheußlichkeit aus Kunststoff-Flechtwerk grassieren – sind immerhin verboten. Faktisch wird hier im Gebiet alles zugepflastert, was für Garagenzufahrten und Stellplätze irgendwie erlaubt ist. Ich möchte nicht wissen, wie die Außenbereiche in den rückwärtigen, uns nicht einsehbaren Terrassen- und Gartenstücken aussehen…
Dass bei der ökologisch wichtigen Gestaltung der Gärten Regie geführt werden muss, damit der öffentliche Raum aufgewertet wird, interessiert hier niemanden. Ein einziges Haus lässt im übrigen mit einem geradezu rührenden Bänkchen auf Kommunikationsbereitschaft des Bewohners schließen, auch wenn das Haus an sich keine Perle der Baukunst ist.

Ein- und Zweifamilienhaus-Quartier in Frankfurt-Riedberg, Aufnahme von 2017. Vorgeschrieben sind Farben und Formen und Fenster und mehr. (Bild: Ursula Baus)

Ein- und Zweifamilienhaus-Quartier in Frankfurt-Riedberg, Aufnahme von 2017. Vorgeschrieben sind Farben und Formen und Fenster und mehr. (Bild: Ursula Baus)

Eigentum verpflichtet…

Klar sein muss: Nur, weil hier Bauende Eigentümer sind, können sie überhaupt auf Gestaltungsfreiheit beharren. Müssten BP also rigider werden, um die Interessen der Gemeinschaft im öffentlichen Raum dieses Baugebietstypus‘ wahrzunehmen? Im neuen Stadtteil Frankfurt-Riedberg waren beispielsweise die Vorschriften, nach denen Ein- und Zweifamilienhäuser gebaut werden mussten, äußerst detailliert. Doch der öffentliche Raum profitierte in dem Quartier der „West-Villen“ davon nicht (siehe Seitenspalte).

…und Jeder gegen Jeden

Stellen wir uns deswegen das Gegenteil vor: Die bloße Infrastruktur sei ohne jegliche weitere Bauvorgabe zur Verfügung gestellt worden – was Andreas Reckwitz kürzlich vorschlug, siehe Seitenspalte. Ein Jeder hätte mit einer Jeden – in welcher Art und Weise auch immer – eine nachbarschaftliche Auseinandersetzung führen müssen. Es ginge ein Gezank unter Kenntnislosen ohne Ende los…
Ein Bebauungsplan verhindert also nur das Schlimmste? Oder nicht einmal das? Ist ein Bebauungsplan also überflüssig? Teuer in der Entstehung und damit ein Fall für den Bundesrechnungshof?

Erziehung zur Bauherrschaft

Das Positive des BP muss in Erinnerung gerufen werden. Angenommen, der Bebauungsplan wäre gar nicht so schlecht. Er müsste dann allerdings in allen seinen Intentionen und Konsequenzen jedem/ jeder Bauwilligen lang und breit erläutert werden. Wie so oft müsste dafür eine Verwaltung personell besser ausgestattet sein.
Es könnte dann beispielsweise wie bei Vergabeverfahren auch im hier gezeigten Beispiel jeder Bauherrschaft eine verpflichtende Beratung in der zuständigen Verwaltung aufgenötigt werden. Es geht um nichts anderes als um Nachhilfeunterricht für Bauwillige, die keine entsprechende Vorbildung haben oder haben können und erst mit persönlicher Beratung in der Lage sind, in ihre Bauherrschaftsrolle hineinzuwachsen.

Olle Kamellen. Was haben wir nicht alles durchdekliniert: Baukultur gehört in die Schulen. Flächendeckend müssen Baukultureinrichtungen und -veranstaltungen etabliert werden, was unter anderem die Bundesstiftung Baukultur mit aufopfernder Hartnäckigkeit auch angeht. Die (bau-)bürokratischen Instrumente gehören daneben auf den Prüfstand – und es sind Lorbeerkränze und Verdienstorden für jene vorzureiten, die sich dieser Aufgabe annehmen.

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Bild: Wikimedia free

Was tun?

Das hier gezeigte Beispiel ist ein winziges von vielen Indizien dafür, dass nicht nur die deutschen Straßen und Schienennetze marode sind, sondern auch grundsätzlich die Bauverwaltungs- und -gesetzeskonvolute. In fragwürdigen Beteiligungsverfahren wichtige Entscheidungen auf den dafür nicht ausgebildeten Bürger abzuwälzen, entlastet die Politik von Verantwortung, geht aber an vielen – nicht allen! – Problemen vorbei. Also was tun? IBA(s) bringen hier und da etwas frischen Wind in lokale Verwaltungsstrukturen. Hochmotivierte Baubürgermeister/innen gelingt auf kommunaler Ebene gelegentlich Erstaunliches. Aber auf Landes- und Bundesebene ist nicht in Sicht, wie Strukturen entschlackt und verändert werden können.
War es nicht Friedrich Merz, der die Steuererklärung auf einen Bierdeckel bannen wollte? Was würde sich Merz als Nachfolger von Andreas Scheuer in einem Bundesbauministerium ausdenken?