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Blick auf den Platz vor der Stuttgarter Kunstakademie. Hier soll zur IBA’27 das neue Besucherzentrum zur IBA’27 entstehen. (Bild: Christian Holl)

Anlässlich des 100. Geburtstags der Weißenhofsiedlung ist ein neues Empfangs- und Besucherzentrum für dieses legendäre Ensemble der architektonischen Moderne geplant. Und zwar im Rahmen der Internationalen Bauaustellung, die Stadt und Region Stuttgart auf den Weg gebracht haben. Die Auslobung des entsprechenden Verfahrens lässt nun jedoch wenig Gutes erwarten. Ein Kommentar.

Replik von Andreas Hofer, Intendant der IBA’27 >>>


Architektur wird durch innere und äußere Faktoren bedingt. Äußerlich haben Ort, Zweck und Zeit merklichen Einfluss darauf, wie Gebäude in Stadt und Land aussehen. Am Meer, wo viel Wind weht, wurde anders gebaut als in geschützten Lagen, heiße Regionen brachten andere Bauformen hervor als gemäßigte oder kalte Breiten. Für welchen Zweck wir ein Haus errichten, drückt sich oft ebenfalls in seiner Architektur aus – eine Kirche sieht anders als ein Wohnhaus aus, Büros wiederum kommen anders als Stadien daher. Im besten Fall findet auch die Zeit, finden die großen Fragen der jeweiligen Gegenwart ihren Ausdruck in der Architektur. Themen, die unsere Gesellschaft derzeit bewegen, gibt es reichlich: Wer hat eigentlich Zugang zu welchen Bereichen der vermeintlich öffentlichen Räume? Wie sind Wohnen und Arbeiten einander zugeordnet? Haben doch die letzten Jahre gezeigt, dass die von der lang praktizierten Trennung dieser beiden Funktionen nicht immer und nicht für alle sinnfällig ist. Welchen Einfluss haben der menschengemachte Klimawandel oder Fragen der Energieversorgung auf den Bau? Es fänden sich leicht weitere an die Zeit gekoppelte Einflussfaktoren.

100 Jahre Weißenhof und noch kein Zentrum


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Luftbild der Weißenhofsiedlung. Links oben im Bild die Gebäude der Akademie und die Fläche, auf der das neue Besucher- und Empfangsgebäude entstehen soll. (Bild: Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0, Veit Müller and Martin Losberger)

2027 wird die legendäre Stuttgarter Weißenhofsiedlung 100 Jahre alt. 1927, in nur rund einem halben Jahr errichtet, kuratierte der Architekt Ludwig Mies van der Rohe das Projekt für den Deutschen Werkbund. Neben Mies steuerten international renommierte Architekten Bauten bei. Darunter die Franko-Schweizer Pierre Jeanneret und Charles Edouard Jeanneret-Gris, den allermeisten besser als Le Corbusier bekannt, die Niederländer Johannes Jacobus Pieter Oud und Mart Stam, der gebürtige Österreicher Josef Frank und der Belgier Victor Bourgeois. Dazu kamen deutsche Größen wie Peter Behrens, Walter Gropius, Hans Scharoun, Max und Bruno Taut und andere. Insgesamt 21 Häuser kulminierten in der Ausstellung „Die Wohnung“, für die Musterwohnungen eingerichtet wurden, ergänzt um einen von Willi Baumeister gestalteten Katalog, eine Leistungsschau der Industrie in und um die Gewerbehalle am Stadtgarten, sowie eine Präsentation von Plänen und Modellen zeitgenössischer, internationaler Architektur in den Städtischen Ausstellungshallen am Neuen Schloss. Kurz: ein Überblick damals aktuellen Bauens, der nichts weniger sein wollte als eine neue Epoche des Wohnens räumlich zu veranschaulichen.

Nach einer wechselhaften Geschichte zwischen Verfemung, Vernachlässigung und Unterschutzstellung wurden Teile des Ensembles 2016 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen. Im gleichen Jahr initiierte man vor Ort die „Internationale Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart“, kurz IBA’27, die ihren Auftakt schon ein Jahr später, also 2017 nahm. Für das Jahr der Vorstellung der IBA-Ergebnisse 2027 rechnen die Initiatorinnen mit einer Million Besucherinnen und Besuchern – mindestens. Ein Besucherzentrum muss also her.

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Die Weißenhofsiedlung in unserer Zeit. (Bild: Christian Holl)

Dass sich in diesem Besucherzentrum schon jetzt die Zeit, eben: unsere Zeit, derart prägnant ausdrückt, ist dabei jedoch kein gutes Zeichen. Bereits der quälend lange hinausgezögerte Beginn mit dem im Juni 2022 zugunsten des Beitrags der Stuttgarter Arbeitsgemeinschaft aus Schmutz & Partner Freie Architekten Innenarchitekten, Scala Freie Architekten Stadtplaner und Pfrommer + Roeder entschiedenen, offenen städtebaulichen Wettbewerb eiert einigermaßen sorgenvoll um das eigentliche Ensemble der Werkbundsiedlung – gezwungenermaßen, denn die Welterbehüter kennen keine Gnade für den, der Fragen zu diesem Erbe stellen möchte.

Das sich nun angeschließende Verfahren unterstreicht dieses von Angst getriebene Vorgehen, das so sehr in unsere Zeit zu passen scheint, da mehr und mehr Verfahren eher durch vermeintliche Rechtssicherheit denn durch baukulturellen Anspruch oder gar Gemeinwohlorientierung geprägt sind.

Kultur und Gesellschaft oder Bürokratie und Zahlenwerk?


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Auch wenn Visionen verhindert werden, ist das die Zukunft vieler. Detail des Graffitis an dem Gebäude, an dessen Stelle das Besucherzentrum entstehen wird. (Bild: Christian Holl)

„Die Realisierung des Projekts erfolgt im Rahmen eines europaweit ausgeschriebenen, kombinierten Ausschreibungswettbewerbs der Planungs- und Bauleistungen im Verhandlungsverfahren nach VOB/A mit vorgeschaltetem europaweiten Teilnahmewettbewerb unter Durchführung des ‚Zwei-Umschlags-Verfahrens‘“ – so war in der Auslobung für das Besucherzentrum am Weißenhof in diesem Sommer zu lesen. Keine vier Jahre vor dem angepeilten Präsentationsjahr scheinen die Bedenken der Verantwortlichen und der Druck für sie gleichermaßen groß zu sein. Das benannte „Zwei-Umschlags-Verfahren“ besagt nichts anderes, als dass der Entwurfsteil anonym in einem Umschlag einzureichen sei, der wirtschaftliche Teil in einem zweiten. Beide werden in einem Stufenverfahren getrennt betrachtet – wirtschaftliche Kriterien gelten nur bei den Einreichungen, die zunächst entwurflich überzeugten. Der Entwurfsteil wird dann in der Endabrechnung mit 60 Prozent, der wirtschaftliche mit 40 Prozent gewertet. Nicht genug damit: All das auch noch in einem Generalübernehmer-Verfahren. Derlei Generalübernehmer übernehmen im Rahmen eines zu schließenden Bauvertrags die Planungs- und Ingenieurleistungen, alle Ausführungs- und Bauzwischen-Finanzierungsleistungen für das Bauvorhaben und können ihrerseits Subunternehmer beauftragen. Ein Leistungsprofil, das sich vor allem an große Baufirmen, Immobiliengesellschaften oder Managementunternehmen richtet.

Ausgerechnet das Tor zu einem der wichtigsten Beiträge der architektonischen Moderne überhaupt droht so zu einem weiteren Beispiel der landauf, landab grassierenden Bullshit-Architektur zu werden, deren Anspruch nicht mehr ein baukultureller und gesellschaftlicher Mehrwert ist, sondern nur mehr das Einhalten mehr oder minder mutwillig in einer Excel-Tabelle festgelegter wirtschaftlicher Kenndaten. Es scheint sich zu bestätigen, was Roger Willemsen schon 2015 mit Blick auf unsere Zeit konstatierte: „Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Informationen, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. So gingen wir, von uns selbst nicht aufgehalten.“ Im Kontext der bald 100 Jahre alten Architekturen am Weißenhof eine abermals bittere Erkenntnis bei der Frage, wer wir gewesen sein werden.


Aufforderung zum Experiment – Replik von Andreas Hofer, Intendant der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27)

Vom Gemeinderatsentscheid, in Stuttgart eine Werkbundausstellung durchzuführen, bis zur Eröffnung der Ausstellung auf dem Weissenhof im Sommer 1927 dauerte es – inklusive Bauzeit – genau ein Jahr. Dies war möglich, weil in schlanker Korrespondenz, ohne große Rücksprachen oder wettbewerbliche Verfahren der junge Mies van der Rohe weitgehend freie Hand für den Masterplan und die Auswahl der Kollegen erhielt, die Stadt Stuttgart die Finanzierung sicherstellte und versprach, was immer da entstehen wird, in ihren Wohnungsbestand zu übernehmen, und DIN noch deutscher Normenausschuss hieß und sich mit Maschinenbau und Papierformaten beschäftigte.

Die Verzweiflung über die zähen Prozesse beim Bauen waren sicher ein Grund, weshalb die Internationale Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart ins Leben gerufen wurde. Ein Ausnahmezustand auf zehn Jahre sollte zu einem Feuerwerk an Ideen und mutigen Bauwerken führen, die der Welt im Ausstellungsjahr stolz zeigen, dass die kreative Energie der schwäbischen Metropole immer noch Spitzenleistungen hervorbringen kann, die mit den Pionieren vor hundert Jahren vergleichbar sind. Das IBA’27-Team unter meiner Leitung stürzte sich ab 2018 mit großer Begeisterung in die Aufgabe und wandte sich mit Verve auch dem Weissenhof zu. Bei der Großmutter der aktuellen IBA, die zum Ausstellungsjahr im internationalen Rampenlicht stehen wird, versammeln sich im kleinen Maßstab die Widersprüche der jüngeren Geschichte: die Wohnsiedlung mit den typischen Mängeln einer bautechnisch ambitionierten Moderne, der Hass der Nazis, der zur Verstümmelung der Brenzkirche und dem Verlust der Hälfte der Weissenhofsiedlung im Zweiten Weltkrieg führte, ein unsensibler Umgang in der Nachkriegszeit, bis die Siedlung 1958 unter Denkmalschutz gestellt wurde, was sie nicht vor weiteren fragwürdigen Umbauten bewahrte. Erst 2003 renovierte die Wüstenrot Stiftung das Doppelhaus von Le Corbusier und machte es als Museum der Öffentlichkeit zugänglich. Im Umfeld entstanden Neubauten, die trotz architektonischer Ambition dem Archipel der Ratlosigkeit weitere Inseln hinzugefügt haben. Abgesehen davon, dass die IBA dem Weissenhof für das Ausstellungsjahr mehr Würde geben wollte, schien der Moment günstig: die benachbarte Akademie hatte Ausbaupläne, die Brenzkirche braucht dringend eine Renovation, und die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft SWSG konnte 2018 die Weissenhofsiedlung und die Beamtensiedlung von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben kaufen – damit lag die Regie für den dauerhaften Erhalt nach Jahrzehnten wieder in städtischer Hand.

Die IBA diskutierte Entwicklungsstrategien, versammelte alle Akteure in Workshops und suchte den dritten Weg, der mit Respekt vor der wechselvollen Geschichte den Weissenhof und sein Umfeld in eine neue Beziehung bringen und für eine Zukunft als vielbesuchtes Monument und Wohn- und Lebensraum fit machen sollte. Unterschiedliche Zuständigkeiten, Grundeigentumsverhältnisse und Interessen bremsten die Euphorie. Dabei geriet der Hof der Akademie als potenzieller Ankunftspunkt und Gelenk in den Fokus. Darf man hier bauen, wenn ja: wer und wie groß? Es brauchte mehr als zwei Jahre, bis eine Auslobung für einen städtebaulichen Ideenwettbewerb stand, der zwar einen weiten Perimeter umfasste, die Spielräume in den Teilgebieten aber klein ließ. Wenigstens bestätigte sich der Eingangspunkt bei der Akademie als richtiger Ort für ein Besucher- und Informationszentrum (BIZ), und der erste Preis wagte hier ein kräftiges Volumen.

Die Zeit bis 2027 wurde langsam knapp. Dies war aber nicht der Grund für das anschließend gewählte Generalübernehmerverfahren zur Realisierung des BIZ. Ein Architekturwettbewerb – gerne experimentell, international und offen – hätte Entwürfe gebracht, die in den Mühlen der Machbarkeit, der Kostenkalkulation und der bautechnischen Zulassung aller Voraussicht nach gescheitert wären. Die Siedlung zum hundertjährigen Jubiläum 2007 des Werkbunds in München und das nach vierjähriger Planungszeit 2016 vom Stadtrat beerdigte Guggenheim-Museum in Helsinki waren abschreckende Beispiele. Die sequenzielle Bearbeitung von schöner Idee, Architektur, Tragwerk, Gebäudetechnik und Realisierung ist einer der größten Hemmschuhe für Innovation und Kostentreiber in der aktuellen Baupraxis. Wir brauchen integrierte Prozesse, die interdisziplinäre Kooperation, die gemeinsam getragene Verantwortung. War nicht die Zusammenarbeit zwischen Gestaltung und Industrie der Grund für den Werkbund?

Dass ein solches Vorhaben, übersetzt in eine vergaberechtkonforme Sprache des öffentlichen Beschaffungswesens, keinen schönen Text hervorbringt, war der Preis. Wer die Auslobung aber genau liest, stellt fest, dass ein beliebiges Mitglied im interdisziplinären Team die eingeforderten Referenzen nachweisen kann. Junge Architekturbüros ohne Realisierungserfahrung sind somit nicht ausgeschlossen, sie müssen aber Partnerschaften bilden. Das Programm ist offen, das Baubudget großzügig, das Auftragsversprechen konkret, der Zeitplan ambitioniert. Eine explizite Aufforderung zum Experiment, wie sie kein deutscher Wettbewerb der letzten Jahre formuliert hat.

Die IBA’27 hat die letzten Jahre mit unterschiedlichsten Verfahren erfolgreich Wettbewerbe durchgeführt. Dabei war ihr Anspruch immer groß und von der Verantwortung für die architektonische Qualität, Fairness der Verfahren und der Sorge um die gewaltigen Herausforderungen der Zeit geleitet. Diese können wir nur bewältigen, wenn wir auch bereit sind, uns von ständischem Dünkel und romantischen Vorstellungen einer vormodernen Künstlerarchitektur zu befreien.