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Schnief, seufz, stöhn

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Small Planet, Ausschnitt. Irgendwo unter den Wolken: Berlin. (Bild: pxhere)

Frohe Botschaften waren in der Pause, die wir uns zwischen den Jahren gegönnt haben, leider wenige zu vernehmen. Ein Großer der Architektur hat uns verlassen, die EU-Kommission malt Gas und Atomkraft grün an, es wird stetig weiter abgerissen. Doch die Nachrichten mit dem deftigstem Vokabular kamen in Sachen Architektur und Stadt aus Berlin. Froh macht auch das leider nicht.

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Richard Rogers, 2013. (Bild: Wikimedia Commons, Neveselbert, CC-BY-3.0)

Er muss ein Menschenfreund gewesen sein. Auf jeden Fall hat Richard Rogers Bauten hinterlassen, die Kultur auch für die zugänglich macht, die nicht sowieso schon wissen, was sie von ihr erwarten. Er aus der funktionalistischen Sichtweise auf Architektur mit einer fast kindlichen Freude ein Ausdrucksmittel entwickelt, so dass sie genau jenes spielerisches Element bekommt, das es erlaubt, sich ihr mit eigenem Anliegen zu nähern und mit ihr umzugehen. Es ist kein Zufall, dass er die Stadt als ein Organismus verstand, in dem die freie Bewegung eine große Rolle spielen. »Cities for a small planet« fasst auf eine berührende Weise die Sorgfalt, der er auch auf städtischem Maßstab verpflichtet gefühlt hatte – die Stadt wird darin über das Bewegliche, Veränderliche, über die Stoffströme und die Aktivitäten der Menschen bestimmt. Dass seine Architektur sich später wandelte hin zu Apparaturen, die Wind und Sonne nicht nur nutzen, sondern aus deren Einfluss eigenartigen Formen gewinnen, war nur auf den ersten Blick überraschend. „So hinterließ der Architekt am Ende seines Lebens auch eine Utopie für die nächste Epoche, das postindustriell-zirkuläre Klimazeitalter“ schrieb Niklas Maak in der FAZ. Rogers starb am 18. Dezember im Alter von 88 Jahren.

Wie im 20. Jahrhundert

Vor etwas mehr als einem Jahr hatte Ursula von der Leyen mit großen Worten das New European Bauhaus aus der Taufe gehoben. Von einer neuen Bewegung war die Rede. Doch so schön die Worte in den Ohren derer klingen, die für solches Gesäusel empfänglich sind, so bitter ist das, was die EU-Kommission, deren Präsidentin von der Leyen ja immerhin ist, jüngst entschieden hat:  Im Rahmen der EU-Taxonomie sollen Gas und Atomkraft als nachhaltig eingestuft werden. Die Taxonomie macht für die Atomkraft den Weg für eine Förderung bis 2045 und für Gas unter bestimmten Voraussetzungen bis 2030 frei – beide Technologien werden damit auch attraktiver für Investoren, deren Geld dann für die Solar- und Windenergie verloren ist. Noch steht die Zustimmung der EU-Mitgliedsstaaten aus, Klagen sind bereits angekündigt, so von Österreich und Luxemburg, doch da sich sonst nur Portugal, Dänemark und Deutschland gegen die neuen Regelungen ausgesprochen haben, wird die Vorlage wohl beschlossen werden. Argumentiert wird dabei stets mit dem Begriff der Brückentechnologie. Einleuchtend ist es freilich kaum, dass eine Brückentechnologie gefördert werden sollte als das, was sie eigentlich nicht ist: umweltfreundlich. Green Deal und New European Bauhaus sind damit jedenfalls nicht überzeugender geworden.

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Abriss beschlossen, trotz Denkmalschutz: Stadttheater Herford. (Bild: Wikimedia Commons, P6G47TG, CC-BY-SA-3.0)

Derweil wird in der Republik munter weiter abgerissen, als gäbe es kein Morgen. Zwei aktuelle Beispiele: In Herford hat der Gemeinderat den Abriss des denkmalgeschützten Theaters beschlossen (Architekt Franz Allerkamp). Es soll Platz machen für das OWL-Forum mit Konzertsaal und Theater, Probensaal und Studiobühne, für das mit den üblichen Floskeln geworben wird: »Der Neubau soll in einer nachhaltigen Bauweise konstruiert werden, um dem aktuellsten ökologischen und energetischen Anspruch Rechnung zu tragen.« Nun liegt die Entscheidung bei den Denkmalschützern des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Münster; ein Denkmalpfleger hat bereits Beschwerde eingereicht.

In Stuttgart helfen der von Paul Schmitthenner errichteten Villa in der Eduard-Pfeiffer-Straße 89 Beschwerden nicht mehr. Der genehmigte Abriss hat hier bereits begonnen. Wie in anderen Fällen, die David Kasparek hier kürzlich vorgestellt hat, scheiterte der Denkmalschutz an den vorgenommenen Umbauten – eine fragwürdige Einschätzung. Für den Erhalt hatte sich unter anderem der ehemalige Vizedirektor des DAM, Wolfgang Voigt, und Stephan Trüby vergeblich eingesetzt.

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Berlin. Der friedliche Eindruck trügt. (Bild: Wikimedia Commons, Lear 21, CC BY-SA 4.0)

Berliner Gereiztheiten

Es ist schon beunruhigend, dass ein Richard Rogers noch besser im 21. Jahrhundert angekommen zu sein schien als viele andere. Und es wird nicht besser. Denn die größten Wogen im Aquarium der Architektur und Stadtplanung hatte in Berlin die Ernennung von Petra Kahlfeldt zur Senatsbaudirektorin hervorgerufen. Sie wurde damit zur Nachfolgerin von Regula Lüscher, die besonnen, aber vielen Berliner*innen etwas zu geräuschlos agierte. Nun, der Geräuschpegel stieg schon vor der Entscheidung: In einem offenen Brief hatten etwa 600 Vertreter*innen von Architektur und Planung zu einem transparenten Berufungsverfahren aufgerufen. Vergeblich. Andreas Geisel (SPD), Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, berief die Architektin, deren Büro sich sowohl mit sensiblen Sanierungen wie mit klassizistisch auftrumpfenden Villen einen Namen gemacht hatte. Und zwar im üblichen Verfahren, also einfach so. Sie sei Vertraute von Lüschers Vorgängerin Stimmann gewesen, konnte man lesen, hatte sich für Privatisierung stark gemacht. Das von ihrem Mann mit markigen Sprüchen vorangetriebende Projekt der Werkbundstadt hat heroischen Schiffbruch erlitten. Man könnte auch sagen, es ist an der Realität zerschellt: Das Grundstück, auf dem sie entstehen sollte, wurde verkauft, der neue Investor hatte kein Interesse mehr. Es ist die Realität, auf die sich Kahlfeldt wird einstellen müssen.

Die Entscheidung für Kahlfeldt kam etwas überraschend. Weniger überraschend war, dass die Berliner Gräben, wenn sie inzwischen denn wenigstens notdürftig zugeschüttet gewesen wären, sofort wieder vertieft wurden. In der Welt wird denen, die ein transparentes Verfahren gefordert hatten, Aufruf zum Gesetzesbruch vorgeworfen, von Hetze und Aufruhr und, natürlich, denn drunter machen wir es ja nicht, vom Kulturkampf ist die Rede, um dann scheinheilig nach »Abrüsten, Frieden« zu rufen. Das ist schon eher widerlich. Ebenfalls in der Welt war ein enttäuschter Matthias Sauerbruch zu Wort gekommen: »Wenn man diese Website als den Index der Tätigkeit von Petra Kahlfeldt versteht, dann denkt sie nicht im großen städtischen Maßstab, sondern eher im Maßstab einzelner Häuser. Die schwierigen Themen, die Berlin in den nächsten Dekaden beschäftigen, also den Massenwohnungsbau, die intensive Nachverdichtung, die Fragen des Klimawandels oder der Verkehrswende tauchen in ihrem Portfolio nicht auf.« Dieses Interview wiederum nahm Arno Lederer zum Anlass, seine Kollegen dazu aufzurufen, »gegen öffentliche Diffamierungen einzutreten und auf der anderen Seite zum konstruktiven Dialog aufzufordern.« Klingt gut und ist auch nicht falsch. Wenn man das allerdings wirklich ernst meint – und das sollte auch Arno Lederer wissen – dann wählt man, so verführerisch es ein mag, nicht die Tageszeitung als Podium. Es ist wie mit den offenen Briefen: Sie sind politische Statements. Keine vertrauensbildende Verhandlungsangebote. Aber was soll eigentlich verhandelt werden?


Zu vorhersehbar, um unkalkuliert zu sein


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Warum hat er Petra Kahlfeldt berufen? Der Senator für Stadtenwticklung, Bauen und Wohnen, Andreas Geisel, SPD. (Bild: Wikimedie Commons, Nicola CC BY-SA 4.0)

Es springen alle über die Stöckchen, die andere ihnen oder sie sich gegenseitig vors Schienbein hauen. All dies Getöse, Geraune, Geschimpfe und Gepoltere war so vorhersehbar, dass man nicht daran glauben kann, es sei nicht beabsichtigt gewesen. Und damit sind wir bei denen, die sich eigentlich zu rechtfertigen hätten: nämlich bei der SPD, die den zuständigen Senator stellt. Man mag es nicht glauben, dass lediglich eine wohl eher naiv zu nennende Vergangenheitsseligkeit treibende Kraft bei der Entscheidungsfindung war, wie Uwe Rada in der taz spekulierte. Man muss im Gegenteil fürchten, dass viel mehr Naivität dahinter steckt – oder viel mehr Kalkül. Andreas Geisel ist kein Neuling, er ist immerhin schon seit 2014 Senator in Berlin. Im auf dem Feld des Bauens und Wohnens nicht gerade anspruchslosen Koalitionsvertrag ist davon die Rede, dass man für die Nachverdichtung transparente und ergebnisoffene Partizipationsverfahren durchführen wolle; dass die großen Wohnbauprojekte ressortübergreifend zentral koordiniert werden sollten. Dass landeseigenge Grundstücke nicht veräußert und die Berliner Ankaufstrategie von Boden forciert werden sollten. Neue Gebäude (auch bei den landeseigenen Betrieben) sollen möglichst aus nachwachsenden und kreislaufgerechten Baustoffen errichtet werden. 20.000 neue Wohnungen sollen jährlich entstehen, davon „möglichst die Hälfte davon in dieser Legislatur im gemeinwohlorientierten und bezahlbaren Segment“. Für diese Aufgaben braucht man Erfahrung in der Verwaltung und im politischen und städtebaulichen Instrumentarium. Man benötigt Praxis-Kenntnisse auf den Feldern, die so ambitioniert formuliert wurden: bezahlbarer Wohnungsbau, ökologischer Stadtumbau, tranpsarente Pratizipation. Man benötigt integrative Fähigkeit, um Menschen an einen Tisch zu bringen, die nicht die gleichen Interessen teilen. Man benötigt den Blick für die ungewöhnliche Lösung jenseits ausgeprägter formaler Präferenzen. Oder um es anders zu formulieren: Die Entscheidung für Kahlfeldt ist nicht überraschend wegen der architektonischen Position, die sie vertritt – sondern weil eine Person gewählt wurde, bei der diese architektonische Position so wesentlich ist. Streitet man über ihre Qualität als Architektin, ist schon von vornherein die falsche Frage gestellt.

Es gibt die Stimmen, die fordern, Frau Kahlfeldt doch erst einmal anfangen, sie erst einmal machen zu lassen. Doch sollte nicht jede seriöse Stellenbesetzung zur Entscheidung das heranziehen, was bislang geleistet wurde? Insofern darf sie (die Entscheidung) auch genau auf dieser Grundlage kritisiert werden. Für eine so bedeutende Stelle jemanden einzustellen, um ihn oder sie erst einmal anfangen zu lassen, wäre ja auch schlicht unverantwortlich. Und es fällt sehr schwer, angesichts der Aufgaben, die sich die Koalition stellt, die Entscheidung für Frau Kahlfeldt als richtig zu bezeichnen. Eher drängt sich der Verdacht auf, dass sie nicht trotz, sondern gerade wegen der erwartbar polarisierenden Wirkung ihrer Ernennung benutzt wird. Benutzt, um zu verhindern, dass eine starke und einige Architektenschaft zu viel Mitsprache einfordert: Teile und herrsche. Diese Rechnung wäre ja schon ganz gut aufgegangen.

Und wenn es nicht so ist? Wenn dies tatsächlich eine „Kampfansage an eine soziale und ökologische Stadtpolitik“ ist, wo könnte man dann noch nach Gründen suchen? Vielleicht in der wohl doch tief verankerten Skepsis der SPD vor zu viel linkem Gedankengut, in der Ablehnung der bisher von der Linken verantworteten Baupolitik? Weil Proteste wie die gegen den windigen Investor Benko das Geschäft, auch das politische, stören? Dann wäre die Berufung Kahlfeldts ein Signal an die Koalitionspartner, um sich deutlich von den baupolitische Positionen der Linken und der Grünen zu distanzieren. Dann wäre die Berufung auch eine Reaktion auf die Befürchtungen, es könnten Investoren tatsächlich das Vertrauen in die Berliner Politik verlieren. Vielleicht im Glauben daran, dass die Person Kahlfeldt wegen ihrer architektonischen Vorlieben Vertrauen in jene Investoren schafft, die glauben, mit dem Repertoire, für das sie steht, gut vermarktbare Wohnungen, Bauten und Anlagen zu schaffen? Weil man glaubt, allein „Bauen, bauen, bauen“ helfe und man müsse dafür die private Wohnungswirtschaft hofieren? Nicht unwahrscheinlich. Der Berliner SPD gilt das Hamburger Bündnis als Blaupause für eine erfolgreiche Wohnungsbaupolitik. Dort werden aber nur ein Drittel der Wohnungen in Neubauten als öffentlich gefördert, der Mietspiegel verzeichnet zuletzt den höchsten Anstieg seit 20 Jahren. In Hamburg wird das Programm dennoch recht selbstbewusst und politisch einträglich als Erfolg verkauft. In Berlin scheint man sich sagen: Das reicht doch. Nein, es wird nicht reichen. Es ist zu wenig, um Konflikte, wie sie sich im Ergebnis zur Enteignung der Deutsche Wohnen niedergeschlagen haben, zu entschärfen. Es ist vor allem dann zu wenig, wenn man gleichzeitig dem Klimawandel begegnen will. Das hat allerdings nicht nur die Berliner SPD noch nicht verstanden.