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Nicht satisfaktionsfähig

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Deutsche Dorfmitten beleben – nicht so einfach. (Bild: Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0, Claudia Sadewasser)

Marktgeschrei (32) | Ja, wir wissen es ja. Der Lobbyismus ist keine Wohltätigkeitsveranstaltung. Lobbyisten fordern meist anstatt zu liefern, und das Gemeinwohl haben sie dabei selten im Blick. Schlimm genug. Aber dann gibt es sogar die Lobbyisten, die fordern, was es schon gibt. Crazy.

Die Baubranche. Über 300 Milliarden Euro betrugen die Bauinvestitionen in Deutschland 2020. Und diese Baubranche, so suggerierte es eine Pressemeldung vor Kurzem, fordert eine Abrissprämie  – der Staat soll dafür bezahlen, dass etwas abgerissen wird. Durchatmen. Schon die Abwrackprämie, die Schwester der Abrissprämie auf vier Rädern, war damals, 2009, nur schwer zu ertragen. Nun haben wir aber 2022. Leider lässt sich gestrig nicht steigern, eine Abrissprämie kann also kaum gestriger sein als es die Abwrackprämie als Pandemiefolgenbekämpfung gewesen wäre, und um die sind wir ja gerade noch herumgekommen. Dann wäre es eben vorgestrig, zu belohnen, was all die verhindern wollen, die weiter denken als bis zur nächsten Hausecke: dass immer weiter Müll produziert, graue Energie vernichtet, Bestand zerstört wird. Also lese ich erst einmal weiter, anstatt weiter Schnappatmung zu kultivieren. „Eine Abrissprämie für Altbauten, deren Sanierung für die Grundstücksbesitzer unerschwinglich ist, würde helfen, dass ganze Dörfer wiederbelebt werden.“ Das klingt ein bisschen anders: Ja, in den Mitten von Dörfern ist es mitunter schwer, in jedem Gebäude eine wertvolle Ressource zu sehen, können die Grundstückszuschnitte für eine stabile Entwicklung ungeeignet sein. Hier Zukunftsperspektiven zu entwicklen, ist mühsam und aufwändig.

Tote Pferde und clevere Firmen


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Deutscher Alltag – Ortsmitte. Hier ist guter Rat teuer. (Bild: Christian Holl)

Man mag hin und wieder daran zweifeln, dass in der Politik die richtigen Entscheidungen getroffen werden, aber so tumb sind die Menschen dort auch wieder nicht, dass sie nicht verstanden hätten, wie dringend die Dörfer hierbei Unterstützung benötigen. Tatsächlich braucht es kaum mehr als zwei Internetklicks, um auf die Seite zu stoßen, in der steht, dass der „Abriss oder Teilabriss von Bausubstanz im Innenbereich nach Maßgabe besonderer siedlungsstruktureller oder entwicklungsplanerischer Gründe“ gefördert wird. Mit anderen Worten: Die Abrissprämie gibt es schon. Sie ist nur an Bedingungen geknüpft.

Wir schauen uns die Abrissprämien-Meldung nochmal an. Es sollen ja nicht nur Dorfmitten belebt werden, sondern gleich ganze Dörfer. Das heiß also: Wir haben in Deutschland offensichtlich vollständig ausgestorbene oder dahinsiechende Ortschaften. Wenn das so ist, hat das vermutlich Gründe, und vermutlich sind es solche, die auch mit noch so hohen Abrissprämien nicht aus der Welt zu schaffen sind. Wenn man auf einem toten Pferd reite, solle man lieber absteigen, so rät eine recht plausible Indianerweisheit, von der ich nicht genau weiß, ob sie nicht eine Erfindung von Cowboys ist.

Und ich schaue noch einmal hin: Wer hier die Prämie fordert, ist nicht „die Baubranche“, sondern der Geschäftsführer des BDF. Der BDF, das ist der Bundesverband Deutscher Fertigbau. Aber auch dann, wenn wir von diesem Geschäftsführer nichts anderes erwarten, als dass er seinen Mitgliedern das Leben leichter machen will, bleibt die Forderung nach der staatlichen Abrissprämie merkwürdig – schon allein deshalb, weil sie von (mindestens) einem der BDF-Mitglieder bereits angeboten wird. Dieser Fertighausanbieter verspricht sie dem, der ein Grundstück besitzt, das mit einer Altimmobilie „belastet“ ist. Die Abrissprämie bekommt man zwar nur, wenn man anschließend mit dem Fertighausanbeiter baut, der sie auszahlt, aber das ist ja auch nachvollziehbar. Ob der Neubau eine ästhetische Verbesserung ist, ist eine andere Frage. Diese Prämie ist aber wenigstens insofern eine faire Angelegenheit, als sie hier auch der zahlt, der vom  Abriss profitiert: die Fertighausfirma eben. Es blechen also einmal nicht, wie so oft, die Steuerzahlenden dafür, dass eine Firma Geld verdienen kann. Hier werden nicht die Kosten sozialisiert, damit die Gewinne privatisiert werden können. Immerhin.

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Wo das Leben tobt. Ein Einfamilienhausgebiet, vielleicht auch mit dem ein oder anderen Fertighaus. (Bild: Christian Holl)

Das ist wohl zu hoch

Für ein solches Modell könnte der BDF ja unter seinen Mitgliedern werben, oder er könnte es als BDF-Fonds auflegen, anstatt von der Wiederbelebung ganzer Ortschaften zu faseln. Aber das kennen wir ja schon von der Kirche, dass die Mitglieder weiter als die Herrschaften an der Spitze sind. Wie sollte sie denn auch aussehen, diese Wiederbelebung? Auf den Seiten des BDF sind ein paar Bilder zu sehen, aber wiederbelebte Ortschaften habe ich darunter nicht gefunden. Wäre mir auch neu, denn eigentlich ist das Fertighaus nur dann als Produkt ein attraktives wirtschaftliches Modell, wenn man sich bei seinem Bau um möglichst wenig Kontext kümmern muss. Wenn es ein baureifes Grundstück gibt, so zugeschnitten, vorbereitet und mit Planungsrecht gesichert, dass sich die anspruchsvollen Aufgaben im Entwurf nicht stellen. Die tatsächlich individuellen, also einzigartigen Lösungen, die auf einzigartige Umstände reagieren und aus ihnen neue, einzigartige Qualitäten entwickeln, sind nun einmal nicht das, worauf das wirtschaftliche Fundament der Fertighausindustrie beruht. Ist nicht verwerflich, ist aber so. Ortschaften wiederzubeleben ist nicht das Geschäftsmodell dieser Firmen.

Belebt wird mit Dutzendware nämlich nichts, was vorher abgestorben war oder nur noch so mühsam vor sich hinvegetiert. Der Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ formerly known as „Unser Dorf soll schöner werden“ wird ja auch eher selten mit Fertighäusern gewonnen – und wenn doch, dann sind sie Teil einer auf den Ort eingehenden Gesamtplanung innerhalb derer auch mal „nach Maßgabe besonderer siedlungsstruktureller oder entwicklungsplanerischer Gründe“ eben ein altes Haus abgerissen werden darf und vielleicht auch ein Fertighaus errichtet wird. Kurz zusammengefasst könnte man sagen: Die Abrissprämie gibt es schon. Wenn sie nicht von den Unternehmen selbst gezahlt wird, ist sie an Bedingungen geknüpft, die das Gemeinwohl in den Blick nehmen. Diese Prämie wird im Rahmen einer Planung ausgezahlt, die nicht allein das einzelne Grundstück und den einzelnen Eigentümer berücksichtigt, sondern die die Zusammenhänge in den Blick nimmt: Die Zusammenhänge, die darüber entscheiden, ob eine Ortschaft eben belebt ist oder nicht. Diese Bedingungen sind dem BDF anscheinend zu hoch. Um Belebung von darbenden Dörfern geht es also eher nicht. Dann aber soll man das bitte schön auch so sagen. So ist das eine Öffentlichkeitsarbeit, über die man nicht nur den Kopf schütteln kann, sondern die man auch mit ein wenig Recherche als dreiste Nebelkerze entlarven kann.

P.S.: Bei der Recherche für diese Kolumne auf den Seiten des BDF habe auch die Seite entdeckt, auf der steht, dass das Fertighaus auf Platz 1 der Bucket-List stehe. Die Bucket-List ist die Liste der Dinge, die man unbedingt nochmal tun oder erleben möchte, bevor man endgültig in eine Kiste gelegt wird. Vor dem Sterben nochmal ein Fertighaus haben. Ach, nein, wäre das schön. Dann könnte man endlich zufrieden die Augen schließen. Die Öffentlichkeitsarbeit des BDF ist anscheinend auch sonst etwas schräg.