Wohnen ist und bleibt eines der wichtigsten Themen in der Architektur- und Städtebaudiskussion. Welche Modelle aber können oder sollten die Zukunft prägen? Was ist mit den Einfamilienhäusern: nach wie vor sehr beliebt, aber auch Ursache gravierender Probleme? Drei neue Publikationen geben Antworten.
Das Einfamilienhaus ist nicht nur in Deutschland eine dominante Wohn- und Hausform, die reichlich Probleme verursacht – auch die Schweiz leidet unter Suburbanisierung, Flächeninanspruchnahme und dem Verkehr, den die Einfamilienhaussiedlungen erzeugen. Stefan Hartmann hat dem Einfamilienhaus nun ein Buch gewidmet; schon eine Weile war das Erscheinen angekündigt, die komplexe Thematik hat die Arbeit anscheinend etwas in die Länge gezogen. Das Warten hat sich gelohnt.
Auch wenn es bereits in der Einleitung heißt, es sei schwierig, die geschichtlichen Wurzeln des Einfamilienhauses freizulegen, macht der Autor den Versuch, genau das zu tun. Er macht das Einfamilienhaus als ein Produkt aus, das im 19. Jahrhundert entstand – in der Folge der disruptiven Verwerfungen der Industrialisierung. Die aus ländlichen Gebieten in die Stadt gezogenen Menschen waren mit unmenschlichen Wohnbedingungen konfrontiert, ihnen humanes Wohnen zu ermöglichen, das ihrer Sozialisierung entsprach, war das Ziel vieler Reformbewegungen, aus denen das Einfamilienhaus hervorging. Genossenschaften wie philantropische Unternehmer waren ebenso treibende Kräfte wie die oft vergessenen kleingewerblichen Baumeister, die im 19. Jahrhundert „zu den Hauptträgern des Wohnungsbaus gehörten.“
Über Gartenstadtbewegung, dem Chalet als Wirtschaftsfaktor und nationaler Selbstinszenierung und Werkbundsiedlungen zeichnete Hartmann in klaren, der Kürze geschuldet hin und wieder stark vereinfachenden Zügen die weitere Geschichte nach, einschließlich der neuen Dynamik, die sich in der Nachkriegszeit dank der Automobilisierung entfaltete. Bausparmodelle, Kleinfamilienidealisierung, Alternativen – um dann fast die Hälfte des Buchs den Problemen zu widmen, die (alternde) Einfamilienhausgebiete aufwerfen. Emotionale Probleme, rechtliche Hindernisse, die Ideologisierung des Eigentums – Hartmann zeigt auf, woran es scheitert, die Herausforderungen anzugehen. Sein Buch ist ein wichtiger Beitrag dazu, die Problematik verständlich und ihre Dringlichkeit nachvollziehbar zu machen. Dieser Prägnanz geschuldet sind wenige Themen unerwähnt geblieben: die ästhetische relevanten Fragen, selbst über Aussehen entscheiden zu können, sein Selbstbild zu entwerfen und zu inszenieren zu können fehlen ebenso wie die Zusammenhänge zwischen feudalen Landsitzen und bürgerlicher Selbstinszenierung. Diese Lücke zeigt auch ein Blick in die Literaturliste, in der neben anderen auch das als Grundlagenwerk einzuordnende Buch „Villa und Eigenheim“ merkwürdigerweise fehlt.
Dafür ist dem Buch seine wohltunende Sachlichkeit hoch anzurechnen: Das an Einfamilienhäusern so gern geübte und wohlfeile Bashing (Geschmack- und Verantwortungslosigkeit) unterbleibt; es bietet ohnehin keinen Ausweg. Diese angenehme Zurückhaltung hat seinen Grund auch darin, dass der Autor sich selbst als Einfamilienhausbewohner zu erkennen gibt. Und so steht zu vermuten, dass die Bewohnerschaft selbst möglicherweise eher bereit wäre, neue Wege zu gehen, wenn sie ihnen – und einige davon sind im Buch aufgeführt – angeboten würden.
Das Einfamilienhaus ist nur eine der Wohnformen, die den Markt prägen, von den man Zweifel haben muss, ob sie den Bedürfnissen der Menschen gerecht werden. Die Haushaltsform, für die es geeignet ist, verliert an Relevanz, der Lebensabschnitt, in dem es ideal zu sein verspricht, ist kurz. Doch sieht es sonst auf dem Wohnungsmarkt nicht viel besser aus. Verdrängungsprozesse in den Städten und steigende Armutsrisiken stellen die Wohnraumversorgung in Deutschland vor große Herausforderungen. Der allgemeinen Wohnstandard, so liest man im Vorwort dieser Publikation eines Forschungsprojekts, bieten keine Strategien für eine Differenzierung der Standards, „obwohl in den kommenden Jahren große Teile des vorhandenen Bestands für neue Zielgruppen und deren spezifische Bedürfnisse ertüchtigt werden müssen.“
Mit einem Forschungsprojekt will die Wüstenrot Stiftung zeigen, was möglich wäre. Andrea Förster, Andreas Bernögger und Bernadette Brunner haben 15 Projekte, die als Vorbilder für die geforderte Differenzierung des Standards gelten können, gründlich untersucht. Die Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum sind breit gestreut; das älteste ist aus den 1990ern, sie finden sich in den Metropolen wie Wien, Berlin, aber eben auch in kleineren Großstädten wie Tübingen, Ludwigshafen, dem kleineren Strausberg bis in den ländlichen Raum, etwa mit Klingenmünster, das gut 2000 Einwohner zählt. Neubau und Bestandsumnutzung sind dabei, verschiedene Projektgrößen ebenso. Vor allem wurde darauf geachtet, dass sie von Akteuren umgesetzt werden, die sich von denen unterscheiden, die sonst für das Gros der Wohnungen verantwortlich sind – von Baugruppen, Vereinen, Stiftungen, Genossenschaften, gemeinnützige Träger. Zwicky-Süd aus Zürich, die Falkenried-Terrassen in Hamburg, der Sonnenhof in Freiburg werden präsentiert, das Mietshäuser Syndikat ist vertreten; alle Projekte sind als Wohnen in verdichtetem Bauen in Mehrfamilienhäusern realisiert.
Für die Lektüre dieser gründlichen Untersuchung, die sowohl die Fallstudien einzeln vorstellt als auch Gemeinsamkeiten herausarbeitet, muss man sich etwas Zeit nehmen. Detailliert werden Aspekte wie Trägermodelle , Flächeneffizienz, Freiraum, Organisation und Betrieb unter die Lupe genommen, werden die ausgewählten Projekte auf die Motivationen hin untersucht, denen sie ihr Entstehen verdanken. So besonders und individuelle die Projekte sind, so wenig lassen sie sich als Gesamtheit übertragen. Dennoch lassen sich Empfehlungen ableiten. Es sei wichtig, die Art der Akteure, die solche Projekte vorantreiben, zu stärken, stärker auf Städtebau, Freiraum, Zusammensetzung der Bewohnerschaft und Betrieb als auf Wohnungsausstattung zu achten, den Wohnungsmix und Privat- und Gemeinschaftsräumen sorgfältig auszubalancieren, Eigeninitiative zu ermöglichen. Und schließlich ermutigen die Autorinnen und der Autor dazu, die Arbeit, die in solchen Projekten steckt, hinsichtlich ihrer langfristigen Wirkungen zu bewerten. Möge gerade diese letzte Empfehlung als Appell verstanden werden!
Die Sicht der Praktiker wird im Buch „Geht doch!“ vorgestellt, im Eigenverlag herausgegeben vom Architekten Klaus und dessen Kindern Hannah und Jonas Wehrle. Auch wenn ein Teil des Buchs von sieben eigenen Projekten der Unternehmergruppe Architektur3 eingenommen wird, ist es dennoch keine übliche Büropublikation – schon dadurch kenntlich, das nicht mal eine Büroadresse zu finden ist. Der Anspruch ist ein anderer – der Buchtitel versteht sich als Aufruf, in der Frage des bezahlbaren Wohnraums nach Lösungen zu suchen, anstatt die Lage lediglich zu beklagen. Die eigene Erfahrung weiterzugeben, ist das Anliegen der drei Verfasser.
Ein Teil des Buchs könnte man allerdings auch mit „Geht doch so nicht mehr weiter!“ betiteln: Knapp, aber dennoch fundiert werden die wichtigsten Herausforderungen aktueller Praxis aufgearbeitet. Klimawandel, neue Lebensstile, demografischer Wandel, Digitalisierung – die bisherigen Routinen des Wohnungsbaus sind in Frage gestellt. In weiteren Kapiteln wird das Loblied des Eigentums gesungen (es wird eine Eigentumsquote von 50-70 Prozent gefordert) und das Modell der Baugemeinschaft vorgestellt, die nach Baugruppenmodell als GbR bis zur Baufertigstellung auftritt und dann das Gebäude in Einzeleigentum aufteilt.
Ein wichtiges Element des Modells, das hier vorgestellt wird, ist die Zusammenarbeit in einem Bauteam mit regionalen mittelständischen Unternehmern, die Kostensicherheit bei guten Konditionen schafft. Es ist das Modell, das von Architektur3 oft und erfolgreich umgesetzt worden ist. Ergänzt werden diese Berichte durch Interviews Expertinnen und Experten aus dem Bereich des Wohnens, sowohl aus der Wissenschaft, wie aus der Praxis – Stadtplanung, Soziologie, Finanzierung, Verwaltung, Immobilienwirtschaft und Umwelt. Das Einfamilienhaus wird von Susanne Dürr als nicht mehr verantwortbar bezeichnet, Tilman Harlander verweist auf die Problematik der Bodenknappheit, Elisabeth Krön und Ernst-Ulrich von Weizäcker fordern Kostenwahrheit im Hinblick auf ökologische Folgekosten.
Die sieben vorgestellten Projekte der Unternehmensgruppe Architektur3 sind detailliert in Materialwahl, allen Kosten sowie Grundrissen vorgestellt. Architektonisch könnte man sie als hochwertigen Alltag bezeichnen, was nicht despektierlich gemeint ist. Ihre Qualität besteht nicht im ästhetischen oder typologischen Experiment, sondern darin, bezahlbar zu sein. Die Kosten reichen dabei von 1500 Euro je Quadratmeter (Baugemeinschaft Doppelpack mit gestapelten Maisonetten von 2005) bis zu knapp 3900 beim Neubau von drei Mehrfamilienhäusern aus dem Jahr 2019.
So hilfreich die Sicht des Praktikers auch ist, hätte man dem Buch doch an manchen Stellen ein wenig mehr Bescheidenheit und Differenzierung gewünscht. Wer wie die Autorin und die Autoren Wohnen als Grundrecht proklamiert, sollte doch auch im Blick haben, dass Eigentum für viele Menschen bei uns nicht realistisch ist. Auch ist die These, eine Immobilie sei krisensicher, nicht ohne weiteres verallgemeinerbar; es kommt auf den Standort und die Lebensumstände an. Die Qualität des Modells „Baugemeinschaft mit Bauteam“ ist diese Publikation allemal wert. Nur löst es eben nicht alle Probleme.