Mit dem Neubau von Max Otto Zitzelsberger ist das Freilandmuseum Oberpfalz in Architekturkreisen bekannt geworden. Man wird dem Gebäude aber nicht gerecht, wenn man es vom Kontext isoliert, in dem es entstanden ist, wenn man nicht nach dem Museum und dessen Bedeutung für einen Stadt-Land-Diskurs fragt.
Im Gespräch äußern sich der Direktor des Museums, Tobias Hammerl und Max Otto Zitzelsberger über konservative Narrative, über kulturelle Konstruktionen und überraschend viele Menschen, die sich als Landbewohnende empfinden.
Ein Freilichtmuseum ist ein besonderer Museumstyp, ein Architekturmuseum, das eine Form vermeintlicher früherer Realität zeigt, dabei aber die Illusion eines einheitlichen Kulturraums erzeugt. Wie ordnen Sie auf diesen Museumstyp und diese Art der Konstruktion ein?
Tobias Hammerl: Freilichtmuseen entstanden in einer Reaktion auf Transformationsprozesse, mit denen Verlusterfahrungen verbunden waren. Diese Geschichte beginnt mit den ersten Freilichtmuseen im 19. Jahrhundert in Oslo und Stockholm und zur Jahrhundertwende in Deutschland als Reaktion auf die Industrialisierung. Man wollte ein Nationalbewusstsein und ein Regionalbewusstsein zum Ausdruck bringen, sich verorten in einer Phase des Umbruchs. Deswegen sind diese Museen natürlich Konstrukte, ebenso wie die architektonischen Typologien, die diesen Museen zugrunde liegen.
Wie die Volkskunde und ethnographischen Museen waren sie Ausdruck einer aus heutiger Sicht problematischen Kontinuitätsprämisse, einer Suche nach dem Ursprünglichen, auf einem die Nation begründeten Momentum bis zum Germanischen, das im Museum wiederhergestellt wurde. Auch wenn es ortstypische Bauweisen gab, die sich aus Materialverfügbarkeit und Klima, auch aus bestimmten Rechtsformen ergeben haben, darf man die sogenannten Hauslandschaften, so wie es dann formuliert worden ist, nicht als Kanon verstehen. Das „Typische“, im Sinne einer kulturellen Wertigkeit, wurde erst im Nachgang in diese Architektur eingeschrieben. Genauso falsch war es zu glauben, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt um den Chiemsee, um den Tegernsee oder in der Oberpfalz alle Menschen dieselbe Kleidung getragen haben, wie es uns Trachtenvereine glauben machen. Das Museum war ein Restitutionsraum für das vermeintlich Heile, das nicht durch Industrialisierung und Prekarisierung überformt wurde.
Insofern haben die frühen Freilichtmuseen eine Typologie und eine Idee der Hauslandschaften vertreten, die heute nicht mehr haltbar ist. Auf der anderen Seite wurde aber dort auch Wesentliches geleistet, denn durch sie wurde das erste Mal der wissenschaftliche Fokus auf die Alltagskultur und die Alltagsrealität der ländlichen Bevölkerung gerichtet, die bis dato in der Museumslandschaft, und damit bei den Institutionen, welche für die Kanonisierung des kulturellen Erbes verantwortlich sind, kaum eine Rolle gespielt haben.
Kontextualisierung und Konstruktion
Das Museum hier entstand aber deutlich später.
Tobias Hammerl: Verlust-Erfahrungen haben Menschen in vergleichbarer Weise in den 1970er-Jahren gemacht. Es setzte das bis heute anhaltende Höfesterben ein, die kleinteilige Landwirtschaft begann zu verschwinden, die Landschaft wurde durch Flurbereinigungen stark verändert.
Dieses Museum hier wurde 1986 eröffnet, geht aber zurück auf ein von einem Verein betriebenes Bauernmuseum in einem Dreiseithof in Perschen, der Ende der 1950er für einen Aussiedlerhof aufgegeben wurde. Der Bezirk Oberpfalz übernahm 1977 die Anlage und errichtete dann hier in Neusath, dem benachbarten Ortsteil der Stadt Nabburg, zusätzlich das Freilandmuseum Oberpfalz. Dieses Museum war zum damaligen Zeitpunkt ein Novum. Während bei den klassischen Freillichtmuseen es in erster Linie darum ging, die „typischen“ Häuser zu präsentieren – gern auch möglichst ästhetisch –, so wurde hier erstmalig ein Museum mit einem sogenannten Kulturlandschaftskonzept realisiert, sprich die Gebäude werden in einem Kontext gezeigt, der möglichst dem am ursprünglichen Standpunkt entspricht. Statt der spektakulären Einzelbauten legte mein Vorgänger Manfred Neugebauer sehr viel mehr Wert auf die räumliche, ökonomische und ökologische Kontextualisierung , sei es bei den Siedlungsformen, sei es bei den Böden und der Vegetation. Es wurden die Böden getauscht, damit Boden und Haus zusammenpassen, es wurde also das Haus und dessen Einbettung zusammengedacht, um die Gebäude besser erfahren zu können.
Also noch mehr Konstruktion, noch mehr Illusion?
Tobias Hammerl: Ja und Nein. Durch die Kontextualisierung verdichtet sich das Bild und das immersive Erlebnis, das die Besuchenden haben, birgt noch mehr die Gefahr, Bilder der „guten, alten Zeit zu erzeugen“. Tatsächlich ist dieses Bedürfnis nach der heilen Welt etwas, dem wir uns nicht entziehen können. Gleichzeitig haben wir aber gerade mit diesem Projekt „Köstlerwenzel“, dem Gebäude, das im Rahmen einer Forschungsarbeit am Fachgebiet Tektonik im Holzbau der RPTU Kaiserslautern entsteht, eben auch die Chance, die Konstruktion als eine solche dadurch sichtbar zu machen, dass wir hier neu im Zentrum des Museums, direkt angrenzend an die alten Bauten, einen Neubau einfügen. Und zwar nicht im Sinne von blindem Dekonstruktivismus, sondern dadurch begründet, dass der Vermittlungsauftrag und der Bildungsauftrag des Museums im Zentrum steht; und deswegen muss das Gebäude, das diesem Vermittlungsauftrag dienen soll, eben auch ins Zentrum. Und obwohl ich Widerspruch oder negative Reaktionen erwartet habe, sind die bislang ausgeblieben. Vielleicht unterschätzen wir die Besuchenden auch.
Max Otto Zitzelsberger: Dieses Haus ist ins Museumskonzept eingebettet – es ist ja nicht einfach ein Neubau, sondern einer, der sehr langsam entsteht, der mit lokalem Material errichtet wurde, der etwa auch eine lokale Berufsfachschule einbezieht.
Zusammenspiel Mensch – Objekt
Welche Rolle spielt denn dann in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung mit Bauweisen, mit Baustoffen oder mit Baupraxis mit Stoffkreisläufen?
Max Otto Zitzelsberger: Man sollte die Vergangenheit nicht zu sehr idealisieren. Wir haben im Rahmen unserer Forschungsarbeit auch festgestellt, dass die Menschen vor der Industrialisierung mit den Ressourcen nicht so sorgfältig umgegangen sind, wie wir das heute glauben wollen. Gerade was den Abbau von Holz angeht wissen wir inzwischen auch, dass der Oberpfälzer Wald bereits seit dem Mittelalter geplündert wurde und sich erst durch eine behördlicher Steuerung stabilisieren konnte.
Tobias Hammerl: Interessant ist doch die Frage, wie uns ein Reflektieren des damaligen Bauens dabei helfen kann, Strategien dafür zu entwickeln, wie wir heute bauen. Ein Punkt, der für mich an dem Gebäude am spannendsten ist, sind die Anbauten, die sich aus unseren historischen Gebäuden abgeleitet haben. Hier kann man sehen, dass für Funktionen, die im normalen Baukörper nicht mehr unterzubringen waren, angebaut wurde – dass das Bauen ein Prozess war, der nicht irgendwann aufgehört hat. Das finde ich mindestens genauso spannend wie die Frage, ob wir das Holz aus unserem eigenen Wald holen. Das war nämlich auch eine sehr pragmatische Entscheidung – weil Holz zu kaufen das Budget mehr belastet hätte, als wenn die Menschen, die hier arbeiten, Holz in unserem Wald schlagen.
Wie ist dieses Gebäude nun konkret in die Museumsarbeit eingebunden?
Tobias Hammerl: Dafür muss man etwas ausholen. Vor fünf Jahren haben wir uns ein neues Grundsatzverständnis erarbeitet, in dessen Rahmen wir neben dem Objekt und dessen Kontext auch das Subjekt wieder stärker berücksichtigen. Wir wollen das Subjekt wieder sichtbar machen, weil man ja die Subjekte in den Gebäuden eigentlich kuratorisch ausradiert hat. Das Objekt hat aber nur dann eine Aussagekraft, wenn ich auch das Subjekt einbeziehe, den Menschen, der es herstellt, nutzt, verändert; auch etwa, wie sich ein Objekt in unterschiedlichen Nutzungen, unterschiedlichen Bedeutungen und Wertigkeiten entwickelt. Ein Schrank war beispielsweise zunächst einmal eine Hochzeitsgabe, dann war es ein Möbel und zum Schluss nur noch ein Hühnerstahl, weil kein Mensch sich mehr dafür interessiert hat. Bis ihn dann ein gebildeter Akademiker gekauft hat, für den der Schrank nochmal etwas bearbeitet wurde, damit man ihn verkaufen kann. Die Häuser sahen im Innern auch oft anders aus, als sie sich jetzt präsentieren. Und in dieses Konzept binden wir den Neubau ein, gerade auch dadurch, dass wir ihn nicht als fertiges Produkt präsentieren, sondern mit ihm arbeiten.
Das heißt, sie binden nicht nur das Subjekt ein, das mit dem Exponat verknüpft ist, sondern auch die Besuchenden?
Tobias Hammerl: Genau. Wir können Wissen nutzen, Menschen für unsere Arbeit gewinnen. Wir verstehen den Besuchenden als Teil des Museums, sie gehören als Teilhabende mit dazu.
Gibt es ein Beispiel dafür, was das konkret bedeuten kann?
Tobias Hammerl: Wir bieten beispielsweise auf Anregung von Besuchenden Zillenführungen an. Diese Idee wurde an uns herangetragen, um einen Wasserweg als Transportweg mit Zillen, den flachen Transportbooten, wieder erlebbar zu machen; das ist mittlerweile Teil unseres Programms.
Das spielt für uns eine große Rolle, weil damit auch der rein auf das bäuerlich-agrarisch gerichtete Fokus etwas aufgebrochen wird. Denn auch das ist eine Konstruktion. Der ländliche Raum war in vielen Aspekten auch einer der Produktion, des Bergbaus, in der Oberpfalz gab es jahrhundertelang Eisenverhüttung und Braunkohletagebau. Heute wird das Land rein bäuerlich gesehen, das war aber so nie der Fall. Wir haben hier in der Oberpfalz dafür zwar ein eigenes Bergbau- und Industriemuseum in Theuern, aber ich hätte gerne auch hier im „bäuerlichen“ Freilandmuseum eine Industrieanlage, damit wir diesen Blick aufs Ländliche etwas befreien von der Illusion des Einfachen, Ursprünglichen.
Sehnsucht nach der übersichtlichen Welt
Max Otto Zitzelsberger: Diese museale Trennung von Bäuerlichem und Industriellem verstärkt die Konstruktionen von Region und Identität – also Narrative, die eher konservativ sind. Ich habe viele Jahre am Lehrstuhl von Florian Nagler gearbeitet und die Szene des ländlichen Bauens ist mir sehr vertraut. In gewisser Weise werden hier diese Narrative immer wieder bedient: Dass die Leute früher eben gewusst hätten, wie man bauen muss; dass ihr Verhältnis zur Umwelt ein „natürliches“ gewesen sei. Die Sehnsucht danach, dass es mal eine Zeit gab, in der die Welt übersichtlich war, wird mit dem sogenannten „einfachen Bauen“ unbewusst oder bewusst bestätigt. Es ist erstaunlich, wie erfolgreich sich diese Sehnsucht nach dem Einfachen bedienen lässt. Die politische Konnotation bleibt da meines Erachtens aber zu sehr außen vor. In unserem Architektur-Diskurs wird das völlig unpolitisch gesehen. Dennoch stelle ich mir die Frage, ob es denn Wege gibt, über Region und Vergangenheit zu arbeiten, ohne damit eine Identität zu konstruieren?
Tobias Hammerl: Eigentlich nicht. Man kann seine Umwelt nicht erfassen, ohne deren Vergangenheit zu beschreiben, und sobald man sie beschreibt, definiert man sie aus seinem Blickwinkel, aus einer Position heraus, die mit Interessen und Wünschen versehen ist. Man kann nicht nicht konstruieren.
Sehen Sie die Gefahr, dass Ihre Arbeit, das Museum politisch instrumentalisiert werden – als Gegenbild zur Moderne, als Gegenbild zur Welt der globalen Vernetzung, wie das eben anklang?
Tobias Hammerl: Man muss sich klarmachen, dass Museen, seit sie als fürstliche Kunst- und Wunderkammern gegründet worden sind, politisch instrumentalisiert wurden, auf die eine oder andere Weise. Museen sind gesellschaftliche Institutionen und damit per se politisch. Ich bin der Meinung, dass man zum Scheitern verurteilt ist, wenn man versuchen würde, sich dem zu entziehen. Museen als gesellschaftliche Institutionen sind in der Regel Macht erhaltend, sie stützen also die herrschenden Verhältnisse. Dessen muss man sich bewusst sein und vorsichtig mit der dieser Rolle umgehen, so dass kein Schaden entsteht. Idealerweise gelingt es, sich soweit von dieser zugeschriebenen Rolle zu emanzipieren, dass man frei am Diskurs teilnehmen kann. Dafür ist es wichtig, die Museumsarbeit auf der evidenzbasierten wissenschaftlichen Erkenntnis aufzubauen. Das zweite ist, dass der ethische Kanon als Grundlage nicht in Frage gestellt wird und drittens, dass wir transparent bleiben in dem, was wir tun. Und schließlich ist es auch wichtig, jeden Gast auf Augenhöhe zu begegnen und dessen individuellen Bedürfnissen ernst zu nehmen. Dass wir es genauso akzeptieren, wenn Menschen hierherkommen, weil sie hier gerne spazieren gehen. Es ist dann unsere Aufgabe mit einem ausdifferenzierten Angebot zu schauen, möglichst jeden zu erreichen.
Aber wir haben als Freilandmuseum eine große Chance, weil sich in vielen der Konflikte, die wir zur Zeit diskutieren – Energiewende, Folgen des Klimawandels – klassische Stadt-Landkonflikte abbilden, die sich bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen lassen und daraus entstehen, dass in urbanen, elitären Milieus etwas diskutiert und entschieden wird, was dann im ländlichen Raum einen unglaublichen Impact hat. Und da haben wir tatsächlich als große Kultureinrichtung auf dem Land eine hervorragende Ausgangslange, um Menschen zu erreichen, die man mit typischen städtischen hochkulturellen Angeboten nicht erreicht. Und damit sind die Suburbs, die Randlagen genauso gemeint. Wir haben gerade erst ein Seminar mit Studierenden zum Thema „Das suburbane Dorf“ gemacht. In Interviews haben wir festgestellt, dass auch Menschen aus den Suburbs, in den sogenannten Speckgürteln sich oft als Landbewohnende sehen. Wir könnten hier als Institution moderierend wirken.
Also, das heißt ja, dass Landbewohnende:r zu sein als eine Qualität empfunden wird. Und diese Qualität vielleicht gerade auch in der Abgrenzung zum Städtischen besteht?
Tobias Hammerl: Viele dieser Menschen sind tatsächlich in der ersten oder zweiten Generation Binnenmigrant:innen. Das heißt, Eltern oder Großeltern kommen noch vom Land. Und hier sind viele Anknüpfungspunkte für das eigene Selbstverständnis und die eigene Geschichte gekappt worden, auch beim Schleifen der patriarchalen Strukturen sind diese verloren gegangen. Die progressiven Kräfte haben es versäumt, neue Anknüpfungspunkte oder neue Rollenverständnisse zu generieren, die diesen Menschen vermittelbar sind. Wer nicht mehr an das kulturelle Ideal des aufgeklärten, großbürgerlichen Stadtmenschen anknüpfen kann, sucht sich ein anderes Bild, woran er sich orientieren kann. Und da ist eben dann der ländliche Raum, wo die Welt vermeintlich noch in Ordnung ist, die Projektionsfläche. Und deswegen wirkt der ländliche Raum identitätstiftend bis weit in die Stadt hinein. Wenn es uns gelingt, dieses Bild zu differenzieren und etwas zu korrigieren, können wir etwas für einen Blick auf die Stadt-Land-Verflechtungen tun, und vielleicht erkennen wir dann auch andere Potenziale in diesem Raum, wie sie etwa auch Peter Haimerl in Blaibach genutzt hat.
Bereits zu Studienzeiten war er als Kulturvermittler und freier Mitarbeiter an verschiedenen Museen und Ausstellungshäusern tätig. Im Jahr 2005 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Stadtmuseums Abensberg, dessen Leitung er 2006 übernahm und bis 2019 innehatte. Seit 2020 ist er der Leiter des Freilandmuseums Oberpfalz.
Tobias Hammerl nahm beziehungsweise nimmt Lehraufträge an den Universitäten Passau und Regensburg mit Schwerpunkt Alltagskultur des Ländlichen, Suburbanismusforschung und Museologie wahr und ist Referent der Bayerischen Museumsakademie.
Weitere Information über das Freilandmuseum Oberpfalz findet sich auf dessen Internetseite >>>
Das Lernhaus für Umweltbildung entsteht im Rahmen einer interdisziplinären Lehr- und Forschungsarbeit am Fachgebiet Tektonik im Holzbau der RPTU Kaiserslautern, Jun.-Prof. Max Otto Zitzelsberger >>>
Das Interview hat Christian Holl am 7. November 2024 geführt