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Zukunftsbilder sind Projektionen und bauen auf dem Bekannten auf – genau das zeichnet auch KI aus. Im Bild eine Visualisierung von Köln im Jahr 2045; der Verein Realutopien macht mit dieser Projektion nach eigenem Verständnis „positive Zukunftsvisionen erfahrbar und öffnet neue Horizonte.“ (Bild: Reinventing Society / loomn, CC BY-NC-SA 4.0, Foto: Maximilian Schönherr) Weitere Zukunftsbilder >>>

Die Verwendung von KI beginnt zur nicht mehr hinterfragten Selbstverständlichkeit zu werden. Damit werden Entwicklungen beschleunigt, die ohnehin schon länger zu beobachten sind. Es stürzt ein, was schon lange auf wackligen Beinen steht. Das kann eine Chance sein.

„Im Grunde sind alles Ideen aus zweiter Hand: bewusst oder unbewusst speisen sie sich aus Millionen äußerer Quellen und wer sie gespeichert hat, benützt diese Ideen täglich mit dem zufriedenen Stolz dessen, der in dem Aberglauben lebt, er habe sie selber hervorgebracht.“ Man könnte meinen, hier verteidigt ein:e Techkonzern-Repräsentant:in die Nutzung von Daten für die KI-Anwendung – etwa die von Social Media-Accounts. Erst kürzlich wieder gingen Aufrufe um, der Nutzung der eigenen Daten auf Instagram und Facebook für KI zu widersprechen. Tatsächlich ist der Satz aber einem Text von 2007 entnommen, er stammt von Jonatham Lethem, 2011 hat ihn David von Gehlen in „Mash up“, seinem „Lob der Kopie“ zitiert. (1) Statt um KI geht es bei von Gehlen darum, dass der Begriff des Originals brüchig ist und die Grenze zur Kopie nicht selten einfach zu ziehen ist. Dem wird man sich erst recht in einer Zeit widmen müssen, in der das vermeintliche Lernen der KI darin besteht, sich unentwegt auch urheberrechtlich geschützter Werke zu bedienen, ohne dass die Rechteinhaber davon profitieren würden – und das betrifft eben auch die Werke von Architekt:innen. Es scheint, als habe von Gehlen vor 14 Jahren die Flucht nach vorne angetreten: „Wir können nicht nicht kopieren“, heißt es auf dem Klappentext. Dann tun wir es doch! Dass den Dingen aber mit einer fröhlichen Naivität nicht gerecht zu werden, zeigt sich schon darin, dass das „Wir“ diffus bleibt: Wer beim Kopieren mittels Künstlicher Intelligenz profitiert und wer die Opfer all der digitalen Geschäftsmodelle sind, bleibt in der Schwebe. Vielleicht hilft uns die Idee einer Flucht nach vorne aber doch.


Bedrohung und Wahrscheinlichkeiten


Zwar taucht der Begriff„Künstliche Intelligenz“ (oder einer der sonst synonym verwendeten Begriffe) im über 50-seitigem Glossar bei von Gehlen nicht auf, dennoch macht sein Beispiel deutlich, dass wir keineswegs Neuland betreten, das zeigt auch die Fülle all der weiteren vor ChatGPT erschienenen Veröffentlichungen über die kulturellen und gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung, den damit verbundenen Transformationsprozessen oder der Entscheidungsfindung mit KI. Was nicht heißt, dass sich in den letzten Monaten und Jahren nichts geändert hätte. Die Verunsicherung durch KI-generierte Bilder und deren Aneignung einer „globalen Rechten“ etwa ist eine der aktuellen beunruhigenden Entwicklungen. (2) Aber vielleicht hilft diese Bedrohung von rechts dabei, den großen Fehler zu vermeiden, den man im Umgang mit Technik machen kann: Sie für unschuldig zu halten und jener „globalen Rechten“ nur einen Missbrauch eines ansonsten neutralen Instruments zu unterstellen. „Daten wie Variablen sind immer schon ‚gekocht‘, das heißt sie wurden durch kulturelle Operationen erzeugt und in kulturellen Operationen geformt. Mit jeder Nutzung der produzierten Daten, mit jeder Ausführung eines Algorithmus werden die eingebetteten Annahmen aktiviert. Und die in ihnen erhaltenen Positionen wirken mit an der Welt, die der Algorithmus generiert und präsentiert“, so der Medienwissenschaftler Felix Stalder 2016. (3)

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Mit KI produziertes Traumhaus. Es zeichnet eine ländliche Idylle, die mit der Wirklichkeit des ländlichen Raums wenig zu tun hat. Wirkungsvoll ist es dennoch. (Bild: Marco Verch, CC-BY 2.0)

Unschuldig kann Technik allein schon deshalb nicht sein, weil sie keine eigene Person ist, die Entscheidungen träfe: Nur wer schuldig werden könnte, kann unschuldig sein. Auch die KI trifft keine Entscheidungen, sondern ermittelt aus Wahrscheinlichkeiten und dem eingespeisten Material ein Ergebnis einer ihr gestellten Aufgabe. Sie kann darin immer nur das einbeziehen, was es bereits gibt. Das ist zwar ziemlich viel. Aber es bietet immer nur eine Grundlage, um Entscheidungen zu treffen, auch in der Hoffnung, dafür eine valide Grundlage zu bekommen. Und selbst noch die Entscheidung, das wie auch immer entstandene Ergebnis eines KI-Vorgangs zu benutzen, ohne es weiter zu hinterfragen, ist eine Entscheidung, und zwar nicht die des KI-Programms: Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung. Sich allein auf KI zu verlassen, ist aber nicht in allen Fällen risikomindernd; denn sie wird Unvorhergesehenes ebensowenig als wahrscheinlich präsentieren (4), wie es Entwerfenden abgenommen werden kann, vom Bekannten abweichende, tatsächlich neue Lösungen vorzuschlagen.


Energiemonster und Mikroarbeit


Unschuldig ist diese Technik auch deswegen nicht, weil sie mit vielen Konsequenzen einhergeht. Der Energieverbrauch, der durch KI-Programme, deren Entwicklung und Fortschreibung nötig ist, ist enorm hoch. Eine einfache Anfrage bei Chat-GPT verbraucht etwa 10 mal soviel Energie wie eine auf Google, beziffert wird dieser Verbrauch auf knapp 3 Wh oder 564000 kWh im Jahr. (5) Schätzt man, dass ein 3-Personen-Haushalt in einer Wohnung 2600 kWh im Jahr verbraucht (6), hieße das, dass mit dieser Energie 216 Dreipersonen-Haushalte ein Jahr lang versorgt werden könnten. Klingt überschaubar. Aber: Allein für das Training von ChatGPT3 sollen knapp 1,3 Mio. Kilowattstunden verbraucht worden sein, bei der Version 4 waren es schon 16,5 mal soviel (7) – das ist dann schon der Jahresenergieverbrauch von 8250 Haushalten oder knapp 25000 Menschen. Und es gibt ja nicht nur ChatGPT. In Frankfurt, einem der wichtigsten europäischen Netzknoten mit den meisten Datencentern –  82 gibt es, 27 sind in Planung (8) –, führt unter anderem deren Energiebedarf dazu, dass die Ansiedlung weiterer Datencenter restriktiver gehandhabt wird.(9) In Deutschland verbrauchen Datencenter 20 Terawattstunden im Jahr, also 20 Mrd. kWh – also soviel wie etwa 7,7 Mio Exemplare unseres Dreipersonenhaushalts und 23 Mio. Menschen. Für 2045 ist eine Vervierfachung des Strombedarfs der Datenspeicher zu erwarten.(10) Auch wenn es gelingt Energie effizienter zu nutzen, Abwärme der Datencenter für Wohnungen etwa, ist der digitale Energiehunger groß. (11)

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Auch eine Grundlage für eine Zukunftsprojektion: Niedrigwasser des Rheins in Bonn. Das Flussbett ist zur hälfte ausgetrocknet. Trockenheit und Extremwetterereignisse werden zunehmen. (Bild: Sir James, Wikimedia Commons, CC BY SA 4.0)

Zurück zur KI. Der Stromverbrauch ist inzwischen zumindest dem ein oder anderen Menschen bekannt, weniger ist es der der Arbeit, die damit verbunden ist. „Je weiter der Ausbau der künstlichen Intelligenz voranschreitet, desto größer wird der Bedarf an menschlicher Arbeit“ –unter dieser auf den ersten Anschein tröstlich scheinenden Überschrift erklärt Antonio A. Casilli, was für eine Arbeit das ist.(12) Er nennt sie Mikroarbeit, die zum Training der Bots wie zu deren Überprüfung notwendig ist. Die Mikroarbeiter:innen finden sich vor allem in Niedriglohnländern, „auch postkoloniale oder neokoloniale Abhängigkeitsverhältnisse treten zutage“; zwar werden die Menschen nicht besonders schlecht bezahlt, aber dennoch bilanziert Casilli: „In einem Punkt jedoch stimmen alle Mikroarbeiter:innen, die wir interviewt haben, überein, im globalen Norden ebenso wie im globalen Süden, nämlich in der Unzufriedenheit mit ihren Arbeitsbedingungen und insbesondere mit ihrer Bezahlung.“ (13) Auch dies gehört zur KI – und ist die Kehrseite des uns drohenden Verlusts von Arbeit mit einem hohen Anteil an Routine-Tätigkeit (auch in der Tätigkeit von Architekt:innen und anderen so genannten kreativen Berufe).


Politisch werden


Es spricht also einiges dafür, mit den Versprechungen der KI vorsichtig und umsichtig umzugehen, denn deren Gebrauch hat Konsequenzen. Sie unreflektiert für Aufgaben innerhalb der bisherigen Prozesse und Arbeitsabläufe einzusetzen, stabilisiert zudem die Illusion, dass KI neutral ist, und damit auch die, dass es Architektur sei. Damit wird sie eines Potenzials beraubt und wie die KI instrumentalisierbar von denen, die genau wissen, wie Architektur für politische und wirtschaftliche Interessen eingesetzt werden kann. Es ist das Paradox dieser wie vieler anderer Techniken, dass man sie benutzen muss, um sich kritisch zu ihr verhalten zu können und das Potenzial zu nutzen das sie hat. Führen wir die hier zur Diskussion gestellten Aspekte zusammen, dann könnte sich eine produktive Perspektive ergeben. KI ist nicht unschuldig, oder, wenn wir es etwas deutlicher nennen wollen, sie zu verwenden ist nicht unpolitisch. Mit ihr wird die ohnehin schon länger in Frage gestellte Grenze zwischen Original und Kopie weiter infrage gestellt und sie trägt zu einer das demokratische Gemeinwesen unterminierenden Verunsicherung bei. Die Flucht nach vorne anzutreten, hieße, nicht an den Qualitäten zu kleben und die zu verteidigen, die schwer zu verteidigen sein werden. Das könnte beispielsweise bedeuten, Abschied davon zu nehmen, dass mit der Architektur Werke von autonomen Persönlichkeiten produziert werden, die eine nicht zu verändernde Qualität auszeichnet. „Die Idee des solitären Werks ist nicht nur theoretisch unmöglich, sondern – auch im Hinblick auf herausragende Werke – empirisch nicht haltbar“, so Felix Stalder. (14) Das gilt genauso für die Architektur – und gerade im Bauen im Bestand, der schon von vorneherein mehrere Autor:innen hat, gilt dies besonders; aber auch der Neubau sollte als der Bestand von morgen die Veränderung, Transformation, den Umbau schon in sich tragen.

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Das Bauen im Bestand stellt nicht nur die bisherige Praxis in Frage sondern unterhöhlt auch die Vorstellung einer autonomen Architektur als Werk eine herausragenden Persönlichkeit. Architektur ist vielmehr als ein Prozess zu sehen, der Optionen für die Zukunft offenhält, anstatt weiterhin vermeintlich endgültige Lösungen zu bieten. (Bild: Christian Holl)

Es gilt also, die Möglichkeiten und Risiken der KI als Anlass zu nehmen, über einen zeitgemäßen Begriff von Architektur und der Tätigkeit der Architekt:innen nachzudenken, eine ohnehin überfällige Neubestimmung vorzunehmen, sie von den Rändern, wo die meist jungen Kollektive, die dafür Anschauungsmaterial liefern, ins Zentrum des Berufsstands zu rücken. (15) Das würde im übrigen auch die gefährliche konservative Richtung zumindest ein wenig zu schwächen helfen, denn hier wird nicht selten ein Bild einer Vergangenheit konstruiert, das als vermeintlich heile Welt durch die Veränderungen der Moderne erst gestört und aus dem Gleichgewicht getragen wurden: „Die synthetischen Vergangenheiten erscheinen so für die digitale Gegenwart immer schon ästhetisch optimiert, unwirklich glänzend und von strahlender Glätte, zugleich nostalgisch und klischeebeladen.“ (16) Dem gilt es etwas entgegenzusetzen, was nicht mit der Glätte der synthetischen Vergangenheit konkurrieren will. Und zwar den Gewinn, den ein ganz anderer Weg versprechen könnte: den Raum für Aneignung, aber auch für politische Diskussionen zu öffnen, dann, wenn nicht behauptet wird, mit Architektur, Probleme endgültig zu lösen, sondern sie als ein Mittel einzusetzen, das Gespräch über das Zusammenleben immer wieder neu zu führen und anzuregen: Architektur als eine Angebot, für eine Fragestellung auch in Zukunft weitere und andere Lösungen zu finden, die durch die jetzige nicht verbaut wird. (17) Hierfür die Möglichkeiten der KI nicht nur zu nutzen, sondern sie zu entwickeln, sie zu prägen, gezielt und mit allen Skrupeln gegenüber den Wirkungen, den ihr Einsatz mit sich bringt, könnte sich lohnen und würde die Anwendung von KI von der Illusion lösen, sie sei ja eh „nur“ ein neutrales Instrument.


(1) Dirk von Gehlen: Mashup. Lob der Kopie. Frankfurt 2012 (Erstauflage 2011), S. 169
(2) Roland Meyer: Die Sprache des digitalen Faschismus. FASZ, 27. April 2025
(3) Felix Stalder: Kultur der Digitalität. Berlin 2017 (Erstauflage 2016), S. 193
(4) Vgl. Thomas Ramge: Augmented Intelligence. Wie wir mit Daten und KI besser entscheiden. Ditzingen 2020
(5) https://www.heise.de/news/ChatGPTs-Stromverbrauch-Zehnmal-mehr-als-bei-Google-9852126.html
https://www.t-online.de/digital/aktuelles/id_100416212/chatgpt-umweltbilanz-wie-viel-energie-die-ki-verbraucht.html
(6) https://www.adac.de/rund-ums-haus/energie/spartipps/stromverbrauch-im-haushalt/#stromverbrauch-von-3-personen
(7) https://www.bayern-innovativ.de/detail/stromfresser-ki-so-viel-soll-chat-gpt-gebraucht-haben/
(8) https://www.fr.de/frankfurt/in-frankfurt-streit-ueber-data-center-93441358.html
(9) https://www.fnp.de/frankfurt/beim-wachstum-digitaler-infrastruktur-geht-frankfurt-die-luft-aus-93714461.html
(10) www.fr.de/politik/der-energieverbrauch-von-rechenzentren-wird-drastisch-steigen-93624366.html
(11) https://www.cio.de/article/3698944/mainova-heizt-wohnungen-mit-waerme-aus-data-center.html
(12) https://www.soziopolis.de/je-weiter-der-ausbau-der-kuenstlichen-intelligenz-voranschreitet-desto-groesser-wird-der-bedarf-an-menschlicher-arbeit.html
(13) ebd.
(14) https://irights.info/wp-content/uploads/fileadmin/texte/material/Stalder_Remixing.pdf
(15) marlowes.de/jetzt-mal-im-ernst
(16) Roland Meyer: Die Sprache des digitalen Faschismus. FASZ, 27. April 2025
(17) Vgl. Gabu Heindl, Dehli Robnik: Nonsolution: Zur Politik der aktiven Nichtlösung im Planen und Bauen. Hamburg 2024