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In der Süddeutschen Zeitung wetterte Gerhard Matzig just (am 7. April 2025) über die Misere der Infrastruktur und zog die politisch Verantwortlichen zu Recht zur Verantwortung: die CSU-Minister, die systematisch die Infrastruktur in Deutschland ruiniert haben. Die Erwartungen in den aktuellen Koalitionsverhandlungen sind hoch. Schauen wir nur mal auf Bürokratie und Infrastruktur. Wer hat hier das Sagen, damit die Politik in den nächsten vier Jahren nicht versagt?

oben: Gestern Abend auf dem Weg von Stuttgart in die Nähe Mannheims, mit dem Zug unterwegs. Leidgeprüfte Bahnfahrer wissen: Den letzten Zug darf man auf keinen Fall nehmen. Am Gleis zeigt nun die Uhr eine falsche Zeit an, es ist vielmehr 21:30 Uhr. Das Gleis für den Zug nach Mannheim wird nach Adam Riese vom Zug nach Karlsruhe belegt sein. Es stimmt so gut wie nichts, was die Bahn kommuniziert. (Bild: Ursula Baus)

Um es kurz zu machen: Beide Züge fuhren wegen einer defekten Weiche in Zuffenhausen schließlich mit 100 beziehungsweise 45 Minuten Verspätung ab, Anschlüsse: nicht erreichbar. Das ist der Alltag in Deutschlands Infrastruktur, einer Katastrophe, die seit Jahrzehnten absehbar ist und von den zuständigen, meistens CSU-geführten Ministerien, wie Gerhard Matzig es beschrieb, beiseite geschoben wurde.1) Aber es muss immer wieder überprüft werden, wer diese Minister wie beeinflusste – denn genau diese Kräfte machen die aktuellen Koalitionsverhandlungen so aussichtslos und schädigen die Demokratie. Es sind geschätzt 35.000 Lobbyisten, die eigene Interessen statt die des Landes mit seinen 630 AbgeordneTinnen vertreten.

33.000 bis über 40.000 Lobbyisten regieren das Land

Etwa? Die unklare Zahl ergibt sich aus der Definition zur Pflicht des Lobbyregistereintrags. Da heißt es bei der Frage, wer sich nicht eintragen lassen muss: „…wenn ihre Tätigkeit nicht eine bestimmte Erheblichkeitsschwelle erreicht, weil sie nicht regelmäßig, nicht auf Dauer angelegt, nicht geschäftsmäßig für Dritte und nicht mit einer gewissen Häufigkeit betrieben wird…“2) Diese Ausnahmen lassen sich vielleicht mit einer Konkretisierung erklären: „Wenn es nur um Bimbes geht und wir nur beim Golf Spielen im Sommer eine Sommerparty verabreden, ohne die Sarah einzuladen, und uns dann erst wieder in Davos treffen – dann brauchen wir uns nicht ins Lobbyregister einzutragen“.

Zigtausend Lobbyisten repräsentieren nicht die Gesellschaft

Erst 1972 ist eine Lobbyliste des Bundestages eingeführt worden – die Angaben waren freiwillig. Und erst 2022 ist diese Freiwilligenliste durch das Lobbyregister des Deutschen Bundestages abgelöst worden. Noch 2011 war das Gesetz zum Lobbyregister an FDP und CDU/CSU gescheitert.

Wer hat Geld genug für Lobbyarbeit? 2022 gab es 4.376 Einträge im Lobbyregister des Deutschen Bundestages, 2025 waren es 7.164.3) Im Ganzen geht es derzeit „offiziell“ um etwa 37.000 Lobbyisten, bemerkenswert ist die Aufschlüsselung nach Tätigkeitskategorien4).
Die überwiegende Zahl von LobbyistInnen stammen aus „Unternehmen“ (27,8 %)5), darunter Tech-Unternehmen, der Tunnelbohrmaschinenspezialist Herrenknecht, einige aus der Automobilwirtschaft, einige aus der Energiewirtschaft – derzeit sind es bei Unternehmen 2.082 Einträge. Die Lufthansa führt in der Höhe der „finanziellen Aufwendungen“, und wenn man überlegt, dass die Kerosinbesteuerung eine Rolle dabei spielen könnte, ist das ja nur so eine Idee. BASF belegt Nr. 2 in der Aufwendungshöhe; es könnte sein, dass hier Energiepreise eine Rolle spielen. Honi soi qui mal y pense.

Man stößt in den vorderen Plätzen – mit Aufwendungshöhen um die 2 Millionen Euro – auf Huawei Deutschland, Bayer, Uniper, Bosch, Volkswagen, BMW, thyssenkrupp, die Telekom, die Deutsche Bank, die Commerzbank – auch auf die Post und die Bahn in hinteren Plätzen.

Geld regiert die Welt

Das ist ja nun gar keine neue Erkenntnis. Größter Einzel-Lobbyist im Bundestag ist folgerichtig mit Lobbyausgaben von 15.095.000 Euro der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Wen wundert es, dass die Absicherung finanzieller Risiken – um nichts anderes geht es dort – die dominante Rolle spielt. Auch im Bauwesen geht es mit Verteuerungen in der Wertschöpfungskette primär um Geld, was das „einfach Bauen“ elend schwer und riskant macht. Mit insgesamt 39.580.000 Euro werden für die Finanzlobby die höchsten Lobbyausgaben des Lobbyregisters ausgewiesen. Geldpriorität hat bereits in Europa die grundlegenden Segnungen der Aufklärung zunichte gemacht: Gewissen und Vernunft.

Das Hotel Adlon ist kein architektonisches Highlight, aber eine angesagte Adresse für "Events" diverser Art. (Bild: Bundespresseball.de)

Das Hotel Adlon ist kein architektonisches Highlight, aber eine angesagte Adresse für „Events“ diverser Art. (Bild: Bundespresseball.de)

Die Presse

„Unternehmensinteressen“ spiegeln sich auch im Bereich der aus meiner Sicht schon lang nicht mehr freien, weil in der Internet-Öffentlichkeit nicht mehr finanzierbaren Presse. Der jährliche Bundespresseball, organisiert von der 1949 unter Adenauer gegründeten Bundespressekonferenz (https://www.bundespressekonferenz.de/), bietet nun beste Gelegenheiten direkter Kontakte für Politik und Wirtschaft: „Der Bundespresseball ist die ideale Bühne, um in festlicher und zugleich entspannter Atmosphäre die eigene Unternehmensbotschaft zu präsentieren, wichtige Geschäftspartner einzuladen und das Thema Pressefreiheit zu unterstützen.“ Es werden auf der Website des jüngsten Bundespresseballs am 12. April 2025 im Hotel Adlon nun auch diese „Partner“ aufgelistet. Da tauchen sie wieder auf, Unternehmen des Lobbyregisters: Als „Goldpartner“ sind genannt: die Bayer AG, Hapag-Lloyd Cruises, die Philip Morris GmbH, die Unternehmen der Schwarz Gruppe und Uber. Als „Silber Partner“ werden genannt: ClimatePartner, Die Deutsche Automatenwirtschaft, DHL Group, eMotivo, Encore, Florale Welten, Arbeitgeberverband Gesamtmetall, Gmund Papier, L’Oréal, McCafé, Spielbank Berlin und Gesamtverband textil+mode.6) Und dann gibt es noch eine recht interessante Reihe von „Unterstützern“.7)
Die vermeintlich unabhängige Pressegemeinschaft ist nicht mehr in der Lage, aus eigener finanzieller Kraft das Event zu bestreiten. Aber gerade die Presse muss in jeder Hinsicht unabhängig vom Wohlwollen oder von Einflüssen aus welchen Kreisen auch immer sein. Sonst verliert sie ihre Glaubwürdigkeit.

„Eine Lounge mit Ihrem Branding lädt zu lebhafter Kommunikation ein und hinterlässt bei den Gästen einen bleibenden Eindruck.“ (Bild: Bundespresseball.de)

Regelungsvorhaben

Wer macht nun was unter den Lobbyisten? In den „Tätigkeitskategorien“ folgen privatrechtliche Organisationen mit Anerkennung der Gemeinnützigkeit nach Abgabenverordnung (21,95%)8) und 707 Wirtschafts- und Gewerbeverbänden und -vereine (11,79%); das sind zum Beispiel der Taxi- und Mietwagenverband, der Verband Maritime Wirtschaft; stark vertreten ist die Immobilienwirtschaft. Sortiert man in dieser Kategorie nach „Regelungsvorhaben“, liegt die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. weit vorn.

Diese „Regelungsvorhaben“ – das sind alle Entwürfe von Rechts- und Verwaltungs- vorschriften, die nach den §§ 43, 44, 62 Absatz 2 und 70 Absatz 1 der GGO mit einer Gesetzesfolgenabschätzung zu versehen sind – sind insofern interessant, als dass sie Teil der überbordenden, von allen beklagten Bürokratie sind. Derzeit tauchen zum „Bauwesen“ 526 Regelungsvorhaben auf.9) Und sieht man sich diese Regelungsvorhaben an, ahnt man: Das kann nicht gut gehen, wenn zum Beispiel der Fachverband Luftdichtheit und immer wieder Bitkom auftauchen.

Bei den genannten Tätigkeitskategorien dominieren mit 61,54% die explizit wirtschaftlichen Interessen. Repräsentativ für gesamtgesellschaftliche Konstellationen sind sie nicht.

Es folgen die 562 Berufsverbände (9%). Regelungsanträge werden, wen wundert’s, hier vom Deutschen Anwaltsverein angeführt (91), gefolgt vom Wirtschaftsrat der CDU e.V. (76). Niederschmetternd ist, dass die Tätigkeitskategorie Wissenschaft, Hochschule und Forschungseinrichtung bei gerade mal 1,68 % liegt. Darin manifestiert sich nicht etwa ihre Unabhängigkeit, sondern ihre schüttere Wertschätzung in der Politik.

Lobbyismus und Intellektuelle

Die Grenze zwischen legaler und krimineller Einflussnahme auf Abgeordnete ist in der Praxis nicht einfach zu ziehen. Die Rolle des Lobbyismus ist erst in den letzten Jahren mit wachsenden Pflichten zur Transparenz hinterfragt worden.10) Abgeordnetenwatch (2004 von Studenten initiiert, holprig institutionalisiert und auch von der Bundestagsverwaltung attackiert (https://www.abgeordnetenwatch.de/) sowie Lobbycontrol (seit 2005, seit 2006 gemeinnützig, https://www.lobbycontrol.de/) verdienen allen Respekt. Seit 25 Jahren verfolge ich das Thema Lobbyismus im Bauwesen – siehe Seitenspalte. Damals, 2010, lebte Günter Grass noch, der eine „öffentliche“ Geistesgröße mit politischem Einfluss war. Und damit eine eminent wichtige Korrektur zu all jenen, die auf die Politik mit Geld Einfluss nahmen. Damals konnte man sich auf Grass, der nahe an der Politik war, beziehen:

„Als Günter Grass vor kurzem meinte, die deutsche Demokratie sei nicht durch Extremismus von rechts oder links gefährdet, sondern durch Lobbyisten – da konnte man ihm sofort beipflichten und sich mit seiner Idee anfreunden, mit einem großen Besen alle Lobbyisten aus den Parlamenten zu fegen. Übrigens lässt sich Lobbyismus lernen – zum Beispiel in der Hertie School of Governance im ehemaligen Staatsratsgebäude mitten in Berlin, das für einen einzigen symbolischen Euro an die deutsche Wirtschaft verscherbelt wurde; diese School ist Mitglied im „Netzwerk Europäische Bewegung Deutschland“, einem Interessenverbund auf europäischer Ebene. Man kennt sich und netzwerkelt…“ (Quelle 2010: https://www.marlowes.de/protektion-in-deutschland/)

Piketty_SAandel

Thomas Piketty und Michael J. Sandel: Die Kämpfe der Zukunft. Gleichheit und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert. C.H. Beck, München, 2025. 158 Seiten ISBN 978-3-406-83247-5

Es ist bitter, dass die Wertschätzung von Intellektuellen in unseren Debatten darüber, wie wir leben wollen, in dem Rahmen gesunken ist, in dem die Wertschätzung materiellen Wohlstands stieg. Dass immer weniger Menschen hierzulande mehr „verdienen“ und immer weniger ihren „Wohlstand“ steigern, manifestiert sich über die Einflussnahme durch Wirtschaftslobbyisten darin, dass jegliche Steuererhöhungen für „Superreiche“ von CDU/CSU ausgeschlossen werden. Die Finanzlobby hat leichtes Spiel. Inzwischen auch strukturell in der Politik, in der die Besetzungen von Finanz- und des Wirtschaftsministerien wichtiger als alle anderen sind. Dieser Tage erschien dazu die Niederschrift eines Gesprächs zwischen dem französischen Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty und dem zwanzig Jahre älteren amerikanischen Moralphilosophen Michael Sandel unter dem Titel „Die Kämpfe der Zukunft – Gleichheit und Gerechtigkeit für das 21. Jahrhundert“.11) Wenn man gegenwärtig von Moral oder Ethik redet, wird man schon gleich als naiv und weltfremd abgewatscht. Aber nun:

Architektur, Verkehr, Bildung…

Piketty und Sandel thematisieren (vor Trumps Wahl!) die Ungleichheit ökonomischer Verhältnisse und beklagen als Ursache gegenwärtiger Polykrisen die ungleiche Verfügbarkeit von existenziellen Gütern wie Bildung, Gesundheit, Unterkunft, Verkehr und Ernährung. Und schlagen deswegen progressive Steuersätze bis zu 90 Prozent vor, wobei, diejenigen, die 90 Prozent zahlen müssten, es vielleicht gar nicht mal merkten. Sondern von ihren Steuerschlupfloch-kundigen, bestens bezahlten BeraterInnen mitgeteilt bekommen. Die erwähnten Themen sind ja nun genau die, die in den Koalitionsverhandlungen leider auch nur als Kostenfaktoren behandelt werden: Infrastruktur, Wohnen, Schulbau und so weiter. Wenn es der Koalition nicht gelingt, diese existenziellen Investitionen allen Einzelinteressen ihrer Wählerklientel vorzuziehen, die Superreichen zur Kasse zu bitten, die Beamtenpensionen auf das Niveau von Rentnern zu bringen, wird sie das gesamtgesellschaftliche Vertrauen weiter verlieren.

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Berlin, am Hauptbahnhof: Grundfläche mal Höhe = Rendite (Bild: Ursula Baus)

Baukultur?

Sie kommt kaum mehr vor. Wie schon vor Jahrzehnten sind die Immobilienbanken, mit denen die Renditen schuldenfinanzierter Immobilieninvestments optimiert werden können, näher an der Politik als alle Architektenverbände. BDA, BDB, die Kammern – diese vertreten leider ohnehin mehr die pekuniären und antiquierten Berufsinteressen von Architekten und Architektinnen als dass sie im Sinne der Baukultur handelten. ArchitektInnen stecken in ihrer Blase, beklagen schwindende Entwurfsspielräume und erkennen zu selten, dass sie selbst – vor allem mit „erfolgreichen“ Büros – Gefangene der Geldwirtschaft sind.

Bis Ostern soll der Koalitionsvertragsentwurf vorliegen, die CDU nutzt Trumps Horrortrip als Argument für die stärkere Berücksichtigung der Wirtschaftsinteressen. Wir wissen nicht, aber ahnen, dass mit Trump nicht vernünftig zu verhandeln ist. Vernünftig wäre, wenn die Verhandler ihr Ohr nicht oder auf keinen Fall primär Lobbyisten, sondern Intellektuellen schenken würden, die weiter und ja, auch gewissenhafter denken. Gewissenhaftes Handeln und vernünftiges Denken lassen die Havarie der Börsen, die heute (8. April 2025, 20 Uhr) Kinder-, Altersvorsorge- und Bundesfinanzen ad absurdum führen, in ihrer gesellschaftsschädigenden Banalität erkennen.

Zur Stunde zeichnet sich für die Koalitionsverhandlungen nichts anderes ab. Wir werden nach der Osterpause weiter berichten.


1) Gerhard Matzig: Marode in Germany. Für 500 Milliarden Euro wird die Infrastruktur ertüchtigt. Endlich. Aber ohne Strukturreformen kann man das Geld auch gleich verbrennen. In: Süddeutsche Zeitung, 7. April 2025, Seite 9

3) „Diese Zahl umfasst allein erstmalige Eintragungen im Register, nicht die Veröffentlichungen von Änderungen an den bestehenden Registereinträgen (insgesamt enthielt das Register zum Ende des Berichtszeitraums etwa 42.000 unterschiedliche Eintragsversionen) oder die Reaktivierungen von Einträgen, die bereits zuvor im Register veröffentlicht worden waren. https://www.bundestag.de/resource/blob/1059060/71f164571b1143b026de154ba147a535/Bericht-der-registerfuehrenden-Stelle-nach-9-Abs-1-LobbyRG.pdf

4) Stand vom 8.4.2025: https://www.lobbyregister.bundestag.de/startseite/tatigkeitskategorien-statistik

7) Airbnb, American Express, APA Brands Events Solutions, Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie, Collectors Wine World, der Spirituosenhersteller Diageo Germany, der Deutsche Brauer-Bund mit der Präventionskampagne „drinkresponsibly.de“, EPAM, EY, Geldermann Privatsektkellerei, Google, Hagleitner Hygiene, Halm – Trinkhalme aus Glas, Krombacher, picture alliance – Bildagentur der dpa Gruppe, Proviant, Rud Pedersen Public Affairs, SAP, Schufa Holding AG, Schweppes, SGP Schneider Geiwitz, Siemens, Verband kommunaler Unternehmen, Vöslauer, Westenergie, Xuits. (ebda.)

10) Informativ dazu die Institutionen für Politische Bildung, zum Beispiel: https://www.lpb-bw.de/lobbyismus#c67370

11) Thomas Piketty, Michael Sandel: Die Kämpfe der Zukunft. München, C.H. Beck, 2025