Wie noch planen und bauen? Zwei Neuerscheinungen geben mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Perspektiven Antworten. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit widersprechen sie sich nicht, sondern ergänzen sich. Eine dritte Neuerscheinung zeigt, wie hilfreich der Blick in die jüngere Vergangenheit sein kann.
Ja, wir wissen es – wir müssen anders bauen. „Gängige Strukturen und Prozesse, die bisher funktioniert haben, stellen also keine Zukunftsperpektive dar“, so Tina Kammer und Andrea Herold in der Einführung der Publikation „Sutainable“. Aber immer noch haftet der Bauwende, die unter den unheilvollen Vorzeichen des schon bedrohlich fortgeschrittenen Klimawandels unabdingbar gewordenen ist, der Ruch des Sauertöpfischen an. Das muss nicht so sein. Die fünfzig hier versammelten Beispiele machen Lust und Freude darauf, Neues zu entdecken und zu wagen. Gegliedert in fünf Kapitel geht es dabei auch, aber nicht nur um gute und – darauf verweisen die Herausgeberinnen explizit – schöne Architektur. Zwar wird die Dramatik keineswegs heruntergespielt.
Als in Sachen nachhaltiger Architektur und nachhaltigen Bauprodukten versierte Praktikerinnen wissen Herold und Kammer aber auch, dass man die Wende nicht nur über den Kopf, sondern auch über das Herz bewältigen muss: Es muss auch erfüllende Freude machen, anders zu bauen.
Konzepte aus Forschung, Lehre und Industrie werden im ersten Kapitel vorgestellt, darunter beispielsweise das Projekt RoofKIT, mit dem das Karlsruher KIT den Solar Decathlon 2021/22 gewonnen hatte. Lediglich zwei Ansätze werden im Kapitel „Städtebau und öffentlicher Raum“ gezeigt – ein wenig überraschend, ist dies doch ein ganz wesentliches Handlungsfeld für die Bauwende, gerade dann, wenn der Bestand erhalten werden soll und damit auch die Frage relevant wird, wie Gebäude, Infrastruktur und öffentlicher Freiraum zusammengedacht werden können. Auch die drei Bauprodukte, die im letzten Kapitel vorgestellt werden, scheinen etwas wenig angesichts der Bedeutung dieses Segments für das Bauen und das Umbauen.
Der Hauptteil des Buches bilden die 33 Projekte des Kapitels Architektur und Innenarchitektur, die neben Gebäuden aus Deutschland und Österreich, England und den Niederlanden auch eines aus den USA und zwei aus Afrika zeigen. Erfreulicherweise bilden hier Umbauprojekte einen deutlichen Schwerpunkt. Andere folgen dem Kreislaufprinzip oder – etwa das Rathaus in Korbach – verwenden das Material des Hauses, das für den Neubau abgebrochen wurde. Inwiefern dabei die CO2–Bilanz tatsächlich besser ist, als sie es mit einem sanierten Altbau gewesen wäre, ist allerdings fraglich. Bei aller Freude an der gestalterischen Qualität der Projekte, an den vielfältigen Versuchen, Raum, Material, soziale Aspekte und Biodiversität zusammenzudenken, hätte man sich hin und wieder doch, wie das Beispiel Korbach deutlich macht, etwas mehr Information gewünscht. Dennoch: Dem Anliegen, zu zeigen, dass nachhaltiges Bauen keine Einbußen an architektonischer Qualität bedeuten muss, werden die Projekte gerecht. Dass dabei auch organisatorische Modelle bedacht werden sollten, zeigt der Stadtumbau im österreichischen Troifach. Hier wird der Bestand der Ortsmitte neu belebt, unter anderem, weil es einen „Zentrumskümmerer“ gibt, der sich an der Schnittstelle zwischen Verwaltung und Öffentlichkeit mit viel Entscheidungsgewalt bewegen darf. Ergänzt wird die Sammlung um vier Projekte aus dem Bereich Innenausstattung.
So weit, so gut. Was im Buch erstaunlicherweise nicht steht: dass ihm ein Aufruf zugrunde liegt, der vor etwas mehr als einem Jahr lanciert wurde. Dort wurde versprochen, dass eine fachkundige Jury die Projekte unter den Einreichungen auswählen werde. Die scheint es nun nicht gegeben zu haben. Vielleicht wurde nicht ganz so viel eingereicht, wie von den Herausgeberinnen erhofft, was die Unwucht in den Kategorien erklären könnte. Nichts, wofür man sich schämen müsste. Man hätte es ruhig transparent kommunizieren dürfen.
Der Künstler Ton Matton hat eine Methode entwickelt, mit gezielten, teils improvisierten, teils gut vorbereiteten Impulsen und Interventionen in ländlichen Orten über den Bestand nachzudenken, über einen Bestand, der von Leerstand, von Verfall geprägt ist. In einem Kollektiv aus Studierenden und Künstler:innen wird dabei eine Dynamik entfaltet, die die Potenziale sichtbar macht, die in einem solchen Bestand liegen – und die genau deswegen zu finden sind, weil kein Verwertungsdruck auf ihm liegt. Dadurch können sich Freiräume öffnen, die der Ortsgemeinschaft eine Bühne des Zusammenlebens bieten, wenn sie bereit ist, sich zur Eigeninitiative ermutigen zu lassen.
In diesem Buch steht Tribsees, Mecklenburg-Vorpommern, im Mittelpunkt einer solchen konzertierten Aktion. Mit etwa 2700 Einwohner:innen leben hier etwa 400 Menschen weniger als noch 1990, 70 der insgesamt 240 Häuser der Innenstadt stehen leer. Das Buch dokumentiert und reflektiert das Semesterprojekt 2020 – Matton lehrt an der Raum- und Designstrategien an der Kunstuniversität Linz. Gestartet wurde mit einer Aktion, in der Künstler:innen, Studierende und die Einwohner:innen von Tribesses gemeinsam den Ort erkundeten. Viele der dabei formulierten Ideen hatten, so Matton und Sofie Wagner in der Einführung, „eine gewisse Romantik, eine Sehnsucht nach der Rustikalität der Vergangenheit, in der sich das Leben noch einen Tick langsamer abspielte – und dennoch im Bewusstsein zukünftiger Entwicklungen.“ Der Schluss den Matton und Wagner daraus zogen. „Tribsees möchte also eine träge Stadtplanung.“
Das Buch zeigt den Prozess, die Arbeiten, Interventionen und Aktivitäten der Studierenden, die in den leerstehenden Häusern, aber vor allem im Zwischenraum zwischen den Häusern, im Raum zwischen den dauerhaften Tribsees-Bewohner:innen und denen auf Zeit entstanden sind. Darunter sind Inszenierungen von Lichtdesignern und mit Solarstrom betriebene Lichtbilder der Studierenden, es wurden Workshops mit Kindern durchgeführt, ein ehemaliges Kaufhaus wurde aufgeräumt und mit Bauschrott neu gestaltet, das Ergebnis mit kulinarischen Events gefeiert. Aus den Resten eines eingestürzten Hauses wurde ein Rednerpult gebaut. Es wurde getanzt, gebaut, eingerichtet, gesungen, gemeinsam gegessen, einander zugehört.
In den zwischen die Dokumentation der Aktivitäten eingestreuten Texten wird die über die Einzelinitiative des Studierendenprojekts hinausgehende Perspektive entwickelt. Der hier praktizierte performative Urbanismus wird als Methode vorgestellt, in der Improvisation keine Notlösung ist.
Improvisation hilft, über die Sinnhaftigkeit bestehender Regeln nachzudenken und etwas zu entdecken, was vor Beginn der Arbeit nicht gewusst werden konnte. „Slow Urban Planning“ könnte ein Refugium entstehen lassen, eine Insel, „auf der man ungestört von neoliberaler Hektik und frei von Schuld ein träges Leben führen könnte.“
Andere Regeln (z.B. „Jedes Bauwerk soll einen Beitrag zu mehr sauberer Luft leisten“) stellen das örtliche Handeln in den Kontexte überregionaler Verantwortung. Machen und Planen gehen dabei fließend ineinander über und öffnen den Blick auf eine andere Praxis des Umgangs mit dem Bestand.
Und auch ein Blick in die Vergangenheit kann Orientierung bieten. Dass die Design- und Architekturgeschichte mehr zu bieten hat, wenn man sich nicht auf formale Betrachtungen beschränkt, zeigt das Buch von François Burkhardt. „Gestalten“ – so der mehrdeutige Titel.
Denn Burkhardt geht es nicht ausschließlich um das Gestalten im Sinne des Entwerfens, sondern auch darin, wie Produkte und Häuser, Beziehungen und Prozesse ineinander wirken, wie wir unser Zusammenleben gestalten.
Nicht zufällig taucht dabei Lucius Burckhardt mehr als einmal in der Textsammlung auf.
François Burkhart, Architekt, Design- und Architekturtheoretiker, Leiter verschiedener Museen und Lehrer, liegt die verständliche Vermittlung komplexer Zusammenhänge am Herzen. Von Ende der 70er bis in die 10er-Jahre reichen die in diesem Band versammelten Aufsätze und Essays. Sie sind gut lesbar, sie befassen sich mit der Designgeschichte, mit der Architektur des 20. Jahrhunderts, wobei der Schwerpunkt auf den Werken und Protagonisten liegt, die jeweils aktuell waren: Ettore Sottsass, Achille und Piergiacomo Castiglioni, Andreas Brandolini, Dieter Rams, Gion A. Caminada, Alvaro Siza, Aldo Rossi, Robert Venturi und Denise Scott Brown. Aber nicht nur: Auch der tschechische Kubismus und Jože Plečnik beispielsweise tauchen in der Sammlung auf, und dies vor allem, weil Burkhardt anhand deren Werk Aussagen zur Gegenwart treffen kann. Und diese war zum Zeitpunkt, als die Texte verfasst wurden, von der Postmoderne, von der Frage nach dem Regionalismus, dem Beginn der ökologischen Bewegung und einer alltagsnahen Gestaltung geprägt. Hier bezieht Burkhardt Position, in dem er in die tieferen Schichten dieser Diskurse einsteigt.
So schreibt er über Sottsass, er „möchte den Menschen nicht nur Objekte anbieten, er möchte ihnen Situationen anbieten, die ihnen bei der Gewinnung eines höheren Grades an Freiheit gute Dienste leisten.“ Zur Postmoderne beruft sich Burckhart auf Jean-François Lyotard – in dessen Sinne bedeute Postmoderne, „die Vielfalt der Sprachformen, Denkansätze und Lebenformen zu kultivieren. Die Pluralität der Wissensformen und kulturellen Orientierungen der Lebensforman auszuarbeiten, die verschiedenen Ansätze zu differenzieren und zu Höchstleistungen zu entwickeln, wird die Aufgabe der kommenden zeit sein“, so Burkhardt in einem Text von 1991. Bei Plečnik interessiert ihn neben seinen Kevin Lynch vorwegnehmenden städtebaulichen Internventionen dessen Aufgreifen regionaler Elemente. Als Lehrer habe er eine ganze Generation von Architekten verpflichtet, „in ihrer Suche nach einer zusammenhängenden und volkstümlichen Ausdrucksweise einen spezifisch nationalen Weg einzuschlagen, ohne dabei die Elemente des modernen Sezessionismus und der Klassik aus den Augen zu verlieren.“ Das alles nicht im Sinne einer nationalistischen Ideologie, sondern als Verbindung von lokaler Besonderheit und globalen Entwicklungen, als Möglichkeit, Pluralismus und Genius Loci miteinander zu verbinden. Und hierin zeigen sich die Parallelen zu Lucius Burckhardt – zu einem „unsichtbaren Design“, dem „Design von morgen, das unsichtbare Gesamtsysteme, bestehend aus Objekten und zwischenmenschlichen Beziehungen, bewusst zu berücksichtigen imstande ist.“