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Das Strafjustizzentrum in München. (Bild: Fritz Bielmeier)
Man solle beim Bauen eines Hauses an die Stadt denken, hatte Luigi Snozzi gemahnt. Das gilt auch für die Häuser, die schon gebaut sind – und die neu erfunden, neu entdeckt und neu genutzt werden wollen. Sie können erst dann zum Teil einer Transformation des Bestands werden, wenn sich der Umgang mit der Stadt, mit ihren Häusern, ihren Räumen, ihrem Boden generell ändert. In München wurde beides in den Blick genommen. Ein Haus und die Stadt.

Es scheint, als sei die Diskussion um die Frage nach einer Bauwende in eine Sackgasse geraten. Weil die Lage so bedrohlich ist, man mit Angst Menschen aber nicht für den Klima- oder Artenschutz gewinnt, wird die Gefahr ignoriert oder verharmlost. Was dazu führt, dass sich die Lage weiter zuspitzt. Zu wenig wird zudem darüber gesprochen, wer die Kosten für den Klimaschutz tragen soll. Solange diese Lasten (auch) denen aufgebürdet werden, die ohnehin mit der Bewältigung des Alltags und einer ungewissen Zukunft zu kämpfen haben, bleibt eine klimafreundlichere Politik allenfalls in Teilen jener Bevölkerungsteilen konsensfähig, die sich Klimaschutz leisten können. Und so lässt sich eben auch leicht und scheinheilig behaupten, dass man ja Menschen mit dem Klimaschutz nicht überfordern dürfe. Kein Wunder, denn man will die Bedingungen, die dazu führen, dass Klimaschutz Menschen überfordern könnte, auch nicht ändern. Unternehmen und Großverdienende bleiben außen vor und können ihre bisherigen Praktiken weiterverfolgen. Sie können sich darauf verlassen, dass die Kosten, die der Klimawandel mit sich bringt, sozialisiert werden.


Symbolbauten für die Bauwende


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Treppenhaus des Strafjustizzentrums. Architekt: Peter Kaup, 1977, (Büro Kaup Betsch Scholz Wortmann); späteres Nachfolgebüro: Jesse Hofmayr Werner Architekten BDA. (Bild: Fritz Bielmeier; weitere Bilder sind zu finden auf der Seite von Fritz Bielmeier)

Was fehlt, sind die Perspektiven, die die Kraftanstrengung für den Wandel lohnend erscheinen lassen. Konkret zeigt sich das im Bauen in der Frage, wie mit dem Bestand umgegangen wird und ob es möglich ist, die Abrissmengen deutlicher zu reduzieren. Da Zahlen allein abstrakt bleiben, lässt sich die Diskussion leichter an konkreten Gebäuden führen, an denen stellvertretend diskutiert und gezeigt wird, was mit dem Abriss verloren geht. Und so hat inzwischen fast jede Stadt ihren Symbolbau für die Weigerung, sich auch dann dem Bestand zu widmen und ihn zu erhalten, wenn es etwas komplizierter wird. In Frankfurt sind das die Städtischen Bühnen, in Köln das Justizzentrum, in Berlin das Hochhaus „An der Urania“. Überall: Protest gegen den Abriss. Die Falle des exemplarischen Beispiels ist eine doppelte. Selbst ein Erfolg, so selten er ist, ändert nichts daran, das ohnehin weiter munter abgerissen wird –  das zeigt etwa der vor einem Jahr ins Netz gestellte Abrissatlas. Und wenn sich nichts grundlegend ändert – warum sollte es dann einen Gewinn bringen, dass ein Gebäude als Akt symbolischer Politik stehen bleibt?

In München ist es das Strafjustizzentrum an der Nymphenburger Straße, das in der Diskussion steht – und das durch Initiativen und Verbände in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt ist. Derzeit wird es noch genutzt, doch die Behörde soll in einen Neubau umziehen, der derzeit in Bau ist. Für 2025 war der Umzug angekündigt, nun scheint es doch erst 2026 soweit sein. Wegen des beschlossenen Umzugs ist am Bestandsgebäude seit 2010 kaum mehr als das unbedingt Notwendige getan worden, was seinem Ruf nicht unbedingt zuträglich war. Der Freistaat Bayern, dem das Gebäude gehört, plant auf dem Grundstück Wohnungen errichten zu lassen – und lässt offen, ob dafür das Gebäude abgerissen wird oder nicht. Das werde gerade untersucht, mit Ergebnissen werde Ende des Jahres zu rechnen sein.


Die Praxis ändern


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Noch bis um 17. Oktober geöffnet. (Plakat: Veranstalter)

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Der Pavillon am Lenbachplatz als Billboard mit Bildern des Strafjustizzentrums. (Bild: Christian Holl)

Die Aktiven, die sich seit Anfang 2023 gegen den möglichen Abriss einsetzen, wollten diese Ergebnisse nicht abwarten – und sind in die Offensive gegangen. Das Bemerkenswerte dabei: mit einer zweigleisigen Strategie. Die Zeitschrift Arch+, die Initiative Abbrechen Abbrechen und das Kollektiv Point Of No Return haben, gefördert von der Stadt München, nicht weit vom Strafjustizzentrum an der Dachauer Straße einen Pavillon errichtet, eine gebogene, überdachte Plakatwand mit Stauraum für Getränke und einer kleinen Bar. VerhandelBar – unter Einschluss der Öffentlichkeit nennt sich das Projekt. Noch bis in den Oktober hinein ist dieser Ort Ausgangspunkt von Diskussionen, Aktionen und Stadtspaziergängen. Unterstützt von der Hans Sauer Stiftung werden Daten und Wissen von Anwohner:innen über Leerstand gesammelt, kartiert und mögliche Spekulationsobjekte sichtbar gemacht. Filme werden gezeigt, Workshops durchgeführt, es wird diskutiert und präsentiert. Damit wird ein Teil des Sackgassen-Dilemmas aufgebrochen: Die Bauwende wird nicht auf einzelne Bauten reduziert, sondern in den Zusammenhang der Praxis im Umgang mit Boden und Wohnraum gestellt, ohne deren Änderung die Bauwende nicht zu haben sein wird. Denn diese Praxis beflügelt die Attraktivität von Abrissen, verstärkt die Not derer, die für eine klimafreundliche Politik gewonnen werden müssen. Die Veranstaltungen sind gleichzeitig ein Hinweis darauf, dass (nicht nur in München) die Transparenz fehlt, um Missstände zuzuordnen. Es müssen mit Strukturen und Informationen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass ein anderer Umgang mit Boden, Räumen und Häusern gefunden werden kann, der die Lasten der Transformation gerechter verteilt.


Ein Haus für alle


Am 22. August nun wurden dort in aller Öffentlichkeit auch die Ergebnisse eines Aufrufs vorgestellt, den Abbrechen Abbrechen im Frühjahr lanciert hatte. Sie verdeutlichen nicht nur, was mit dem Abriss verloren ginge, sondern vor allem, was man mit dem Erhalt gewinnen könnte. Gesucht wurden, so die Auslobenden, „Vorschläge, die eine Verwandlung des Strafjustizzentrums von einem ehemals verschlossenen Verwaltungsbau zu einem offenen Haus für Alle illustrierten. Dabei sollten bereits bestehende Qualitäten sichtbar gemacht, aber auch ein mutiger Blick in die Zukunft geworfen werden.“ In einer öffentlichen Jurysitzung wurden aus den stattlichen 121 Einreichungen 13 Preisträger:innen ermittelt, deren Arbeiten einen bunten Reigen des Denkbaren bieten. Sie unterscheiden sich in der Weise, wie sie die Nutzungen organisieren, in der Perspektive, mit der sie Potenziale für das Gebäude sichtbar machen, in der Tiefe, in der sie die konkrete Nutzung festlegen machen. Die Auswahl hatte ganz offensichtlich nicht das Ziel, einen Vorschlag zu favorisieren, sondern das Potenzial aufzuzeigen, das sich bieten könnte – und damit den Denkraum zu weiten.

So finden sich Beiträge, die die wichtigen und viel diskutierten Themen der Zeit aufgreifen: Eine Arbeit schlägt vor, ein „Zentrum für Wasserwesen“ zu eröffnen, mit Wasserspeicher, Wasserfilter und einem Biotop für eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen (Kollektiv für Wasserwesen). Das „Haus der Gerichte“ stellt die Frage zukünftiger Nahrungsmittelproduktion ins Zentrum. Nahrungsmittel werden angebaut, das Haus soll aber auch zu einem Ort der Wissensvermittlung, des Experimentierens und des Diskutierens werden (ATP München). Eine „Library of Repair“ könnte Kreislaufwirtschaft und Repairculture stärken und das Gebäude selbst zum Exponat der vorgeschlagenen Nutzung machen; Wohnen inklusive (Krater Fajan Kunst-und Architekturkollektiv). „Sorgende Stadt“ will die so wenig gewürdigte, für die Gesellschaft aber wichtige Care-Arbeit sichtbar machen – die Verfassenden (Mussoni Stölzl Architekt*innen) schlagen aber auch eine Strategie vor, wie vermieden werden kann, dass das Gebäude leersteht und beziehen dabei Freistaat, Stadt, Initiativen, Genossenschaften und das Mietshäuser Syndikat mit ein. Eine Hygiene-Center für Bedürftige ist Teil des Konzepts von Gabriel, Lenny und Nikolas (Wittelsbacher-Gymnasium), ein Casino soll hier die Finanzierung sicherstellen.

Kulturelle Nutzungen sind in mehreren Vorschlägen Teil des Nutzungskonzepts, mal kombiniert mit Wohnen und einer Einrichtung für direkte demokratische Teilhabe (CollColl e.V.), mal als Kulturzentrum mit Jugendzentrum und Stadtteilbibliothek, ergänzt um sozialem Wohnungsraum für unterschiedliche Lebensmodelle (Studio Tom Meiser), mal als basisdemokratisches und selbstverwaltetes Subkulturzentrum (studio m).

Fantasie und Alltäglichkeit

Hohen Stellenwert räumte die Jury den Arbeiten ein, die das Thema Partizipation und Aneignung bearbeiteten und sich nicht vorab auf Nutzungen festlegen wollten. Mingyan Wang und Weronika Kłósek-Gniewkowska legen den Schwerpunkt auf Innenhof und Dachterrasse, die mit Möbeln ausgestattet werden, damit die Aneignung leichter fällt. Der Innenhof wird mit zusätzlichen Ebenen so differenziert, dass über ihn das Gebäude leichter für neue Nutzungen erschlossen werden kann. Fhao + Studio Rapiet haben eine Videocollage möglicher Bürger:innenwünsche erstellt, die zur Grundlage eines partizipativen Planungsprozesses werden sollen. Amelie Steffen + Maximilian Atta schließlich schlagen vor, das Erdgeschoss in einen offenen durchlässigen Raum zu verwandeln und so neue Wege durch das Quartier anzubieten. Die Jury regte dies offensichtlich an, sich eigenständig die weitere Zukunft vorzustellen. „Einfach mal ganz unten anfangen. Reingehen. Gleich loslegen. Alle reinlassen. Schranken überwinden. Sich treffen und gemeinsame Wege finden. (…) Aus low-tech wird irgendwann high-tech und das Haus blüht auf, bis ganz nach oben! Sich von unten gemeinsam ganz hoch tasten“, so das Jurystatement.

Eine Arbeit fällt durch ihre Zurückhaltung auf. Die Hauptnutzung ist hier das Wohnen. Im Rückblick wird erzählt, wie sich das Haus in einen Teil der Stadt auch dadurch verwandeln konnte, dass das Sockelgeschoss geöffnet, mit Treppen und Rampen erschlossen und landschaftsarchitektonisch gestaltet wurde; Bars, ein Bäcker und Arbeitsräume der Uni sind ebenfalls integriert.

Das Gegenteil dieser das Unspektakuläre betonenden Arbeit (prototo) ist die von wurzelsieben: Das Hotel Sphinx aus Delirious New York von Rem Koolhaas zitiernd, wird das Justizzentrum selbst zum Sockel einer hochaufragenden, postmodernen Skulptur, einer Stadt in der Stadt, als eine pars pro toto für die Vielzahl der Wünsche und Möglichkeiten, die die Stadt im Allgemeinen und München im Besondern bieten und erfüllen kann, wenn der Raum der Fantasie auch für das Unwahrscheinliche geöffnet wird. Vielleicht sind diese beiden Arbeiten auch als eine Quintessenz dessen zu verstehen, was notwendig ist, um die Potenziale des Bestands zu nutzen: sowohl die überbordende Fantasie als auch die beiläufige Alltäglichkeit. Und Mut, beides zu denken und zuzulassen.


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Weitere Veranstaltungen finden hier bis zum 17. Oktober statt. (Bild: Christian Illig)

Die 13 ausgezeichneten Arbeiten sind neben acht weiteren, die in die engere Wahl genommen wurden, auf der Internetseite des Projekts dokumentiert >>>
Weitere Informationen über das Projekt und das Programm bis zu 17. Oktober finden Sie hier >>>