
Studierende bei einem Design-Build Workshop an der school of architecture Münster (Bild: Fachschaft Münster)
Die Architekturgalerie am Weißenhof in Stuttgart zeigt im Herbst die Ausstellung „Und jetzt – Akute Positionen junger Büros zu Architektur und Planung“. In einer Interview-Serie werden hier die Protagonisten der Ausstellung vorgestellt. Teil 4: polycarbonara
Wie können junge Absolvent:innen ihren eigenen Weg finden, wenn sie nicht genau dem entsprechen, was sich bereits etabliert hat? Laura Pfeiler und Max Leo Maurer begannen schon im Studium, mit anderen Kommiliton:innen eigene Projekte zu initiieren und haben diesen Weg konsequent weiterbeschritten. Langsam beginnen sich auch die Strukturen zu ändern. Aber dennoch wünschen sie sich etwas mehr Offenheit für Menschen, die von den konventionellen Wegen abweichen.
Ein Gespräch mit Laura Pfeiler und Max Leo Maurer über Bedarfe, Budgets und darüber, was Architektur genannt werden darf und was nicht.
Wie ist polycarbonara enstanden, wie habt ihr euer Profil und eure Formensprache entwickelt?

Küchenbereich im ///KIOSK, Hamburg. (Bild: Max Leo Maurer)
Laura Pfeiler: Das hat sich Stück um Stück ergeben. Wir haben parallel zum Studium angefangen, Sachen zu bauen, die wir selber brauchten. Und dadurch hat sich eine Formensprache entwickelt, die von vorgefundenen oder günstigen Materialien geprägt ist – aber es war immer auch eine sehr pragmatische Arbeitsweise. Wir haben diese Dinge dann auch gezeigt, auf Social Media veröffentlicht, und so bekamen wir dann auch die ersten Aufträge aus dem Bekanntenkreis oder von Initiativen.
Max Leo Maurer: Wichtiger als eine erkennbare Formensprache war eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem, was wir tun. Wir hinterfragen die Anfragen, die uns erreichen: Für wen arbeiten wir? Dann kann auch ein aktivistisches Element Teil unserer Arbeit sein.
Wie kann man sich so ein aktivistisches Element vorstellen?
Laura Pfeiler: Als klar wurde, dass wir erstmal für längere Zeit in Hamburg sein werden, haben wir uns auf die Suche nach einem Arbeitsraum gemacht. Das ist in einer Stadt wie Hamburg nicht ganz leicht. Also hatten wir die Idee, einen alten Kiosk zu mieten und ihn material- und ressorcenschonend umzubauen. Und weil Ateliers nur von einer kleinen Gruppe von Menschen ein paar Stunden am Tag genutzt zu werden, entschieden wir uns, das anders zu machen. Neben Werkstatt, Büro und Küche planten wir Schlafplätze für drei Personen ein, die während einer Bauphase dort unterkommen können. Zudem öffnen wir den Raum regelmäßig für Kinoabende, Lesekreise und Bausessions – nicht nur für an Architektur und Design interessierten Menschen, auch für Nachbar:innen und Freund:innen.
Trojanische Pferde?
Braucht man Tricks, um Auftraggebende für Ideen zu gewinnen, die sie vielleicht zunächst überhaupt nicht vorhatten zu realisieren?
Max Leo Maurer: Tricks vielleicht nicht, aber das meist knappe Budget ist für uns eine wichtige Grundlage, um Diskussionen zu führen. Es hilft, Dinge zu hinterfragen, die immer schon „so“ gemacht wurden. Wir wollen aber unsere Entscheidungen nicht damit rechtfertigen, dass wir oder andere das immer schon so gemacht haben. Wir treffen unsere Entscheidungen nicht, weil uns im Studium irgendjemand gesagt hat, dass das so sein müsse, oder weil man sagt, wie groß ein Zimmer zu sein hat. Wenn wir zeigen können, dass man mit dem Budget etwas anderes machen kann anstatt die Vorstellungen davon, wie etwas sein sollte, gerade so zu erfüllen, dann werden unsere Ideen oftmals akzeptiert.
Laura Pfeiler: Nachhaltigkeit ist auch eine Hilfe. Wenn es heißt, das ist ja nur eine Zwischennutzung, dann denken wir auch darüber nach, wie man die Elemente wiederverwenden kann.
Das heißt, ihr redet nicht über Gestaltung?
Max Leo Maurer: Das ist eine spannende Frage, inwiefern man trojanische Pferde braucht, um eine bestimmte Idee transportieren zu können und ab welchem Punkt eigentlich diese Idee vielleicht auch gestalterisch überzeugt, dass sie die Menschen anregt, auch sonst mal etwas anders zu machen, unkompliziert mit Material umzugehen, es sorgfältiger oder sparsamer einzusetzen.
Laura Pfeiler: In den seltensten Fällen kam jemand zu uns und wusste schon genau, was er wollte. Meistens wissen das die Leute nicht – sie wissen nur, was sie erreichen wollen. Dann beginnen wir, erst einmal den Bedarf zu analysieren. Und auch wenn die Leute schon konkretere Ideen haben, dann ist es sinnvoll, erst einmal darüber zu sprechen, was sie tatsächlich brauchen. Dann stellt sich oft heraus, dass das etwas ganz anderes ist als das, weswegen sie zu uns gekommen sind.
Max Leo Maurer: Die Kulturelle Stadtentwicklung Mannheim kam zum Beispiel auf uns zu und wollte in leerstehenden Gebäuden Veranstaltungen machen. Und dann war die Frage, wie kriegt man das hin? In einem kooperativen Prozess haben wir mit den Vertreter:innen der Stadt geklärt: Was muss genau passieren können – soll Musik abgespielt werden, soll es drinnen oder draußen stattfinden, für wieviel Menschen muss es sein? Wir fanden dann heraus, dass es eigentlich etwas Mobiles sein soll. Und dann erst fangen wir an zu entwerfen. Das Budget und die Bedarfe bestimmen eigentlich schon ziemlich viel.
Wie kommt ihr zu euren Projekten?
Laura Pfeiler: Da gibt es drei Wege. Manche Projekte initiieren wir selbst – so haben wir angefangen, und wir machen das immer noch hin und wieder. Die zweite Möglichkeit bieten Wettbewerbe, aber das kommt für uns nur äußerst selten in Frage, weil wir eigentlich kaum bei einem Wettbewerb teilnehmen dürfen, außer bei solchen wie dem der Münchener Kooperative Großstadt. Es gibt auch die kleineren Wettbewerbe, über die wir zum Beispiel dazu gekommen sind, für die documenta fifteen eine Küche zu bauen oder eine Bühne für das Haus der Statistik zu planen. Beide Projekte sind entstanden, als wir noch Teil von Waschbeton waren. Und als dritte Möglichkeit kommen dann schon die klassischen Aufträge, die an uns herangetragen werden; Menschen werden auf uns aufmerksam, entweder durch Social Media oder über den Freundes- und Bekanntenkreis und denken dann, dass wir für sie der richtige Partner sein könnten. Jeder von uns arbeitet auch noch außerhalb von polycarbonara, und so ergibt sich ein Netzwerk, über das wir Aufträge bekommen.
Bei polycarbonara arbeitet dann nur ihr beide?
Max Leo Maurer: Wir sind eine GbR, die nur aus uns beiden besteht, aber es gibt eigentlich kein Projekt, an dem wir nur zu zweit arbeiten. Eigentlich versuchen wir immer, auch unsere Freunde mit ins Boot zu holen – wir informieren sie darüber, dass wir ein Projekt haben und fragen, wer Lust hat mitzumachen.
Laura Pfeiler: Ein Beispiel ist das Independent Arts Festival „Fringify“ in Hamburg, für das wir einen Theatervorraum umgebaut haben. Es gab ein festes Budget, wir haben einen Bauzeitenplan geschrieben und im Freundeskreis gefragt, wer könnte mithelfen, wer hat Lust, wer hat Zeit? Und jeder, der mitgearbeitet hat, hat dann seine Stunden aufgeschrieben, und hinterher wird das Budget eben entsprechend der gearbeiteten Zeit auf alle aufgeteilt.
Zwischen den Disziplinen

Design-Build Workshop „Blooming fro the Ruins“ – Neues Amt Altona. (Bild: Max Leo Maurer)
Habt ihr Vorbilder, Projekte und Herangehensweisen, an denen ihr euch orientiert?
Max Leo Maurer: Klar, man sucht immer nach Projekten, Personen, die einen anregen, von denen man lernen kann. Ein Beispiel dafür ist der Architekt Peter Grundmann. Ich fand immer super spannend, wie er mit dem Material umgeht, wie er einen Entwurf in seinen Einzelteilen konsequent daraufhin untersucht, was man günstiger machen kann, wie man Komponenten zusammenführt, ohne standardisierte Elemente einzusetzen, die man so eigentlich gar nicht braucht. Mich fasziniert, wie es ihm gelingt, Qualität zu schaffen und mit wenig Budget auszukommen. Und dann würde ich vielleicht Assemble nennen, weil ich immer das Gefühl habe, dass einfach die Freude an der Arbeit und am Prozess im Vordergrund steht.
Ihr arbeitet im Grenzbereich zum Design …
Max Leo Maurer: Das bringt unsere Arbeitsweise mit sich. Aber für uns sind die Grenzen nicht wichtig. Für uns ist Möbelbau nicht in erster Linie Produktdesign; da geht es nicht darum, dass wir einen Stuhl entwerfen, der in Serie geht. Es ist eher ein Experimentierfeld, wir testen Materialien, lernen, sie zu verwenden, eignen uns ein Denken und Wissen an, das wir auch in der Architektur verwenden können. Die Disziplin ist für uns Mittel zum Zweck.
Laura Pfeiler: Wir haben uns zum Beispiel viel mit Einfamilienhäusern und den mit ihnen verbundenen Problemen beschäftigt. Das Ergebnis waren drei Transformationsszenarien für ein Einfamilienhaus. Damit das gesammelte Wissen die Personen erreicht, die die Siedlungen von morgen bauen, brauchen wir die Grafik. Dieses Wissen haben wir in Form von Flugblättern zusammengefasst und an Unis verteilt. So hilft uns Grafikdesign, Architektur zu vermitteln.
Max Leo Maurer: Wir reden aber eben auch von Design, weil wir es nicht Architektur nennen dürfen. Wir können uns mit unseren Arbeiten nicht als Architekt:innen bezeichnen, können nicht Kammermitglieder werden. Wir schaffen es eben nicht, neben der wissenschaftlichen Mitarbeit in der Uni und eigenen Projekten noch zwei Jahre Vollzeit in ein Büro zu gehen. Es sind zwar viele in unserem Umfeld in der Kammer, aber für uns geht das nicht. Wir sind auch schon entsprechend gewarnt worden, im Zusammenhang mit unserer Arbeit von Architektur zu sprechen. Man gehört ein Stück weit nicht dazu, wir werden nicht gehört. Man wird ein bisschen belächelt, als die neue Generation, die sich erst die Hörner abstoßen muss. Wir werden oft gefragt, was wir denn überhaupt tun.
Laura Pfeiler: Oft werden wir zu Vorträgen an die Hochschulen eingeladen – aber meistens von Studierenden. Das sagt ja schon viel. Wir sind eben kein großes Büro, das die Referenzen hat, um von Professor:innen eingeladen zu werden, wir gehören immer noch zu der jungen Generation, die versucht, etwas anders zu machen, auch wenn nicht immer alles klappt, wie wir uns das vorstellen.
Das heißt, die Studierenden sehen in eurer Arbeit etwas, das für sie selbst in Frage kommen könnte, sie sehen in eurer Arbeit einen Weg, den sie selber auch gehen könnten.
Laura Pfeiler: Was ich daran auf jeden Fall sehr gut finde und worauf wir ein großes Augenmerk richten, ist, dass wir den Studierenden vor allem die Angst davor nehmen wollen, etwas eigenes zu machen, selbst eine Initiative zu starten, etwas zu sagen und zu denken, weil nichts wirklich falsch ist. Wir können das vielleicht auch deswegen noch ganz gut, weil wir den Studierenden auf Augenhöhe begegnen, es ist ja für uns nicht so lange her, dass wir selbst studiert haben.
Max Leo Maurer: Ob wir im engeren Sinne ein Role Model sein können, weiß ich nicht, denn wir hatten auch eine ziemlich privilegierte Startposition. Wir hatten parallel zum Studium noch Zeit und Kapazitäten. Viele arbeiten parallel zum Studium, um überhaupt studieren zu können und haben gar keine Spielräume, selbst etwas zu beginnen. Manchmal fehlt aber auch das Selbstbewusstsein, und hier können wir vielleicht ein bisschen helfen.
Lehre und Wirklichkeit
Ihr seid auch in der Lehre tätig. Welche Schwerpunkte könnt ihr dort setzen?
Max Leo Maurer: Wir setzen, wenn es geht, dort an, wo wir die Menschen ermutigen können, etwas selbst zu bauen, zu initiieren, etwas, das einen direkten Bezug zu ihrer Realität hat. Wir sprechen mit ihnen über das, was sie interessiert, wo sie einen Bedarf sehen. Wenn jemand eine Bank vor seiner Haustür bauen will, an einem schönen Platz, wo die Sonne hinscheint, dann unterstützen wir ihn auch darin, das Geld dafür zusammenzubekommen, zu klären, wie das genehmigt werden kann.
Oder wenn jemand die leerstehende Garage seines Onkels umnutzen möchte, um darin Musik machen zu können, die dort andere weniger stört – das sind für uns Beispiele dafür, wie man in einem realistischen Rahmen, in einer realistischen Zeit etwas planen kann, was vielleicht die Chance hat, wie in einem Reallabor auch umgesetzt zu werden. So lässt sich im Prinzip ein kompletter Projektablauf in einem ganz kleinen Maßstab von der Idee bis zur Umsetzung in einem oder in zwei Semestern durchgehen.
Die zweite Idee für ein Projekt an der Hochschule betrifft die Einfamilienhäuser. Das ist ein Thema, das alle angeht, man kann klassisch Entwurf lehren und gleichzeitig gesellschaftlich relevante Fragen stellen. Fast jede kann dafür ein fiktives Projekt im eigenen Umfeld finden und dann mit den Leuten sprechen, die es betrifft, die in einem Einfamilienhaus wohnen. So lässt sich herausfinden, wieviel Platz Menschen eigentlich wirklich brauchen, ob sie bereit wären, ein Teil ihres Gebäudes abzugeben oder es zu teilen. Und wir arbeiten mit den Studierenden dann daran, wie man das lösen würde, sowohl gestalterisch als auch konstruktiv.
Laura Pfeiler: Das heißt, nah an der Person sich mit deren konkreten Bedürfnissen auseinanderzusetzen, aber auch, zu verstehen, wie Einfamilienhäuser gebaut sind, welcher Logik sie folgen und wie man sie umbauen könnte.
Wie war das, als ihr studiert habt?
Laura Pfeiler: Als ich studiert habe, gab es kein einziges Bestandsprojekt, es gab nur Neubauten; die Professor:innen hatten komplett andere Einstellungen als wir. Ich hab den Eindruck, dass sich das ändert.
Max Leo Maurer: Bei uns in Kassel gibt es jetzt Professor:innen, die sehr viel politischer arbeiten, die über die Gesellschaft nachdenken, wie etwa Gabu Heindl, die systematisch mit den Studierenden erfasst, welche Gebäude in Kassel leerstehen und wie man sie nutzen könnte. Die Stadt weiß ja oft gar nicht, welche Gebäude bei ihr in der Stadt wie genutzt werden, welche leerstehen. Das wäre ein Projekt, das ich mir als Studierender auch gewünscht hätte.
Ihr habt euch erst von dem befreien müssen, was als Architektur gilt, wie Architekt:innen sein sollten.
Laura Pfeiler: Vielleicht hat uns das auch stark gemacht, dass wir nicht immer in dem bestätigt wurden, was wir tun, dass wir mit Zweifeln und Widerstand umgehen mussten und gleichzeitig einen geschützten Raum hatten, um uns auszuprobieren; dass wir auch reflektieren mussten, warum wir unseren eigenen Weg gehen und wie wir damit umgehen, dass in Frage gestellt wurde, ob das überhaupt Architektur ist und an die Hochschule gehört. Aber manchmal wäre es doch auch schön, die Toleranz gegenüber dem, was wir leisten können, wäre auch in den Institutionen der Architektur größer.

https://www.polycarbonara.com/
Das Interview haben Lena Engelfried, Hanna Noller und Christian Holl am 15. Mai 2024 geführt.