Stadtplanung als Umstandsmode? Mit einer aktuellen Architekturzeitschrift sind wir unterwegs auf dem Land. Antworten gibt die Stadtbauwelt Nr. 221 nicht – aber sie schärft unfreiwillig den Blick auf dringliche Fragen. Auf nach Kirchheimbolanden, zum pfälzischen Donnersberg, zwischen Kaiserslautern und Mainz!
Zum Bild oben: Auf der Website von Kirchheimbolanden heißt es zur neuen Stadthalle: „Und schon heute sieht man den Fortschritt, des sich harmonisch … einfügenden Baus mit seinem markanten Dach, der für die „Kleine Residenz“ einen Riesenschritt in die Zukunft einer bunten und attraktiven Veranstaltungs- & Kulturzeit bedeuten wird.“ (Bild: Wolfgang Bachmann)
Vorbei am wirklichen Leben: der akademische Diskurs
Die Zukunft der Menschheit liegt in den Städten. Da gibt es allen Grund, sich die Themen Mobilität, Ressourcenverbrauch und Digitalisierung vorzuknöpfen und zu fragen, ob die universitäre Forschung und Lehre die Städtebau-Studenten auf diese vielfältigen Veränderungen vorbereitet. Die letzte Stadtbauwelt (221) hat sich dieses riskanten Themas angenommen. Gleich wie die Studiengänge heißen und was die „Akteure“ in der Praxis mit soziologiegeschwängertem Urban Management und Critical Urbanism anstellen: Es wird unter einem Wust akademischer Ambition begraben.
Feldforschung
Wir nehmen uns ein konkretes Beispiel vor. Kirchheimbolanden, 8200 Einwohner, eine Kreisstadt am Donnersberg in Rheinland-Pfalz, die laut Dehio „den Charakter einer kleinen Barockresidenz“ weitgehend hat bewahren können. Um ein kritisches Fazit vorwegzunehmen: Die Defizite bei Architektur und Städtebau begegnen sich hier auf Augenhöhe. Wenn die Stadtbauwelt nach Lösungen für die vor uns liegenden neuen Probleme sucht, fragt man sich, wie die bestehenden alten gelöst werden sollen. Kirchheimbolanden ist keinesfalls eklatant missraten, aber hier lässt sich geradezu eine Tradition falscher Planungsentscheidungen studieren. Nach der Französischen Revolution erwarb ein Privatier das beschädigte Barockschloss, ließ zwei ruinöse Flügel abreißen und richtete sich 1807 in dem erhaltenen Teil neben dem Schlossgarten ein. Später entstand direkt vis-à-vis eine Mälzerei, die seitdem um bitterböse, riesige Silobauten erweitert wurde. Der gerettete Schlosstrakt brilliert dagegen und dient als „Seniorenresidenz“, wurde allerdings 1995 mit dem ehemaligen Gebäudewinkel in moderater Architekturqualität ergänzt.
Zwischen der Mälzerei und der passabel hergestellten ehemaligen Orangerie fand 2013 die neue Stadthalle ihren Platz – siehe das Bild ganz oben. Sie bewältigt einen Höhensprung, aber die versunkene Straßenansicht und das verrutschte Schleppdach erfuhren keine ästhetische Zuwendung. So ergab sich ein Nebeneinander widersprüchlicher Nutzungen und formaler Aussagen aus drei Jahrhunderten.
Die unheimliche Mälzerei bildet gleichzeitig die Ecksituation der Neuen Allee. Die wird bergseitig von barocken Kavaliershäusern gesäumt, die ehemalige Schlossfreiheit gegenüber blieb historisch unbebaut. Hier steht seit 1975 das neue Rathaus und seit 1999 ein voluminöses Parkdeck, das ein wenig gärtnerisch kalmiert wurde. Von dort haben die Fahrzeuge einen unverbaubaren Blick in die Ebene – und auf den tieferliegenden nächsten Parkplatz.
Daneben ist ein kleiner Skulpturengarten angelegt, den man gedanklich der Orangerie zuordnen könnte, aber ein räumlicher Bezug besteht nicht. Begrenzt wird das Feld vom Trumm der Kreisverwaltung. Hier ließ man sich von alpenländischen Hotelbauten inspirieren, ein endloses Satteldach soll dem Büroriegel ein gewisses Heimatrecht am Rand der historischen Altstadt geben. Aber auch dort gibt es keinen Anlass zur Freude, was die neuere Stadtplanung betrifft. Man könnte darüber verhandeln, ob die Freiräume mit oder ohne Autos schlimmer sind.
Da liegt der Römerplatz im Zirkel der Wehrgangrudimente. Seine Nordwestseite wurde durch eine sogenannte altstadtgerechte Wohnbebauung ergänzt, darin im Erdgeschoss neben einer Eisdiele: ein Batterieladen, ein Telefonshop, ein Caterer, eine Personalberatung – alles Angebote, die nichts zur Belebung beitragen. Es stört gar nicht, dass die mit einer Tiefgarage unterminierte Platzschräge leer ist und überwiegend von ärmeren Häusern begrenzt wird. Es gibt sogar ein (leider kunstgewerblich dekoriertes) Veranstaltungspodium. Das Manko ist die Ausführung, die den Ort als Restfläche und nicht als gestaltete Mitte behandelt.
Urbanistische Diskurse?
Was man allerorten vortragen kann, sind unzusammenhängende, altmodische Fragen nach Eigentum, Rendite, Raumordnung, Funktion, Erschließung, Materialanmutung, Baugeschichte, Öffentlichkeit – alles, worauf sich Architektur einlässt. Ob es dazu „urbanistische Diskurse“ braucht, wie die Stadtbauwelt-Professores mitteilen und nicht einfach einen Stadtrat, der sich durch eine größere Architekturnähe auszeichnet, drängt sich als simple Frage auf. Noch einmal: Kirchheimbolanden steht nur als Beispiel. Aber ebenso die Antwort von Michelle Provoost im selben Heft: „Viele Artikel, die an der TU produziert werden, werden nur noch von Hochschulmitarbeitern gelesen. Sie haben keinerlei literarische Qualität, und sie gehen oft völlig am wirklichen Leben vorbei.“