• Über Marlowes
  • Kontakt

Das Wohnen verändert sich, langsam aber stetig. In neuen Veröffentlichungen wird darauf eingegangen. Es werden gute Vorbilder gezeigt und untersucht, es werden Vorschläge gemacht, es wird der Wandel unter die Lupe genommen. Noch reagiert der Wohnungsmarkt allerdings kaum.

2221_KF_zuhause

Sandra Hofmeister (Hg.): Zu Hause. Architektur zum Wohnen in der Stadt. 24 x 30 cm, 320 Seiten, 59,90 Euro
Edition Detail, München, 2021

Wohnraum in der Stadt ist nicht mehr leicht zu finden, eine weitere Zersiedelung in Suburbia verbietet sich. Das grundsätzliche Problem einer fehlgeleitete Politik lässt sich nicht durch Projekte lösen, dass sie einen wichtigen Beitrag leisten, ist dennoch unbestritten. Intelligente Grundrisse machen es leichter, mit knappen Ressourcen umzugehen. Restgrundstücke und bereits vorhandene Infrastruktur nutzende sowie in Lücken eingepasste Häuser erweitern das Angebot, immer wieder bieten sich Konversionsflächen an, um das städtische Gefüge nachzujustieren.

26 Beispiele dafür sind im von Sandra Hofmeister herausgegebenen Buch versammelt, bis auf zwei japanische Projekte aus Europa, ein Drittel davon aus Deutschland. Unter den Neubauten ist das Wohnregal von Frohn & Rojas, aber auch ein aus Seecontainern errichtetes Übergangswohnheim in Barcelona. Gezeigt wird der Prinz-Eugen-Park in München, ein 30 Hektar großes Ensemble mit 570 Wohnungen, die Häuser überwiegend aus Holz, außerdem eine an den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft orientierte Siedlung in Basel mit hohem Anteil an gemeinschaftlichen Flächen und bezahlbarem Wohnraum oder eine Innenhofnachverdichtung in Hamburg von Limbrock Tubbsing Architekten. Etwa die Hälfte der Projekte ist dem Umbau und Bauten in teils abenteuerlich schmalen Lücken und auf anderen Restgrundstücken gewidmet. So war das Grundstück, das Wolfgang Zeh zu nutzen wusste, gerade einmal drei Meter breit  Mehr als anderswo deutet sich im Umbau eine Ästhetik an, die das Collagieren, das Arbeiten mit roh belassenen, den Bestand in seiner Patina erhaltenden Ästhetik eine große Rolle zu spielen beginnt, nicht nur in Belgien, sondern etwa auch in London (Adjaye Associates, Russel Jones) oder in Berlin (Glashütte Alt-Stralau, Eyrich-Herteck Architekten).

Lesenswert zudem die beiden einleitenden Essays von Andreas Hofer und Andreas Putz. Hofer nimmt das Quartier als Stadtbaustein der Zukunft in den Blick und macht anschaulich, dass man die übliche Planungsroutine verlassen muss, will man agil auf sich ändernde Bedingungen reagieren. Putz zeigt, dass der Bestand an sozialem Massenwohnungsbau der Nachkriegszeit mehr Potenziale hat, als so ermüdend oft behauptet, wenn man bereit ist, die Bewohnenden einzubeziehen, auf umfassende und schematische Gesamtlösungen zu verzichten, und sich auf den Einzelfall einzulassen.



2221_KF_Hofhaeuser

HFT Stuttgart (Hg.), Jan Cremers, Peter Bonfig, David Offtermatt: Kompakte Hofhäuser. Anleitung zu einem urbanen Gebäudetyp. 25,x17,6 cm, 158 Seiten, 45 Euro
Triest Verlag, Zürich, 2021

Das kompakte Hofhaus wird in einer Forschungsstudie von Jan Cremers, Peter Bonfig und David Offtermat als Lösungsansatz gesehen, „bei dem eine hohe urbane Dichte nicht die Qualität der Wohnungen mit ihren zugeordneten Außenräumen sowie die vorhandene Privatsphäre beeinträchtigt, sondern das Einzelgebäude in seiner Addition immer in enger Abhängigkeit zum urbanen Quartier mit seinen Gesetzmäßigkeiten begreift“, wie es in der Einleitung heißt. Der Hof als ein auch in kleineren mehrgeschossigen Gebäuden geeignetes Element, um für Licht, Luft und Freiraum zu sorgen, um in dichten, seriellen Strukturen die Wohnqualität zu erhöhen, wird hier auf seine Eignung für verschiedene Grundstückszuschnitte und Nutzungen – als Wohnung wie als Büro oder Laden – untersucht.

Was hier vorgelegt wird, ist ein Entwurfsbaukasten, der den Hoftyp breit auffächert und nachweist, dass und wie er variantenreich eingesetzt werden kann, um als platzsparende Möglichkeit genutzt zu werden – auf langen schmalen bis zu quadratischen Grundstücken, als zwei- bis viergeschossige Option, bei Grundstücksgrößen von 80 bis 200 Quadratmeter. Insgesamt acht Grundtypen sind dabei vom Forscherteam entwickelt worden, die in sich nochmals hinsichtlich Grundrissgestaltung sowie Hofanordnung und -gestaltung variiert werden. Dabei werden Höfe vorgeschlagen, die auch im Geschosswohnungsbau jeder Wohnung noch Freiraum zuordnen. Hinsichtlich Energie, Lichtverhältnissen, Belüftung und baukonstruktiven Fragen werden die einzelnen Typen untersucht, um auszuloten, wie groß Höfe sein müssen, um ihre Funktion noch angemessen erfüllen zu können. Schließlich wird noch gezeigt, wie sich einzelne Typen zu städtebaulichen Strukturen addieren und untereinander kombinieren lassen.

Ein gründlicher und anschaulicher Leitfaden, der hilft, einem kompakten Haustyp wieder mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu geben, als Option für den städtischen wie den suburbanen Raum, als durchaus massenkompatibles Modell, das eine Alternative für innenstadtnahe und suburbane Gebiete bietet, wo die Blockrandbebauung ungeeignet und Einfamilienhäuser nicht sinnvoll sind.



2221_KF_Wohnoptionen

Wüstenrot Stiftung (Hg.), Susanne Dürr und Gerd Kuhn: Wohnoptionen. Gemeinschaftsorientiert, produktiv, adaptiv. 276 Seiten, kostenfrei
Ludwigsburg 2022

»Wohnoptionen« ist die neueste der vielen Publikationen der Wüstenrot Stiftung, die den Wandel des Wohnens unter die Lupe nehmen. Dieses Mal richten Susanne Dürr und Gerd Kuhn ihren Blick auf drei Entwicklungen, denen das Wohnen und die Architektur und die Stadtplanung gerecht werden sollte: dem Bedarf nach alternativen Wohnmodellen, die der außerfamiliären Gemeinschaft Raum geben, dem nach Möglichkeiten, nahe der Wohnung zu arbeiten und der Forderung, dass die Architektur auf die Vielfalt an Bedürfnissen und deren Wandlungen gerecht werden muss.

Basis der Untersuchung bilden 12 Projekte, die sich überwiegend dadurch auszeichnen, dass sie auf mehrere dieser Anforderungen eine Antwort geben. Gründlich aufgearbeitet und übersichtlich dargestellt, ergänzt durch Interviews mit Projektbeteiligten, ist die Publikation ein Gewinn und gewährt einen Einblick in eine zukünftige Praxis, von der man wünschen würde, sie würde sich so langsam auf etwas breiterer Ebene durchsetzen. Die zusammenfassende, themengebundene Auswertung ist der eigentlichen Darstellung der Projekte vorangestellt, um nicht dem einzelnen Objekt den Vorrang zu geben, sondern den gestalterischen Prinzipien, die neue Lösungen ermöglichen: Gemeinschaftsräume zu organisieren, Arbeitsräume zu integrieren und Flexibilität zuzulassen. Dabei werden die verschiedenen Ebenen Wohnung, Haus, Quartier berücksichtigt. So weit so gut.

Deprimierend ist dabei dann aber doch, dass von den 12 Fallbeispielen 6 aus der Schweiz kommen, während aus Deutschland derer gerade einmal drei in die Auswahl aufgenommen wurden. Angesichts der Zahl neuer Wohnungen, die gebaut werden oder gebaut werden sollen, ist die Aussicht, dass sich der Alltag im Wohnungsbau tatsächlich ändert, recht eingetrübt. Vielleicht sollte eine der nächsten Publikationen der Stiftung eine Streitschrift sein, die das offensichtliche Versagen des Wohnungsmarkt benennt und nach Gründen dafür sucht.



2221_KF_homesmart

Oliver Herwig: Home Smart Home. Wie wir wohnen wollen. 19 × 14 cm, 176 Seiten 32 Euro
Birhäuser Verlag, Basel, 2022

Wie wir wohnen wollen – darüber verspricht das Buch von Oliver Herwig Auskunft zu geben. Herwig geht in einer Sammlung kurzer und gut zu lesender Texte der Frage nach, wie sich das Wohnen heute charakterisieren lässt. Aufbauend auf Beiträgen für die Süddeutsche Zeitung ist es Herwig gelungen, die einzelnen Texte so zu ordnen und zu ergänzen, dass trotz der ein oder anderen Wiederholung ein stimmiges Ganzes entstanden ist. Zwischen Beharrung auf konventionelle Formen und dem Bedarf nach neu organisierten Wohnungen, zwischen ökonomischen Zwängen und individuellen Träumen baut sich eine Spannung auf, der Herwig nachgeht. Er beschreibt die neuen Wirklichkeiten des im digitalen Raum gedoppelten Ichs, des Drucks, den Menschen in ihren Wohnungen ausgesetzt sind, weil diese für Freizeit, Arbeit, Erziehung und Erholung herhalten müssen.

„Die Vorstellungen vom Wohnen sind ins Rutschen gekommen, wieder einmal“, so heißt es in der Einführung. Wohin sie rutschen, ist aber offen, denn „wie wir wohnen wollen“ ist nur ein Teil dessen, was die Zukunft bestimmt. Genauso sehr geht es Herwig darum, wie wir wohnen können. Was das Buch lesenswert macht, ist, dass Herwig dabei keiner naiven Technizismuseuphorie verfällt, aber auch nicht als Pessimist und Mahner auftritt. Vielmehr geht es ihm darum, genau hinzusehen, um wirklich darüber nachdenken zu können, was wir wollen könnten. Mit der gebotenen Skepsis merkt er an, dass abzuwerten bleibe, »wann und wie die Wohnungswirtschaft mit neuen Grundrissen auf unser verändertes Wohnverhalten reagiert.« Das hat sie noch nicht, und sie sieht dafür offensichtlich auch keinen Bedarf: Wir brauchen mehr Experimente, heißt es am Schluss des Buchs. Das ist richtig. Wir brauchen dafür aber offensichtlich auch Mittel, den Wohnungsmarkt aus dem Klammergriff der auf Rendite und Gewinn fixierten Logik zu befreien.