Die Zeiten ändern sich, und zwar rasant. Die Veränderungen werden bedrohlich, deswegen sollten wir uns ändern. Warum, wie – und wo wir genauer hinschauen sollten, darüber geben drei Bücher Auskunft.
Obdach- und wohnungslose Menschen sind Teil der Stadt, auch wenn das gerne ausgeblendet wird. Man begegnet ihnen an Bahnhöfen, in Fußgängerzonen, in Parks, man sieht sieht unter überdachten Bereichen vor Häusern schlafen. Matthias Drilluing, Nora Locher, Esther Mühlenthaler und Jörg Dittmann haben in den letzten Jahren sehr viele Gespräche mit Obdachlosen geführt – und dabei erstaunt festgestellt, dass sich die Menschen alle selbst die Schuld an ihrer Obdachlosichkeit gaben:
„Kaum jemand klagte den Sozialstaat an, der doch eigentlich Obdachlosigkeit verhindern sollte, niemand beschwerte sich über das Bildungssystem, das doch früh diejenigen fördern sollte, die bildungsarmen Familien entstammen.“
Die Zuschreibung von außen haben die Betroffenen also längst verinnerlicht; Grund genug für die vier Forscher:innen, in einem Buch um Verständnis für die Situation von Obdachlosen zu werben. Einzelne Fälle werden dafür in Interviews vorgestellt, die Wirklichkeit Obdachloser beschrieben: die kurze Lebenserwartung, das Risiko, Opfer von Gewalt zu werden, die besonders prekäre Lage von obdachlosen Jugendlichen. Es wird darüber aufgeklärt, dass in Deutshckland 46 Prozent der Obdachlosen zwei Jahre und mehr keine Wohnung haben; in der Schweiz und in Österreich sind es „nur“ 31 Prozent. Es wird gezeigt, wie schnell der Weg in die Obdachlosigkeit führen kann und wie schwer es ist, aus ihr wieder herauszufinden, selbst dann, wenn wieder eine Wohnung bezogen werden kann. Es wird davon berichtet, wo Menschen sich aufhalten, dass sie täglich im Schnitt mehr als 20 Kilometer zurücklegen, dass Betteln nicht auf krimineller Bandentätigkeit basiert, wie es oft unterstellt wird. Es wird darüber aufgeklärt, wie restriktive Arbeitsmarktregeln und hohe Mietpreise, die Leichtigkeit, mit der Schulden gemacht werden können, zur Obdachlosigkeit führen. Vor allem werden aber jene strukturellen Zusammenhänge hergestellt, die Menschen zu Obdachlosen machen – denn kein Mensch entscheidet sich dafür freiwillig.
Das empathische und faktenreiche Buch, gut lesbar geschrieben und aufgemacht, plädiert dafür, den Blick nicht abzuwenden, selbst im Rahmen der Möglichkeiten aktiv zu werden, aber auch dafür, dass der Staat vielmehr als bisher seinen Auftrag wahrnimmt, nicht nur die Folgen der Obdachlosigkeit zu lindern, sondern dafür zu sorgen, dass es gar nicht erst dazu kommt. Da ist noch viel Luft nach oben. Hier hätte man sich etwas mehr Schärfe gegenüber einer Politik gewünscht, die die Wirklichkeit erzeugt, unter denen die Menschen leiden müssen. Die Wohnungen, die im Besitz der öffentlichen Hand sind, mit denen Not gelindert werden könnte, seien selten, heißt es im Buch – aber das ist ein Produkt politischen Handelns. Und sollte auch als solches benannt werden.
Unter dem spröden Titel „Stadt Denken 8“ veröffentlicht die DASL, die Deutsche Akademie für Stadt und Landesplanung, ihr neues Jahrbuch. Es basiert auf der Jahrestagung von 2023, die unter dem Titel „Die Stadt als Garten“ stattfand und einem Kolloquium, das sich mit dem von der DASL 2022 veröffentlichten Berliner Erklärung auseinandersetzte, einer Erklärung, die als „Vorwärtsschau“ anlässlich des hundertjährigen DASL-Jubiläums veröffentlicht wurde. Das Jahrbuch falle, so der neue Wissenschaftliche Sekretär Mario Tvrtkovic, in eine Zeit der Neuorientierung, denn neben dem Sekretariat wurde auch das Redaktionsteam des Jahrbuchs neu besetzt. Die damit verbundene inhaltliche Neuorientierung stellt sich angesichts der globalen Krisen als Notwendigkeit, und zwar nicht nur für die Akademie, sondern für die Gesellschaft. Wie damit umgegangen werden könnte, mit welchen Methoden und Prozessen, wie planerisch auf die sich immer weiter zuspitzende Krisensituation reagiert werden könnte, umkreisen die 14 Beiträge dieses Bandes, die etwas willkürlich in die Kapitel „Transformation gestalten“ und „Umbaukultur – Ressourcen, Gebäude, Landschaft“ unterteilt sind.
Das ändert nichts daran, dass einige der Texte lesenswert sind und auf verschiedenen Ebenen die Kritik an aktueller Praxis weiter fassen, als es sonst oft Krisenbeschreibungen tun.
Christian Dürnberger stellt die Frage, ob das verbreitete und beliebte Bild der Landidylle nicht einer sachlichen Diskussion über die Potenzialen einer modernen Landwirtschaft für Umwelt- und Klimaschutz im Wege steht, Susan Grotefels nahm sich das Planungsrecht vor und kommt zum Schluss, dass der Freiraum im Raumordnungs- und im Planungsrecht lediglich den Restraum bilde. Kenneth Anders benennt die Konsequenzen deutlich, dass man energiepolitische Vorgaben als Suburbanisierungsprogramm lesen könne: „Suburbanisierung (…) zielt auf eine Aneignung des Raums unter Befriedigung des Energie- und Stoffbedarfs eines ortlosen Metabolismus, unabhängig von der konkret in ihm lebenden Bevölkerung.“ Weitere Texte befassen sich mit der Innenentwicklung als „Planungsdoktrin ohne Wirkungsmacht“ (Stefan Siedentop) oder mit den Wegen zu einer Umbaukultur, die derzeit noch in weiter Ferne liege (Tim Rieniets).
Erfreulich, dass zumindest eine junge Stimme (Leila Unland, Jahrgang 1994) in den Jahresband gefunden hat, es hätten durchaus mehr sein dürfen. Gewünscht hätte man sich zudem mehr konkrete Beispiele einer Praxis, die den Herausforderungen begegnet. „Fehler werden auf dem Weg der urbanen Transformation gemacht werden, aber der entscheidende Schritt für die Umsetzung ist der Beginn“, so Mario Tvrtkovic im Editorial. Wäre es nicht eine schöne Aufgabe der DASL, denen, die diesen Schritt bereits gewagt haben, ein Podium zu bieten?
»Polylemma« ist der Begriff für eine Situation, in der sich keine der möglichen Lösungen als eindeutig zu bevorzugende erweist. Das Büro raumlabor Berlin gibt es seit 1999, es hat in dieser Zeit eine kaum mehr zu überschauende Anzahl an Projekten verwirklicht, die situativ, performativ, improvisierend, Orte und Menschen verbindend eine Praxis verfolgen, die für viele junge Büros zum Vorbild geworden sind. Nicht das fertige Produkt steht im Mittelpunkt, sondern die Option, Anregung, Aufforderung, Einladung, aktiv zu werden – als Alternative zur Ökonomie der marktgängiger Produkte: Es gibt immer eine andere Möglickhkeit als das, was Regel und Routine ist.
Mit Begeisterung, Leichtigkeit, Humor, aber auch Beharrlichkeit und harter Arbeit hat das Kollektiv auf der halben Welt gewirkt. in den USA, Frankreich, Dänemark, Spanien, Schweden, Südkorea, in Mannheim, Berlin, Darmstadt, München, Düsseldorf und und und. Erst im dritten Anlauf, so liest man, sei es gelungen, dieses Buch zu machen, einmal habe man zuviel Arbeit gehabt, ein zweiter Versuch sei durch den Tod von Matthias Rick (einem der Gründungsmitglieder) vereitelt worden, für diesen dritten Anlauf habe es nun auch vier Jahre gebraucht. „Kollektive Prozesse brauchen manchmal Zeit“, heißt es lapidar. Es hat sich gelohnt.
Entstanden ist ein Buch, durch das man flanieren kann wie durch eine Stadt, sich an einem der Texte festlesen, sich in eines der Projekte vertiefen, sich aber auch von der Fülle an räumlichen und aktivierenden Ideen begeistern oder sie einfach nur auf sich wirken lassen kann.
Eingeleitet wird es von einem Text Matthias Ricks von 2012, gebunden ist es aus Bögen verschiedenen Papiers, wenn man auf der Seite 480 angelangt sei, könne man wieder auf der Seite 1 beginnen, so in der Einführung ins Buch und der Erläuterung der verschiedenen Texttypen: Interviews, Kommentare, Beschreibungen, älterer Vorträge oder Texte von Personen, mit denen Raumlabor zusammengearbeitet haben. Gezeigt werden Fotos der Projekte von raumlaborberlin, von Projekten anderer, zudem Zeichnungen, die als Collagen die Projekte von raumlaborberlin verdichten. Ein wenig Geduld braucht man vielleicht, um sich in das viele Bildmaterial, die thematischen Schwerpunkte einzufinden, aber insgesamt ist die Balance aus animierender Unübersichtlichkeit und Struktur gelungen. Man erfährt von der heimlichen Sehnsucht nach Dauerhaftigkeit, der Haltbarkeit der Küchenmonumente, den Skrupeln, kommender ökonomischer Verwertbarkeit von Orten den Weg zu bahnen. Natürlich feiert sich das Büro damit auch selbst, aber es hat dafür gute Gründe. Dass es auch von anderen durch Auszeichnungen gefeiert wurde, kommt im Buch nicht vor, dafür sind direkt zu Beginn die Menschen aufgeführt, die mit und für raumlaborberlin gearbeitet haben. Mit „We love you“ endet das Buch, das man auch als Geschenk verstehen darf, auch wenn man dafür 46 Euro bezahlen muss.