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In der Wirtschaft und in den baubezogenen Berufen wird er als Allheilmittel für optimierte Ergebnisse angesehen: der Wettbewerb. Inbegriff freier Kreativität, segensreicher Konkurrenz fürs Beste vom Besten, markwirtschaftliches Wundermittel für preisgünstigste Leistungen. Die gebaute Umwelt lässt allerdings nicht erkennen, dass die gebetsmühlenartig vorgetragenen Versprechen gerade zum Architektenwettbewerb eingelöst werden. Bevor alsbald unfassbare Mengen Steuergeld ins Gebaute fließen, gilt es, den Wettbewerb zu hinterfragen.

oben: Wer baut wo und wie und warum und für wen? Wettbewerbsrelevante Fragen im Alltag… (Bild: Ursula Baus)

„Wettbewerb“ lautet das Mantra einer konkurrenzbetonten, kapitalistischen Gesellschaft. Wettbewerbsmentalität in Architektur, Stadtplanung und Ingenieurbau deutet darauf, dass sich die dort gefragten Berufe noch in „Kreativität“ üben und messen lassen wollen. Faktisch geht es beim Bauen aber um einen Wirtschaftszweig, hinter dem teils öffentliche Bauherrschaften stehen, aber mit 72 % dominiert die Privatwirtschaft.1) Hinzu kommt, dass ebenda die Immobilienfinanzierung mit Banken, Versicherungen, Aktiengesellschaften, Fonds maßgeblich an der Wertschöpfungskette beteiligt sind – und, nebenbei, das Bauen ordentlich verteuern.

Bevor ArchitektInnen zum Wettbewerb geladen werden, fallen Entscheidungen, die das Feld zwischen Qualifizierung und Quantifizierung abstecken. Die Quantifizierung des marktwirtschaftlich geforderten Wettbewerbs offenbart sich zunächst in einer groben (Architektur-) Projektkosten-Prognose, veritabel aber dann in den Ausschreibungs- und Realisierungsphasen, in denen die Preisgünstigsten den Zuschlag bekommen – in der Schweiz übrigens nicht. Dort wird aus guten Gründen der Zweitgünstigste beauftragt.

Investoren-Einerlei: Was hätten/ haben Wettbewerbe bewirkt? (Bild: Ursula Baus9

Investoren-Einerlei in Berlin: Was hätten oder haben Wettbewerbe bewirkt? (Bild: Ursula Baus)

Qualifizierung, so die uralte These, manifestiere sich dagegen in Architektur-Wettbewerben, in denen der oder die oder das Beste gefördert werden sollen und dezidiert Kreativität und Ideenreichtum gefordert sind. Aber bescheren uns Wettbewerbe wirklich eine gut und schön gebaute Republik? So sieht es hierzulande leider gar nicht aus.

Der Begriff „Wettbewerbsfähigkeit“ bezieht sich grundsätzlich in der Marktwirtschaft auf ein politisch bestelltes, wirtschaftsfreundliches Umfeld. Immer und immer wieder wird unternehmerisches Versagen damit entschuldigt, dass die politischen Rahmenbedingungen die „Wettbewerbsfähigkeit“ deutscher Unternehmen unterlaufe. Die Facetten von qualitativen und quantitativen Wettbewerben sind allerdings so komplex, dass sich Ursachen und Wirkungen überhaupt nicht linear formulieren lassen.

Le Corbusiers Stube im Haus, das er für seine Eltern am Genfer See gebaut hat. (Bild: Wilfried Dechau)

Le Corbusiers Stube im kleinen Haus, das er für seine Eltern am Genfer See gebaut hat. (Bild: Wilfried Dechau)

Gerade im Bereich Architektur überlappen sich Aspekte des marktwirtschaftlichen und kreativen Wettbewerbs oft recht intransparent. Den Wettbewerb erklärt die Bundeszentrale für politische Bildung den Wettbewerb sowohl als Leistungsgarant als auch als Instrument kostengünstiger Produktion.2) Wir wissen aber alle: Das teuerste Haus ist keineswegs immer das beste und schönste, das beste und schönste Haus keineswegs immer das teuerste. Das Zusammenwirken von Baukunst- und Wirtschaftswettbewerb kennzeichnet den Architekturwettbewerb in prekärer Gemengelage.

Idee und Bau

Beim „Tag der Architektur“ werden Jahr für Jahr für gut befundene Bauten zum Anschauen empfohlen. Nicht flächendeckend, weil nicht in allen Bundesländern kuratiert, aber in einer Art „Wettbewerb“, am 28. und 29. Juni ist es dieses Jahr wieder so weit.3) Nur ein Bruchteil des Empfohlenen davon ist Wettbewerbserfolgen zu verdanken.


Ende Juni ist es wieder so weit: Am Tag der Architektur öffnen sich Türen zu vorbildlicher Architektur – hier die Ankündgung auf der Website der Bundesarchitektenkammer

Ende Juni ist es wieder so weit: Am Tag der Architektur öffnen sich Türen zu vorbildlicher Architektur – hier die Ankündigung auf der Website der Bundesarchitektenkammer

Professionell in jeder Hinsicht verfolgen die Kollegen von wettbewerbe aktuell die Entscheidungsstrukturen in diversen Ausschreibungsverfahren in Entwurf, Ausführung und Aufgabenübernahme. Es sind primär öffentliche Bauaufgaben, in denen Wettbewerbe natürlich Pflicht sind: Kindergärten, Kitas, Feuerwachen, Schulen, Rathäuser, Forschungsbauten weniger im geistes- als im naturwissenschaftlich-technischen Bereich, mehr und mehr Freiraum- und Landschaftsgestaltungen.

Nicht wenige Büros nehmen an Wettbewerben allerdings kaum noch teil, weil die Wettbewerbsteilnahmen teuer sind, eine Realisierung durchaus nicht gesichert ist, die Verfahrensschritte enorme Zeit beanspruchen und je nach Verfahren auch richtig Ärger machen. Was aus den Büros nur hinter vorgehaltener Hand angesprochen wird. Hamburgs früherer Bausenator Jörn Walter wies vergangene Woche, am 22. Mai 2025, bei einer Veranstaltung zudem darauf hin, dass Wettbewerbe im Kostensegment des Wohnungsbaus mit 125 Euro pro Quadratmeter zu Buche schlagen.4)

Im Laufe der Zeit haben sich – wir sind nun mal in Deutschland – bürokratische Bedingungen für Wettbewerbsverfahren breitgemacht. Bei der BAK heißt es zwar kurz und knapp: „Planungswettbewerbe gewährleisten die Wahl der besten Lösung der Planungsaufgabe und sind gleichzeitig ein geeignetes Instrument zur Sicherstellung der Planungsqualität und Förderung der Baukultur.“5)
Solche Optimierungs- und Superlativ-Beschwörung bei Wettbewerbsbefürwortern lässt schmunzeln, denn wer maßt sich an, um eine „beste Lösung“ zu wissen? Und wirft man einen Blick in die maßgeblichen „Richtlinien für Planungswettbewerbe“ von 2013 und alles, was seitdem dazu kam, und berücksichtigt man die Zuständigkeiten bei der EU, beim Bund und den Ländern – dann ahnt man, welche bürokratische Komplexität im Wettbewerbswesen durch die Interessenlagen der am Bau Beteiligten verursacht worden ist und die das „Beste“ aus dem Blickfeld geraten lässt.6)

100 % Wettbewerb, eine Initiative des BDA Bayern

100 % Wettbewerb, eine Initiative des BDA Bayern

Nun hat der BDA Bayern inzwischen mit seiner Initiative „100 % Wettbewerb“ die dominierenden VgV-Verfahren der Öffentlichen Hand beklagt, in denen Transparenz und Fachkompetenz keine Rolle mehr spielten.7) Die Kritik ist sicher berechtigt, aber ob der „Wettbewerb“ die einzig wahre Alternative ist, sei dahingestellt.

Im grauen Vorfeld

Wettbewerb ist in vielen Fällen nicht mehr Wettbewerb. Und private Bauherrschaften, das muss immer wieder gesagt sein, machen meistens sowieso was sie wollen. So sind in der Bundeswettbewerbsstatistik 2022 insgesamt 406 Wettbewerbe erfasst, davon waren 89 Wettbewerbe privat.8) Die Kommunen haben – trotz Konzeptvergabeverfahren – redlich Mühe, an wichtigen Orten private Bauherrschaften zu Wettbewerben zu animieren und diese zu beeinflussen.

Zudem hat sich das nähere Vorfeld von Wettbewerben stark geändert. Oft macht man erst einmal Machbarkeitsstudien, die mit der Intentionslage potenzieller Bauherrschaften hinterlegt sind. Was überhaupt denkbar ist, wird in diesem Verfahrensschritt durch intendierte „Machbarkeit“ jedoch erst einmal eingeengt. Wenn im Vorfeld BürgerInnen „mitgenommen“ werden wollen, dann wird es echt kompliziert – dies im Einzelnen auszuführen, ginge hier zu weit.

Es gibt auch Projekte, bei denen man Verhaltensweisen von ArchitektInnen durchaus in Frage stellen kann. So entsteht in Karlsruhe beispielsweise ein „Forum Recht“ – eine gute Sache, wo Bundesverfassungsgericht, Bundesgerichtshof (BGH) und Bundesstaatsanwaltschaft in der „Stadt des Rechts“ fußläufig beieinander liegen. Nun gibt es auf dem Grundstück des BGH ein Zipfelchen, das als Baufenster des Forum Recht auserkoren ist. Mit welchem Architekten ich auch hingehe: Alle finden den Standort falsch, zumindest ziemlich ungeeignet. Dringend wäre im Vorfeld des Wettbewerbs für eine offene Debatte über den Standort zu sorgen, vehement könnten sich ArchitektInnen gegen ihn aussprechen. Aber gefragt, ob sie beim Wettbewerb für das Zipfelchen teilnehmen würden, heißt es bei den Kollegen dennoch: Na klar!

Hier bestätigt sich, wie wichtig eine Orts- und Programmfestlegung im Vorfeld jedes Wettbewerbs ist – weil sie von Teilnehmenden nicht hinterfragt werden kann. Dies ist eine große Schwäche von Wettbewerben, denn wer sich teilnehmend mit vernünftigen Gründen von einer Vorgabe löst, wird ausgeschlossen oder bekommt mit einer Anerkennung oder ähnlichem allenfalls eine Art Trostpreis. Was tun?

Zu manchen Wettbewerben werden TeilnehmerInnen ausgewählt, wobei sich in den Teilnehmerfeldern gelinde gesagt: Merkwürdigkeiten offenbaren. Es geht angeblich um Qualifizierung und Evaluationen der Teilnehmenden, die oft nicht nachvollziehbar sind. Wer in einer Wettbewerbsaufgabe wenig oder keine Erfahrung hat, wird nicht eingeladen. Und wer explizit kompetent ist, manchmal leider auch nicht.

Und was gibt es nicht alles für Wettbewerbsvarianten! Ideenwettbewerbe, Realisierungswettbewerbe, offene Wettbewerbe und nichtoffene, in denen TeilnehmerInnen bereits „gesetzt“ sind. Welche? Warum? Es gibt mehrphasige Wettbewerbe, Kooperative Verfahren und allerlei Mischformen, zudem die „Konzeptverfahren nach Qualitätskriterien“. Dann gibt es – gelegentlich tagelange – „Workshop-Veranstaltungen“ mit großen Aufgaben und Stararchitekten-Beteiligungen – und die wetteifernden Ergebnisse landen in Schubladen.

Dann geht’s weiter

Es schließen sich an Wettbewerbe üblicherweise verschiedene Verfahrens- und Entscheidungsschritte an. Solche Entscheidungsschritte und Ideenwerte legen vieles fest – ein Beispiel: In einem sehr prominenten und gesellschaftsrelevanten Projekt geht es konkret um ein „Haus der Demokratie“ in unmittelbarer Nähe der Frankfurter Paulskirche, die in der Geschichte der deutschen Demokratie eine herausragende Rolle spielt.9) Gesucht werden für einen engen städtebaulichen Kontext „Ideen“. Sind diese gefunden, folgt eine Bürgerbeteiligung. Was dann von den Ideen übrigbleibt, fließt in einen Realisierungswettbewerb. Und erst, wenn danach ein politischer Beschluss zu den Vorschlägen gefasst ist, geht es an das konkrete Bauvorhaben.
Wer an solchen Verfahren teilnimmt, muss ein sachliches, zeitliches und finanzielles Risiko in Kauf nehmen – von der frustrierenden Verschiebung qualitativer Kriterien in diesen Verfahrensschritten ganz zu schweigen.

Klaus Humpert (1929-2020) und Max Bächer (1925-2011) dominierten über Jahrzehnte die Jurys von Architektur- und Stadtwettbewerben. (Bilder: Wilfried Dechau)

Klaus Humpert (1929-2020) und Max Bächer (1925-2011) dominierten über Jahrzehnte die Jurys von Architektur- und Stadtplanungswettbewerben. (Bilder: Wilfried Dechau)

Wer war’s?

Kein Architekturwettbewerb kommt ohne JurorInnen aus, und die Älteren erinnern sich: Max Bächer und Klaus Humpert waren immer irgendwo dabei. Es sind die Verbands- und KammerpräsidentInnen gar häufig vertreten, und ein paar immer Wiederkehrende aus der Praxis auch. Die heutigen Bächers und Humperts kennen alle, die sich mit Wettbewerben befassen.

Die Erfahrung lehrt: Wer an Jurys teilnimmt, hat seine Strategien, seine favorisierte Richtung und kennt seine Pappenheimer. Es sprechen sehr viele Gründe dafür, Verbands- und Kammervertreter weitgehend auszuschließen, denn sie vertreten allzuoft die Interessen ihrer anempfohlenen ArchitektInnen – und nicht die des gemeinwohlorientierten Bauens. Das ist ihnen nicht vorzuwerfen, so müssen sie es eben machen. Immer mal wieder neue Gesichter, junge oder alte; praktizierende, kritisierende oder schreibende, kuratierende oder lehrende oder sonstige VertreterInnen des Architekturschaffens könnten für größere Entscheidungsvielfalt sorgen. Denn die fehlt, blickt man aufs Gebaute, in sehr vielen Ergebnissen.

Wenn sich JurorInnen nicht einig sein, argumentativ nicht mehr weiterkommen, einander nicht wirklich verstehen, dann setzt sich mehr und mehr das Voting durch. Was ich nicht gut finde, denn die qualifizierende Auseinandersetzung mutiert zur quantitativen. Aber gut, alle JurorInnen müssen am selben Tage noch nach hause kommen…

Bevor der Geldregen fällt

Gewiss geht es nicht darum, den Architekturwettbewerb als solchen zu verunglimpfen. Was sich aber im Laufe der Zeit Interessen verlagernd, bürokratisch, normativ, personell verändert hat, gehört immer wieder auf den Prüfstand. Und gerade jetzt, wenn eine neue Bauministerin die Bagger rollen und viel mehr Bauen, Bauen, Bauen sehen will; wenn sie pragmatische und beschleunigte Lösungen anstrebt; und wenn ein Kanzler und ein Finanzminister so viel Geld wie nie zuvor in den Baumarkt pumpen und alle befürchten, dass das viele Geld irgendwo versickert: Dann sollte der Wettbewerb so schnell es geht von dem befreit werden, was seinem ureigenen, qualitativen Sinn nicht entspricht. Und zugleich kann der qualifizierende Sinn durch nicht zwingend neue, sondern vielleicht veränderte, vereinfachte Fassungen geschärft werden. Loslegen!


4) Jörn Walter, Kongress Zukunft Bau des BBSR, Bonn, 22.5.2025. Es ging um die Kostenanalyse „Hamburger Standard“.

Online: https://www.bezahlbarbauen.hamburg/baukosten-senken-potenziale-nutzen-ein-drittel-einsparung-moeglich-1016028

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