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Immer wieder geraten Bauten in den Mittelpunkt von Diskussionen um Erhalt und Abriss, die deutlich machen, wie gleichgültig wir mit Energien umgehen – sogenannter grauer wie sozialer. Drei Beispiele zwischen Bonn und Düsseldorf zeigen, dass es um mehr geht als rein quantifizierbare Dinge wie etwa Kohlendioxid.

Wie viele Städte und Gemeinden brauchte auch Bonn Ende der 1960er-Jahre ein größeres Rathaus. Abhilfe schuf damals das neue Stadthaus am Rand der gründerzeitlichen Nordstadt, das nach einem Entwurf des Stuttgarter Büros Heinle, Wischer und Partner zwischen 1973 und 1977 fertiggestellt wurde. Seitdem ist das Stadthaus immer wieder Mittelpunkt leidenschaftlicher Diskussionen, ist es doch in vielerlei Hinsicht ein lokales Paradebeispiel für die Stadt-Idee seiner Entstehungszeit. Gänzlich autogerecht erreicht man das Gebäude über eine das gesamte Erdgeschoss einnehmende Parkgarage, einen klar ablesbaren Haupteingang sucht man als Fußgänger auf Straßenniveau vergebens, stattdessen führen Rolltreppen, Fahrstühle, Rampen und Treppen an verschiedenen Stellen auf eine Verteilerebene im ersten Obergeschoss. So bleiben gleich mehrere recht unwirtliche Restorte übrig, denen anzumerken ist, wie wenig es dieser Architektur gelingt, urban verwobene Wegebeziehungen zwischen dem städtischen Raum der Allgemeinheit und jenem Haus herzustellen, das für genau diese Allgemeinheit und deren Belange erbaut wurde. 2011 nannte etwa der lokale BDA das Stadthaus „hoffnungslos veraltet“ und schlug einen Neubau am Bahnhof vor. Aus Sicherheitsgründen wurden 2014 die Glasscheiben demontiert, die der metallisch glänzenden Gebäudehülle vorgelagert waren. So hat der Bau deutlich an Plastizität und damit gestalterischer Güte eingebüßt.

 

Fragestellungen und Infragestellung

 

Durch die Demontage der Glasscheiben vor den Fensterbrüstungen hat das Bonner Stadthaus deutlich an Plastizität eingebüst (Foto: David Kasparek)

Durch die Demontage der Glasscheiben vor den Fensterbrüstungen hat das Bonner Stadthaus deutlich an Plastizität eingebüst (Foto: David Kasparek)

Immer wieder wurde parteiübergreifend der Abriss des Hauses ins Spiel gebracht, zuletzt 2020 von der damals frisch gewählten grünen Oberbürgermeisterin Katja Dörner. Wie sehr sich Diskussion und Kenntnisstand seitdem gewandelt haben, zeigt sich in einer Initiative des BDA Bonn-Rhein-Sieg, die 2022 durch einen möglichen Umbau die „Chance zum Modellprojekt für den Umgang mit den Großbauten der 1960er Jahre“ sah. Auch die Stadt selbst plädierte zuletzt für den Erhalt des größten Teils des Gebäudes am jetzigen Standort. So lässt sich Oberbürgermeisterin Dörner in einer öffentlichen Stellungnahme folgendermaßen zitieren: „Der Hauptsitz der Stadtverwaltung und die Orte der kommunalen Demokratie gehören ins Zentrum der Stadt.“ Dort, wo die Bürgerinnen und Bürger seien, „da sollen auch die gebündelten Dienstleistungen, der Stadtrat und der Hauptsitz der Stadtverwaltung sein.“ Gleichzeitig aber wolle die Stadt „eine offene und grüne Verbindung zwischen der inneren Nordstadt und der Innenstadt“ und damit „einen Ort, an dem sich Menschen gerne aufhalten und sicher fühlen“ schaffen. So soll partiell und vor allem in den Randbereichen abgerissen werden, was mit Blick auf die Zugänglichkeit des Gebäudes ein echter Gewinn sein könnte.

Der Sprecher des Netzwerks Werkstatt Baukultur Bonn Alexander Kleinschrodt sieht in der aktuellen Verlautbarung „ein Anzeichen dafür, dass sich das Leitbild der Umbaukultur mehr und mehr durchsetzt“ – und das parteiübergreifend. „Parallel dazu ist es interessant zu sehen, dass in der Bewertungsmatrix der Beschlussvorlage die Variante Abriss und Neubau mit Abstand am schlechtesten abschneidet“, so Kleinschrodt. Fraglich bleibt jedoch, wie nun weiter verfahren wird. „Aus Zeitgründen soll es offenbar keinen Wettbewerb geben“, bemängelt der Kulturwissenschaftler. So hält Kleinschrodt fest: „Von einem Entwurf für die Neugestaltung würde ich außerdem erwarten, dass er sich nicht nur für den Rohbau interessiert, sondern dass er das Konzept ‚Stadthaus‘ aus den 1970ern zeitgemäß fortschreibt und man sich gewissenhaft um das Einbeziehen der wirklich hochwertigen Ausstattung Gedanken macht. Vom Kopfholzparkett bis zur Kunst am Bau ist alles zu schade zum Wegwerfen.“ Das, so Kleinschrodt abschließend, gehöre „zu der in der Beschlussvorlage der Verwaltung geforderten ‚Gründlichkeit‘!“

 

Ausdruck von Planungskultur und Ort der Begegnung

 

(Foto: Conrad Risch / initiative.umbau)

Trotz Ratsbeschluss immer wieder Gegenstand von Standort- und Abriss-Diskussionen: Die Kölner Stadtbibliothek (Foto: Conrad Risch / initiative.umbau)

Wie sehr derlei Diskussionen von Schwankungen geprägt sind, sieht man einige Kilometer rheinabwärts, wo die Debatte über einen möglichen Abriss der Stadtbibliothek in Köln immer wieder angestoßen wurde, obschon bereits mehrfach für den Erhalt des zwischen 1964 und 1969 nach Plänen der Architekten Franz Lammersen und Franz Löwenstein errichteten Baus entschieden wurde. Als Grund wurden dabei immer wieder die vermeintlichen Kosten ins Feld geführt – etwa für die Energie, die für den Betrieb des Gebäudes aufgewendet werden müssen. Diese Argumente verkennen aber die sogenannte „graue Energie“ auf der einen Seite, also jene Menge Energie, die für die Herstellung des Hauses und seiner Bauteile bereits aufgewendet wurde, und die „soziale Energie“ auf der anderen Seite, also all jene Geschichten, die die Menschen der Stadtgesellschaft mit einem Haus verbinden. Beide Energieformen sind in einem Gebäude gespeichert, die „graue“ ganz konkret und messbar physikalisch, die „soziale“ auf einer metaphorischen Ebene, die das Stadtgedächtnis als Ansammlung von gleichermaßen individuellen wie kollektiven Erinnerungen einschließt.

Yasemin Utku, Professorin für Städtebau und Planungskultur an der Fakultät für Architektur der TH Köln, konstatiert entsprechend: „Der Umgang mit dem Gebäude ist ein gutes Beispiel dafür, dass es nach wie vor an Wertschätzung für den Bestand fehlt.“ So zeige „die Diskussionen und das ‚Gezerre‘ um den Standort“ auch, dass „die damit verbundenen Verwertungsinteressen für privates Investment in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Bibliothek als öffentliche, soziale und kulturelle Einrichtung für die Stadtgesellschaft“ stehen. Dass der Abriss, genau wie eine Standortverlagerung – weg vom Josef-Haubrich-Hof unweit des zentralen Neumarkts –, trotz bereits beschlossener Sanierung immer wieder von der Lokalpolitik in die Debatten eingebracht wurde, hält Utku für „sehr fragwürdig“. Die Professorin sagt: „Gerade die öffentliche Hand ist doch ein Vorbild für den Umgang mit Ressourcen und sollte an ihren selbst gesteckten Zielen zur Erreichung von Klimaneutralität festhalten.“ Dass das noch nicht bei allen Verantwortungstragenden angekommen ist, spiegele sich auch in vielen anderen Diskussionen wieder, „zum Beispiel wenn es um Schulbauten geht oder um große Strukturen wie das Justizzentrum oder das Ingenieurswissenschaftliche Zentrum der TH in Deutz“, so Yasemin Utku. Für deren Erhalt macht sich die „initiative.umbau“ stark, in der in der unterschiedliche Akteur:innen der Kölner Stadtgesellschaft gemeinsam für einen proaktiven und konstruktiven Umgang mit dem Erhalt von auch formalästhetisch mitunter unbequemen Bauten eintreten.

„Es bleibt zu hoffen, dass an der Entscheidung zum Erhalt der Bibliothek nicht mehr gerüttelt wird und die Sanierung den Bestand angemessen respektiert“, schließt Yasemin Utku, auch wenn erste Planungen eine starke Überformung der Fassade erwarten lassen, „was schade wäre“. Doch die Professorin hofft, dass sich im Planungsprozess noch zeige, „dass es vielleicht einfache Lösungen gibt und Sanierung nicht mit einem Neubaustandard verglichen werden muss“. Denn, so Utku, „neben ihrer Bedeutung als zentraler Begegnungsort für sie Stadtgesellschaft ist die Bibliothek auch Ausdruck Kölner Baukultur, den es sorgsam zu behandeln gilt.“

(Foto: Conrad Risch / initiative.umbau)

Blick von Südosten aus der Leonhard-Tietz-Straße auf die Kölner Stadtbibliothek (Foto: Conrad Risch / initiative.umbau)

Architektur als Teil der Lösung

 

Die Fassadengestaltung des Audimax stammt von Günter Fruhtrunk, dessen bekanntestes Werk wohl die bis 2018 vertriebene Aldi-Tüte ist (Foto: Klaus Graf; wikimedia-Commons / CC 0)

Dass es immer um mehr geht als quantifizierbare Zahlen, zeigt auch die Debatte um das Audimax der ehemaligen Ingenieurschule für Maschinenwesen in Düsseldorf-Golzheim, die bis 1967 nach Plänen des hiesigen Büros Hentrich & Petschnigg erbaut wurde. Nachdem die Ingenieurschule in der neuen FH aufgegangen war und diese an der Bahnlinie in Derendorf eine neue Heimstatt gefunden hatte, wurde ein Wettbewerb zur Nachnutzung des alten Campus in Golzheim ausgelobt. Neben dem Erhalt von Bauteilen an der nordöstlichen Georg-Glock-Straße sah die Auslobung auch den Abriss der Gebäudeteile im Südwesten des Geländes vor. Darunter auch das ehemalige Audimax, dessen Denkmalwert seit März dieses Jahres durch den Landschaftsverband Rheinland bestätigt ist. In der Tat ist der Bau bemerkenswert. Genauer: Seine Bekleidung ist es. Hier werden Kunst und Architektur eins und verschmelzen zu einer funktionalen Skulptur im Stadtraum.

Die Fassadengestaltung stammt aus der Feder von Günter Fruhtrunk, dessen Œuvre anlässlich seines 100. Geburtstags im letzten Jahr in mehreren großen Ausstellungen in Bonn, München und Wiesbaden gewürdigt wurde. Das bekannteste Werk des 1982 verstorbenen Malers und Grafikers war vielen Menschen lange Zeit wohl die Aldi-Tüte, erst in den letzten Jahren ist die Relevanz der Arbeiten, die nie zwischen vermeintlicher Hochkultur fürs Museum und konsequenter Alltagstauglichkeit unterschieden haben, auch breiteren Kreisen jenseits der Fachdiskurse bewusst geworden. So konstatiert etwa Pablo Molestina, Vorsitzender des BDA Nordrhein-Westfalen: „Als Kunstwerk geht es hier nicht nur um eine CO2-Diskussion, sondern wirklich um einen geistigen Beitrag zur Identität eines Stadtviertels.“ Auch hier hat sich inzwischen ein breites Bündnis Prostierender zusammengefunden, das von Museen, Kunstmagazinen über Architects for Future und BDA bis in die Stadtgesellschaft Düsseldorfs reicht, wo abseits von Fachzeitschriften auch die lokale Presse über den Fall berichtet.

Die ehemalige Ingenieurschule für Maschinenwesen von Hentrich & Petschnigg mit dem Audimax am rechten Bildrand (Foto: Alice Wiegand; Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0)

Die ehemalige Ingenieurschule für Maschinenwesen von Hentrich & Petschnigg mit dem Audimax am rechten Bildrand (Foto: Alice Wiegand; Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0)

Daran, dass Architektur Teil der Lösung und nicht bloß Teil des kohlendioxidaktivierenden Problems ist, glaubt Molestina fest: „Die Umsetzung der Bauwende ist alles andere als einfach, aber am Ende ist sie alternativlos.“ Ideen zu entwerfen, wie der Bestand in die Weiterentwicklung des Campus integriert werden kann, gehöre zu den Standardaufgaben von Architekt:innen. „Wir können also Teil der Lösung sein, wenn man uns lässt“, so Molestina, der Professor für Gebäudelehre und Entwerfen an der Hochschule Düsseldorf ist und selbst ein Büro mit Standorten in Köln und Madrid betreibt.

Und in der Tat ist es dem Büro, das siegreich aus dem Wettbewerb hervorgegangen ist, ohne Weiteres zuzutrauen, den Bau mit der Fruhtrunk-Fassade in das eigene Konzept zu integrieren. Schließlich haben Staab Architekten aus Berlin, die den Entscheid Ende 2022 gewonnen hatten, immer wieder bewiesen, wie die Integration von bestehenden Gebäuden ein baukultureller Mehrwert werden kann. Denn, so Pablo Molestina: „Ein Quartier mit Merkmalen aus der Vergangenheit wird von Bewohnern und Besuchern als ‚anders‘ wahrgenommen als andere Quartiere. Diese Unterschiede machen die besondere Qualität eines Quartiers aus und erleichtern die Integration von Neubauten.“

 

Transparenzhinweis:

Der Autor gehört zu den Erstunterzeichnern eines offenen Briefs der „initiative.umbau“, der im Sommer 2023 von der Kölner Politik und Oberbürgermeisterin Henriette Reker forderte, den Bestand als Ressource für eine lebenswerte Stadt zu entdecken, zu nutzen und weiterzudenken, den Diskurs mit der Stadtgesellschaft zu forcieren, um gemeinschaftlich und auf Augenhöhe die dringend notwendigen Transformationen anzugehen, die erklärten Ziele der Klimaneutralität und den Weg zu einer zukunftsfähigen Stadt Köln aktiv zu fördern sowie die Gemeinwohlorientierung ernst zu nehmen und die Vorbildfunktion der Stadt Köln für eine nachhaltige Entwicklung der gesamten Region aktiv zu gestalten und zu leben.